Auszüge aus Bernt Engelmann's
"Die Macht am Rhein 2"

Meine Freunde, die Geldgiganten

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Was ist ein Selfmade-Millionär?

Ja, das möchtste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße,
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän.
Vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn.
... Und Geld. Und an Schmuck eine richt’ge Portion.
Und noch ne Million. Und noch ne Million.

Kurt Tucholksy

Wie man Millionär wird, ist bekannt: Man sitzt (beispielsweise) abends am Lagerfeuer, stochert gedankenverloren mit einem Stöckchen im Sand, fördert dabei ein paar unansehnliche Steine zutage, die man achtlos in die Tasche gleiten läßt, ohne sich mehr dabei zu denken, als daß es gut sei, stets etwas Munition für seine Gummischleuder bei sich zu haben, und erfährt dann einige Wochen später im Juweliergeschäft von Cartier in Paris, wo man sich seinen Verlobungsring hat aufpolieren lassen und, bei der Suche nach passendem Kleingeld zum Bezahlen, besagte Steine, zusammen mit dem übrigen Tascheninhalt, zur besseren Übersicht auf die Theke gelegt hat, daß die vermeintlichen Kiesel in Wirklichkeit ganz außergewöhnlich wertvolle Rohdiamanten sind ...

Oder man stößt, etwa beim Do-it-yourself-Tapezieren des Kinderzimmers, auf ein altes Blatt Papier, das man, ehe man es als Makulatur an die Wand klebt, in näheren Augenschein nimmt, wobei man dann hocherfreut entdeckt, daß es sich um den Letzten Willen eines vor geraumer Zeit kinderlos verstorbenen brasilianischen Kaffeekönigs handelt, der all sein Hab und Gut dem zufälligen Finder seines Testaments hinterlassen hat ...

Oder – und damit genug dieser Beispiele! – man gräbt vielleicht eines schönen Samstagmorgens schwitzend und ächzend sein Vorgärtchen um, und plötzlich sprudelt Erdöl aus dem Rosenbeet (ohne daß man etwa die Zuleitung der eigenen Ölheizung angestochen hätte!) ...

Zugegeben – die Wahrscheinlichkeit solcher und ähnlicher Funde ist, zumal für den einzelnen Bundesbürger, nicht allzu groß, weshalb auch die meisten, die darauf aus sind, rasch Millionäre zu werden, sich nicht allein auf derartige Glücksfälle verlassen, sondern zusätzlich noch beim Lotto oder Toto mitspielen, wo man, schon wenn man zweimal hintereinander (und ohne mit anderen teilen zu müssen) den Hauptgewinn erzielt, binnen vierzehn Tagen Millionär werden kann!

Indessen sind alle diejenigen, die auf solche oder ähnliche Weise, das heißt: durch pures (und möglicherweise ganz unverdientes) Glück, zu siebenstelligen DM-Guthaben gekommen sind, dann zwar samt und sonders richtige Millionäre, haben aber nach landläufiger Meinung damit noch keineswegs das Recht, auf ihren Reichtum besonders stolz zu sein. Das dürfen nur diejenigen, die ihren Aufstieg in die Millionärsklasse aus eigener Kraft vollzogen haben, sogenannte Selfmademen.

Einen Anspruch auf diesen Ehrentitel können Glückspilze nun aber nicht etwa damit begründen, daß sie versichern, auch ihr plötzlicher Reichtum sei die Frucht gewisser Anstrengungen, etwa beim Tapezieren des Kinderzimmers, beim Umgraben des Rosenbeets oder beim Ausfüllen der Lottoscheine.

Nein, von richtigen, achtunggebietenden Selfmade-Millionären fordert man mehr: nämlich außer miserablen Startbedingungen, härtester Arbeit und entbehrungsreichem Leben auch klare Zielstrebigkeit. Sie müssen sich ihr Vermögen, Pfennig für Pfennig, Mark für Mark, eigenhändig errackert und zusammengespart haben, stets mit dem hohen Ziel vor Augen, Millionär zu werden. Und zu allem Überfluß verlangt man von ihnen auch noch die Erfüllung gewisser moralischer Grundbedingungen:

Wer (beispielsweise) hundert gelähmte Greisinnen mit durchschnittlich je zehntausend Mark Ersparnissen eigenhändig erwürgt und ausplündert, kann trotz der vielen Mühe, der deutlich bewiesenen Zielstrebigkeit und der Gesamteinnahme von einer Million Mark keinen Anspruch darauf erheben, ein Selfmade-Millionär zu sein, obwohl doch, im strengen Sinne des Wortes, alle Voraussetzungen erfüllt sind.

Selbst jemand, der nach sorgfältiger Fachausbildung, entbehrungsreichem Spezialstudium und mühevollen Vorbereitungen im Schweiße seines Angesichts den Panzerschrank im Tresorraum eines wegen seiner skrupellosen Habgier und Härte berüchtigten Privatbankiers aufgebrochen, eine Million Mark in kleinen und gebrauchten Scheinen entwendet und sich also mit eigenen Händen, emsigem Fleiß, hoher Intelligenz und härtester Arbeit, zudem nicht bloß zielstrebig, sondern auch mit beträchtlichem Unternehmer-Risiko, ein siebenstelliges Vermögen erworben hat, kann noch längst nicht als ehrfurchtgebietender Selfmade-Millionär gelten, nicht einmal, wenn er mit der Beute entkommen kann und niemals gefaßt wird, auch alljährlich am Tage der heiligen Barbara dieser seiner selbstgewählten Schutzpatronin, die zuständig ist für besonders gefährliche Arbeiten, namentlich Sprengungen, seinen aufrichtigen Dank dafür abstattet, daß ihm bei der genauen Dosierung des Nitroglyzerins kein Berechnungsfehler unterlaufen ist ...

Nein, Anspruch auf Selfmade-Millionärsruhm kann auch dieser wackere Mann erst erwerben, wenn es ihm gelingen sollte, mit dem entwendeten Geld bis zum Eintritt der Verjährung einem anständigen Beruf nachzugehen, vernünftig und profitabel zu wirtschaften und Ansehen zu erwerben – vielleicht als Pfandleiher, als stiller Teilhaber einer kleinen Fabrik für bakteriologische Kampfstoffe oder auch als Mehrheitsaktionär der "Eros Center Bau- und Betriebs-AG" –, in welchem Falle er später seinen Enkeln schmunzelnd erzählen kann:

Die allererste Million war zwar die schwerste, aber mein Ehrendoktorat und die Senatorenwürden verdanke ich erst der zweiten und dritten Million, denn in seinen jungen Jahren war euer Opa ein rechter Hallodri, der mit dem Kopf durch die Wand wollte. Aber dann hat die heilige Barbara an ihm ein Wunder geschehen lassen, das hat ihn auf den rechten Weg gebracht ...

Weshalb nun die minderbemittelte Öffentlichkeit die sogenannten Selfmade-Millionäre höher bewertet (obwohl es ihr doch eigentlich völlig gleichgültig sein könnte, ob ein reicher Mann sein vieles Geld nun geerbt, gewonnen, ergaunert oder durch Fleiß und Sparsamkeit zusammengerafft hat); weshalb auch die Millionäre selbst so großen Wert darauf legen, wenn irgend möglich als Reiche aus eigener Kraft zu gelten, die auch alle moralischen Anforderungen erfüllt haben, das dürfte wohl damit zusammenhängen, daß es so außerordentlich schwer ist, als Habenichts anzufangen und durch nichts als ehrliche Arbeit, immensen Fleiß und unerhörte Sparsamkeit zu einem Millionenvermögen zu kommen. Jede andere Methode führt leichter zum Ziel!

Zwar braucht man, wie mich kürzlich erst ein Multimillionär belehrte, nur fünfzig Jahre lang, also beispielsweise vom fünfzehnten bis zum fünfundsechzigsten Lebensjahr, im Monatsdurchschnitt 1660 Mark netto zu verdienen, um dann auf seine alten Tage voller Stolz sagen zu können, daß man es durch eigenen Fleiß zu insgesamt einer Million gebracht habe.

Aber erstens ist der Fall, daß jemand fünfzig Jahre hindurch einen so hohen Durchschnittsverdienst erzielt, nicht allzu häufig, zumal die Lehrlings- und Studienjahre mit viel geringerem oder gar keinem Einkommen ja dann in späterer Zeit durch weit höhere Bezüge ausgeglichen werden müßten; zweitens ist es ja damit allein leider auch noch nicht getan!

Es muß vielmehr eine ganz außergewöhnliche Sparsamkeit hinzukommen, damit sich die Million auch tatsächlich ansammeln kann, genauer: damit das viele Geld nicht bloß erworben und gleich wieder ausgegeben, sondern kapitalbildend angelegt wird. Mindestens so lange, bis genügend Ersparnisse vorhanden sind, daß deren Zinsertrag das Existenzminimum des Sparers sichert, muß das zur Bestreitung des Lebensunterhalts unbedingt Nötige noch hinzuverdient werden, vielleicht durch einen Nebenerwerb nach Feierabend ... Nur so läßt sich, zumindest theoretisch, eine Million zusammensparen.

Es kommt aber noch ein dritter und sehr wichtiger Faktor hinzu, eine weitere Voraussetzung, die erfüllt sein muß und ohne deren Beachtung es auch die Fleißigsten und Sparsamsten niemals zu einem selbstverdienten siebenstelligen Sparguthaben bringen können.

Gerade dieser dritte Punkt wird von denen, die nach Selfmade-Millionärsruhm streben, leider allzu häufig übersehen, in der Regel sehr zum Schaden ihrer so hoffnungsvoll begonnenen Vermögensbildung. Ein geradezu klassisches Beispiel dafür bietet die Lebensgeschichte eines rüstigen älteren Herrn meiner Bekanntschaft. Sie ist geeignet, Mitgefühl zu wecken, stellt aber zugleich auch eine ernste Mahnung an alle diejenigen dar, die meinen, sie brauchen nur lustig draufloszusparen, um eines schönen Tages Millionär zu sein.

Onkel Otto, wie ich ihn nennen darf, kam im Jahre 1900 als Sohn eines Supernumerars des gehobenen Zolldienstes und dessen Ehegattin zur Welt, wuchs in bescheidenen, aber ehrbaren Verhältnissen auf und faßte schon an seinem fünften Geburtstag den festen Entschluß, durch emsigen Fleiß und rigorose Sparsamkeit sehr reich zu werden, wiewohl der Knabe sich zunächst noch nicht das feste Ziel setzte, es einmal zu mindestens einer Million Mark zu bringen. Das tat er erst später, als er mit so hohen Zahlen rechnen gelernt hatte.

Otto wurde ein wahrer Musterschüler, der bevorzugte Liebling seiner Lehrer und der Augapfel seiner Eltern. Was ihm an Intelligenz mangelte, wußte er durch Auswendiglernen, eifrige Beteiligung am Unterricht und untadeliges Betragen auszugleichen. Doch Otto war nicht bloß in der Schule ein Streber, und sein Sinn stand nach weit mehr als bloßem Wissen!

Jede freie Minute verwandte er aufs Geldverdienen: Er trug frühmorgens vor der Schule Zeitungen und Brötchen aus, übernahm nachmittags allerlei Besorgungen für begüterte ältere Damen der Nachbarschaft, betätigte sich wohl auch als Balljunge auf Tennisplätzen, schippte Schnee oder mähte den Rasen, je nach Jahreszeit, und trat sonntags in der Kirche den Blasebalg für den schon etwas ältlichen Organisten.

Keinen Pfennig von alldem, was er so verdiente, gab Otto aus, auch nichts von dem Taschengeld und anderen kleinen Zuwendungen, die er erhielt. Ja, selbst Näschereien, die der Knabe geschenkt bekam, versagte er sich und verhökerte sie lieber. Alle Einnahmen steckte Otto unverzüglich in eine seiner vielen Sparbüchsen, und jeweils am Ende des Jahres öffnete er seine diversen Behälter, zählte alles sehr sorgfältig und trug dann die Früchte seines Fleißes und seiner Opfer, schier berstend vor Stolz, zur Kreissparkasse, wo das Kapital in guter Hut war, zudem reiche Zinsen trug.

So ging es Jahr um Jahr. Als Gymnasiast durfte Otto zwar keine Brötchen und Zeitungen mehr austragen, mußte sich auch manche andere einbringliche, doch nun nicht mehr standesgemäße Tätigkeit versagen. Aber dafür konnte er fortan Nachhilfeunterricht für faule Kinder reicher Eltern erteilen, und er erzielte damit, besonders während der Schulferien, noch weit größere Einnahmen.

Er besorgte auch einem Kolonialwarenhändler die gesamte Buchführung und Korrespondenz, verdingte sich als Reisebegleiter, ja, half sogar im Kontor eines entfernten Verwandten beim (natürlich handschriftlichen) Kopieren der ausgehenden Post.

So ging es bis zum Frühjahr 1918. Dann beendete Otto seine Schulzeit mit dem Abitur, gerade rechtzeitig, um noch als Soldat ins Feld ziehen zu können, doch nicht ohne zuvor für alle seine Ersparnisse Kriegsanleihe zu zeichnen, ein Vorgang, der wegen der Höhe der Summe, die der patriotische Jüngling aufzubringen vermochte, bei der Sparkasse einiges Aufsehen erregte und sogar im Kreisblatt lobend erwähnt wurde.

Es war tatsächlich ein stattliches Sümmchen, das Otto sich bis dahin erspart hatte und nun dem bedrohten Vaterland gegen gute Zinsen borgte, doch es erübrigt sich, den genauen Betrag anzugeben oder sich gar zu merken. Denn als Otto ein Dreivierteljahr später wieder nach Hause zurückkehrte, im Felde unbesiegt, aber andererseits auch nicht so siegreich wie geplant, da standen seine Kriegsanleihen nicht mehr sehr hoch im Kurs. (Später wurden sie dann mit der in solchen Fällen üblichen Großzügigkeit aufgewertet: Für je tausend Goldmark gab es zweieinhalb Rentenmark ...)

Doch um diese Zeit hatte der bei Kriegsende so jäh verarmte Otto längst wieder von neuem zu sparen begonnen, war sogar in wenigen Jahren Millionär geworden, bald darauf Milliardär und sogar Billionär, ohne daß es ihm viel Freude bereitet hätte, denn er mußte es als wahrlich unbefriedigend empfinden, daß er für seine durch harte Arbeit und Überstunden verdienten Milliarden am Ende nicht einmal mehr eine altbackene Semmel kaufen konnte ...

Aber 1924 startete Onkel Otto, wie ich ihn nun schon nennen durfte, mit frischem Mut von neuem: Unbeirrt von den bitteren Erfahrungen des Krieges und der Inflation, legte er – nun schon zum dritten Male! – jede Mark, die er erübrigen konnte, auf die hohe Kante. Und er verdiente gut, zuerst als Exportkaufmann, dann als Prokurist, schließlich als Subdirektor einer renommierten Firma. Er ehelichte eine Brauerstochter mit stattlicher Mitgift, fand in ihr eine gleichgesinnte Partnerin und sparte nun mit seiner Frau um die Wette an allen Ecken und Enden, bis die ersten zweihundertfünfzigtausend Reichsmark beisammen waren. Vier Fünftel dieses Betrages legte Onkel Otto in preußischen Goldpfandbriefen an; für den Rest erwarb er eine erststellige Hypothek auf ein stattliches Geschäftshaus.

Bis 1938 hatte Onkel Otto weitere dreihunderttausend Reichsmark gespart und sicher angelegt, war zum Direktor avanciert und trug sich bereits mit der Absicht, demnächst ein hübsches kleines Häuschen zu kaufen, bis dahin aber mit Frau und Sohn, der inzwischen hinzugekommen war, in der bescheidenen Zweieinhalbzimmerwohnung auszuharren und sein Kapital weiter kräftig zu vermehren, damit er, spätestens an seinem fünfzigsten Geburtstag, sein hohes Ziel, ein richtiger Millionär zu werden, erreichen könnte.

Nun, mit dem Hauskauf wurde es nichts. Die Preise zogen kräftig an, und Onkel Otto brachte es einfach nicht übers Herz, mehr zu bezahlen, als ihm angemessen erschien. Dann brach der Krieg aus, und er verschob den Hauskauf bis auf die Zeit nach dem Endsieg.

Dafür bekam er seine Million eher zusammen, als er zu hoffen gewagt hatte: Die Kriegskonjunktur gereichte der Firma, bei der er Direktor war, zum Segen; Gehalt und Tantiemen stiegen, und schon im März 1945, als Onkel Otto den Wert seiner Reichsanleihen, Hypothekenforderungen, Goldpfandbriefe und Eisernen Sparguthaben wieder einmal zusammenrechnete, da konnte er seiner Frau mit Tränen des Glücks in den Augen berichten, daß sie nunmehr neunhundertsiebenundachtzigtausend Reichsmark besäßen, worauf seine bessere Hälfte verschämt gestand, daß auch sie noch ein – bislang verheimlichtes – Sparguthaben von zehntausend Reichsmark sowie eine Barreserve von nahezu fünftausend Reichsmark im Wäscheschrank versteckt habe, so daß sie nun tatsächlich richtige Millionäre seien ...!

Dieses Glück währte indessen nur wenige Wochen. Der Zusammenbruch des Großdeutschen Reiches, das Chaos der ersten Nachkriegszeit und die rapide Geldentwertung machten die Träume des Ehepaares von einem sonnigen Lebensabend und einer durch die Zinserträge ihres siebenstelligen Reichsmarkvermögens scheinbar glänzend gesicherten Existenz rasch zunichte.

Viel zu spät, nämlich erst eine Woche vor der Währungsreform, trat Onkel Otto die Flucht in die Sachwerte an. Er erwarb blindlings und für rund ein Fünftel seines Gesamtvermögens, was ihm gerade angeboten wurde: über tausend nur leicht beschädigte Kunststoffgehäuse für sogenannte "Volksempfänger"; zweieinhalb Zentner Rohkaffee der (in ihrem Ursprungsland wenig geschätzten und dort vorwiegend zum Heizen von Lokomotiven verwandten) Sorte "Santos 5"; dreitausend Stangen Kriegs-Rasierseife Marke "Heros" (nichtschäumend und unempfindlich gegen Feuchtigkeit) sowie einige zehntausend Dosen mit (vorwiegend hölzernen) Grammophonnadeln – alles in allem keine sehr glückliche Wahl!

Onkel Otto erzielte später für diese – dann nur noch sehr schwer absetzbaren – Waren einen Preis von insgesamt achthundert Deutschen Mark, doch verringerte sich dieser Erlös noch um die unverschämt hohe Provision des Vermittlers, um drei Prozent Kassa-Skonto, die ihm der Käufer abzog, und um drei falsche Hundertmarkscheine, die er Onkel Otto dreist mit in Zahlung gab.

Nein, es war nicht viel, was von der Million übrigblieb! Onkel Ottos Hypothekenforderungen, soweit sie von den Gläubigern nicht schon mit Reichsmark getilgt worden waren, wurden auf ein Zehntel des Nennwertes reduziert; die Sparguthaben, gleich, ob "eisern" oder nicht, strich Vater Staat ebenfalls rigoros zusammen; die Obligationen des Reiches verfielen entschädigungslos, und als Onkel Otto an seinem fünfzigsten Geburtstag traurig Bilanz zog, da waren ihm von seiner Million kaum 65.000 Mark verblieben – gewiß mehr als vielen anderen, aber andererseits enttäuschend wenig für einen, der schon einmal eine Million zusammengespart hatte ...

Indessen hat Onkel Otto in den achtzehn Jahren, die seit seinem fünfzigsten Geburtstag vergangen sind, seine Prinzipien keineswegs geändert, sondern spart unverzagt weiter. Er ist nicht in Pension gegangen, arbeitet vielmehr von früh bis spät, läßt die Zinsen seines (schon wieder auf weit über eine halbe Million Mark angeschwollenen) Sparkapitals auflaufen, gönnt sich weder Urlaub noch den kleinsten Luxus, wohnt nach wie vor in seiner bescheidenen Zweieinhalbzimmerwohnung und träumt davon, am Ende doch noch Millionär zu werden – und zu bleiben! Und da er von robuster Gesundheit und völliger Anspruchslosigkeit ist, gut verdient, nichts ausgibt und für niemanden außer sich selbst zu sorgen hat – seine Frau ist bereits verstorben, der Sohn bei Stalingrad gefallen, –, wird Onkel Otto vielleicht sein hohes Ziel eines Tages erreichen, es sei denn, Väterchen Staat benötigt sein sauer erspartes Vermögen wieder einmal für andere als die vorgesehenen Zwecke ...

Denn das ist ja, wenn man so sagen darf, die Moral von Onkel Ottos Geschichte:

Bienenfleiß und hohes Einkommen, völlige Anspruchslosigkeit und unermüdliches Sparen bilden zwar die Voraussetzungen eines Aufstiegs zu Selfmade-Millionärsruhm, wie man ihn hierzulande versteht, aber es muß auch noch die Gunst der Zeit hinzukommen: Der Fiskus darf nicht allzu habgierig, die Generalität nicht allzu ruhmsüchtig werden, das Geld muß seinen Wert, der Sparer nicht bloß sein Vertrauen, sondern auch seine sauer erworbenen Ansprüche behalten dürfen.
Da aber alle diese äußeren, der Macht des einzelnen entzogenen Bedingungen in unserem Lande häufig nicht erfüllt waren, sind echte Selfmade-Millionäre höheren Alters äußerst selten.

Wenn es aber bei uns schon so schwer ist, aus eigener Kraft zu einem Vermögen von auch nur einer einzigen Million zu kommen, um wieviel schwieriger muß es dann erst sein, sich hundert Millionen (oder gar eine Milliarde) Mark auf rechtschaffene Weise zusammenzusparen und auf die hohe Kante zu legen?

Man könnte versucht sein, darauf zu antworten, daß dies natürlich genau hundert (oder tausend) Mal schwerer sein muß, doch liegt solcher Rechnung ein Trugschluß zugrunde:

Wer nämlich erst einmal einen gewissen Vermögensumfang erreicht hat, der streift, zusammen mit allen unliebsamen Erinnerungen an die bitteren Seiten der Armut, auch jene, nun, sagen wir: mittelständischen Hemmungen ab, sein Geld anders anzulegen als in mündelsicheren Papieren, patriotischen Kriegsanleihen und auf mehr oder weniger "eisernen" Sparkonten.

Infolgedessen übersteht sein Vermögen meist auch ungünstige Zeiten ohne allzu große Einbußen, und es vermehrt sich unter einigermaßen günstigen Bedingungen weit rascher, als man sich vorzustellen vermag.

Zumal in der Bundesrepublik Deutschland, deren fromme Regierungen zwei Jahrzehnte hindurch nach der (schon im ersten Band bei unserer Betrachtung des alten Reichtums lobend erwähnten) Maxime des Evangelisten Matthäus (13,12), "Wer da hat, dem wird gegeben", zur eiligen Multiplikation schon bemooster Riesenvermögen kräftig beigetragen haben, vollzieht sich der Aufstieg eines hundertfachen Millionärs zu Milliardärswürden bedeutend leichter, als es etwa einem Kleinsparer fällt, sein Guthaben von fünftausend auf siebentausendfünfhundert Mark aufzufüllen.

Anders ausgedrückt: Im untersten Bereich ist eine Vermögensvermehrung um die Hälfte ungleich schwieriger als eine Verzehnfachung des Reichtums in den obersten Regionen.

Oder, in absoluten Zahlen: Neunhundert Millionen Mark zusätzliches Vermögen zu bilden, wenn man schon hundert Millionen hat, ist einfacher als das Sparen von bloßen zweitausendfünfhundert Mark, sofern man nur ein Ausgangskapital von fünftausend Mark besitzt.

Das sind natürlich nur Behauptungen, aber wer’s nicht glauben will, der lasse sich durch zwei Beispiele überzeugen:

Nehmen wir einmal an, der sparsame, fleißige, sich eines makellosen Rufes und bester Empfehlungen erfreuende, zudem recht aufgeweckte Kellner Fritz, der in der Halle des Hotels "Intercontinental" Berührung mit vielen relativ wohlhabenden und gutinformierten Menschen aus aller Welt hat, kommt aufgrund einiger aufgeschnappter Gesprächsfetzen, intensiven Studiums des "Wall Street Journal", der "Financial Times" und anderer Börsenblätter sowie kluger Beurteilung einer sich anbahnenden politischen Entwicklung zu dem (durchaus richtigen) Schluß, daß die Aktien von "Dow Chemicals" in Kürze rapide steigen werden. Nun will er die Nutzanwendung aus seiner Erkenntnis ziehen und beantragt zum Erwerb einer möglichst großen Anzahl von Dow-Aktien bei seiner Sparkasse einen Kredit.

Was wird geschehen? Der Assistent des stellvertretenden Leiters der Effektenabteilung wird ihm eine knapp bemessene Audienz, aber natürlich keinen Kredit gewähren. Schließlich wird Fritz von seinen zweieinhalbtausend Mark Spargeld zwölfhundert Mark abheben, dafür Dow-Aktien kaufen, diese der Sparkasse verpfänden, um nun wenigstens sechshundert Mark Kredit zu bekommen, mit denen er nochmals Aktien seines Favoriten erwerben kann, die er wiederum beleiht, um zu Beginn der Dow-Hausse, die dann auch prompt einsetzt, mit Aktien im Kurswert von rund zweitausend Mark dabeizusein.

Wenn Fritz nach einem Jahr stetigen Anstiegs der Dow-Notierungen sein winziges Aktienpaketchen wieder verkauft, weil er (wiederum zu Recht) annimmt, gewisse Aussichten für einen Frieden in Vietnam könnten die Kurse, zumal bei Dow, einem rührigen Napalm-Produzenten, ungünstig beeinflussen, dann wird er, nach Abzug aller Spesen, Sollzinsen und Sparzinsverluste, knapp tausend Mark verdient haben und damit seufzend zufrieden sein.

Im gleichen Zeitraum aber kann ein hundertfacher Millionär, dessen Börsenspezialisten zu ähnlichen Schlüssen gekommen sind wie der Kellner Fritz, nicht bloß fünfzig Millionen Mark hinzuverdienen, sondern leicht auch sein Vermögen verdoppeln. Denn ihm stehen nicht allein weit größere Eigenmittel, sondern auch Millionenkredite zur Verfügung, die ihm von seinen Bankiers geradezu aufgedrängt werden, ganz zu schweigen davon, daß seine massiven Aktienkäufe die Kurse noch weit schneller und steiler ansteigen lassen würden ...

Wie aber ist es, wenn der Kellner Fritz sich eines Tages selbständig machen, sagen wir: ein kleines, gepflegtes Café eröffnen will? Nun, er wird dafür gewiß, zwar mit einiger Mühe und zu beträchtlichen Kosten, die benötigten Kredite bekommen, die er dann im Laufe der Jahre aus seinen Gewinnen zu tilgen hat. Was aber passiert, wenn die erwarteten Gewinne ausbleiben, wenn sich die in das Café hineingesteckten Mittel als Fehlinvestition erweisen, vielleicht aus Gründen, die für niemanden vorhersehbar waren? Nun, dann muß der Cafetier Fritz sein Unternehmen aufgeben, sein Inventar verschleudern oder gar zwangsversteigern lassen und mit einer beträchtlichen Schuldenlast, an der er noch viele Jahre lang zu tragen haben wird, wieder Kellner werden ...

Ganz anders ist es bei dem hundertfachen Millionär, der durch gewaltige Fehlinvestitionen in Schwierigkeiten kommt. Die Schließung seiner Betriebe kommt gar nicht in Betracht, weil dann ja Tausende von Arbeitsplätzen verlorengingen. Also wird Vater Staat aus öffentlichen Mitteln Hilfe gewähren, bis entweder die Schwierigkeiten überwunden oder die Unternehmen völlig zugrunde gerichtet sind. Im letzteren Falle ist die Millionenhilfe eben umsonst gewährt worden, das heißt: umsonst für den Unternehmer, nicht für die Steuerzahler. Im ersteren Fall wird alles wie es war: Der hundertfache Millionär hat wieder gesunde Unternehmen, Vater Staat hat seine Pflicht getan, aber selbstverständlich in den sanierten Betrieben keinerlei Mitspracherecht. Bestenfalls bekommt er sein Geld zurück, wenn auch meist nur symbolisch, denn dann zahlt der Multimillionär zur Abwechslung weniger Steuern ...

Wie wird man ein Geldgigant?

Stützen der Gesellschaft hinken naturgemäß
eine Generation hinter einer neuen Zeit her.
Dies gibt dem geschickten und entschlossenen Einzelgänger
genügend Zeit und Spielraum für seine Manöver.
Ebenso naturgemäß aber muß dieser Geduld haben,
wenn es ihm um das Verständnis und den Beifall
derselben Stützen der Gesellschaft geht.
John Stuart Mill (1806 – 1873)
Wandspruch im Hause Rudolf Münemanns

Die Bundesrepublik Deutschland ist – ihrer Fläche nach – ein winziges Land, und wir haben nun auf vielen Seiten zweier Bände so viele Inhaber von sieben-, acht-, neun- und sogar zehnstelligen DM-Guthaben kennen (und, wie ich hoffe, auch schätzen) gelernt, daß der Eindruck entstanden sein könnte, es wimmele in diesem Lande nur so von Geldgiganten.

In einer solchen Annahme könnte der Leser noch bestärkt werden, weil um der Wahrheit willen anzumerken ist, daß beileibe noch nicht alle alt- und neureichen Geldfürsten, die den Landstrich zwischen Aachen-Köpfchen und Bad Harzburg, Kampen auf Sylt und Alpennordrand bevölkern, vorgestellt werden konnten (wobei wir die bislang Übergangenen um gütige Nachsicht bitten; die Hochachtung, die wir dem gesamten Stand bundesdeutscher Nabobs bisher bezeigt haben, gebührt selbstverständlich auch ihnen!).

Und vollends überzeugt, daß es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um eine reine Multimillionärs-Kolonie handelt, wo etwa jeder Zwölfte ein Krösus ist (und das übrige vom Dutzend jeweils die – meist geschiedenen – Ehefrauen desselben sowie seine Sprößlinge aus den diversen Ehen), muß derjenige sein, der, ohne das Land zu kennen, weiteres erfährt:

Beispielsweise, daß wir uns ja bislang nur mit den allerobersten Regionen des Reichtums befaßt haben; daß auf jeden bisher erwähnten (und auch auf jeden noch gar nicht genannten) vielhundert- bis mehrtausendfachen Millionär noch etwa tausend ganz schlichte ein- bis höchstens hundertfache Millionäre kommen, Menschen aus der Gattung des gewöhnlichen Haus-Reichen (homo pecuniosus communis), wie Kurt Tucholsky sie genannt hat, und daß auch diese Spezies des Feld-, Wald- und Wiesen-Krösus sich rasend vermehrt, nicht nur auf dem natürlichen Wege, sondern auch durch Mutation! Gewöhnliche Minderbemittelte entwickeln über Nacht erb- und krisenfeste Anlagen, und die lebendigen Jungen, die ihre Frauen zur Welt bringen, sind dann richtige Millionäre, obwohl sie doch von armen Eltern stammen. Solche Wunder ereignen sich so häufig, daß selbst Fachgelehrte vor einem Rätsel stehen, und sie haben, zusammen mit der ungewöhnlichen Fruchtbarkeit, besonders des Hochadels, innerhalb der engen bundesdeutschen Grenzen zu einer Art von Millionärs-Schwemme geführt, einem Phänomen, das in der Welt einzigartig ist. Trotzdem dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, nun zu glauben, es gäbe in der Bundesrepublik nichts als steinreiche Leute.

Denn wer sollte, wenn es so wäre, alle diese Geldfürsten bedienen, bewachen, chauffieren oder auch massieren? Wer sollte für sie kochen und backen, heizen und schrubben, die gotischen Madonnen abstauben, das Herbstlaub von den Parkwegen aufsammeln und die Hunde spazierenführen? Wer sollte ihnen beim An- und Auskleiden behilflich sein, die Sorge um die Erziehung der Kinder abnehmen und zum Tanz aufspielen, die Swimmingpools von Algen und die Vorzimmer von lästigen Besuchern freihalten, den Lawn trimmen, die Korrespondenz erledigen und die Tischordnung basteln?

Doch damit nicht genug, brauchen ihre Konzerne, damit sie florieren, ja auch "Belegschaften", Beschäftigte, Mitarbeiter und, was noch wichtiger ist: Verbraucher!
Wer sollte, beispielsweise, Axel Cäsar Springers "Bild-Zeitung" kaufen, wenn es nur reiche, infolgedessen anspruchsvolle Bundesbürger gäbe?

Für wen sollte der Zeitungszar sein privates "Seid nett zueinander!"-Fernsehen planen, um das er sich so sehr bemüht, daß er einflußreiche Politiker unter Beratungsvertrag und das Privatleben leitender Herren der im Wege stehenden öffentlich-rechtlichen Anstalten von skrupelfreien Beauftragten unter die Lupe nehmen ließ?
Und wer sollte jene Abgeordneten wählen, die als (inzwischen auch schon sehr begüterte) Angestellte von Geldgiganten an die Lobby-Front geschickt werden, wenn keine "Leute" mehr, sondern nur noch Persönlichkeiten die Bundesrepublik bevölkerten ...?

Nein, um der künftigen historischen Wahrheit willen sowie zur Vermeidung folgenschwerer Irrtümer in der Gegenwart muß es gesagt sein, daß es in der Bundesrepublik Deutschland heute, gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, neben erstaunlich vielen Geldgiganten und Unmengen gewöhnlicher Multi- und einfacher Millionäre, leider immer noch eine sehr stattliche Anzahl von Leuten gibt, die ein etwas oder sogar erheblich kleineres, ja, möglicherweise überhaupt kein Vermögen haben! Doch nahezu alle diese vom Millionärsstandpunkt aus Minderbemittelten – altersschwache Wohlfahrtsempfängerinnen, greise Einödbauern und kriegsinvalide Veteranen der China-Strafexpedition von 1900/01 nicht ausgenommen – hoffen unverzagt, diesen bejammernswerten Zustand noch zu ändern und eines schönen Tages wenigstens schlichte einfache Millionäre zu werden. Die Teilnehmerzahlen jedweden Lottos, Totos oder Preisausschreibens liefern dafür eindrucksvolle Beweise!

Für sie alle muß, so scheint es, die Antwort auf die Frage, wie man ein Geldgigant wird, weit dringlicher sein als noch so detaillierte Auskünfte darüber, wie man sich fühlt und verhält, wenn man bereits ein Krösus ist. Denn letzteres sich auszumalen, vermag auch eine schwach entwickelte Phantasie, ersteres bereitet hingegen den meisten großes und durchweg vergebliches Kopfzerbrechen.

Aus diesem Grunde sei hier zwar kein Patentrezept, aber immerhin eine Anleitung gegeben, die auf gründlicher wissenschaftlicher Auswertung einer Vielzahl von Geldgiganten-Lebensläufen beruht. Es wurde dabei eine Reihe von wesentlichen Merkmalen ermittelt, die für bundesdeutsche Geldgiganten offenbar typisch sind, ohne daß deshalb auch nur ein Krösus in unserem Lande existiert, der in allen Punkten dem Modell entspricht, das seinerseits durch Addition der häufigsten Übereinstimmungen entstanden ist.

Die Tatsache, daß kein einziger wirklicher Multimillionär besagtem Modell in allen Punkten entspricht, läßt die strenge Wissenschaftlichkeit der angewandten Methode erkennen und bietet zugleich denen Trost, die der Anleitung folgen wollen, ohne daß sie mit sämtlichen wünschenswerten Eigenschaften aufwarten können.

Andererseits kann der Bewerber das Rennen aufgeben und seine Bemühungen, Millionär zu werden, als von vornherein aussichtslos einstellen, wenn er keine oder nur ganz wenige der geforderten Voraussetzungen erfüllt. Auch das ist – wie der Autor glaubhaft zu versichern vermag, weil er bei sich das Fehlen jeder Chance bereits festgestellt hat – keineswegs nutz- oder gar trostlos! Es kann sogar recht amüsant sein, bei besagtem Rennen nur zuzuschauen, und sei es bloß als Zaungast ...

Doch damit genug der theoretischen Vorbemerkungen und zu unserem Modell, dem bundesdeutschen Durchschnitts-Geldgiganten der Selfmade-Klasse:

Wie er so reich geworden ist? Das läßt sich leider nicht mehr genau ergründen ...!

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