Sigmund Freud
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Das Unbehagen in der Kultur
Auf solche Art löst sich also das Ich von der Außenwelt. Richtiger gesagt: Ursprünglich enthält das Ich alles, später scheidet es eine Außenwelt von sich ab. Unser heutiges Ichgefühl ist also nur ein eingeschrumpfter Rest eines weitumfassenderen, ja, – eines allumfassenden Gefühls, welches einer innigeren Verbundenheit des Ichs mit der Umwelt entsprach. Wenn wir annehmen dürfen, daß dieses primäre Ichgefühl sich im Seelenleben vieler Menschen
in größerem oder geringerem Ausmaße – erhalten hat, so würde es sich dem enger und schärfer umgrenzten Ichgefühl der Reifezeit wie eine Art Gegenstück an die Seite stellen, und die zu ihm passenden Vorstellungsinhalte wären gerade die der Unbegrenztheit und der Verbundenheit mit dem All, dieselben, mit denen mein Freund das "ozeanische" Gefühl erläutert. Haben wir aber ein Recht zur Annahme des Überlebens des Ursprünglichen neben dem Späteren, das aus ihm geworden ist?

Massenpsychologie und Ich-Analyse
Der Gegensatz von Individual- und Sozial- oder Massenpsychologie, der uns auf den ersten Blick als sehr bedeutsam erscheinen mag, verliert bei eingehender Betrachtung sehr viel von seiner Schärfe. Die Individualpsychologie ist zwar auf den einzelnen Menschen eingestellt und verfolgt, auf welchen Wegen derselbe die Befriedigung seiner Triebregungen zu erreichen sucht, allein sie kommt dabei nur selten, unter bestimmten Ausnahmsbedingungen, in die Lage, von den Beziehungen dieses Einzelnen zu anderen Individuen abzusehen. Im Seelenleben des Einzelnen kommt ganz regelmäßig der Andere als Vorbild, als Objekt, als Helfer und als Gegner in Betracht, und die Individualpsychologie ist daher von Anfang an auch gleichzeitig Sozialpsychologie in diesem erweiterten, aber durchaus berechtigten Sinne.

Totem und Tabu
Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker
Die nachstehenden vier Aufsätze, die unter dem Untertitel dieses Buches in den beiden ersten Jahrgängen der von mir herausgegebenen Zeitschrift Imago erschienen sind, entsprechen einem ersten Versuch von meiner Seite, Gesichtspunkte und Ergebnisse der Psychoanalyse auf ungeklärte Probleme der Völkerpsychologie anzuwenden. Sie enthalten also einen methodischen Gegensatz einerseits zu dem groß angelegten Werke von W. Wundt, welches die Annahmen und Arbeitsweisen der nicht analytischen Psy-chologie derselben Absicht dienstbar macht, und anderseits zu den Arbeiten der Züricher psychoanalytischen Schule, die umgekehrt Probleme der Individualpsychologie durch Heranziehung von völkerpsychologischem Material zu erledigen streben. Es sei gern zugestanden, daß von diesen beiden Seiten die nächste Anregung zu meinen eige-nen Arbeiten ausgegangen ist.

Der Mann Moses und die monotheistische Religion
Einem Volkstum den Mann abzusprechen, den es als den größten unter seinen Söhnen rühmt, ist nichts, was man gern oder leichthin unternehmen wird, zumal wenn man selbst diesem Volk angehört. Aber man wird sich durch kein Beispiel bewegen lassen, die Wahrheit zugunsten vermeintlicher nationaler Interessen zurückzusetzen, und man darf ja auch von der Klärung eines Sachverhalts einen Gewinn für unsere Einsicht erwarten.

Traumdeutung
Was, von Menschen nicht gewußt oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht. (Goethe)
Den Menschen ist seit jeher aufgefallen, daß ihre nächtlichen Traumgebilde mancherlei Ähnlichkeit mit den Schöpfungen der Poesie verraten, und Dichter wie Denker haben mit Vorliebe diesen in Form, Inhalt und Wirkung zu Tage tretenden Beziehungen nachgespürt. Die bei diesem Bemühen aufgetauchten Ahnungen und Einsichten sind, wenn sie sich auch nicht zur Erkenntnis verdichtet haben, doch für das Wesen der beiden miteinander verglichenen Phänomene so bezeichnend, daß sich auch für die wissenschaftliche Betrachtung eine Orientierung über diese Meinungen verlohnt. Den Traumforscher wird dabei vor allem interessieren, welche Schätzung und welches Verständnis die intuitiven Seelenkenner dem Traumrätsel entgegenbrachten, in welcher Art die Dichter ihre Kenntnis des Traumlebens in den Werken zu verwerten wußten, und endlich, welche tieferen Zusammenhänge zwischen den sonderbaren Fähigkeiten der "schlafenden" und der "inspirierten" Seele sich etwa erkennen lassen.

Bemerkungen zur Theorie und Praxis der Traumdeutung
Bei der Deutung eines Traumes in der Analyse hat man die Wahl zwischen verschiedenen technischen Verfahren. Man kann a) chronologisch vorgehen und den Träumer seine Einfälle zu den Traumelementen in der Reihenfolge vorbringen lassen, welche diese Elemente in der Erzählung des Traumes einhalten. Dies ist das ursprüngliche, klassische Verhalten, welches ich noch immer für das beste halte, wenn man seine eigenen Träume analysiert. Oder man kann b) die Deutungsarbeit an einem einzelnen ausgezeichneten Element des Traumes ansetzen lassen, das man mitten aus dem Traum herausgreift, z.B. an dem auffälligsten Stück desselben oder an dem, welches die größte Deutlichkeit oder sinnliche Intensität besitzt, oder etwa an eine im Traum enthaltene Rede anknüpfen, von der man erwartet, daß sie zur Erinnerung an eine Rede aus dem Wachleben führen wird. Man kann c) überhaupt zunächst vom manifesten Inhalt absehen und dafür an den Träumer die Frage stellen, welche Ereignisse des letzten Tages sich in seiner Assoziation zum erzählten Traum gesellen. Endlich kann man d), wenn der Träumer bereits mit der Technik der Deutung vertraut ist, auf jede Vorschrift verzichten und es ihm anheimstellen, mit welchen Einfällen zum Traum er beginnen will. Ich kann nicht behaupten, daß die eine oder die andere dieser Techniken die vorzüglichere ist und allgemein bessere Ergebnisse liefert.

Traum und Telepathie
Eine Ankündigung wie die meinige muß in diesen Zeiten, die so voll sind von Interesse für die sogenannt okkulten Phänomene, ganz bestimmte Erwartungen erwecken. Ich beeile mich also, diesen zu widersprechen. Sie werden aus meinem Vortrag nichts über das Rätsel der Telepathie erfahren, nicht einmal Aufschluß darüber erhalten, ob ich an die Existenz einer "Telepathie" glaube oder nicht. Ich habe mir hier die sehr bescheidene Aufgabe gestellt, das Verhältnis der telepathischen Vorkommnisse, welcher Herkunft immer sie sein mögen, zum Traum, genauer: zu unserer Theorie des Traumes, zu untersuchen. Es ist Ihnen bekannt, daß man die Beziehung zwischen Traum und Telepathie gemeinhin für eine sehr innige hält; ich werde vor Ihnen die Ansicht vertreten, daß die beiden wenig miteinander zu tun haben, und daß, wenn die Existenz telepathischer Träume sichergestellt würde, dies an unserer Auffassung des Traumes nichts zu ändern brauchte.

Jenseits des Lustprinzips
In der psychoanalytischen Theorie nehmen wir unbedenklich an, daß der Ablauf der seelischen Vorgänge automatisch durch das Lustprinzip reguliert wird, das heißt, wir glauben, daß er jedesmal durch eine unlustvolle Spannung angeregt wird und dann eine solche Richtung einschlägt, daß sein Endergebnis mit einer Herabsetzung dieser Spannung, also mit einer Vermeidung von Unlust oder Erzeugung von Lust zusammenfällt. Wenn wir die von uns studierten seelischen Prozesse mit Rücksicht auf diesen Ablauf betrachten, führen wir den ökonomischen Gesichtspunkt in unsere Arbeit ein. Wir meinen, eine Darstellung, die neben dem topischen und dem dynamischen Moment noch dies ökonomische zu würdigen versuche, sei die vollständigste, die wir uns derzeit vorstellen können, und verdiene es, durch den Namen einer metapsychologischen hervorgehoben zu werden.

Das Ich und das Es
Nachstehende Erörterungen setzen Gedankengänge fort, die in meiner Schrift JENSEITS DES LUSTPRINZIPS 1920 begonnen wurden, denen ich persönlich, wie dort erwähnt ist, mit einer gewissen wohlwollenden Neugierde gegenüberstand. Sie nehmen diese Gedanken auf, verknüpfen sie mit verschiedenen Tatsachen der analytischen Beobachtung, suchen aus dieser Vereinigung neue Schlüsse abzuleiten, machen aber keine neuen Anleihen bei der Biologie und stehen darum der Psychoanalyse näher als das JENSEITS. Sie tragen eher den Charakter einer Synthese als einer Spekulation und scheinen sich ein hohes Ziel gesetzt zu haben. Ich weiß aber, daß sie beim Gröbsten Halt machen, und bin mit dieser Beschränkung recht einverstanden. Dabei rühren sie an Dinge, die bisher noch nicht Gegenstand der psychoanalytischen Bearbeitung gewesen sind, und können es nicht vermeiden, manche Theorien zu streifen, die von Nicht-Analytikern oder ehemaligen Analytikern auf ihrem Rückzug von der Analyse aufgestellt wurden. Ich bin sonst immer bereit gewesen, meine Verbindlichkeiten gegen andere Arbeiter anzuerkennen, fühle mich aber in diesem Falle durch keine solche Dankesschuld belastet. Wenn die Psychoanalyse gewisse Dinge bisher nicht gewürdigt hat, so geschah es nie darum, weil sie deren Leistung übersehen hatte oder deren Bedeutung verleugnen wollte, sondern weil sie einen bestimmten Weg verfolgt, der noch nicht so weit geführt hatte. Und endlich, wenn sie dahin gekommen ist, erscheinen ihr auch die Dinge anders als den anderen.

Die infantile Genitalorganisation
Eine Einschaltung in die Sexualtheorie
Es ist recht bezeichnend für die Schwierigkeit der Forschungsarbeit in der Psychoanalyse, daß es möglich ist, allgemeine Züge und charakteristische Verhältnisse trotz unausgesetzter jahrzehntelanger Beobachtung zu übersehen, bis sie einem endlich einmal unverkennbar entgegentreten; eine solche Vernachlässigung auf dem Gebiet der infantilen Sexualentwicklung möchte ich durch die nachstehenden Bemerkungen gutmachen.

Zukunft einer Illusion
Wenn man eine ganze Weile innerhalb einer bestimmten Kultur gelebt und sich oft darum bemüht hat, zu erforschen, wie ihre Ursprünge und der Weg ihrer Entwicklung waren, verspürt man auch einmal die Versuchung, den Blick nach der anderen Richtung zu wenden und die Frage zu stellen, welches fernere Schicksal dieser Kultur bevorsteht und welche Wandlungen durchzumachen ihr bestimmt ist. Man wird aber bald merken, daß eine solche Untersuchung von vornherein durch mehrere Momente entwertet wird. Vor allem dadurch, daß es nur wenige Personen gibt, die das menschliche Getriebe in all seinen Ausbreitungen überschauen können. Für die meisten ist Beschränkung auf ein einzelnes oder wenige Gebiete notwendig geworden; je weniger aber einer vom Vergangenen und Gegenwärtigen weiß, desto unsicherer muß sein Urteil über das Zukünftige ausfallen. Ferner darum, weil gerade bei diesem Urteil die subjektiven Erwartungen des Einzelnen eine schwer abzuschätzende Rolle spielen; die zeigen aber abhängig von rein persönlichen Momenten seiner eigenen Erfahrung, seiner mehr oder minder hoffnungsvollen Einstellung zum Leben, wie sie ihm durch Temperament, Erfolg oder Mißerfolg vorgeschrieben worden ist. Endlich kommt die merkwürdige Tatsache zur Wirkung, daß die Menschen im allgemeinen ihre Gegenwart wie naiv erleben, ohne deren Inhalte würdigen zu können; sie müssen erst Distanz zu ihr gewinnen, d.h. die Gegenwart muß zur Vergangenheit geworden sein, wenn man aus ihr Anhaltspunkte zur Beurteilung des Zukünftigen gewinnen soll.
Enthalten in: Gesammelte Werke, S. 1992

Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität
Die Eifersucht gehört zu den Affektzuständen, die man ähnlich wie die Trauer als normal bezeichnen darf. Wo sie im Charakter und Benehmen eines Menschen zu fehlen scheint, ist der Schluß gerechtfertigt, daß sie einer starken Verdrängung erlegen ist und darum im unbewußten Seelenleben eine um so größere Rolle spielt. Die Fälle von abnorm verstärkter Eifersucht, mit denen die Analyse zu tun bekommt, erweisen sich als dreifach geschichtet. Die drei Schichten oder Stufen der Eifersucht verdienen die Namen 1. der konkurrierenden oder normalen, 2. der projizierten, 3. der wahnhaften.

"Psychoanalyse" und "Libidotheorie"
Psychoanalyse ist der Name 1. eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind; 2. einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich auf diese Untersuchung gründet; 3. einer Reihe von psychologischen, auf solchem Wege gewonnenen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen.

Eine Teufelsneurose im 17. Jahrhundert
An den Neurosen der Kinderzeit haben wir gelernt, daß manches hier mühelos mit freiem Auge zu sehen ist, was sich späterhin nur gründlicher Forschung zu erkennen gibt. Eine ähnliche Erwartung wird sich für die neurotischen Erkrankungen früherer Jahrhunderte ergeben, wenn wir nur darauf gefaßt sind, dieselben unter anderen Überschriften als unsere heutigen Neurosen zu finden. Wir dürfen nicht erstaunt sein, wenn die Neurosen dieser frühen Zeiten im dämonologischen Gewande auftreten, während die der unpsychologischen Jetztzeit im hypochondrischen, als organische Krankheiten verkleidet, erscheinen. Mehrere Autoren, voran Charcot, haben bekanntlich in den Darstellungen der Besessenheit und Verzückung, wie sie uns die Kunst hinterlassen hat, die Äußerungsformen der Hysterie agnosziert; es wäre nicht schwer gewesen, in den Geschichten dieser Kranken die Inhalte der Neurose wiederzufinden, wenn man ihnen damals mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Die dämonologische Theorie jener dunkeln Zeiten hat gegen alle somatischen Auffassungen der "exakten" Wissenschaftsperiode recht behalten. Die Besessenheiten entsprechen unseren Neurosen, zu deren Erklärung wir wieder psychische Mächte heranziehen. Die Dämonen sind uns böse, verworfene Wünsche, Abkömmlinge abgewiesener, verdrängter Triebregungen. Wir lehnen bloß die Projektion in die äußere Welt ab, welche das Mittelalter mit diesen seelischen Wesen vornahm; wir lassen sie im Innenleben der Kranken, wo sie hausen, entstanden sein.

Erfahrungen und Beispiele aus der analytischen Praxis
Die Sammlung kleiner Beiträge, von welcher wir hier ein erstes Stück bringen, bedarf einiger einführender Worte: Die Krankheitsfälle, an denen der Psychoanalytiker seine Beobachtungen macht, sind für die Bereicherung seiner Kenntnis natürlich ungleichwertig. Es gibt solche, bei denen er alles in Verwendung bringen muß, was er weiß, und nichts Neues lernt; andere, welche ihm das bereits Bekannte in besonders deutlicher Ausprägung und schöner Isolierung zeigen, so daß er diesen Kranken nicht nur Bestätigungen, sondern auch Erweiterungen seines Wissens verdankt. Man ist berechtigt zu vermuten, daß die psychischen Vorgänge, die man studieren will, bei den Fällen der ersteren Art keine anderen sind als bei denen der letzteren, aber man wird sie am liebsten an solchen günstigen und durchsichtigen Fällen beschreiben. Die Entwicklungsgeschichte nimmt ja auch an, daß die Furchung des tierischen Eis sich bei den pigmentstarken und für die Untersuchung ungünstigen Objekten nicht anders vollziehe als bei den durchsichtigen pigmentarmen, welche sie für ihre Untersuchungen auswählt.

Das Motiv der Kästchenwahl
Zwei Szenen aus Shakespeare, eine heitere und tragische, haben mir kürzlich den Anlaß zu einer kleinen Problemstellung und Lösung gegeben.

Ein Traum als Beweismittel
Eine Dame, die an Zweifelsucht und Zwangszeremoniell leidet, stellt an ihre Pflegerinnen die Anforderung, von ihnen keinen Moment aus den Augen gelassen zu werden, weil sie sonst zu grübeln beginnen würde, was sie in dem unbewachten Zeitraum Unerlaubtes getan haben mag. Wie sie nun eines Abends auf dem Diwan ausruht, glaubt sie zu bemerken, daß die diensthabende Pflegerin eingeschlafen ist. Sie fragt: "Haben Sie mich gesehen?" Die Pflegerin fährt auf und antwortet: "Ja, gewiß." Die Kranke hat nun Grund zu einem neuen Zweifel und wiederholt nach einer Weile dieselbe Frage. Die Pflegerin beteuert es von neuem; in diesem Augenblicke bringt eine andere Dienerin das Abendessen.

Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung
Wenn ich im Nachstehenden Beiträge zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung bringe, so wird sich über deren subjektiven Charakter und über die Rolle, die meiner Person darin zufällt, niemand verwundern dürfen. Denn die Psychoanalyse ist meine Schöpfung, ich war durch zehn Jahre der einzige, der sich mit ihr beschäftigte, und alles Mißvergnügen, welches die neue Erscheinung bei den Zeitgenossen hervorrief, hat sich als Kritik auf mein Haupt entladen. Ich finde mich berechtigt, den Standpunkt zu vertreten, daß auch heute noch, wo ich längst nicht mehr der einzige Psychoanalytiker bin, keiner besser als ich wissen kann, was die Psychoanalyse ist, wodurch sie sich von anderen Weisen, das Seelenleben zu erforschen, unterscheidet, und was mit ihrem Namen belegt werden soll oder besser anders zu benennen ist. Indem ich so zurückweise, was mir als eine kühne Usurpation erscheint, gebe ich unseren Lesern indirekten Aufschluß über die Vorgänge, die zum Wechsel in der Redaktion und Erscheinungsform dieses Jahrbuches geführt haben.

Märchenstoffe in Träumen
Es ist keine Überraschung, auch aus der Psychoanalyse zu erfahren, welche Bedeutung unsere Volksmärchen für das Seelenleben unserer Kinder gewonnen haben. Bei einigen Menschen hat sich die Erinnerung an ihre Lieblingsmärchen an die Stelle eigener Kindheitserinnerungen gesetzt; sie haben die Märchen zu Deckerinnerungen erhoben. Elemente und Situationen, die aus diesen Märchen kommen, finden sich nun auch häufig in Träumen. Zur Deutung der betreffenden Stellen fällt den Analysierten das für sie bedeutungsvolle Märchen ein. Von diesem sehr gewöhnlichen Vorkommnis will ich hier zwei Beispiele anführen. Die Beziehungen der Märchen zur Kindheitsgeschichte und zur Neurose der Träumer werden aber nur angedeutet werden können, auf die Gefahr hin, die dem Analytiker wertvollsten Zusammenhänge zu zerreißen.

Über Fausse Reconnaissance ("Déjà raconté") während der psychoanalytischen Arbeit
Es ereignet sich nicht selten während der Arbeit der Analyse, daß der Patient die Mitteilung eines von ihm erinnerten Faktums mit der Bemerkung begleitet, "das habe ich Ihnen aber schon erzählt", während man selbst sicher zu sein glaubt, diese Erzählung von ihm noch niemals vernommen zu haben. Äußert man diesen Widerspruch gegen den Patienten, so wird er häufig energisch versichern, er wisse es ganz gewiß, er sei bereit, es zu beschwören, usw.; in demselben Maße wird aber die eigene Überzeugung von der Neuheit des Gehörten stärker.

Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten
Es scheint mir nicht überflüssig, den Lernenden immer wieder daran zu mahnen, welche tiefgreifenden Veränderungen die psychoanalytische Technik seit ihren ersten Anfängen erfahren hat. Zuerst, in der Phase der Breuerschen Katharsis, die direkte Einstellung des Moments der Symptombildung und das konsequent festgehaltene Bemühen, die psychischen Vorgänge jener Situation reproduzieren zu lassen, um sie zu einem Ablauf durch bewußte Tätigkeit zu leiten. Erinnern und Abreagieren waren damals die mit Hilfe des hypnotischen Zustandes zu erreichenden Ziele.

Zur Einführung des Narzißmus
Der Terminus Narzißmus entstammt der klinischen Deskription und ist von P. Näcke 1899 zur Bezeichnung jenes Verhaltens gewählt worden, bei welchem ein Individuum den eigenen Leib in ähnlicher Weise behandelt wie sonst den eines Sexualobjekts, ihn also mit sexuellem Wohlgefallen beschaut, streichelt, liebkost, bis es durch diese Vornahmen zur vollen Befriedigung gelangt. In dieser Ausbildung hat der Narzißmus die Bedeutung einer Perversion, welche das gesamte Sexualleben der Person aufgesogen hat, und unterliegt darum auch den Erwartungen, mit denen wir an das Studium aller Perversionen herantreten.

Der Moses des Michelangelo
Lange bevor ich etwas von der Psychoanalyse hören konnte, erfuhr ich, daß ein russischer Kunstkenner, Ivan Lermolieff, dessen erste Aufsätze 1874 bis 1876 in deutscher Sprache veröffentlicht wurden, eine Umwälzung in den Galerien Europas hervorgerufen hatte, indem er die Zuteilung vieler Bilder an die einzelnen Maler revidierte, Kopien von Originalen mit Sicherheit unterscheiden lehrte und aus den von ihren früheren Bezeichnungen frei gewordenen Werken neue Künstlerindividualitäten konstruierte. Er brachte dies zustande, indem er vom Gesamteindruck und von den großen Zügen eines Gemäldes absehen hieß und die charakteristische Bedeutung von untergeordneten Details hervorhob, von solchen Kleinigkeiten wie die Bildung der Fingernägel, der Ohrläppchen, des Heiligenscheines und anderer unbeachteter Dinge, die der Kopist nachzuahmen vernachlässigt, und die doch jeder Künster in einer ihn kennzeichnenden Weise ausführt.

Zur Psychologie des Gymnasiasten
Die Gegenwart war dann wie verdunkelt und die Lebensjahre von zehn bis achtzehn stiegen aus den Winkeln des Gedächtnisses empor mit ihren Ahnungen und Irrungen, ihren schmerzhaften Umbildungen und beseligenden Erfolgen, die ersten Einblicke in eine untergegangene Kulturwelt, die wenigstens mir später ein unübertroffener Trost in den Kämpfen des Lebens werden sollte, die ersten Berührungen mit den Wissenschaften, unter denen man glaubte wählen zu können, welcher man seine – sicherlich unschätzbaren – Dienste weihen würde.

Triebe und Triebschicksale
Wir haben oftmals die Forderung vertreten gehört, daß eine Wissenschaft über klaren und scharf definierten Grundbegriffen aufgebaut sein soll. In Wirklichkeit beginnt keine Wissenschaft mit solchen Definitionen, auch die exaktesten nicht. Der richtige Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit besteht vielmehr in der Beschreibung von Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. Schon bei der Beschreibung kann man es nicht vermeiden, gewisse abstrakte Ideen auf das Material anzuwenden, die man irgendwoher, gewiß nicht aus der neuen Erfahrung allein, herbeiholt. Noch unentbehrlicher sind solche Ideen – die späteren Grundbegriffe der Wissenschaft – bei der weiteren Verarbeitung des Stoffes.

Mitteilung eines der psychoanalytischen Theorie widersprechenden Falles von Paranoia
Vor Jahren ersuchte mich ein bekannter Rechtsanwalt um Begutachtung eines Falles, dessen Auffassung ihm zweifelhaft erschien. Eine junge Dame hatte sich an ihn gewendet, um Schutz gegen die Verfolgungen eines Mannes zu finden, der sie zu einem Liebesverhältnis bewogen hatte. Sie behauptete, daß dieser Mann ihre Gefügigkeit mißbraucht hatte, um von ungesehenen Zuschauern photographische Aufnahmen ihres zärtlichen Beisammenseins herstellen zu lassen.

Die Verdrängung
Es kann das Schicksal einer Triebregung werden, daß sie auf Widerstände stößt, welche sie unwirksam machen wollen. Unter Bedingungen, deren nähere Untersuchung uns bevorsteht, gelangt sie dann in den Zustand der Verdrängung.

Das Unbewußte
Wir haben aus der Psychoanalyse erfahren, das Wesen des Prozesses der Verdrängung bestehe nicht darin, eine den Trieb repräsentierende Vorstellung aufzuheben, zu vernichten, sondern sie vom Bewußtwerden abzuhalten. Wir sagen dann, sie befinde sich im Zustande des "Unbewußten", und haben gute Beweise dafür vorzubringen, daß sie auch unbewußt Wirkungen äußern kann, auch solche, die endlich das Bewußtsein erreichen. Alles Verdrängte muß unbewußt bleiben, aber wir wollen gleich eingangs feststellen, daß das Verdrängte nicht alles Unbewußte deckt. Das Unbewußte hat den weiteren Umfang; das Verdrängte ist ein Teil des Unbewußten.

Bemerkungen über die Übertragungsliebe
Jeder Anfänger in der Psychoanalyse bangt wohl zuerst vor den Schwierigkeiten, welche ihm die Deutung der Einfälle des Patienten und die Aufgabe der Reproduktion des Verdrängten bereiten werden. Es steht ihm aber bevor, diese Schwierigkeiten bald gering einzuschätzen und dafür die Überzeugung einzutauschen, daß die einzigen wirklich ernsthaften Schwierigkeiten bei der Handhabung der Übertragung anzutreffen sind.

Zeitgemäßes über Krieg und Tod
Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, einseitig unterrichtet, ohne Distanz von den großen Veränderungen, die sich bereits vollzogen haben oder zu vollziehen beginnen, und ohne Witterung der sich gestaltenden Zukunft, werden wir selbst irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden. Es will uns scheinen, als hätte noch niemals ein Ereignis so viel kostbares Gemeingut der Menschheit zerstört, so viele der klarsten Intelligenzen verwirrt, so gründlich das Hohe erniedrigt.

Vergänglichkeit
Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen Freundes und eines jungen, bereits rühmlich bekannten Dichters einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft. Der Dichter bewunderte die Schönheit der Natur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen. Ihn störte der Gedanke, daß all diese Schönheit dem Vergehen geweiht war, daß sie im Winter dahingeschwunden sein werde, aber ebenso jede menschliche Schönheit und alles Schöne und Edle, was Menschen geschaffen haben und schaffen könnten. Alles, was er sonst geliebt und bewundert hätte, schien ihm entwertet durch das Schicksal der Vergänglichkeit, zu dem es bestimmt war.

Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit
Wenn der Arzt die psychoanalytische Behandlung eines Nervösen durchführt, so ist sein Interesse keineswegs in erster Linie auf dessen Charakter gerichtet. Er möchte viel eher wissen, was seine Symptome bedeuten, welche Triebregungen sich hinter ihnen verbergen und durch sie befriedigen, und über welche Stationen der geheimnisvolle Weg von jenen Triebwünschen zu diesen Symptomen geführt hat. Aber die Technik, der er folgen muß, nötigt den Arzt bald, seine Wißbegierde vorerst auf andere Objekte zu richten. Er bemerkt, daß seine Forschung durch Widerstände bedroht wird, die ihm der Kranke entgegensetzt, und darf diese Widerstände dem Charakter des Kranken zurechnen. Nun hat dieser Charakter den ersten Anspruch an sein Interesse.

Eine Beziehung zwischen einem Symbol und einem Symptom
Der Hut als Symbol des Genitales, vorwiegend des männlichen, ist durch die Erfahrung der Traumanalysen hinreichend sichergestellt. Man kann aber nicht behaupten, daß dieses Symbol zu den begreiflichen gehört.

Mythologische Parallele zu einer plastischen Zwangsvorstellung
Bei einem etwa 21jährigen Kranken werden die Produkte der unbewußten Geistesarbeit nicht nur als Zwangsgedanken, sondern auch als Zwangsbilder bewußt. Die beiden können einander begleiten oder unabhängig voneinander auftreten. Zu einer gewissen Zeit traten bei ihm innig verknüpft ein Zwangswort und ein Zwangsbild auf, wenn er seinen Vater ins Zimmer kommen sah. Das Wort lautete: "Vaterarsch", das begleitende Bild stellte den Vater als einen nackten, mit Armen und Beinen versehenen Unterkörper dar, dem Kopf und Oberkörper fehlten. Die Genitalien waren nicht angezeigt, die Gesichtszüge auf dem Bauch aufgemalt.

Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik
Vor einer Reihe von Jahren habe ich aus der psychoanalytischen Beobachtung die Vermutung geschöpft, daß das konstante Zusammentreffen der drei Charaktereigenschaften ordentlich, sparsam und eigensinnig auf eine Verstärkung der analerotischen Komponente in der Sexualkonstitution solcher Personen hindeute, bei denen es aber im Laufe der Entwicklung durch Aufzehrung ihrer Analerotik zur Ausbildung solcher bevorzugter Reaktionsweisen des Ichs gekommen ist.

Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre
Wir sind nicht gewöhnt, viele Gedanken daran zu knüpfen, daß der Mensch allnächtlich die Hüllen ablegt, die er über seine Haut gezogen hat, und etwa noch die Ergänzungsstücke seiner Körperorgane, soweit es ihm gelungen ist, deren Mängel durch Ersatz zu decken, also die Brille, falschen Haare, Zähne usw. Man darf hinzufügen, daß er beim Schlafengehen eine ganz analoge Entkleidung seines Psychischen vornimmt, auf die meisten seiner psychischen Erwerbungen verzichtet und so von beiden Seiten her eine außerordentliche Annäherung an die Situation herstellt, welche der Ausgang seiner Lebensentwicklung war. Das Schlafen ist somatisch eine Reaktivierung des Aufenthalts im Mutterleibe mit der Erfüllung der Bedingungen von Ruhelage, Wärme und Reizabhaltung; ja viele Menschen nehmen im Schlafe die fötale Körperhaltung wieder ein. Der psychische Zustand der Schlafenden charakterisiert sich durch nahezu völlige Zurückziehung aus der Welt der Umgebung und Einstellung alles Interesses für sie.

Trauer und Melancholie
Nachdem uns der Traum als Normalvorbild der narzißtischen Seelenstörungen gedient hat, wollen wir den Versuch machen, das Wesen der Melancholie durch ihre Vergleichung mit dem Normalaffekt der Trauer zu erhellen.

Anna Freud: Geist und Psyche
Das Ich und die Abwehrmechanismen
Anna Freud, die Tochter Siegmund Freuds, trat 1936 mit diesem Buch der Meinung entgegen, die Psychoanalyse beschäftige sich ausschließlich mit dem Unbewußten. In Wahrheit war das Objekt der Analyse immer das ich und seine Störungen: Die Erforschung des Unbewußten dient nur zu seiner Wiederherstellung. Im Einzelnen werden Abwehrvorgänge des Ichs analysiert, zum Beispiel die Verleugnung in der Phantasie, die Ich-Einschränkung, die Identifizierung mit dem Angreifer. Dieses Werk, längere Zeit vergriffen, zählt zu den unentbehrlichen Lehrbüchern der Psychoanalyse. Auszug:
Definition der Psychoanalyse. - In bestimmten Entwicklungsperioden der psychoanalytischen Wissenschaft war die theoretische Beschäftigung mit dem Ich des Individuums ausgesprochen unpopulär. Irgendwie war bei vielen Analytikern die Meinung entstanden, man sei ein um so besserer wissenschaftlicher und therapeutischer Arbeiter innerhalb der Analyse, auf je tiefere Schichten des Seelenlebens man sein Interesse richte. Jeder Aufstieg des Interesses von den tieferen zu den oberflächlicheren seelischen Schichten, also jede Wendung der Forschung vom Es zum Ich wurde als Beginn der Abkehr von der Psychoanalyse überhaupt gewertet. Der Name Psychoanalyse sollte für die Neuentdeckungen reserviert bleiben, die sich mit dem unbewußten Seelenleben beschäftigen, also für die Erkenntnisse über die verdrängten Triebregungen, Affekte und Phantasien. Probleme wie die Anpassung des Kindes oder des Erwachsenen an die Außenwelt, Wertbegriffe wie Gesundheit und Krankheit, Tugend oder Laster sollten die Psychoanalyse nichts angehen. Objekt der Psychoanalyse wären ausschließlich die in die Erwachsenheit fortgesetzten infantilen Phantasien, die imaginären Lusterlebnisse und die dafür befürchteten Strafen.