Auszüge aus Stanislav Grof's
"Typographie des Unbewußten"

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Vorwort

Der vorliegende Band ist der erste aus einer geplanten Buchreihe, in der ich meine Beobachtungen und Erfahrungen aus siebzehn Jahren Forschungsarbeit mit LSD und anderen psychedelischen Drogen systematisch und umfassend darstellen will. Die Erkundung der Möglichkeiten dieser Drogen für didaktische Zwecke, für ein vertieftes Verständnis von Kunst und Religion, für die Persönlichkeitsdiagnose und die Therapie psychischer Störungen und schließlich für eine Veränderung unserer Erfahrung vom Sterben war in all diesen Jahren mein berufliches Hauptanliegen, dem ich den überwiegenden Teil der Zeit widmete, die ich in der psychiatrischen Forschung verbrachte.
Im Jahre 1965 wurde ich eingeladen, an einer internationalen Konferenz über Psychotherapie mit LSD in Amityville, Long Island, teilzunehmen, und ich hielt dort einen Vortrag über die Erfahrungen, die ich in annähernd einem Jahrzehnt der LSD-Forschung in Prag gesammelt hatte. Während einer Vortragsreise in den Vereinigten Staaten, die ich nach dieser Konferenz unternahm, erhielt ich eine Einladung, als Stipendiat des Foundations’ Fund for Research in Psychiatry in New Haven, Connecticut, auf ein Jahr in den Westen zu kommen. Nach meiner Rückkehr nach Prag bekam ich einen Brief von Dr. Joel Elkes, dem Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, der mich einlud, nach Baltimore zu kommen und meine LSD-Arbeit als klinischer Mitarbeiter und Forschungsdozent an der Henry Phipps Clinic und in der Forschungsgruppe des Spring Grove State Hospital fortzusetzen.

Als sich diese ungewöhnliche Chance ergab, steckte ich bis über die Ohren in meiner Forschungsarbeit in Prag. Ich hatte detaillierte Aufzeichnungen aus vielen Hunderten von LSD-Sitzungen gesammelt und war gerade dabei, die Daten zu analysieren und zu versuchen, ein theoretisches System zur Erfassung der eindrucksvollen Beobachtungen, die ich bei meiner Arbeit gemacht hatte, zu erarbeiten. Ich hatte damals bereits den ersten Entwurf eines theoretischen Modells fertiggestellt, mit dem sich, wie mir schien, die meisten Erkenntnisse, die ich bei meinen LSD-Forschungen gewonnen hatte, erfassen und erklären ließen; dieses Modell erlaubte die Aufstellung mehrerer Teilhypothesen, die dann einer strengeren Überprüfung unterzogen werden konnten. Außerdem faszinierten mich die Möglichkeiten, welche die LSD-Therapie zu bieten schien, um die seelischen Leiden von Krebspatienten zu lindern, denen der Tod unmittelbar bevorstand. Auf der Grundlage einer Reihe vorläufiger Beobachtungen bereitete ich ein besonderes Projekt vor, um dieses neue Gebiet systematischer zu erforschen.

Das großzügige Angebot von Dr. Elkes war so verlockend, daß ich es nicht abschlagen konnte; ich beschloß, diese Möglichkeit wahrzunehmen und bei den tschechischen Behörden einen einjährigen Urlaub und die Genehmigung für eine Reise in die Vereinigten Staaten zu beantragen. Nach vielen administrativen Schwierigkeiten wurde diese Genehmigung schließlich erteilt. Als ich im März 1967 auf dem Kennedy Airport ankam, bestand mehr als die Hälfte meiner vierzig Pfund Gepäck aus den Aufzeichnungen meiner LSD-Forschungen, die ich im Psychiatrischen Forschungsinstitut in Prag durchgeführt hatte. Es war damals meine Absicht, die Analyse meiner Daten abzuschließen und eine kontrollierte klinische Untersuchung über die Wirksamkeit der Methode der LSD-Psychotherapie, wie ich sie in vielen Jahren therapeutischer Experimentierarbeit entwickelt hatte, durchzuführen. Insgeheim hoffte ich, darüber hinaus zumindest eine der mehr theoretischen Studien durchführen und einige Aspekte meines neuen Begriffssystems testen zu können.

Nach meiner Ankunft in den Vereinigten Staaten wurde bald deutlich, daß meine Pläne, milde ausgedrückt, höchst unrealistisch waren. Ich war verblüfft darüber, wie sich in Amerika die Situation in bezug auf psychedelische Drogen seit meinem ersten Besuch im Jahre 1965 verändert hatte. In der Tschechoslowakei wurde zum Zeitpunkt meiner Abreise LSD von dem führenden pharmazeutischen Unternehmen, das der Regierung untersteht, legal hergestellt. LSD war im offiziellen medizinischen Arzneimittelverzeichnis als therapeutischer Wirkstoff mit spezifischen Indikationen und Gegenindikationen aufgeführt, zusammen mit so allgemein anerkannten Präparaten wie Penicillin, Insulin und Digitalis. LSD war für qualifizierte Fachleute als experimenteller und therapeutischer Werkstoff frei zugänglich, wobei die Verteilung speziellen Regelungen unterworfen war. Die für jeden LSD-Therapeuten geforderte Ausbildung entsprach im großen und ganzen dem psychoanalytischen Modell; der Anwärter mußte mindestens fünf Lehrsitzungen mit LSD absolviert und zumindest dreißig LSD-Sitzungen mit ausgewählten Patienten unter Aufsicht eines erfahrenen LSD-Therapeuten durchgeführt haben. Die breite Öffentlichkeit wußte so gut wie nichts über psychedelische Drogen, da die Berichte über Forschungen mit solchen Substanzen fast ausschließlich in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Zum Zeitpunkt meiner Abreise gab es keinen Schwarzmarkthandel mit Psychedelika und keinerlei außermedizinische Anwendung dieser Drogen. Jeder, der sich für Selbstversuche interessierte, konnte eine LSD-Sitzung bekommen, unter der Voraussetzung, daß sie von einem anerkannten Fachmann und in einer medizinischen Institution durchgeführt wurde.

Die Situation, die ich in den Vereinigten Staaten antraf, stand dazu in schroffem Gegensatz. Die Psychedelika waren zu einer Frage des allgemeinen Interesses geworden. Schwarzmarkt-LSD war offenbar in allen Teilen des Landes und für alle Altersgruppen zugänglich. Selbstversuche mit Psychedelika waren an den Universitäten sehr verbreitet, und viele große Städte hatten ihre Hippie-Viertel mit ausgeprägten Drogen-Subkulturen. Die Katastrophen aus der psychedelischen Szene machten Schlagzeilen in den Zeitungen; fast jeden Tag konnte man Sensationsberichte über psychotische Zusammenbrüche, Selbstverstümmelungen, Selbstmorde und Morde lesen, die dem Gebrauch von LSD zugeschrieben wurden. Zur gleichen Zeit gingen von der psychedelischen Bewegung tiefreichende Einflüsse auf die zeitgenössische Kultur aus: auf Musik, Malerei, Dichtung, Design, Innenarchitektur, Mode, Film, Theater und Fernsehen.

Die gesetzgeberischen Maßnahmen, die das Ziel hatten, die gefährlichen Selbstversuche zu unterbinden, erwiesen sich als ziemlich wirkungslos zur Eindämmung des nichtmedizinischen Gebrauchs von LSD, hatten andererseits aber direkte und indirekte negative Folgen für die wissenschaftliche Forschung. Nur einige wenige Forschungsprojekte konnten unter diesen komplizierten Bedingungen weitergeführt werden. Die Folge war, daß die LSD-Forschung auf ein Minimum reduziert wurde und paradoxerweise gerade zu einer Zeit, als sie besonders notwendig gewesen wären, nur sehr wenige wissenschaftliche Informationen produziert wurden. LSD und andere Psychedelika waren zu einem ernsten nationalen Problem geworden; es war schwer vorstellbar, wie man wirksame Maßnahmen ergreifen konnte, ohne das Wesen dieses Problems wirklich zu verstehen.

Die von den Massenmedien und anderen Instanzen aller Art verbreiteten Informationen über bewußtseinsverändernde Drogen waren zum größten Teil oberflächlich, unkorrekt und einseitig. Diese Situation läßt sich zum Teil auf Unwissen und emotionale Vorurteile zurückführen und auch auf den Wunsch, von den Laienexperimenten abzuschrecken, die trotz aller repressiven rechtlichen Maßnahmen üppig weitergediehen. Diese verzerrten Informationen stießen, da sie unausgewogen, übertrieben und häufig offensichtlich falsch waren, auf das Mißtrauen der jungen Menschen, sie wurden von vielen nicht ernst genommen oder abgelehnt, oder aber man schloß vor den realen Gefahren, die mit den psychedelischen Drogen verknüpft sind, einfach die Augen.

Unter diesen Umständen verloren die Experten, die mit der geistigen Gesundheitspflege befaßt waren, immer mehr an Ansehen, vor allem bei den Angehörigen der jüngeren Generation und der Gegenkultur. Von vielen Psychiatern und Psychologen verlangte man, mit Notfällen fertig zu werden, die mit dem Gebrauch psychedelischer Drogen zusammenhingen; man erwartete von ihnen, daß sie in Krisensituationen kompetent eingreifen und Unfälle in der psychedelischen Szene behandeln würden. Sie hatten jedoch keine ausreichende Ausbildung und Erfahrung auf diesem Gebiet und auch nicht die Möglichkeit, ihr theoretisches Verständnis der Psychedelika zu erweitern, weil kaum wissenschaftliche Forschungsergebnisse vorlagen.

Die Lage, die ich im Jahre 1967 vorfand, änderte sich in den folgenden Jahren nicht wesentlich. Allein in den Vereinigten Staaten experimentierten Hunderttausende von Laien mit LSD und anderen psychedelischen Drogen; viele von ihnen nahmen häufig und dazu noch mehrere verschiedene Drogen. Diese Selbstversuche waren von vielen außergewöhnlichen Erfahrungen begleitet und führten oft zu tiefgreifenden Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur, der Wertmaßstäbe und der Weltauffassung der Betroffenen. Die Erscheinungen, die man bei psychedelischen Sitzungen beobachtet, sind Manifestationen tiefliegender Bereiche des Unbewußten, die von der zeitgenössischen Wissenschaft weder erkannt noch zugegeben werden. Die Anwendung der gegenwärtig vorhandenen theoretischen Begriffe und praktischen Methoden auf Probleme, die mit dem Gebrauch psychedelischer Drogen zusammenhingen, war deshalb ungeeignet, unzulänglich und ineffektiv.

Seit meiner Ankunft habe ich an vielen Orten in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Europa Vorträge in Universitäten, psychiatrischen Krankenhäusern, Forschungsinstituten, Krebszentren, Colleges und Kirchengemeinden gehalten, wobei ich feststellen konnte, daß Zuhörerkreise der unterschiedlichsten Art durchweg ein tiefes, lebhaftes Interesse für die von mir vorgetragenen Daten an den Tag legten. Häufig traten Leute an mich heran, die detailliertere Informationen haben wollten und nach einschlägigen Büchern oder Nachdrucken von Vorträgen fragten, um mehr über die Probleme zu erfahren, die sich aus den LSD-Reihensitzungen ergaben. Bei einer beträchtlichen Zahl dieser Leute handelte es sich um Psychiater, Psychologen, Krankenschwestern im psychiatrischen Bereich und Sozialarbeiter, die Patienten mit Problemen betreuten, die mit dem Gebrauch psychedelischer Drogen zusammenhingen. Sie wollten mehr über LSD wissen, um die Welt dieser Patienten zu verstehen, besseren Kontakt mit ihnen zu gewinnen und ihnen besser helfen zu können. Einem ebensolchen Verlangen nach ehrlicherer Information begegnete ich jedoch auch bei vielen verzweifelten Eltern, die das Bedürfnis hatten, die immer breiter werdende Kluft zwischen den Generationen zu überbrücken und mehr Einblick in die Probleme ihrer Kinder zu erlangen. Ferner gaben Lehrer und Erziehungsberater, die ihre Schüler und Anbefohlenen nicht verstanden und mit ihnen keinen rechten Kontakt herstellen konnten, ihrem Interesse für eine unvoreingenommene Aufklärung über LSD Ausdruck. Auch Geistliche zeigten ein echtes Bedürfnis, das Wesen der durch psychedelische Drogen ausgelösten religiösen und mystischen Erfahrungen zu ergründen. Sie hofften, ein solches Verständnis könnte ihnen, neben seiner philosophischen und geistlichen Bedeutung, auch helfen, ihren Gemeinden, die so häufig durch Drogenprobleme beunruhigt wurden, mit größerem Einfühlungsvermögen beizustehen. Gelegentlich traten auch Juristen an mich heran, die ernsthafte Zweifel an der Angemessenheit und Wirksamkeit der gegenwärtigen Drogengesetzgebung hatten und sich ein klareres Verständnis der damit verbundenen Probleme verschaffen wollten. Spezialisten der verschiedensten Richtungen fragten mich nach bestimmten Einzelheiten meiner Beobachtungen, weil sie der Meinung waren, diese Daten könnten wichtige Implikationen haben für so unterschiedliche Gebiete wie Persönlichkeitstheorie, Religionspsychologie, Psychotherapie, Genetik, Psychologie und Psychopathologie der Kunst, für die Anthropologie, das Studium der Mythologie, das Erziehungswesen, die psychosomatische Medizin und die Geburtshilfepraxis. Nicht zuletzt kamen die meisten Bitten um eine umfassendere und systematischere Information von Menschen, die selber LSD-Erfahrungen gemacht hatten und nach der Klärung der Probleme, die ihnen dabei begegnet waren, verlangten. Ein ungewöhnlich lebhaftes und ernsthaftes Interesse stellte ich bei den Angehörigen der jüngeren Generation, vor allem bei Studenten, fest.

Wie ich schon erwähnte, hatte ich bei meiner Ankunft in den Vereinigten Staaten ursprünglich geplant, die Analysen der Forschungsdaten über LSD, die ich in Prag gesammelt hatte, abzuschließen und kontrollierte Untersuchungen durchzuführen, die einige der von mir entwickelten neuen Konzepte testen sollten. Ich betrachtete die zehn Jahre LSD-Forschung in Prag als eine Vorstudie für meine Untersuchungen. Man könnte nun vielleicht der Auffassung sein, das sei eine übermäßig lange Zeitspanne für die Orientierung auf einem neuen Gebiet; doch sollte man berücksichtigen, daß es sich dabei um keine geringere Aufgabe handelte als die, die ersten Landkarten neuer, unbekannter, kartographisch noch nicht erfaßter Territorien des menschlichen Geistes zu zeichnen.

Mein Entschluß, bei diesem Stand der Forschung eine Reihe von Büchern zu schreiben, wurde durch mehrere Umstände ausgelöst. Ich erkannte schon bald, daß es schwierig sein würde, meine in Europa durchgeführten Untersuchungen besser kontrolliert ein zweites Mal durchzuführen, zu einem Zeitpunkt, da die Hysterie in bezug auf psychedelische Drogen rapide zunahm und durch die alarmierenden Berichte über mögliche genetische Schädigungen durch Einnahme von LSD noch weiter verstärkt wurde. Ein weiterer wichtiger Faktor war die zunehmende Zahl von Menschen, die an ernsten Komplikationen aufgrund von Selbstversuchen mit LSD litten. Der Schluß drängte sich auf, daß mehr klinische Informationen über LSD und ein besseres Verständnis seiner Wirkungen für ein wirksameres Anpacken solcher Probleme dringend erforderlich waren. Darüber hinaus zeigte das intensive Interesse von Experten, die mit der geistigen Gesundheitspflege befaßt waren, wie auch von seiten einer breiten Öffentlichkeit, daß ein dringendes Verlangen nach aufrichtiger und objektiver Information auf diesem Gebiet bestand. Außerdem wurden einige der außergewöhnlichen Erfahrungen, die typischerweise bei psychedelischen Sitzungen vorkommen, immer häufiger im Kontext der neuen psychotherapeutischen Methoden und experimentellen Laboratoriumsversuche – wie Bioenergetik, Marathonsitzungen, Encounter-Gruppen, Gestalttherapie, "Biofeedback", sensorische Isolierung und sensorische Überlastung – beobachtet und beschrieben. Es schien, daß die mit Hilfe eines katalysatorisch hochwirksamen Mittels wie LSD ermittelten Landkarten des Bewußtseins sich für die Systematisierung und Integrierung der aus diesen eng miteinander verbundenen Bereichen gewonnenen Daten als nützlich erweisen könnten. Schließlich geht mein Entschluß, diese Buchreihe zu veröffentlichen, auf meine Überzeugung zurück, daß das Material aus seriellen LSD-Sitzungen selbst in seiner gegenwärtigen Form von entscheidend wichtiger theoretischer Bedeutung ist und eine ernsthafte Herausforderung für die gegenwärtigen Konzepte der Wissenschaft darstellt. Ich bin der Meinung, daß diese Daten Forschern aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen zur Erwägung und Überprüfung zugänglich gemacht werden sollten. Ich habe deshalb versucht, das Material unter starker Hervorhebung klinischer Beobachtungen und illustrativer Fallgeschichten darzustellen. In dieser Form kann es, wie ich hoffe, einen Anreiz und eine Grundlage für weitere Überlegungen selbst für jene Leser liefern, die das theoretische System nicht akzeptieren, das ich für die begriffliche Erfassung der beobachteten Erscheinungen vorgeschlagen habe.

Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, die Ergebnisse meiner LSD-Forschungen in fünf Einzelbänden vorzulegen. Im vorliegenden Buch, dem ersten Teil der geplanten Reihe, habe ich die grundlegenden Informationen über LSD zusammengefaßt, kurz die verschiedenen Stufen meiner eigenen psychedelischen Forschungsarbeit skizziert und mich in erster Linie auf die "Kartographie des inneren Raumes" konzentriert, das heißt, auf die phänomenologische Beschreibung der verschiedenen Ebenen und Typen von Erfahrungen, die bei psychedelischen Sitzungen in Erscheinung treten. Der zweite Band dieser Reihe, der den Titel The Human Encounter with Death (Die Begegnung des Menschen mit dem Tod) tragen soll und den ich gemeinsam mit meiner Frau, Dr. Joan Halifax-Grof, schreiben werde, wird die Anwendung psychedelischer Therapie bei Krebskranken im Endstadium schildern und das Problem des Sterbens und des Todes aus historischer, kulturvergleichender, klinischer, philosophischer und spiritueller Perspektive erörtern. Der dritte Band wird sich auf die praktischen Aspekte der LSD-Therapie konzentrieren: die Vorbereitung des Patienten, die Methodik der Durchführung von Sitzungen, Indikationen und Gegenindikationen, die therapeutischen Resultate und das Problem von Nebenwirkungen und Komplikationen. Der vierte Band wird einige der heuristischen Aspekte der LSD-Forschung behandeln und ihre Implikationen für die Persönlichkeitstheorie, die Ätiologie psychischer Störungen, die Praxis der Psychotherapie und das Verständnis der menschlichen Kultur. Der letzte Band der Reihe wird sich auf die philosophischen und spirituellen Dimensionen der LSD-Erfahrung konzentrieren, unter besonderer Betonung der ontologischen und kosmologischen Fragen. Er wird im einzelnen das erstaunlich konsequente metaphysische System beschreiben, das aus den Experimenten mit psychedelischen Drogen hervorzutreten scheint.

Die LSD-Kontroverse

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit der Schweizer Chemiker Albert Hofmann durch Zufall die hochwirksamen psychoaktiven Eigenschaften des Diäthylamid der d-Lysergsäure – besser bekannt als LSD-25 – entdeckte. Schon kurz danach wurde diese Substanz zum Gegenstand einer beträchtlichen Kontroverse, die im Laufe der Jahre außergewöhnliche Dimensionen annahm. Es erscheint zweckmäßig, unsere Ausführungen über LSD mit einer kurzen Darstellung seiner stürmischen Geschichte zu beginnen.

Die Entdeckung der Eigenschaften von LSD wurde in wissenschaftlichen Kreisen zu einer Sensation und hatte eine stimulierende Wirkung auf Forscher aus vielen verschiedenen Disziplinen. Viele der frühen Abhandlungen betonten die Ähnlichkeiten zwischen der durch LSD herbeigeführten "experimentellen Psychose" oder "Modell-Psychose" und den natürlich vorkommenden Psychosen, insbesondere der Schizophrenie. Die Möglichkeit, schizophrene Symptome bei normalen freiwilligen Versuchspersonen unter Laboratoriumsbedingungen nachzuahmen und vor, während und nach dieser vorübergehenden "experimentellen Psychose" komplizierte Laboratoriumstests und Untersuchungen durchzuführen, schien einen erfolgversprechenden Schlüssel zum Verständnis der rätselhaftesten Krankheit in der Psychiatrie anzubieten. Als eine Droge, die eine kurze, reversible Reise in die Welt des Schizophrenen ermöglicht, wurde LSD als ein konkurrenzloses Instrument zur Ausbildung von Psychiatern, Psychologen, Medizinstudenten und psychiatrischem Pflegepersonal empfohlen. Es wurde in diesem Zusammenhang wiederholt berichtet, daß eine einzige LSD-Erfahrung eine erhebliche Steigerung der Fähigkeit bewirken könne, psychotische Patienten zu verstehen, ihnen mit größerem Einfühlungsvermögen gegenüberzutreten und sie wirkungsvoller zu behandeln.

Die LSD-Kontroverse setzte ein, als die Konzeption des LSD-Zustandes als einer "experimentellen Psychose" von vielen phänomenologisch und psychoanalytisch orientierten Psychiatern ernsthaft angegriffen und schließlich von den meisten klinischen Forschern verworfen wurde. Es wurde offenkundig, daß es trotz gewisser oberflächlicher Ähnlichkeiten auch sehr grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Zuständen gab. Die Hoffnung, daß Forschungen und Experimente mit LSD zu einer einfachen Reagenzglas-Lösung des Geheimnisses der Schizophrenie führen würden, verblaßte allmählich und wurde schließlich aufgegeben.

Der "psychomimetische" (eine Psychose simulierende) Akzent in der LSD-Forschung wurde bald von einer zunehmenden Zahl enthusiastischer Aufsätze überschattet, die darauf hinwiesen, LSD besitze möglicherweise ein ungeahntes therapeutisches Potential. Nach der Meinung vieler klinischer Forscher schien eine LSD-unterstützte Psychotherapie eine erhebliche Abkürzung der Behandlungsdauer zu erlauben. Außerdem wurden therapeutische Erfolge bei verschiedenen Kategorien psychiatrischer Patienten mitgeteilt, deren Prognose als ungünstig betrachtet worden war oder die auf konventionelle Behandlungsmethoden nicht ansprachen; dazu gehörten chronische Alkoholiker, Drogensüchtige, kriminelle Psychopathen, sexuell Abartige und schwere Charakterneurotiker. Diese Behauptungen blieben nicht unangefochten. Viele Kliniker, die wußten, wie schwer es ist, tief verwurzelte psychopathologische Symptome oder gar die Charakterstruktur zu verändern, glaubten nicht an die innerhalb von einigen Tagen oder Wochen erreichten dramatischen Resultate. Kritiker dieser Berichte wiesen auf das Fehlen kontrollierter Untersuchungen hin, die einen Beweis für die Nützlichkeit der LSD-Psychotherapie liefern würden; ganz ähnliche Einwände wurden jedoch damals auch gegen die Psychoanalyse und andere Formen anerkannter und praktizierter Psychotherapie ohne Drogenanwendung erhoben. Die meisten Einwände waren in der Hauptsache methodologischer Natur, und keiner der Skeptiker stellte die Ungefährlichkeit dieser Methode ernsthaft in Frage. Sidney Cohen legte diesbezüglich in einem 1960 veröffentlichten Aufsatz dar, daß die mit der verantwortungsvollen und professionellen Anwendung von LSD bei normalen freiwilligen Versuchspersonen verbundenen Risiken minimal sind.2 Geringfügig höher war das Risiko, wenn LSD bei psychiatrischen Patienten angewandt wurde, aber im allgemeinen schien doch die LSD-Psychotherapie weitaus sicherer zu sein als viele andere Verfahren, die in der psychiatrischen Therapie immer noch weit verbreitet sind, wie z.B. Elektroschock-Therapie, Insulinkoma-Behandlung und Psychochirurgie. Alles in allem schien in den frühen sechziger Jahren das LSD in der Psychiatrie einen festen Platz zu haben, als ein wertvolles Werkzeug der Grundlagenforschung, der psychiatrischen Ausbildung und therapeutischer Experimente.

Darüber hinaus gab es zumindest zwei weitere Bereiche, in denen die Anwendung von LSD erregende neue Perspektiven und interessante Möglichkeiten eröffnete. Viele LSD-Testpersonen berichteten in ihren Sitzungen über ungewöhnliche ästhetische Erfahrungen und Einblicke in das Wesen des schöpferischen Prozesses; sie entwickelten häufig ein neues Verständnis für Kunst, insbesondere für moderne Kunstbewegungen. Maler, Bildhauer und Musiker waren in der Lage, unter dem Einfluß von LSD hochinteressante und unkonventionelle Kunstwerke hervorzubringen, die sich erheblich von ihren gewöhnlichen Ausdrucksformen unterschieden. Es wurde offensichtlich, daß die Experimente mit LSD zu wichtigen Erkenntnissen über die Psychologie und die Psychopathologie der Kunst führten.

Ein weiteres Gebiet, auf dem die Anwendung von LSD recht umwälzende Folgen zu haben schien, war die Religionspsychologie. Man hatte beobachtet, daß manche LSD-Sitzungen die Gestalt tiefer religiöser und mystischer Erfahrungen hatten, die denen ganz ähnlich waren, wie sie in den heiligen Schriften der großen Weltreligionen geschildert werden und von denen Heilige, Propheten und religiöse Lehrer aller Zeiten berichten. Die Möglichkeit, solche Erlebnisse vermittels einer chemischen Substanz auslösen zu können, setzte eine interessante und höchst kontroverse Diskussion über die Frage einer "chemischen Mystik" (auch "instant mysticism" genannt, eine "Mystik auf Knopfdruck" sozusagen) und die Validität und spirituelle Echtheit dieser Phänomene in Gang. Die von Verhaltenswissenschaftlern, Philosophen und Theologen geführte Debatte schwankte zwischen drei extremen Standpunkten. Viele Experimentatoren waren der Überzeugung, die Beobachtungen aus psychedelischen Sitzungen machten es möglich, religiöse Phänomene aus dem Bereich des Geheiligten herauszulösen, sie im Laboratorium willkürlich hervorzurufen, zu untersuchen und schließlich mit wissenschaftlichen Kategorien zu erklären. Letztlich werde dann nichts Geheimnisvolles und Heiliges an der Religion mehr übrigbleiben, und man werde sie mit den Begriffen der Gehirnphysiologie und der Biochemie erklären können. Einige Theologen neigten dazu, LSD und andere psychedelische Substanzen als etwas Heiliges und die Sitzungen als Sakramente zu betrachten, weil sie den einzelnen in Berührung mit transzendentalen Wirklichkeiten zu bringen vermöchten. Die entgegengesetzte Tendenz leugnete, daß die LSD-Erfahrungen echte religiöse Erscheinungen und mit jenen vergleichbar seien, die als "Gnade Gottes" oder als Folge von Selbstzucht, Selbstverleugnung, frommer Versenkung oder asketischer Übungen eintreten; in diesem Denkrahmen nahm die scheinbare Leichtigkeit, mit der diese Erlebnisse durch ein chemisches Mittel zustande gebracht werden konnten, ihnen jeglichen spirituellen Wert.

Mitte der sechziger Jahre, als LSD auf dem schwarzen Markt in weitem Umfang zugänglich wurde und Massen von jungen Menschen die "Straßendroge" als Werkzeug für unkontrollierte Laienexperimente benützten, wurde die LSD-Kontroverse um neue Dimensionen erweitert. Die nun entstehende Situation unterschied sich erheblich von der zwar recht leidenschaftlichen, aber im Grunde doch wissenschaftlichen und akademischen Atmosphäre der Auseinandersetzungen der vorangegangenen Jahre. Nüchterne und rationale Argumente verschwanden fast völlig von der Szene, die Bühne wurde von der emotional aufgeladenen, feindseligen Begegnung zwischen zwei unversöhnlichen Gruppen beherrscht. Auf der einen Seite verkündeten LSD-Proselyten das Zeitalter einer neuen Religion mit einem Messias in Gestalt eines chemischen Mittels. Für sie war LSD ein Allheilmittel für eine todkranke Menschheit, die einzige vernünftige Alternative zum Massenselbstmord in einer Atomkatastrophe. Es wurde empfohlen, jedermann ohne Ausnahme sollte so häufig wie möglich und unter allen Umständen LSD nehmen; die Risiken wurden geleugnet oder unterschätzt, und soweit man sie zugab, hielt man es im Hinblick auf das Endziel für der Mühe wert, sie einzugehen. Auf der andern Seite wurde eine an Massenhysterie grenzende Atmosphäre in der Öffentlichkeit geschaffen, die von dieser neuen Bewegung erschreckt war und auf das heftigste gegen sie Partei ergriff. Fast jeden Tag brachten sensationslüsterne Journalisten neue Berichte über schreckliche und katastrophale Folgen unkontrollierter Selbstexperimente: über Menschen, die der Abendsonne entgegen aus dem Fenster eines Hochhauses hinaus ins Leere traten, die umkamen, weil sie Autos mit ihrem Körper aufhalten wollten, die erblindeten, weil sie stundenlang in die Sonne starrten, sich Verletzungen zufügten, indem sie sich mit dem Küchenmesser Fettlappen aus dem Körper schnitten, die ihre Geliebten oder Schwiegermütter ermordeten oder in den geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Anstalten im Zustand permanenter Psychose endeten. Die Berichte ließen LSD als eine Teufelsdroge erscheinen und bildeten die Grundlage für eine hexenjagdähnliche Reaktion von seiten der Eltern, Lehrern, Geistlichen, Polizeibehörden und Mitgliedern der Parlamente. Bedauerlicherweise machten sich auch viele Beamte und Fachleute auf dem Gebiet der Psychohygiene in gewissem Umfang diese irrationale Einstellung zu eigen; obwohl ihnen in der psychiatrischen und psychologischen Literatur zahlreiche Berichte über wissenschaftliche Experimente mit LSD aus zwei Jahrzehnten zur Verfügung standen, waren ihre Vorstellungen von dieser Droge doch weitgehend durch Zeitungsüberschriften bestimmt.

Die Verbindung der Drogenszene mit der "Hippie"-Bewegung und der Revolte in der Gegenkultur erweiterte die schon vorhandenen Probleme noch um eine wichtige soziopolitische Dimension. Noch weiter verschärft wurde die Auseinandersetzung durch widersprüchliche Berichte über den möglichen Zusammenhang zwischen LSD und Chromosomenschädigungen, genetischen Schädigungen, Leukämie und Krebs. Die Auffassungen über LSD erstreckten sich also über ein breites Spektrum, von der Vorstellung, die Droge sei ein geistiges, seelisches und soziales Allheilmittel für die Menschheit, oder sie sei ein hochwirksames therapeutisches Hilfsmittel für Menschen, die an ernsten psychischen oder psychosomatischen Störungen leiden, bis zu der Meinung, LSD sei etwas Teuflisches, etwas, das organische Gehirnschäden hervorrufe und die Gesundheit künftiger Generationen gefährde. Um das kontroverse Bild von LSD zu vervollständigen, muß noch erwähnt werden, daß die Droge von einigen Leuten ernsthaft als wirksames Hilfsmittel bei den Methoden der Gehirnwäsche und als hochwirksames Mittel der chemischen Kriegführung in Betracht gezogen wurde.
Die Atmosphäre der Hysterie und der Mangel an ernsthaften Forschungen erschwerten es außerordentlich, die wissenschaftliche Bedeutung vieler in diese Kontroverse einbezogenen Phänomene zu erkennen. Laien, die Selbstexperimente mit LSD vornehmen, treten häufig in Erlebnisbereiche ein, die den praktizierenden Psychiater und Psychologen völlig verwirren und vor unlösbare Rätsel stellen, wenn er in einer durch diese Droge herbeigeführten Notfallsituation zu Hilfe gerufen wird. Auf der einen Seite passen die LSD-Erlebnisse in keines der vorhandenen theoretischen Systeme; auf der andern Seite erkennen viele Kliniker mit Einfühlungsvermögen, daß es unzutreffend und unangemessen ist, LSD-Erfahrungen einfach als psychotisch zu etikettieren. Dazuhin treten als Folge solcher Selbstexperimente bei zahlreichen Menschen dramatische Persönlichkeitsveränderungen auf, welche die gesamte Wertordnung, die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen und den allgemeinen Lebensstil erfassen. Mangels eines theoretischen Systems zur Erklärung der hierbei wirksamen Mechanismen blieben solche Verwandlungen Medizinern und Psychologen ganz unverständlich. Selbst manche negativen Ereignisse, die als Folge der Einnahme von LSD vorkommen können, wie z.B. psychotische Zusammenbrüche oder Selbstmordversuche, können sehr wichtige Daten über die Dynamik dieser Phänomene liefern, wenn man anfängt, sie wissenschaftlich und nicht emotional zu betrachten.

Wenn wir das Wesen und die Reichweite der LSD-Kontroverse betrachten, scheint es offensichtlich, daß sie etwas viel Grundsätzlicheres reflektiert als die pharmakologischen Wirkungen eines einzelnen chemischen Wirkstoffes. Obwohl es bei allen diesen Diskussionen scheinbar nur um LSD geht, beziehen sie doch ihre emotionale Brisanz aus anderen Problemen, die solchen Auseinandersetzungen inhärent sind. Mehrere Jahrzehnte Forschungsarbeit über LSD haben umfangreiches Material über das Wesen des für diese Situation verantwortlichen gemeinsamen Nenners zutage gefördert. Wie wir in den folgenden Kapiteln darlegen werden, führt eine sorgfältige Analyse der LSD-Daten zu der zwingenden Annahme, daß diese Substanz ein unspezifischer Verstärker psychischer Prozesse ist, der aus der Tiefe des Unbewußten Elemente der verschiedensten Art an die Oberfläche bringt. Was wir bei den LSD-Erfahrungen und in mannigfaltigen, damit zusammenhängenden Situationen beobachten, ist offenbar eine Materialisation und Steigerung der Konflikte, die der menschlichen Natur und Kultur wesensmäßig eigen sind. Tritt man unter diesem Gesichtspunkt an die LSD-Phänomene heran, dann stellen sie tatsächlich äußerst interessantes Material für ein tieferes Verständnis der Psyche, der Natur des Menschen und der menschlichen Gesellschaft dar.

LSD und seine Wirkungen beim Menschen

LSD ist in den letzten Jahren in der allgemeinen Öffentlichkeit zunehmend bekannter geworden. Informationen über die Droge erreichten ein breites Publikum durch die Tagespresse, Artikel in Zeitschriften aller Art, durch Propagandabroschüren gegen die Drogensucht, durch Radio, Fernsehen und Film und durch das Hörensagen. Die allermeisten Erwachsenen und jungen Leute haben darüber gehört und gelesen. Diese Informationen waren jedoch, vorsichtig ausgedrückt, größtenteils nicht sehr systematisch; viele von ihnen gingen auf Vorurteile zurück und waren durch kommerzielle und politische Interessen verzerrt. Aus diesem Grund will ich einen kurzen synoptischen Überblick über die grundlegenden Daten der LSD-Forschung geben, um für die weiteren Erörterungen eine allgemeine deskriptive Grundlage zu schaffen. Eine solche Einführung dürfte für ein besseres Verständnis einiger der spezifischeren, dynamischen Aspekte der LSD-Erfahrung nützlich sein; dies stellt das hauptsächliche Ziel unserer Untersuchung dar.

LSD-25 oder Diäthylamid der d-Lysergsäure ist eine halbsynthetische chemische Zusammensetzung; ihre natürliche Komponente ist Lysergsäure, welche die Grundlage aller wichtigeren Mutterkorn-Alkaloide bildet; die Diäthylamid-Gruppe wird im Laboratorium hinzugefügt. Nach Stoll, Hofmann und Troxler hat es die folgende chemische Formel:

LSD als solches ist in keiner bekannten organischen Substanz festgestellt worden, obwohl die natürliche Produktion von LSD in den Gehirnen von mit Toxoplasmose infizierten Tieren vermutet wurde. Die Synthese verschiedener anderer Amide der Lysergsäure wurde in Kulturen des Pilzes Claviceps paspali demonstriert. Ähnliche Amide wurden in Samenkörnern einer Winde (Rivea corymbosa) festgestellt, die in Mexiko durch Jahrhunderte zu rituellen Zwecken in Form von Ololiuqui genannten Salben und Tränken verwendet wurden.

Es ist interessant, sich ins Gedächtnis zu rufen, daß LSD zum erstenmal im Jahre 1938 in den Laboratorien der Sandoz-Werke in der Schweiz synthetisiert wurde; man nahm an, die Droge könne möglicherweise in der Geburtshilfe und Gynäkologie und bei der Behandlung der Migräne von Nutzen sein. Die Substanz wurde routinemäßig an Tieren getestet und für uninteressant befunden, so daß man die Untersuchungen nicht weiterverfolgte. Die halluzinogenen Eigenschaften des LSD wurden ungefähr fünf Jahre später, im April 1943, von Albert Hofmann entdeckt. Bei der Durchsicht der Ergebnisse früherer Forschungsarbeiten mit dieser Substanz gelangte Hofmann zu dem Schluß, die Daten deuteten darauf hin, daß sie eine interessante stimulierende Wirkung auf das Zentralnervensystem haben könne. Bei der Arbeit an der Synthetisierung einer neuen Probe LSD für weitere Untersuchungen berauschte er sich versehentlich bei der Purifizierung der Kondensationsprodukte und erlebte sehr dramatische psychische Veränderungen. Er war in der Lage, die hypothetische Verbindung zwischen seinem abnormen geistigen Zustand und der Droge, mit der er arbeitete, herzustellen; später nahm er absichtlich 250 Mikrogramm LSD ein, um seine Vermutung einem einwandfreien wissenschaftlichen Test zu unterziehen. Seine Reaktion auf diese Dosis war seiner ersten Erfahrung sehr ähnlich, jedoch sehr viel intensiver und dramatischer. Ein winziges Quantum LSD veränderte die geistigen Funktionsweisen Hofmanns in drastischer Weise, und zwar für die Dauer von mehreren Stunden; er verbrachte diese Zeit in einer phantastischen Welt intensiver Gefühle, leuchtender Farben und wogender Formen. Hofmann schilderte seine ungewöhnliche Erfahrung dann Professor Stoll von der psychiatrischen Klinik in Zürich; dieser war so beeindruckt, daß er die erste wissenschaftliche Untersuchung von LSD an normalen freiwilligen Versuchspersonen und an psychisch kranken Patienten durchführte. Seine Beobachtungen der Wirkungen von LSD bei diesen beiden Kategorien von Testpersonen wurden 1947 veröffentlicht. Die Mitteilungen erregten ungeheuer großes Interesse und lösten weitere Forschungen in vielen Ländern der Welt aus. Nachfolgende Untersuchungen bestätigten Stolls Feststellungen, daß LSD die wirksamste psychoaktive Droge war, die jemals bekannt geworden war. In unglaublich kleinen Dosierungen, schon von 10 bis 20 Mikrogramm an (1 Mikrogramm oder Gamma = ein millionstel Gramm), konnte es sehr tiefgehende, unterschiedliche psychische Veränderungen hervorrufen, die mehrere Stunden anhielten. LSD war mithin ungefähr fünftausendmal wirksamer als das bereits bekannte Meskalin und einhundertfünfzigmal wirksamer als das später entdeckte Psilocybin.

Weitere Forschungen zeigten, daß LSD in allen üblichen Anwendungsformen verabreicht werden kann. Es kann oral eingenommen und intramuskulär, intravenös, intraperitoneal oder direkt in die Rückenmarksflüssigkeit des Wirbelsäulenkanals injiziert werden. Der Bereich, innerhalb dessen LSD ohne Gefährdung angewandt werden kann, scheint ungewöhnlich ausgedehnt zu sein. Tierversuche über akute und chronische toxische Wirkungen zeigten, daß LSD einen niedrigen Toxizitätsgrad und einen breiten Sicherheitsbereich hat; die bei klinischen Experimenten ohne erkennbare biologische Nebenwirkungen verabreichten Dosen bewegten sich zwischen 10 und 2000 Mikrogramm.

Das Einsetzen der LSD-Reaktion folgt nach einer Latenzperiode, deren Dauer in Extremfällen zwischen zehn Minuten und drei Stunden schwanken kann, und zwar abhängig von der betreffenden Person, der Verabreichungsform, der Dosis, des Grades des psychischen Widerstandes und anderer Variablen. Eine solche Latenzperiode gibt es nicht, wenn LSD direkt in die Rückenmarksflüssigkeit injiziert wird. In diesem Fall tritt eine fast sofortige Wirkung ein. Eine unkomplizierte LSD-Sitzung kann zwischen vier und zwölf Stunden dauern; die wichtigsten Faktoren, die ihre Dauer bestimmen, sind die Persönlichkeit der Versuchsperson, die Natur und Dynamik des unbewußten Materials, das während der Sitzung aktiviert wird, und die verabreichte Dosis. Verlängerte Reaktionen, die bei der Arbeit mit LSD gelegentlich vorkommen, können Tage oder Wochen anhalten. Die Intensität der LSD-Erfahrung kann dadurch gemildert werden, daß man die Augen öffnet und sich umherbewegt, und sie kann verstärkt werden, indem der Betreffende in zurückgelehnter Haltung sitzen bleibt, einen Augenschirm aufsetzt und stereophone Musik hört. Die LSD-Phänomene erstrecken sich über einen außerordentlich weiten Bereich und auf fast alle geistigen und physischen Funktionen. Wir wollen sie an dieser Stelle nur kurz skizzieren.

Physische Symptome stellen einen typischen, normalen Aspekt der LSD-Reaktion dar; die meisten von ihnen lassen sich als Stimulierung der vegetativen (autonomen), der motorischen und der sensorischen Nerven erklären. Vegetative Manifestationen können sympathetischer oder parasympathetischer Art oder auch beider Art zugleich sein. Die sympathetischen Wirkungen schließen ein: Beschleunigung der Pulsfrequenz, Ansteigen des Blutdrucks, Erweiterung der Pupillen, Verschwimmen der Seheindrücke und Schwierigkeiten bei der Schärfeneinstellung des Auges, Absonderung von dickem Speichel, heftiges Schwitzen, Zusammenziehen der peripheren Arterien, mit der Folge, daß Hände und Füße kalt werden und sich bläulich färben, Sichsträuben der Körperhaare. An parasympathetischen Wirkungen treten auf: Verlangsamung der Pulsfrequenz, Absinken des Blutdrucks, übermäßige Speichelbildung, Tränenfluß, Diarrhöe, Übelkeit und Erbrechen. Häufig sind ferner Symptome mehr allgemeiner Natur, wie Unbehagen, Fiebergefühl, Erschöpfung und abwechselnd Frieren und Hitzewallungen. Die häufigsten motorischen Erscheinungen sind: verstärkte Muskelspannung, mannigfaltige Formen von Zittern, Zuckungen und Krämpfen, komplizierte Verrenkungsbewegungen. Obwohl die eben genannten Erscheinungen häufiger sind, kommt es bei manchen Versuchspersonen auch zu einer umfassenden und völligen Lockerung sämtlicher Körpermuskeln. Neben den vegetativen und motorischen Erscheinungen wurde eine Reihe unterschiedlicher Veränderungen der neurologischen Reflexe bei LSD-Testpersonen beschrieben. Symptome, die mit der Aktivierung der Empfindungsnerven zusammenhängen, sind Kopfschmerz, Schmerzen in verschiedenen anderen Teilen des Körpers, Schweregefühle in den Gliedmaßen, eine Vielzahl absonderlicher Empfindungen und sexuelle Gefühle.

Veränderungen der Wahrnehmung bilden die häufigste und konstante Form der LSD-Reaktion. Obwohl sie in allen Sinnesbereichen auftreten können, scheinen die visuellen Phänomene eindeutig zu überwiegen. Sie erstrecken sich von elementaren Visionen aufflammender Lichter, geometrischer Figuren und scheinbarer Verwandlungen der Umwelt bis zu komplexen Bildern mit ganzen Gruppen von Personen, verschiedenen Tieren und einer spezifischen Szenerie. Weniger häufig sind perzeptuelle Veränderungen im akustischen Bereich. Typische Erscheinungen sind hier: Überempfindlichkeit gegen Laute, die Schwierigkeit, zwischen verschiedenen akustischen Reizen zu unterscheiden, akustische Täuschungen und Pseudohalluzinationen. Veränderungen im Bereich des Riechens und Schmeckens sind bei manchen normalen Versuchspersonen wie auch bei psychiatrischen Patienten ziemlich häufig; sie können die beherrschende Erscheinung bei Sitzungen von Menschen mit angeborener Blindheit sein, die in der Regel keine optischen Erscheinungen nach der Einnahme von LSD erleben. Typischerweise sind Geruchs- und Geschmacksempfindung während des Höhepunkts der Sitzung ausgeschaltet, hingegen außerordentlich gesteigert in der Endphase der Sitzungen mit einem guten Abschluß. Geruchs- und Geschmackstäuschungen oder Pseudohalluzinationen sind besonders häufig während einer tiefen Regression in die frühe Kindheit. Bei den perzeptuellen Verzerrungen im Bereich des Tastsinns kommt es sowohl zu einer abgeschwächten wie auch gelegentlich zu einer verstärkten Empfindlichkeit verschiedener Körperteile; ungewöhnliche Empfindungen aller Art sind gleichfalls ziemlich häufig bei LSD-Sitzungen. Besonders interessant sind komplexe und oft absonderliche Veränderungen der Körpervorstellung.

Verzerrungen in der Wahrnehmung von Zeit und Raum sind einer der auffallendsten und konstantesten Aspekte von LSD-Sitzungen. Die Wahrnehmung der Zeit verändert sich fast immer; am häufigsten kommt es vor, daß eine kurze Zeitspanne als viel länger dauernd erlebt wird, manchmal aber auch das Gegenteil. Im Extremfall können Minuten als Jahrhunderte oder Jahrtausende erlebt werden, umgekehrt wird manchmal eine lange Zeitspanne in einer Sitzung als nur ein paar Sekunden dauernd wahrgenommen. Gelegentlich ist die Zeit nicht nur quantitativ verändert, sondern auch als Dimension. Sie kann völlig zum Stillstand kommen, so daß der Abfolgecharakter von Ereignissen verschwindet; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden als parallel ablaufend erfahren. Eine spezielle Kategorie der Zeitveränderung ist die Erfahrung der Regression in verschiedene Perioden der persönlichen Lebensgeschichte.

Die Wahrnehmung des Raums ist gleichfalls in typischer Weise verändert; Entfernungen können größer erscheinen oder unterschätzt werden; Objekte werden als größer oder kleiner wahrgenommen, als sie tatsächlich sind, und der Raum kann als horizontal oder vertikal zusammengepreßt erscheinen. Die Versuchspersonen können das Gefühl des Verlusts der Perspektive haben oder Fluktuationen der Raumkonsistenz, wie die Verdünnung oder Kondensation des Raumes, erleben. Sie können ferner beliebig viele subjektive Räume und individuelle Mikrowelten erschaffen, die autonom und ohne Zusammenhang mit unserem Zeit-Raum-Kontinuum sind. Erfahrungen der Verschmelzung mit dem Raum, des Sichauflösens in ihm, kommen häufig vor; sie können Ekstasegefühle hervorrufen oder mit der Angst vor Tod und Vernichtung verbunden sein. Eine extreme Erfahrung der Veränderung von Zeit und Raum ist das Gewahrwerden von Unendlichkeit oder Ewigkeit.

Emotionale Veränderungen erscheinen als eine der ersten Manifestationen der LSD-Reaktion und treten sehr regelmäßig und konstant auf. Frühe Berichte über LSD betonten die Euphorie, die für Sitzungen mit mittlerer Dosierung bei normalen Versuchspersonen ganz typisch ist. Sie kann mehrere verschiedene Formen annehmen: heitere Ausgelassenheit mit unmotiviertem Lachen, überströmende Freude, tiefe Gefühle des Friedens, der Gelassenheit und Entspannung, orgiastische Ekstase, hedonistisches Vergnügen oder Gefühle der Wollust und Sinnlichkeit. Wenn die Versuchspersonen psychiatrische Patienten sind und höhere Dosen verabreicht werden, nimmt die Häufigkeit negativer Stimmungsqualitäten beträchtlich zu. Angst kann die Sitzungen beherrschen und in völliger Panik und äußerster Todesfurcht kulminieren. Depressionen können die Form ruhiger Trauer und tränenloser Melancholie haben oder aber erregter Verzweiflung mit recht dramatischen Erscheinungen. In manchen Sitzungen kann es zu ernsthaften Selbstmordvorstellungen oder sogar -neigungen kommen, die die sorgfältigste Überwachung der betreffenden Person unerläßlich machen. Quälende Minderwertigkeitsgefühle und Schuldgefühle sind häufig, besonders in therapeutischen Sitzungen mit gestörten Patienten. Affektive Labilität oder im Gegenteil affektive Apathie kommen häufig vor. In manchen Sitzungen bilden quälende Ambivalenz und Entschlußlosigkeit das typische Charakteristikum. Aggressive Gefühle sind zwar ziemlich häufig, doch wird die Aggression gewöhnlich nicht in unkontrollierbarer und destruktiver Weise ausagiert und bietet keine ernsten Probleme; es gibt natürlich Ausnahmen von dieser Regel.

Veränderungen des Denkens, des Intellekts und des Gedächtnisses sind recht deutlich erkennbar, wenn sie sich auch nicht immer in psychologischen Tests eindeutig demonstrieren lassen. Bei manchen Typen der LSD-Erfahrung sind die Denkprozesse beschleunigt, in anderen verlangsamt. Logisches und abstraktes Denken ist gewöhnlich möglich, fällt jedoch einzelnen schwerer als sonst; alogisches und frei assoziierendes bildliches Denken ähnlich wie in Träumen tritt in den Vordergrund. Das kann gelegentlich zu einer plötzlichen Vereinfachung und zur Lösung bestimmter Probleme führen, ähnlich der künstlerischen Inspiration oder der kreativen Erleuchtung eines Wissenschaftlers oder Erfinders. Solche grundlegenden intuitiven Einsichten können in manchen Fällen Informationen aus verschiedenen Bereichen in schöpferischer Weise integrieren. Ebenso häufig ist jedoch eine verzerrte Wahrnehmung der Geschehnisse und ihre wahnhafte Deutung in Gestalt von Verfolgungsvorstellungen, Größenwahn oder Beziehungswahn.* In jedem Fall sollte man während einer LSD-Sitzung dem praktischen Urteilsvermögen nicht trauen, und wer unter der Einwirkung der Droge steht, darf keine ernsten, unwiderruflichen Entscheidungen treffen.

* Ein Mensch, der an Beziehungswahn leidet, hat die Tendenz, zufällige Ereignisse und neutrale Bemerkungen so zu deuten, als hätten sie eine tiefere Bedeutung und einen direkten Bezug auf ihn selbst.

Untersuchungen der intellektuellen Funktionen und des Gedächtnisses während der Sitzungen mit Hilfe der üblichen psychologischen Tests ergaben in der Regel eine leichte Minderung des Leistungsvermögens. Die Deutung dieser Ergebnisse ist jedoch schwierig; es ist nicht klar, ob das Resultat auf eine Regression der intellektuellen Funktionen auf eine frühere Entwicklungsphase zurückzuführen ist, auf eine toxische Beeinträchtigung des Gehirns oder auf Mangel an Interesse und Motivation der Versuchsperson bzw. darauf, daß die Betroffenen ganz von ihren faszinierenden inneren Erlebnissen in Anspruch genommen werden.

In der Regel erinnern sich die Versuchspersonen mehr oder weniger klar an alles, was während der Sitzung klar wahrgenommen und erlebt wurde. Amnesie kommt ziemlich selten vor, außer wenn hohe Dosierungen verabreicht wurden oder wenn es sich um emotional extrem belastendes Material handelt. Gelegentlich kann das LSD-Erlebnis so überwältigend sein, daß die Versuchsperson nicht einmal während der Sitzung selbst in der Lage ist, die verschiedenen Facetten des Erlebnisses deutlich zu unterscheiden. In diesen Fällen bleiben weniger bestimmte Einzelheiten als vielmehr die allgemeine Atmosphäre in Erinnerung.

Die psychomotorischen Veränderungen sind gewöhnlich recht eindrücklich, weisen jedoch nicht alle in die gleiche Richtung. Manche Versuchspersonen zeigen eine eindeutige Handlungshemmung, einen Mangel an Spontaneität und Initiative. Bei anderen tritt eine deutliche psychomotorische Erregung zutage, gelegentlich mit einem Element unangemessenen Verhaltens, wie z.B. unmotiviertes Lachen, diffuse Aggression, theatralisches Verhalten oder Ausagieren der verschiedensten Impulse.

Die Veränderungen des Bewußtseins sind ganz besonderer Natur. Gewöhnlich sind keinerlei Anzeichen einer quantitativen Beeinträchtigung, wie Schläfrigkeit, Benommenheit oder ein tiefer Dämmerzustand, zu erkennen. Typischerweise kommt es auch nicht zu jener Verwirrung und Desorientierung in bezug auf die persönliche Identität oder auf Ort und Zeit der Sitzung, denen man nach der Verabreichung üblicher delirogener Stoffe wie Atropin, Skopolamin oder Benaktyzin begegnet. Das Bewußtsein zeigt nach der Einnahme von LSD eine charakteristische qualitative Veränderung ähnlich wie in Träumen. Es kann seine gewöhnlichen Grenzen überschreiten und Phänomene aus dem tiefen Unbewußten mit aufnehmen, die unter normalen Umständen nicht zugänglich sind. Dieser Vorgang wird häufig als Bewußtseinserweiterung bezeichnet.

Die Sexualität kann auf unterschiedliche Weise beeinflußt werden. Manchmal ist sie so gehemmt, daß nichts fremder zu sein scheint als eben das Sexuelle. Die Sexualität kann jedoch auch so gesteigert sein, daß lange Zeitabschnitte in den Sitzungen von intensiven sexuellen Gefühlen und Bildern beherrscht werden. Sexuelle Erfahrungen in LSD-Sitzungen haben gelegentlich einen sehr ungewöhnlichen Charakter; sie können sadistische oder perverse Elemente enthalten oder die Gestalt satanischer, ozeanischer oder tantrischer Sexualität annehmen. In der Schlußperiode von Sitzungen mit gutem Ausgang ist die Orgasmusfähigkeit gewöhnlich in hohem Maße gesteigert, und zwar bei männlichen wie bei weiblichen Teilnehmern. Sexueller Verkehr am Tag der Sitzung kann zum stärksten Erlebnis dieser Art im Leben des Betroffenen werden.

Das Kunsterlebnis ist oft ein wichtiger Aspekt der LSD-Sitzung. Die einzigartige Wahrnehmung von Farben und Formen wie auch der überwältigende Eindruck von Musik vermitteln häufig ein neues Verständnis von Kunst und künstlerischen Bewegungen. Diese Fähigkeit, ungewöhnliche Aspekte der Kunst zu erleben, kann nach einer einzigen Sitzung auf unbestimmte Dauer bestehenbleiben. Gelegentlich wurde auch eine auffallende Steigerung der Kreativität in und nach einer LSD-Sitzung beobachtet; das ist jedoch keine allgemeine Regel.

Religiöse und mystische Erfahrungen stellen die interessanteste und provokativste Kategorie von LSD-Phänomenen dar. Ihre Häufigkeit scheint in direkter Relation zu der Dosierung und der Anzahl der vorausgegangenen Sitzungen zu stehen. Sie können ferner gefördert werden durch die spezielle Vorbereitung, durch "set and setting" (die inneren und äußeren Umstände)* der psychedelischen Behandlung. Das Erlebnis von Tod und Wiedergeburt, der Vereinigung mit dem All oder mit Gott, Begegnungen mit dämonischen Erscheinungen oder das Wiedererleben "früherer Inkarnationen", wie sie bei LSD-Sitzungen beobachtet werden, erscheinen phänomenologisch ununterscheidbar von ähnlichen Schilderungen in den heiligen Schriften der großen Weltreligionen und in den geheimen mystischen Texten alter Kulturen.

* Der Ausdruck "set and setting" ist ein Terminus technicus, der einen Komplex nicht-pharmakologischer Faktoren bezeichnet, die für die LSD-Reaktion von Bedeutung sind. "Set" schließt die psychologischen Erwartungen der Versuchsperson ein, die Vorstellungen des Versuchsteilnehmers wie des Versuchsleiters über die Art der LSD-Erfahrung, das angestrebte Ziel des psychedelischen Vorgehens und die Vorbereitung und Programmierung der Sitzung. "Setting" bezeichnet die tatsächliche Umgebung, die physische wie die interpersonale, die konkreten Umstände, unter denen die Droge verabreicht wird.

Seit dem Beginn der Experimente mit LSD bis heute steht man vor dem verwirrenden Problem, wie es zu erklären ist, daß eine einzige Droge ein so ungeheuer breites Spektrum verschiedener Erfahrungen hervorruft, die in vielfältigen Kombinationen und anscheinend auf dem gleichen Kontinuum auftreten. Es war offensichtlich, daß eine langfristige, systematische Untersuchung des LSD-Verfahrens an einer großen Zahl von Personen erforderlich sein würde, um eine Typologie der Erfahrungsmuster und der Abfolge der Erfahrungen zu entwickeln, diese zueinander und zu der Persönlichkeit der Versuchsperson in Beziehung zu setzen und die Prinzipien zu entdecken, die dieser scheinbar chaotischen Situation zugrunde liegen. Bei den in diesem Buch beschriebenen Forschungen ließen wir uns von dem Bemühen leiten, eine ausreichende Menge experimenteller Daten zu gewinnen, diese sorgfältig zu analysieren und für die beobachteten klinischen Realitäten neue Begriffssysteme zu entwickeln.

Die Bedeutung der perinataten Grundmatrizen in der LSD-Psychotherapie

Aus didaktischen Gründen haben wir die perinatalen Grundmatrizen hier in der Reihenfolge der ihnen korrespondierenden Phasen des realen Geburtsvorganges beschrieben. Es muß jedoch betont werden, daß in der LSD-Therapie oder in den individuellen LSD-Sitzungen diese natürliche chronologische Ordnung nie eingehalten wird. Perinatale Matrizen kommen in vielerlei Mustern und Abfolgen vor, die eine große interindividuelle und intraindividuelle Variabilität aufweisen. Die vielgestaltigen und vielschichtigen Konfigurationen, die sich bei diesem Prozeß entfalten, sind von einer Reihe von Variablen abhängig, deren offenkundigste die folgenden sind:

Bei der psycholytischen Therapie von schwer gestörten psychiatrischen Patienten – insbesondere von Psychoneurotikern – kann ein langer Zeitraum und eine große Anzahl von Sitzungen erforderlich sein, um alle Schichten traumatischer Erfahrungen aus der individuellen Lebensgeschichte durchzuarbeiten. Wenn die psychodynamische Ebene überschritten ist und perinatale Elemente in den Sitzungen auftauchen, sind die Patienten gewöhnlich zuerst mit der Situation der "Ausweglosigkeit" (PM II) konfrontiert. Mit zunehmender Zahl der Sitzungen treten die Erscheinungen, die mit dem Kampf um Tod und Wiedergeburt verknüpft sind (PM III), in den Vordergrund. Gelegentlich kommen in diesem Zusammenhang auch kurze Episoden von Wiedergeburt (PM IV) und kosmischer Einheit (PM I) vor. Schließlich, wenn Ich-Tod und Wiedergeburt in reiner und endgültiger Gestalt erlebt werden, ist der Weg frei für Elemente der ersten perinatalen Matrix und für eindeutig transpersonale dynamische Strukturen verschiedener Art. Im Anschluß daran verschwinden die Erscheinungen, die mit der biologischen Geburt in Verbindung stehen (PM II, PM III und PM IV), gewöhnlich aus den Sitzungen und treten nicht wieder auf, auch wenn das LSD-Verfahren fortgesetzt wird. Alle weiteren Sitzungen bestehen fast ausschließlich aus transpersonalen Erfahrungen mit ausgeprägt religiösem und mystischem Einschlag.

Bei emotionell weniger gestörten Personen und "normalen" Versuchspersonen können positive ekstatische Erfahrungen, die mit PM IV und PM I zusammenhängen, schon in den ersten Sitzungen einer Versuchsreihe auftreten, insbesondere bei der Anwendung höherer Dosierungen. In diesen Fällen sind die ersten Stunden einer Sitzung gewöhnlich von PM II und PM III beherrscht, und die anderen beiden Matrizes (PM IV und PM I) treten in der Schlußphase einer Sitzung auf. In der psychedelischen Therapie werden die perinatalen Schichten bei normalen Versuchspersonen, bei Patienten, die den Tod durch eine unheilbare Krankheit vor Augen haben, und bei den meisten Kategorien psychiatrischer Patienten häufig schon in den ersten Sitzungen erreicht. Es scheint, daß die Anwendung höherer Dosen, spezielle Vorbereitung und therapeutische Techniken, Augenbinden und stereophonische Musik das Eintreten von Erlebnissen der Wiedergeburt und der kosmischen Einheit beschleunigen und erleichtern können.

Die Konzeption der perinatalen Grundmatrizes ist sehr nützlich für das Verständnis der Dynamik von LSD-Sitzungen, bei denen die Tod-Wiedergeburt-Phänomene auftreten, und der Dynamik der korrespondierenden Intervalle nach den Sitzungen. Die Steuerungsfunktion dieser Matrizen ist vergleichbar mit der Rolle der COEX-Systeme auf der psychodynamischen Ebene. Die speziellen klinischen Implikationen dieser Konzeption werden wir im einzelnen in einem eigenen Buch erörtern, das sich primär mit den praktischen Aspekten der LSD-Psychotherapie befaßt. Hier wollen wir die Implikationen nur kurz skizzieren.

Die Aktivierung einer bestimmten perinatalen Matrix beeinflußt die Art, wie die Versuchsperson die bei ihrer LSD-Sitzung anwesenden Personen und ihre unmittelbare Umgebung erlebt; ihre Wahrnehmung wird durch den spezifischen Inhalt der aktivierten Matrix bestimmt. Die Ereignisse am Ende einer Sitzung sind von entscheidender Bedeutung für deren Ergebnis und für die Art, wie die der Sitzung folgende Zeitspanne erlebt wird. Wenn die Versuchsperson zu dem Zeitpunkt, da die pharmakologische Wirkung der Droge abklingt, unter dem starken Einfluß einer der perinatalen Matrizes steht, kann es sein, daß der Betreffende den Einfluß dieser Matrix in gemilderter Form noch Tage, Wochen oder Monate nach Beendigung der Sitzung erlebt. Diese Folgen sind für jede dieser vier perinatalen Matrizes jeweils charakteristisch und deutlich voneinander unterschieden.

Wenn die Endphase einer LSD-Sitzung von PM II gesteuert wird und die Versuchsperson sich unter ihrem Einfluß stabilisiert, ist das der Sitzung folgende Intervall durch tiefe Depression gekennzeichnet. In dieser Situation wird der betreffende Mensch von verschiedenen sehr unangenehmen Gefühlen gequält: Angst, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle und Scham scheinen sein Denken über die Vergangenheit zu beherrschen. Sein gegenwärtiges Leben erscheint ihm unerträglich und mit Problemen belastet, für die er keine Lösung sieht; die Zukunft erscheint völlig hoffnungslos. Das Leben ist ohne jeden Sinn, der betreffende Mensch ist absolut unfähig, an irgend etwas Freude zu haben. Er nimmt die Welt als bedrohlich, unheilverkündend und farblos wahr, und er hat das Gefühl, daß sich alles über ihm zusammenzieht. Die Sehnsucht, sich das Leben zu nehmen, ist in dieser Situation nicht selten; gewöhnlich tritt sie in Gestalt des Wunsches auf, einzuschlafen oder bewußtlos zu sein, alles zu vergessen und nie wieder aufzuwachen. Personen in diesem Geisteszustand haben die Phantasie, eine Überdosis Schlaftabletten oder Narkotika einzunehmen, sich zu Tode zu trinken, Leuchtgas einzuatmen, in tiefem Wasser zu ertrinken oder in den Schnee zu laufen und zu erfrieren (Suizid I). Typische physische Symptome, die diesen Zustand begleiten, sind Kopfschmerzen, Druck auf der Brust, Atemnot, Herzbeschwerden verschiedener Art, Ohrensausen, Verstopfung, Appetitlosigkeit, das Fehlen sexueller Interessen. Sehr häufig sind Gefühle der Erschöpfung und Müdigkeit, Benommenheit und Schläfrigkeit sowie die Neigung, den ganzen Tag im verdunkelten Zimmer im Bett zu verbringen.

Die Stabilisierung einer LSD-Sitzung unter der Hegemonie von PM III führt zu Gefühlen starker aggressiver Spannung, häufig verbunden mit einer starken, aber unbestimmten Befürchtung oder Vorahnung einer Katastrophe. Personen in diesem Zustand vergleichen sich häufig mit einer "Zeitbombe", die jeden Augenblick explodieren kann. Sie schwanken zwischen destruktiven und selbstzerstörerischen Impulsen und befürchten, andere Menschen oder sich selber zu verletzen. Typisch sind ein hoher Grad von Reizbarkeit und eine starke Neigung, heftige Konflikte zu provozieren. Die Welt wird als ein gefährlicher und unberechenbarer Ort gesehen, wo man ständig auf der Hut sein muß, und immer darauf vorbereitet, um sein Überleben zu kämpfen. Ein schmerzliches Bewußtsein der eigenen, wirklichen oder eingebildeten Schwächen und Grenzen verbindet sich mit übertriebenen Ambitionen und Bemühungen, sich zu beweisen. Im Gegensatz zu der gehemmten und tränenlosen Depression, die mit PM II zusammenhängt, ähneln die Manifestationen auf der Ebene von PM III einer aufgeregten Depression, begleitet von emotioneller Unbeherrschtheit und psychomotorischer Erregung. Selbstmordgedanken und -tendenzen sind recht häufig und folgen einem Muster, das sich deutlich von jenem unterscheidet, das wir für PM II beschrieben haben. Personen in diesem Zustand erwägen blutige und gewaltsame Selbstmordhandlungen, z.B. den Gedanken, sich unter einen Zug zu werfen, aus dem Fenster oder von einer Klippe herabzuspringen, Harakiri zu begehen oder sich zu erschießen (Suizid II). Typische physische Symptome, die mit diesem Syndrom verbunden sind, sind starke Muskelspannung, die häufig zu Zittern, Zuckungen und Krämpfen führt, Kopfschmerzen, Schmerzen in verschiedenen anderen Körperteilen, Übelkeit mit gelegentlichem Erbrechen, verstärkte Darmtätigkeit und Diarrhöe, häufiges Wasserlassen oder Störungen dieser Funktion, Schweißausbrüche. Eine charakteristische Manifestation im sexuellen Bereich ist eine übermäßige Steigerung des libidinösen Triebs, wobei wiederholte Orgasmen keine zufriedenstellende Erleichterung bringen. Bei Männern ist diese Verstärkung der sexuellen Spannung manchmal von Impotenz oder vorzeitiger Ejakulation begleitet, bei Frauen von vormenstrueller emotioneller Turbulenz, Dysmenorrhöe und schmerzhaften genitalen Krämpfen beim Verkehr (Vaginismus).

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