Auszüge aus Jürgen Roth's
"Deutschland-Clan"

Das skupellose Netzwerk aus Politikern, Top-Managern und Justiz

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Der schleichende Niedergang der demokratischen Kultur in Deutschland

Einleitung

Sie sind die Einzigen in Deutschland, die eine blendende Zukunftsperspektive haben: "Die großen Steuer- und Subventionsbetrüger, die Schmiergeldzahler, die Politiker und Parteien kaufen, Parlamentarier auf ihren Gehaltslisten führen, die nichts anderes tun, als für Gesetze zu stimmen, die der Wirtschaft Vorteile, Machtzuwachs und Gewinne bringen, und Gesetze verhindern, die dem Ziel dienen, Natur, Gesundheit, Leben zu schützen, aber Gewinne schmälern könnten." Zu dieser bitteren Erkenntnis kam Professor Hans See, der Gründer der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control.

Die Rede ist vom Deutschland-Clan. Ihn verbindet keine schriftliche Vereinbarung, es gibt keine beschwörenden Formeln, die mit Blut besiegelt werden wie bei der italienischen Cosa Nostra. Besiegelt werden die Bündnisse im Geiste, nonverbal. Den Deutschland-Clan vereint vielmehr das neoliberale Gedankenkonstrukt, in dem Gemeinsinn durch puren Egoismus und Moral durch Anhäufung von möglichst viel Kapital, durch blanke Geldgier ersetzt wurden. Soziale und gesellschaftliche Verantwortung spielt für die Mitglieder des Deutschland-Clans keine Rolle mehr.

Abgesehen von der Ideologie verbindet den Deutschland-Clan noch etwas, nämlich Netzwerke skrupelloser Politiker, Topunternehmer und – leider – auch Staatsanwälte und Richter. Und diese Personen haben wenig Interesse daran, daß von ihren wahren Motiven etwas bekannt wird. Deshalb wurde die Lüge, eigentlich ein moralischer Begriff, zur politischen Allzweckwaffe, um die realen Seilschaften und Machtverhältnisse in diesem Land zu verschleiern.

Pessimisten erkennen dahinter ein System, um Korruption und Komplizenschaft mit kriminellen Strukturen und Betrug zu verbergen. Anders ausgedrückt: Die demokratische Legitimation des politischen Systems in Deutschland wird nicht nur durch ökonomische und gesellschaftliche Ausgrenzungen immer größerer Bevölkerungskreise in Frage gestellt, sondern auch durch die Handlungsweisen der politischen und wirtschaftlichen Eliten.

Eine schon fast dramatische Schlußfolgerung drängt sich auf: Ein Gemeinwesen, das von einer Machtclique geführt wird, die nicht mehr begreift, daß sie mit der Demütigung von Mitmenschen ihre Legitimation verliert, hat jeden Anspruch auf Loyalität verwirkt.

Das sagte Wolfgang Hetzer am 15. März 2006 auf einer Studientagung für Polizeibeamte, Richter und Staatsanwälte, die sich mit dem Thema Korruption befaßte und von der Katholischen Akademie Trier veranstaltet wurde.

Beim Deutschland-Clan geht es zwangsläufig nicht um bedauerliche Einzelfälle mafioser Strukturen in Teilen der deutschen Politik, Wirtschaft und Justiz. Und schon gar nicht um irgendwelche Verschwörungstheorien. Das wäre viel zu simpel. Es gibt ja auch nicht das eine Netzwerk, sondern es sind Bündnisse ganz unterschiedlicher Art auf mannigfachen Ebenen – sowohl auf kommunaler, Landes- und Bundesebene als auch auf dem internationalen Parkett. Verbunden sind sie jedoch durch ein zentrales Bindeglied – die soziale und gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit. Da gibt es Topunternehmer und Politiker, die mit kriminellen und korrupten Strukturen auf dem Balkan oder in der Ex-UdSSR zusammenarbeiten. Gleichzeitig üben sie maßgeblichen Einfluß auf politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse in Deutschland und Europa aus. Es gibt deutsche Konzerne, deren Vorstandschefs gerne im Regierungsflugzeug mitfliegen, Despoten mit Millionen schmieren und in Deutschland gleichzeitig Tausende Arbeitnehmer auf die Straße setzen. Und auch Teile der vermeintlich unabhängigen Justiz in Gestalt von Staatsanwälten und Richtern sind bestens mit dem Deutschland-Clan liiert.

Und sie bewirken alle das Gleiche: daß nämlich die demokratischen Entfaltungsmöglichkeiten des "normalen" Bürgers erstickt werden und das Verfassungsprinzip des Gemeinwohls ad absurdum geführt wird. Oder, wie es der Soziologieprofessor Hans Jürgen Krysmanski von der Universität Münster analysiert:

Wir erleben derzeit einen Zusammenbruch der Steuerungsinstanzen der bürgerlich-kapitalistischen Welt, daß die in diesem System erworbenen Positionsvorteile, Klassenprivilegien etc. – so lange es noch geht – zur immer rücksichtsloseren Akkumulation von Geld, bis hin zur systematischen Korruption, eingesetzt werden und daß in diesem Prozeß der räuberischen Akkumulation von Geldmacht auch das Thema der Privatisierung von Macht, und zwar ganz konkret, beschlossen ist.

Wie selbstverständlich die Verfassung gebrochen wird

Gern wird von den "Vorbildern" für die Demokratie gesprochen. Dazu gehört sicher ein ehemaliger Innenminister wie Manfred Kanther (CDU), der kraft Amtes die Verfassung schützen soll, jedoch nachweislich Geldwäsche betrieben hat. Oder Otto Schily, ein anderer Exinnenminister (SPD), der sich dem Verdacht aussetzt, die Verfassung zu brechen, indem er elementare Grundrechte unter dem Vorwand aushebelt, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Gleichzeitig wird, ohne daß von ihm großer Widerstand zu registrieren war, die Pressefreiheit immer weiter eingeschränkt.

Bekanntlich waren es in der Vergangenheit Journalisten, die dazu beigetragen haben, daß politische Skandale überhaupt aufgedeckt wurden. In einer Anhörung der FDP-Bundestagsfraktion kamen im Herbst 2005 Rechtswissenschaftler und Pressevertreter übereinstimmend zu dem Urteil, daß in Deutschland die Pressefreiheit ernsthaft gefährdet sei. Die Kriminalwissenschaftlerin Ursula Nelles sprach sogar von "Symptomen für den Versuch, einen umfassenden Präventivstaat" zu errichten".4 Gegen wen eigentlich? Um die Bürger oder um die Privilegien der Elite zu schützen?

Etwa weil "unter Geltung eines neoliberalen Paradigmas der Staat mit seinem strafrechtlichen Instrumentarium zunehmend auf die Aufrechterhaltung repressiv strukturierter politischer Stabilität zurückgeschraubt wird, um die Bedingungen zu gewährleisten, die für unternehmerisches Handeln auf den Weltmärkten notwendig sind". Das sieht zumindest Wolfgang Hetzer so, ein Mann, der einst im Bundeskanzleramt arbeitete und jetzt beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung OLAF (nach der französischen Bezeichnung "Office Européen de Lutte Anti-Fraude") für strategische Analysen zuständig ist.

So Unrecht dürfte er nicht haben, liest man eine Rede Professor Udo di Fabios (der auf Vorschlag der CDU im Jahr 1999 zum Bundesverfassungsrichter ernannt wurde), vorgetragen auf dem Juristentag in Bonn im September 2004. Dort stellte er dem kundigen Publikum eine "Verfassungstheorie für Neoliberalismus und Globalisierung" vor. Sie hat das Ziel, Verbraucher- und Umweltschutz als schädliche gesetzgeberische Modeerscheinungen zu betrachten, und fordert von der Politik, auf Gesellschaftsgestaltung durch Gesetzgebung letztlich zu verzichten. Der Publizist und Journalist Heribert Prantl dazu:

Sein Plädoyer war ein Abschied von einer auch vom Verfassungsgericht geprägten Rechtsentwicklung, die sich bemüht hat, Schwache und Minderheiten zu schützen und Ungleichheiten auszugleichen. Für di Fabio sind aber die "Differenzen, die das gesellschaftliche Leben hervorbringt, ... Ergebnis der Freiheit".

Und um diese Freiheit geht es dem Deutschland-Clan, und zwar zielgerichtet.

Das führt immerhin dazu, daß eine Richterin am Bundesverfassungsgericht, Christine Hohmann-Dennhardt, warnt:

Nicht nur die Grundrechte werden so entwertet, sondern den Bürgern auch Entscheidungsalternativen vorenthalten, so daß ihnen Wahlen mehr und mehr als sinnloses Unterfangen zu erscheinen drohen. Noch mehr aber muß beunruhigen, daß die Grundrechte immer häufiger im politischen Geschäft als störend empfunden werden, als Hemmschuhe auf dem Weg in die Moderne.

Einige Irritationen über die unabhängige Justiz

So gibt es deutsche Kommunen, in denen ein Netzwerk von Politikern, Bankern, Topunternehmern und Staatsanwälten existiert, die sich nicht scheuen, auch mit Topkriminellen ins Boot zu steigen. Einzelne Staatsanwälte sind abhängig von Betrügern, weil diese ihnen Schwarzgeld übergeben haben. Der Schlüssel des mafiosen Systems, wie anderswo auch, steht in enger Verbindung mit den jeweiligen Abhängigkeiten.

In Mecklenburg-Vorpommern versickern Fördergelder in dreistelliger Millionenhöhe in dunklen Kanälen, gleichzeitig ist Rechtsbeugung im "übergeordneten Interesse" nicht unbedingt ein Fremdwort. Im Klartext heißt das, Geld kaufte die Justiz.

Geradezu harmlos ist dagegen, daß sich Richter, Anwälte und Politiker von Luxusprostituierten in Nachtclubs kostenlos bedienen lassen – und natürlich dafür irgendwann einmal auf die eine oder andere Art und Weise die Rechnung präsentiert bekommen. Ausführlich wird darüber im zweiten Kapitel berichtet.

Bürger verzweifeln unterdessen. Wie Wolfgang Scheffelmeier. Sein Sohn Samuel, ein Marinesoldat, ertrank am 6. März 2002 während des Nato-Manövers "Strong Resolve" in der Pommerschen Bucht. Die Staatsanwaltschaft wie das Verteidigungsministerium hatten kein Interesse, die wahren Hintergründe des Unfalls aufzuklären. Denn es bestanden erhebliche Sicherheits- und Führungsmängel auf dem Schiff, der Fregatte Mecklenburg-Vorpommern. Für das Verteidigungsministerium und die Staatsanwaltschaft Oldenburg war der Marinesoldat selbst verantwortlich. Er habe die Schwimmweste nicht richtig angezogen.

Doch die Untersuchungsergebnisse der britischen Marine, die mit einem Schiff an dem Manöver beteiligt war, führten zu ganz anderen Erkenntnissen. Und zwar stellten sie erhebliche Mängel bei der Sicherheitsausrüstung der Soldaten fest sowie schwerwiegende Versäumnisse des Kapitäns. Wolfgang Scheffelmeier wollte sich mit dem offiziellen Ergebnis der Staatsanwaltschaft Oldenburg nicht zufrieden geben. Er erreichte zwar ein Klageerzwingungsverfahren gegen den verantwortlichen Kapitän des deutschen Schiffes. Aber wieder wurde nur mangelhaft ermittelt und das Verfahren wurde eingestellt. Es sollte ein bedauernswerter Unglücksfall bleiben.

Anfang Januar 2006 hat er nun eine Strafanzeige gegen die ermittelnden Staatsanwälte gestellt: wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt. Ob dadurch der Skandal um den Tod seines Sohnes aufgeklärt werden wird, ist eher unwahrscheinlich. Nicht aufklären, vertuschen – das ist auch ein Gesicht von Teilen der deutschen Justiz.
Waren uns bislang bestimmte Verhältnisse nur aus Italien bekannt, so ist inzwischen auch für Deutschland zu registrieren: Politiker als die eigentlichen Gesetzgeber lassen sich heute offenkundig manipulieren, kaufen oder entmachten. Das zumindest belegt das Beispiel des von der alten rotgrünen Bundesregierung gepuschten Investmentmodernisierungsgesetzes, das am 1. Januar 2004 in Kraft trat. Politisches Ziel war es, die Hedge-Fonds, denen durch dieses Gesetz die Tore nach Deutschland geöffnet wurden, hierzulande zu etablieren. Den Bürgern wurde das Gesetz mit dem Versprechen verkauft, neue Arbeitsplätze und Investitionen zu schaffen – in Wirklichkeit wurden Arbeitsplätze bisher mehrheitlich zerstört.

In der Vorbereitungsphase um den Wortlaut des Gesetzes durften die zuständigen Beamten des Finanzministeriums gerade mal Kopierdienste leisten. Dafür haben große Anwaltskanzleien den Gesetzestext mitformuliert, der es ihnen ermöglichte, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und die ihrer kapitalkräftigen Mandanten durchzusetzen.
Und die politisch Verantwortlichen können bis heute nicht mehr unterscheiden, ob hier eine Täuschung der Wähler oder ein Selbstbetrug vorliegt. Das bezieht sich insbesondere auf die von Franz Müntefering losgetretene "Heuschreckendebatte", als er im Frühjahr 2005 die Finanzinvestoren von Private-Equity-Gesellschaften und Hedge-Fonds als "Heuschrecken" bezeichnete, die alles leerfressen. Dabei war es seine Partei, die genau diesen "Heuschrecken" in Deutschland größtmöglichen Spielraum eröffnete. Wolfgang Hetzer dazu:

Nun ist bewiesen, daß die Zoologie zwangsläufig zur Domäne der politischen Führungselite dieses Landes werden mußte. Der insoweit erforderliche Sachverstand ist offensichtlich vorhanden.

In Leipzig entscheiden höchste Richter im Bundesgerichtshof ziemlich parteiisch zu Gunsten deutscher Großbanken, weil es dubiose Abhängigkeiten gibt, auf die später ausführlich eingegangen wird. Millionen- wenn nicht Milliardenprofite ziehen die einen aus dieser Melange und entsprechende Verluste die anderen, die kleinen Anleger, die ihr Geld für eine gesicherte Zukunft in vermeintlich profitable Fonds investierten.

In Augsburg wiederum verbeugt sich der Vorsitzende Richter Maximilian Hofmeister nach der Urteilsverkündung am 12. August 2005 ungewöhnlich servil vor Ludwig-Holger Pfahls, dem ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Exchef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV): Nach einem Deal zwischen Pfahls’ Verteidiger und dem Gericht hatte Richter Hofmeister Pfahls für magere zwei Jahre und drei Monate Haft wegen Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung verurteilt. Das Gericht ging davon aus, daß er 3,8 Millionen Mark Schmiergeld ohne Gegenleistung kassierte.

Der Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier, der das Verfahren überhaupt in Gang brachte und wegen seines unbeirrbaren Glaubens an die Rechtsstaatlichkeit inzwischen abgesetzt wurde, fragte sich im Zusammenhang mit der Schmiergeldaffäre um Karlheinz Schreiber, Holger Pfahls und Max Strauß:

Wer kann gegen korrupte Regierungen ermitteln, wenn der Staatsanwalt von eben dieser Regierung abhängig und weisungsgebunden ist?

Und Maier erinnert sich an die Situation, als er den Sohn des alten bayerischen Paten Franz Josef Strauß, den Anwalt Max Strauß, im Justizministerium vernehmen wollte.
Er betrat dort das Vernehmungszimmer grußlos. Ich sage: "Ich grüße Sie." Er ging ins benachbarte Zimmer und legte seinen Mantel ab. Ich schaute verdutzt. "Sind Sie hier zu Hause?" – "Mehr als Sie", antwortete der mir.

Eine Hausdurchsuchung bei Max Strauß wurde monatelang durch den Generalstaatsanwalt verzögert, und als dann doch durchsucht werden konnte, war natürlich nichts Belastendes mehr zu finden.

Es war damals Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger, der am 26. April 1999 den Haftbefehl gegen Holger Pfahls beantragte. Der wurde jedoch vom bayerischen Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer abgelehnt. Als Hillinger zwei Tage später nach Augsburg zurückfuhr, verunglückte er auf der Fahrt tödlich in einem nagelneuen Dienstwagen. Bis heute ist der Unfallhergang übrigens nicht geklärt, ein Unfall, bei dem der Mann zu Tode kam, der seit 1995 das Ermittlungsverfahren gegen den Waffenhändler Karlheinz Schreiber, den Ex-Staatssekretär Holger Pfahls, den Strauß-Sohn Max und den früheren CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep sowie zwei Thyssen-Manager leitete.

"Für mich war es ein Schock. Für mich war klar, daß ich dieses Verfahren fortführen werde, weil ich wußte, wenn Jörg Hillinger ein Vermächtnis hinterlassen hatte, dann daß die Ermittlungen fortgeführt werden", so der wegen seines Engagements bei der bayerischen Justiz in Verruf geratene Staatsanwalt Winfried Maier. Die politischen Hürden, die Ermittlungen ohne Beeinflussungen durchzuführen, waren jedoch enorm, Hürden, die wenig mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hatten, aber viel mit dem Einfluß des Deutschland-Clans.

Und der von dem Vorsitzenden Richter Hofmeister so ausnehmend freundlich behandelte Angeklagte Holger Pfahls? Der war nach der Urteilsverkündung gegen ihn seltsam gut gelaunt, ja er wirkte geradezu glücklich. Vielleicht deshalb, weil er in der Zukunft ein zufriedenes Leben ohne Geldsorgen führen wird. Denn Holger Pfahls, so ergaben Recherchen der Journalisten Klaus Wiendl und Rudolf Lambrecht, besaß "eine eigene Firma", die INVALL, "in der mehr als 100 Millionen Mark steckten".

Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Schmiergeld, um dessen Herkunft sich bislang jedoch weder Staatsanwaltschaft noch Gericht kümmern wollten. Und auch in den Medien bestand kein Interesse mehr, diese Recherchen der Journalisten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Man war des Themas Schmiergeld überdrüssig. Da grenzt es geradezu an zynische Unverfrorenheit, daß Holger Pfahls juristisch erfolgreich gegen Journalisten vorging, die nach seiner Festnahme erste Fotos von ihm aus dem Gefängnis La Santé veröffentlichten. Sein Vorwurf: Seine Privatsphäre sei durch diese Fotos verletzt worden.

Viele Seltsamkeiten wies übrigens auch der parlamentarische Schreiber-Untersuchungsausschuß in München auf, der im Sommer 2002 abgeschlossen wurde. Damit fand ein Justizkrimi um Waffengeschäfte, Parteispenden und Beziehungen des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber zu führenden bayerischen CSU-Politikern und deren Familienangehörigen ein vorläufiges Ende. Der SPD-Abgeordnete Harald Güller damals:

Der Schreiber-Untersuchungsausschuß hat uns deutlich gemacht, daß die Spitze der bayerischen Justiz immer dann Einfluß auf die Ermittlungen im Fall Schreiber genommen hat, wenn es darum ging, CSU-Spezis wie Karlheinz Schreiber, Holger Pfahls oder Max Strauß zu schützen.

Für sich alleine genommen mögen die folgenden Details Zufälligkeiten, banale Versäumnisse oder individuelle Fehler sein. Im Zusammenhang betrachtet, läßt sich jedoch ein System erkennen.

Im Verfahren gegen Max Strauß war dessen von der Staatsanwaltschaft Augsburg beschlagnahmte Computerfestplatte verschwunden. Zuvor hatte das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) gegenüber der Staatsanwaltschaft Augsburg jede Mithilfe bei der Wiederherstellung der Daten auf der Festplatte verweigert. Der Staatsanwaltschaft wurde die Amtshilfe verweigert, obwohl dem LKA ein entsprechender Auftrag der Staatsanwaltschaft Augsburg vorlag. Um die Verweigerung der Amtshilfe zu kaschieren, machten drei vom Untersuchungsausschuß vernommene Zeugen des LKA in einer ersten Vernehmung übereinstimmend falsche Angaben: Ihnen habe kein Auftrag der Staatsanwaltschaft Augsburg vorgelegen. Der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Augsburg verhinderte außerdem ein bereits von ihm genehmigtes Informationsgespräch zwischen dem damals ermittelnden Staatsanwalt Maier und zwei Beamten des Bundeskriminalamts (BKA), und zwar auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft und des Bayerischen Justizministeriums.

Besonders aufschlußreich ist die Rolle des bayerischen Generalstaatsanwalts Hermann Froschauer, der weniger das Recht als die politischen Seilschaften im Kopf zu haben schien. Berichte mißliebigen Inhalts ließ er an die Augsburger Staatsanwaltschaft zurückreichen und verlangte, daß die Berichte in bestimmten Punkten abgeändert werden sollten; manchmal wurde auch ein genau konkretisierter neuer Inhalt gewünscht. Die geforderten Änderungen liefen zum Teil den Auffassungen der Augsburger Behörde diametral entgegen. Bevor Berichtsakten zum Verfahren gegen Pfahls und andere an den Untersuchungsausschuß übergeben wurden, sonderte die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München eine große Anzahl von Dokumenten aus.

Die servile Verbeugung des Augsburger Richters Maximilian Hofmeister vor dem Ex-Staatssekretär machte das juristische Desinteresse an einer völligen Aufklärung, von wem für was und wieviel Schmiergeld wirklich gezahlt wurde, überdeutlich und dokumentierte die wahren Machtverhältnisse in dieser Region Deutschlands.
Immerhin erhielt der wegen seiner engagierten Ermittlungstätigkeit als Staatsanwalt abgesetzte Winfried Maier eine Ehrung: den Preis "Aufrechter Gang 2002" der Humanistischen Union. In seiner Laudatio gab der Journalist Michael Stiller noch eine nette Anekdote zum Besten:

Ich erinnere mich an Steuerfahnder, die im Untersuchungsausschuß ausgesagt haben, wie sie in den Kellern des Zwick’schen Geländes Unterlagen gefunden haben, die darauf hinwiesen, daß die Warnung des Justizministeriums per Telex ergangen war an den Beschuldigten Zwick, da werde durchsucht. Und wie der ermittelnde Staatsanwalt, der von den Steuerfahndern begleitet wurde, den Steuerfahndern diese Unterlagen entzogen hat und sie hat verschwinden lassen. Und welche Schwierigkeiten diese Beamten bekommen haben, als sie darüber nur Aussage machten im Untersuchungsausschuß.

Bei der Zwickaffäre ging es um Steuerhinterziehung eines Strauß-Amigos. Der Bad Füssinger Bäderunternehmer Eduard Zwick hatte über mehrere Jahre eine Steuerschuld von 70 Millionen Mark angehäuft und sich auf Anraten seiner politischen Gönner in München in die Schweiz abgesetzt. Im Wege der "Niederschlagung" des Verfahrens verzichtete der Freistaat 1990 auf die Steuerschuld. Der Deal wurde ausgehandelt, als Gerold Tandler Finanzminister wurde. Zwick hatte zuvor dem hochverschuldeten stellvertretenden CSU-Vorsitzenden Tandler finanziell geholfen und ihm im Jahr 1976 ein Darlehen über insgesamt 700.000 Mark gewährt.

Gekaufte Politiker, selbstherrliche Richter und ein einzigartiges Biotop – Mecklenburg-Vorpommern

Als Nächstes soll nun ein genauerer Blick auf ein Bundesland geworfen werden. Nehmen wir als Beispiel das schöne idyllische MecklenburgVorpommern. Der bedeutendste Wirtschaftsstandort von MecklenburgVorpommern ist die Hansestadt Rostock. "Rostock", klagte mir gegenüber ein angesehener Landespolitiker der CDU, "das ist die höchste Form der Korruption in Deutschland."

Das wäre zwar, sollte die Aussage überhaupt stimmen, ein schwerer Vorwurf, aber erstens regt sich über Korruption kaum noch jemand wirklich auf, und zweitens wäre es nur ein Aspekt eines schillernden Milieus. Tatsächlich ist nicht nur die Hansestadt, sondern das ganze Bundesland Mecklenburg-Vorpommern Schauplatz hochkrimineller Machenschaften.

Was jedoch ist das Besondere in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu anderen Bundesländern und Städten? Oder gibt es, abgesehen davon, daß es eines der neuen Bundesländer ist, überhaupt keine großen Unterschiede? Das Bundesland wirbt mit Deutschlands größten Inseln, längstem Ostseestrand und den meisten Seen und Flüssen. Die eher negativen Bereiche werden natürlich ausgespart: Alte Stasi-Seilschaften (Stasi = Ministerium für Staatssicherheit), aus der alten Bundesrepublik eingefallene skrupellose Geschäftemacher, eine blinde und manchmal willfährige Justiz sowie traditionelle kriminelle Banden vereinigten sich hier zu einem schier undurchdringlichen mafiosen Netzwerk. Ob gierige Banker, geschmeidige Senatoren, ungewöhnlich beflissene Oberbürgermeister, hohe Richter, skrupellose Anwälte und Notare oder liebestolle Staatsanwälte – ob auf der Insel Rügen, in den Städten Stralsund, Neubrandenburg, Rostock oder Schwerin –, irgendwie führten die Macht der neuen Elite und die Ohnmacht der Bürger zu mafiosen Strukturen im Land der Seen und Flüsse.

Die Hansestadt Rostock gilt als eine Perle unter den Ostseestädten. Im Jahr 1990 wurden 250.000 Einwohner gezählt, 15 Jahre später sind es nur noch 198.000 Einwohner. Und so begann sich unter anderem in Rostock das große Rad der Bereicherung nach der Wende zu drehen: Ein großer Immobilienhändler wollte nach der Wende das gesamte bisher staatseigene Rostocker Busunternehmen aufkaufen, und zwar mit einem Barscheck der Chase Manhattan Bank, "Geld vom Starnberger See", wie kundige Beamte herausgefunden hatten. Der Coup gelang so nicht, investiert wurde das Geld trotzdem. Geld vom Starnberger See – das heißt: Alexander Schalck-Golodkowski, der Kassenwart der SED. Viel zu viele, selbst aus den Führungsebenen von Politik, Polizei und Justiz, waren beziehungsweise sind in dieser Umbruchphase auf die eine oder andere Art und Weise käuflich gewesen, wie wir im Folgenden sehen werden. Auf der Strecke blieben bisher viele aufrechte Bürger dieses östlichen Bundeslandes, die den Glauben an einen demokratischen Rechtsstaat derweil verloren haben.

Noch in bester Erinnerung ist ein ehemaliger Bundesminister. Anfang der Neunzigerjahre war in seinem Rostocker politischen Umfeld "die Jagdgesellschaft" ein Begriff. Jagdgesellschaft, das war der Name für einen Männerbund einflußreicher Politiker und höchster Justizangehöriger, die nach großem Halali in einem Edelbordell die Jagdtrophäen verteilten. Ein Zeuge berichtete:

Diese Jagdgesellschaft erschien auch noch in Jagdkleidung, zumindest waren sie mit Parka bekleidet und hatten dicke Filzstiefel an. Wenn diese Jagdgesellschaft kam, wurde "richtig einer draufgemacht" – je nachdem wie erfolgreich die Jagd verlaufen war. Teilweise nahmen sie dann auch die Serviceleistungen der "Mädchen" in Anspruch.

Derselbe Zeuge erkannte unter den Teilnehmern dieser illustren Gesellschaft hochrangige Mitglieder der mecklenburg-vorpommerschen Gesellschaft. Die meisten der damals Beteiligten sind, sofern sie keine Rente beziehen, immer noch im politischen und wirtschaftlichen Leben aktiv.

Und wie sieht das heute aus? Da gibt es ein Mitglied des Schweriner Unternehmerverbandes, der einen Exminister vor zwei Jahren schwer belastete und deshalb von ihm einen Anruf erhielt, wie er mir erzählte: "Mich packt niemand an." Und dem gegen ihn ermittelnden Staatsanwalt aus Rostock soll er zu verstehen gegeben haben: Wenn ihr mich kriegt, packe ich aus.

Artur Bree, ein noch junger, aber überaus einflußreicher Unternehmer aus Mecklenburg-Vorpommern, erzählte mir im Februar 2005, während wir im Rostocker Theater des Friedens Tee tranken:

Schauen Sie. Ein ehemaliger Rostocker Oberbürgermeister hatte öffentlich erklärt, er wüßte nichts über die Stasi-Vergangenheit des größten Immobilienmaklers hier. Der ist nach dem Mauerfall in Rostock mit Geldkoffern herumgelaufen und kaufte reihenweise Häuser in Rostock auf. Dabei haben beste Beziehungen zwischen beiden bestanden – dem Immobilienmakler und Ex-OB.

Kolportiert wird die Geschichte, wonach ein weiterer einflußreicher Immobilienmakler (drei Rostocker Immobilienmakler bilden ein unzertrennbares Netzwerk) zusammen mit einem der ranghöchsten Rostocker Kommunalpolitiker im Auto fuhr und dabei den Politiker anschrie, als es um ein umstrittenes Investitionsvorhaben in Warnemünde ging: "Du Arsch, das kriegst du nicht hin?" Er hat es wie auch immer hingekriegt.

Daß die Seehafen Rostock Umschlagsgesellschaft samt Hafengelände von Rostock ohne Ausschreibung an einen privaten Investor verkauft wurde, der neue Arbeitsplätze und Gewerbeeinrichtungen zu schaffen versprach, ist das eine. Das andere, daß weder die erwarteten neuen Gewerbeeinrichtungen noch Arbeitsplätze entstanden sind. Dafür kassierten die Investoren Millionen Fördergelder.

Die Müllverbrennungsanlage wurde mehr oder weniger im Alleingang, ohne Einbeziehung der Stadt, verkauft, wie es eine Senatorin des Rostocker Senats beklagte – all das gehörte zum politischen Alltag in Mecklenburg-Vorpommern.

Wenn sich honorige Politiker wie der CDU-Landtagsabgeordnete Reinhardt Thomas über dieses Milieu beklagen, werden sie politisch kaltgestellt. So sagte Reinhardt Thomas ausweislich des mir vorliegenden Protokolls auf einer Parteiveranstaltung im Sommer 2005:

Ich war an keinen Entscheidungen zu Lasten des Gemeinwohls mit dem Pöker-Kartell beteiligt [Arno Pöker, SPD, damaliger Oberbürgermeister von Rostock]. Habe immer warnend meine Stimme erhoben, wie zum Beispiel beim Seehafen, der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA).

Wie Staatsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten

Im Februar 2005 meldete sich der Richterbund Mecklenburg-Vorpommerns, die Interessenvertretung der Staatsanwälte und Richter in Mecklenburg-Vorpommern, zu Wort. Der Richterbund beschwerte sich bitter über einen Bericht des NDR-Fernsehens, in dem die Journalistin Anke Jahns über die Justiz in Neubrandenburg berichtete.

Der Bericht selbst stellt die gesamte Staatsanwaltschaft unter einen Generalverdacht und vermengt hierbei einzelne und auch einzuräumende Fehler mit rein privatem, nicht dienstbezogenem Fehlverhalten eines einzelnen Staatsanwalts. ... Die Kolleginnen und Kollegen bei der Staatsanwaltschaft, auch die in Neubrandenburg, arbeiten mit einem hohen Einsatz und unter erheblicher Belastung im Interesse der Öffentlichkeit und der Wahrung des Rechts.

Nachdem dann Anfang März 2005 im NDR ein Hintergrundgespräch mit dem Direktor des NDR-Funkhauses und dem Vorsitzenden des Richterbundes stattfand, herrschte einige Zeit Berichtspause im Zusammenhang mit den Machenschaften in der Neubrandenburger Staatsanwaltschaft. Was war aber geschehen, daß sich der seriöse Richterbund derart empörte, weil eine mutige Journalistin etwas an der Oberfläche des Sumpfes in Mecklenburg-Vorpommern kratzte?

Äußerst zurückhaltend hatte sie über die Zustände bei der Neubrandenburger Staatsanwaltschaft berichtet. Zwei der dort tätigen Staatsanwälte waren gerade vom Dienst suspendiert worden. Während der eine wegen Trunkenheit am Steuer und Fahrerflucht verurteilt worden war, wurde gegen den zweiten Staatsanwalt wegen Strafvereitelung und Rechtsbeugung ermittelt. Eine interne Überprüfung hatte ergeben, daß er 98 Prozent aller untersuchten Fälle grob fehlerhaft oder schlicht überhaupt nicht bearbeitet habe. Sein Chef, der Behördenleiter, wiederum ist wegen seiner merkwürdigen Umgangsformen höchst umstritten. Inzwischen ist er, auch aufgrund der Berichterstattung, vorzeitig in den Ruhestand entlassen worden. Seine Umgangsformen waren von besonderer Qualität. Als eine Putzfrau einmal vergaß, auf der Herrentoilette den Metallstöpsel ins Waschbecken zurückzustecken, hielt er ihr einen langen Vortrag.

Daraufhin machten sich andere Staatsanwälte einen Spaß daraus, den Stöpsel immer wieder herauszuziehen und ihn auf die Konsole zu legen. Der Staatsanwalt wies daraufhin einen Justizwachtmeister an, sich auf die Lauer zu legen und den Übeltäter zu ermitteln. Oder eine Bild-Zeitung landete auf seinem Schreibtisch mit einem ausgefüllten Kreuzworträtsel. Er ließ sich sofort Stichproben der Handschriften aller Staatsanwälte bringen, um zu ermitteln, wer so viel Zeit hatte, ein Minikreuzworträtsel des Boulevardblatts zu lösen.

Keiner der ihm unterstellten Staatsanwälte durfte selbstständig handeln, so erzählen andere Staatsanwälte, die sich jedoch nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Demnach sollen viele Justizangehörige vor ihm Angst haben, weil er geradezu "krankhaft cholerisch" sei. Ein Staatsanwalt sagte einem Journalisten: "Wir sind doch keine Staatsanwälte, wir sind Marionetten eines Paranoiden." Der Generalstaatsanwalt wiederum entschuldigte sich hinter vorgehaltener Hand für diesen Mann. Aber es sei eben sehr schwierig, vor Arbeitsgerichten zu beweisen, daß er krank sei. Deshalb wolle man ihn bis zur Rente weitermachen lassen, ihn aber besser kontrollieren.

Diese Situation erklärte vielleicht, warum Staatsanwälte in Neubrandenburg die unzufriedensten unter allen Justizmitarbeitern im Lande sind – so das Ergebnis einer internen Umfrage des zuständigen Ministeriums. Unzufriedenheit herrscht noch mehr bei den Betroffenen, die mit der Staatsanwaltschaft zu tun hatten. Und nur darüber berichtete die NDR-Journalistin in ihrem Beitrag.

Zum Beispiel über den Fall Norbert Raulin, gegen den die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg zu Unrecht wegen Steuerhinterziehung ermittelte. Norbert Raulin ist Bürgermeister in Strasburg. Er wollte im Juni 2004 bei der Landratswahl im Uecker-Randow-Kreis antreten und sollte für die SPD bei der Wahl des Bundespräsidenten in der Bundesversammlung sitzen. Aber daraus wurde nichts, weil die Staatsanwaltschaft die Aufhebung seiner Immunität beim Bundestagspräsidenten beantragt hatte. Und die Journalistin Anke Jahns zitierte Michael Busch, den Anwalt des SPD-Politikers.

Derselbe Zeuge, der schon vor der Aufhebung der Immunität meinen Mandanten entlastet hatte, wurde nochmals gehört. Er machte dieselben entlastenden Aussagen noch mal – also im Prinzip das Gleiche noch mal – und oh Wunder! Vier Wochen später wurde das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten mangels Tatverdachts eingestellt.

Die Stellungnahme des Oberstaatsanwalts dazu:

Vorher war die Einstellung des Verfahrens nicht möglich, weil wir maßgebliche Ermittlungsergebnisse, die wir noch erarbeiten mußten, nicht vorliegen hatten, sondern gerade deshalb die Immunität aufzuheben von uns beantragt worden war, um das Verfahren beschleunigt zu einem Abschluß zu bringen. Der Vorwurf, daß ich als Leiter der Staatsanwaltschaft parteiisch irgendwelche Ermittlungsvorgänge begleiten würde, entbehrt jeder Grundlage.

Dabei hätte die Justiz in Neubrandenburg doch weitaus Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel die Hintergründe zu verfolgen, warum der Unternehmer Karl H. Smarsch, der Anfang 1990 aus den USA nach Neubrandenburg zurückkam und versuchte, eine Getreidemühle bei Neubrandenburg zu betreiben, letztlich in den Ruin getrieben wurde.
Als Amerikaner hat man die Einstellung, es gibt viel zu tun, aufzubauen, packen wir es an. Hier jedoch blockieren alle, was nicht direkt Geld in die richtigen Taschen bringt, egal was es in der wirtschaftlichen Entwicklung anstiftet und lahm legt.

Obwohl – er hätte ahnen können, was auf ihn zukommen würde, nachdem ihm das Vermögensamt Neubrandenburg erklärte: "Hätten wir etwas zu sagen, hätten Sie die Mühle nie zurückbekommen", klagte er mir gegenüber. Deshalb sagte ihm ein Banker von der Vereins- und Westbank in Hamburg, die ihm einen Kredit gewähren sollte:
Wenn Sie all Ihr Eigentum an uns übertragen, geben wir Ihnen 300.000 Mark im Koffer, aber mit der Auflage, daß Sie wieder in die USA zurückgehen. Wenn nicht, schneide ich Sie ab.

Was er damals androhte, wurde wahr. Karl H. Smarsch erhielt keine Kredite mehr von der Bank. Er versuchte, durch Zwischenfinanzierungen trotzdem noch sein Mühlenprojekt zu verwirklichen. Jetzt meldete sich die Stadtverwaltung und forderte von ihm, für seine Mühle die wesentlich teurere Fernwärme zu benutzen. "Dann die Warnung von den Stadtwerken: ›Entweder Sie unterschreiben den Vertrag oder Sie zahlen die kWh wie ein normaler Haushalt.‹ Reinste Erpressung. Unsere Konkurrenz zahlt die Hälfte", behauptete er mir gegenüber und legte mir dazu entsprechende Dokumente vor.

Zum Hintergrund der Schikanen: Es gab bereits Konkurrenz, die "alte Mühle". Daraus erklärte sich für den Rückkehrer aus den USA, warum bei ihm alles blockiert wurde. Dem Konkurrenten und alteingesessenen Unternehmer wurden jedenfalls alle Genehmigungen sofort erteilt. Der Besitzer einer Maschinenbaufabrik sowie von über 140 Hektar Wald erhält vom Land nochmals 600 Hektar, die sich natürlich steuerlich besonders günstig in der Bilanz stellen, weil sie gefördert werden. Ein Landesminister setzte sich persönlich für den Verkauf ein. Der Fabrikbesitzer, so Neubrandenburger Bürger, "ist einer der zwei ›Westler‹, die hier alles bekommen, egal was sie sich aussuchen. Landwirte hingegen, die ein kleines Grundstück tauschen möchten, laufen nur gegen Wände."

Die Hilferufe von Karl H. Smarsch an die Justiz von Neubrandenburg wie an die zuständigen Ministerien in Schwerin blieben ungehört. Karl H. Smarsch hat Millionen verloren und ist heute auf Hartz IV angewiesen. "Ich habe in meinem ganzen Leben nie so etwas an Hinterhältigkeit, Verlogenheit und so offener Korruption erlebt wie hier in Neubrandenburg." Da liegt er falsch, oder er weiß nichts von Rostock.

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