Auszüge
aus Jürgen Roth's
"Ermitteln verboten"
Warum die Polizei den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben hat
Einleitung
Deutschland ist unter die Räuber gefallen. Da darf in Frankfurt am Main seit Jahren ein gefährlicher Auftragskiller frei herumlaufen. In Düsseldorf sieht man den türkischen Mafiapaten Ali B. flanieren, der unter anderem sechs Morde verübte. Im Kasino verzockt er in einer Nacht schon mal locker eine Million Euro. Unterdessen schlendert, fröhlich pfeifend und mit seinem Pitbull an der kurzen Leine, in einem kleinen deutschen Dorf einer der fünf größten Drogenhändler Europas umher. Die Anführer der kriminellen Proleten, der Hell’s Angels, übernehmen in den Metropolen ein Luxusgroßbordell nach dem anderen. Schließlich prahlt ein krimineller albanischer Klan voller Stolz, er habe seit Jahren den Hamburger Senat in der Hand. Und diese Behauptung ist nicht einmal übertrieben.
Daß suspekte kapitalkräftige Investoren aus der ehemaligen Sowjetunion gehätschelt werden wie im verblassenden Kurort Baden-Baden, wagt man kaum noch zu erwähnen. "Peanuts sind das alles", wendet ein führender Wirtschaftskriminalist aus Würzburg ein. "Schauen Sie sich mal die engen Verbindungen zwischen hochkarätigen deutschen Politikern und dubiosen Anlagefonds an, die Milliarden Euro vernichten."
Polizei und Justiz im einstigen Wirtschaftswunderland hätten eigentlich genügend zu tun, um den kriminellen Dschungel ein wenig zu lichten. Da wären die deutschen Täter und ihre kriminellen Verflechtungen, die Absprachekartelle, Subventions- und Anlagebetrüger ebenso wie die deutschen Zuhälterbanden und die ohnehin vorhandenen örtlichen Kleinkriminellen. Doch Deutschland liegt im Zentrum Europas. Und so beherrschen etwa türkische und kurdische Familienklans nach wie vor den Heroinmarkt. Zwar versuchen andere Banden, zum Beispiel Albaner und Russen, in diesen lukrativen Markt hineinzudrängen, aber die mächtigsten Dealer kommen weiterhin aus der Türkei. Kosovoalbanische Klans erkämpfen sich verstärkt Anteile im Rotlichtmilieu. Ihre Methoden und Mittel: Durchschlagskraft, Brutalität, Kriegserfahrung und strikte Abschottung. Blutige Verteilungskämpfe um kriminelle Märkte in einigen Städten sind ein aufflammendes Menetekel, ebenso die sich bereits bildenden Parallelgesellschaften mit "No-Go-Gebieten".
Noch rauben, morden, bestechen und betrügen die traditionellen Syndikate der Russenmafia überwiegend in den Heimatländern und legen "nur" ihre kriminellen Gewinne in sauberen Firmen in Deutschland an mit dem Ziel, Wirtschaft und Politik zu durchdringen. Doch auch in Deutschland bilden sich bereits hochkriminelle und konspirativ arbeitende Gangs junger Rußlanddeutscher, die ihren Vorbildern in der ehemaligen Sowjetunion in nichts mehr nachstehen. Und auch chinesische Triaden agieren weitgehend unbehelligt in den Bereichen Drogenhandel, Geldwäsche und Produktpiraterie.
Italienische "Mafiagrößen" – ob Cosa Nostra, Ndrangheta oder Camorra – haben sich zwar teilweise von der schwersten Gewaltkriminalität abgewandt. Trotzdem spielen sie weiterhin eine gewichtige Rolle im internationalen Drogen- und Waffenhandel. Zudem investieren sie in Deutschland ihre weitgehend unangetasteten kriminellen Vermögen und verlagern ihre Aktivitäten zunehmend auf den Bereich der Wirtschaftskriminalität. Und häufig sind diese höchst unterschiedlichen Gruppen und Personen zeitweise miteinander vernetzt bzw. gehen Zweckbündnisse ein. Das vermeintlich "idyllische" Milieu von Zuhälterbanden, Mördern, Drogenhändlern, Waffenhändlern und Kraftfahrzeugdieben haben die meisten von ihnen jedenfalls weit hinter sich gelassen.
Das alles sind keine Märchengeschichten. Es ist auch keine billige Panikmache oder gar journalistische Schaumschlägerei. Darüber könnte man sich ja dann fast schon freuen. Nein, das ist die Wirklichkeit, die von niemandem ernsthaft bestritten werden kann. Und sie wird es im Prinzip auch nicht.
Aber der "Kampf gegen den Terrorismus", wird der Leser einwenden, der werde doch wenigstens beherzt und mit allen Mitteln geführt. In der Tat. Wenn in der Berliner Regierungszentrale überhaupt etwas Priorität hat, dann ist es das. Bekanntlich haben "Ende 2003 die westlichen Regierungen ihre Polizei- und Nachrichtendienste angewiesen, dem Kampf gegen den Terrorismus absoluten Vorrang einzuräumen". Viel Vergnügen, ist man geneigt zu sagen, angesichts des bereits verlorenen Kampfes gegen andere, weitaus harmlosere kriminelle Delikte.
Vor diesem Hintergrund ist deshalb seit geraumer Zeit ein Phänomen unüberseh- und unüberhörbar geworden: Hochqualifizierte Kriminalisten wie einfache Polizeibeamte oder unzufriedene Staatsanwälte und Richter begehren auf. Sie wollen Kriminalität (ob Massen-, Wirtschafts- oder Organisierte Kriminalität) bekämpfen, können beziehungsweise dürfen es allerdings nicht mehr.
Und das ist der politische Skandal. Den meisten derjenigen, die sich mit Kriminalitätsverfolgung und -bekämpfung befassen, ist bewußt, daß sie den Bürgern Schutz und Sicherheit garantieren sollen, deren selbstverständlichste Forderung und elementares Grundrecht. Die Realität hingegen sieht vielerorts anders aus.
In aller Öffentlichkeit beklagte der Vorsitzende des Darmstädter Staatsanwaltsrats, Oberstaatsanwalt Klaus Reinhardt, daß die von der Hessischen Landesregierung beschlossene Stellenbesetzungssperre die Staatsanwälte vollkommen ins Abseits stelle. Es gebe Kollegen von ihm, die hätten ein halbes Tausend unerledigter Verfahren auf dem Schreibtisch liegen. Und auch im Bereich der Angestellten wurde und wird massiv gespart. Engagierte und ausgebildete Justizfachangestellte werden nicht mehr eingestellt, so daß die Verwaltung der Darmstädter Justiz vor dem Zusammenbruch steht. Wenn Polizeibeamte dann zum Beispiel gegen Wirtschaftskriminelle ermitteln wollen, wird ihnen entgegengehalten, daß es dafür keine Leute gebe.
Diese Verhältnisse finden wir nicht nur in Darmstadt, sondern in ganz Hessen und auch im gesamten Bundesgebiet – von wenigen Ausnahmen abgesehen.
So bemängelte auch Wolfgang Bauch, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), auf dem 18. Deutschen Richter- und Staatsanwalttag am 15. September 2003 in Dresden:Bundesweit hohe Fallzahlen, eine angespannte Personalsituation und Personalabbau in den polizeilichen Ermittlungsdienststellen wegen der katastrophalen Lage der öffentlichen Haushalte hindern die Ermittler in weiten Teilen daran, Vorgänge in gebührendem Maße zu Ende zu ermitteln. Hinzu kommen erhebliche Defizite bei der Aus- und Fortbildung der Polizei.
Und es war kein Geringerer als der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes (DRB), Wolfgang Arenhövel, der zu Beginn des Richtertags dringend vor weiteren "Sparorgien" warnte:
Wir werden schlicht und einfach kaputt gespart.
Also nur eine Frage des Geldes? Nein: Hinter allem verbirgt sich, unausgesprochen und schriftlich nirgendwo festgehalten, zweifellos ein politischer Wille, der nicht mit den leeren Kassen zu begründen ist. Deshalb stellt sich die Frage: Wer profitiert von diesem Zustand des Elends der Strafverfolgungsbehörden und warum?
Viele Vorgänge erhärten den ungeheuren Verdacht, den eine ganze Reihe Kriminalisten und Staatsanwälte – gleichgültig aus welchem Bundesland –gewonnen haben. Sie befürchten, daß bestimmte Kriminalitätsformen wegen inniger Verflechtungen mit der politischen und wirtschaftlichen Elite nicht mehr bekämpft werden sollen. Auf jeden Fall wird einiges aufgeboten, um die konsequente Arbeit qualifizierter Ermittler in der Polizei oder kundiger und erfahrener Staatsanwälte zu erschweren oder zu blockieren.Weil ich das genauer wissen wollte, reiste ich im Winter des Jahres 2003/2004 durch Deutschland, hörte und notierte, was mir unter anderem Polizei- und Zollbeamte, Staatsanwälte und Rechtsanwälte aus ihrem Alltag erzählten. Und von Tag zu Tag, von Woche zu Woche wurde ich hoffnungsloser und gleichzeitig wütender darüber, wie wir, die Bürger, die doch als der eigentliche Souverän des Staates zu betrachten sind, hinters Licht geführt und mit schönen Worten ruhiggestellt werden.
Am Ende meiner Reise wartete ich geradezu sehnsüchtig darauf, von meinen Interviewpartnern aus Polizei und Staatsanwaltschaft (nicht der administrativen Führungselite) noch etwas Positives und Zuversichtliches aus ihrem Alltag im Kampf gegen Kriminalität zu hören. Doch abgesehen von bayerischen Beamten fand ich niemanden. Im Großen und Ganzen waren meine Gesprächspartner und Informanten selbstkritische, erfahrene Männer und Frauen, keine frustrierten Zyniker, und sie gehörten auch nicht zu jenen, die dazu neigen, objektives Geschehen verzerrt wahrzunehmen oder ideologisch zu deuten. Aber ich erlebte sie durchwegs mutlos und niedergeschlagen. Kaum einer hatte noch Hoffnung, irgend etwas bewirken zu können. Und dafür gab es die verschiedensten Gründe.
Meine Gesprächspartner redeten Klartext, weil sie doppelzüngige Heuchelei nicht mehr akzeptieren und hoffen, daß eine aufgeklärte Öffentlichkeit Druck auf die Verantwortlichen in der Politik ausüben könne. Sie wollen nicht mehr hinnehmen, daß ihnen – wie in Lahr im Schwarzwald vom Innenministerium in Stuttgart – ein Maulkorb verpaßt wird. Dort sollte die Bevölkerung nicht erfahren, in welchem Umfang die in der Region lebenden Rußlanddeutschen in kriminelle Machenschaften verstrickt sind.
Aber kritische Offenheit, insbesondere gegenüber Außenstehenden, führt inzwischen sowohl bei Polizeibeamten als auch bei Staatsanwälten zu hohen persönlichen Risiken: Disziplinarverfahren drohen, Beförderungen werden gestoppt, Verfahren wegen Geheimnisverrat eingeleitet, ihre bürgerliche Existenz kann mit einem Schlag vernichtet werden. Daher müssen meine Gesprächspartner und Informanten zum großen Teil anonym bleiben. Auch deshalb, weil die Führungsspitzen des Bundesinnenministeriums wie einzelner Landeskriminalämter oder Innenministerien mit Argusaugen darüber wachen und fast ihre geballte Arbeitskapazität darauf verwenden, daß die ungeschminkte Wahrheit im Verborgenen bleibt.
Und deshalb macht sich so mancher Kriminalist Luft, indem er seine Empörung in eine Märchenerzählung kleidet, wie der Kriminaldirektor eines Landeskriminalamtes, der einen (dann allerdings nicht veröffentlichten) Leserbrief an eine Zeitung schrieb:
Noch bevor die Krieger losreiten konnten, erschienen die Kaufleute und Advokaten und wiesen den König darauf hin, daß die bösen Drachen ja viel Geld und Beute im Land verstecken würden, und das sei ja auch gut für die Wirtschaft. Und sie würden Schlösser und Behausungen kaufen, Wirtshäuser und Werkstätten. Sie nannten das "Geldwäsche". Aber die Krieger dürften bitte nicht in deren Truhen greifen und fragen, woher diese so viel Gold hätten. Und damit dies schwerer würde, baten sie den König, den Kriegern wenigstens einen Arm auf den Rücken binden zu lassen. Da hatten die Krieger die Nase voll, murmelten etwas von: "Macht euren Mist alleine" und gingen nach Hause zu Frau und Kindern. Und die Drachen feierten drei Tage und Nächte und verspotteten den König und seine weisen Berater.
Wie und warum Kriminalitätsbekämpfung ausgebremst wird
Die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität ist out
Jeder zweite Mord in Deutschland bleibt unentdeckt, so lautet die fatale Einschätzung von Gerichtsmedizinern und Beamten deutscher Mordkommissionen, und diese Einschätzung ist dem Fachpublikum durchaus bekannt. Trotzdem wurden und werden weiterhin rechtsmedizinische Institute geschlossen oder in ihren bisherigen Arbeitsmöglichkeiten massiv beschnitten. Der Frankfurter Rechtsmediziner Professor Hansjürgen Bratzke befürchtet sogar einen weiteren Anstieg unentdeckter Tötungsdelikte:
Bevor man hundert Kilometer mit der Leiche fahren muß, glaubt man schon mal dem Ehemann, daß die blauen Flecken der toten Frau von einem Sturz vor ihrem Ableben herrühren. Eine nicht entdeckte Tötung verleiht manchem so viel Sicherheit, daß er es wieder tun würde.
Und ein Kriminalbeamter aus Gera sagt:
Allein aus dieser Perspektive scheint das Desaster so hoffnungslos, daß nach weiteren schlimmen Seiten des Themas kaum einer mehr fragt. Die Qualität der polizeilichen Arbeit bei Todesermittlungsverfahren blieb – zumindest von der öffentlichen Diskussion – bisher verschont.
Das ist jedoch nur ein kleines Puzzleteil im skandalösen Gesamtbild.
Tatsache ist zudem, daß Verfahrenseinstellungen bei komplizierten Strafverfahren zunehmen – oft hart am Rande des Opportunitätsprinzips. Es wird immer mehr auf Berufungen und überhaupt ausreichende Ermittlungstätigkeit verzichtet – so können sich überlastete Staatsanwälte auf ganz legale Art und Weise einen Teil der Arbeit vom Hals schaffen. Ein hoher Richter in Karlsruhe klagt:
Die Justiz ist überlastet und kann dringende Aufgaben nicht erfüllen, die Polizei kann schreckliche Verbrechen nicht verhindern. Besonders wichtige und interessante Prozesse werden an der Öffentlichkeit vorbei "ausgedealt".
Gleichzeitig gibt es eine wahre Flut neuer Gesetze und Verordnungen, die der Kriminalität jeglicher Couleur angeblich den erbitterten Kampf ansagen sollen. Der große Lauschangriff gehört genauso dazu wie die geplante Installation von Kameras an hessischen Autobahnen, um flüchtige Verbrecher zu fangen.
Im bizarren Kontrast zum Gesetzesaktionismus der Politiker steht ihr Unwille, die Sicherheitsbehörden besser auszustatten. Seit Jahren bauen Bund und Länder bei der Polizei Stellen ab, aus Kostengründen.
Im Polizeipräsidium Düsseldorf klagt ein leitender Kriminalist:
Wir könnten hundert Verfahren eröffnen, weil es so viele Problemfelder gibt. Bearbeiten aber können wir maximal ein oder zwei Verfahren im Jahr.
Er ist übrigens im Dezernat Wirtschaftskriminalität beschäftigt. Ein Kollege von ihm aus Karlsruhe äußerte sich ähnlich:
Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß es seitens der "Führung" nicht gewünscht ist, daß Kriminalität bekämpft wird, dies über einen längeren Zeitraum (mehrere Monate, eventuell Jahre) erfolgen soll, ohne daß konkret am Anfang absehbar ist, welche Ergebnisse erzielt werden können.
Genauso sieht es ein leitender Kriminalbeamter in Bochum:
Wenn gegen Kriminelle ermittelt werden soll, die über viel Geld und viele Ressourcen verfügen – und das trifft immer häufiger zu –, können wir nichts mehr gegen sie unternehmen.
Das geht inzwischen so weit, daß Staatsanwaltschaften komplizierte Fälle von Wirtschafts- oder Organisierter Kriminalität überhaupt nur dann noch verfolgen, wenn zu Beginn der Ermittlungen eine Erfolgsgarantie gesichert ist und zudem die Kosten eingespielt werden können – ein absurdes Szenario.
"Organisierte Kriminalität (OK) und Wirtschaftskriminalität können wir nur noch oberflächlich ankratzen. Tiefergehende Einblicke in Strukturen und hinter die Kulissen sind nicht mehr möglich und – so muß man manchmal annehmen – offensichtlich auch nicht gewünscht", ärgert sich sein Kollege, ein sonst sehr positiv eingestellter Abteilungsleiter des Landeskriminalamts Hannover.
"Organisierte Kriminalität zu knacken ist heute fast nicht mehr möglich", konstatiert der ehemals höchste Chef des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert. Er sagt auch: "Die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität ist politisch nicht gewollt." Und: "Die politische Einflußnahme auf Verfahren wird immer stärker. Ich beobachte die Politisierung der Strafverfolgung." Ein Oberstaatsanwalt aus Berlin beschreibt die Situation als ausnehmend ernst: "Es wird bis in die höchsten Spitzen verhindert, daß wir gegen Prominente ermitteln." Seine Schlußfolgerung: "Der Staat ist unter die Räuber gefallen."
Und tatsächlich könnte man argwöhnen, daß sich dahinter ein System verbirgt. "Das System ist perfide", offenbarte mir ein leitender Kripobeamter aus Bayern. "Da kommt keiner und sagt, das geht nicht. Vielmehr gibt es die Vorgabe des Innenministeriums, daß wir weniger Straftaten in der Statistik aufführen sollen, damit wir als das sicherste Land erscheinen. Dem ordnet sich die Justiz unter und fordert höhere Umschlagszahlen. Und ich bekomme vom Staatsanwalt eine Prioritätenliste, was zu ermitteln und verfolgen ist, um eine hohe Umschlagsgeschwindigkeit zu erreichen." Wirtschaftskriminalität und Organisierte Kriminalität können jedoch in der Regel nicht "schnell" gelöst werden.
Immerhin ist es wiederum ein amtierender Polizeipräsident aus Nordrhein-Westfalen gewesen, der mir Folgendes ins Notizbuch diktierte:
Die herrschenden politischen Köpfe wollen nicht, daß etwas herauskommt. Sie wollen nichts über die Hintergründe wissen und lieber alles unter den Teppich kehren.
Der in langen Dienstjahren ergraute Polizeipräsident beantwortete mit diesen Worten meine Frage, warum nicht gewünscht sei, daß bestimmte Kriminalitätsformen effektiv bekämpft werden. Er könnte auch von der Kapitulation des Rechtsstaates sprechen. Dazu paßt die Erkenntnis vieler deutscher Ermittler, die von einem Kripobeamten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen auf den Punkt gebracht wurde:
Wenn man in ein Wespennest hineinsticht, ist man nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Dann sind uns die Hände gebunden. Denn es regiert die Angst, sich dabei die Finger zu verbrennen, weil die Vorgesetzten uns keine Rückendeckung geben.
Konrad Freiberg, Chef der mächtigen Gewerkschaft der Polizei (GdP), faßt seine eigenen Erfahrungen und die seiner Kollegen so zusammen:
Organisierte Kriminalität interessiert heute niemanden mehr. Wir bewegen uns allenfalls auf der Ebene der sichtbaren Kriminalität.
Ein Kollege Freibergs verweist auf die "Unterhaltungskriminalität", die sich im Fernsehen plakativ abbilden läßt: Prostitution, Menschenhandel oder seit dem 11. September 2001 Terrorismus. Die Berichterstattung darüber steigert wenigstens die Quote für jene Medien, die sich im Boulevardstil gierig auf solche Themen stürzen. "Da gibt es schöne Bilder. Und die Verantwortlichen wollen dann erst vordergründige Erfolge sehen. Sie sind aber nicht bereit, selbst da genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen – ein Hohn", winkt ein Kripobeamter aus Dresden resigniert ab.
Dieses Problem haben seine Kollegen im benachbarten Thüringen nicht. "Wir haben keine Organisierte Kriminalität, weil es überhaupt keine ausgebildeten Beamten zu deren Bekämpfung gibt", stellt lapidar ein Kriminaldirektor aus Erfurt fest. Ein leitender Polizeidirektor aus dem Saarland sieht es nicht anders:
Wir haben ein Landeskriminalamt, und das könnte sich um OK und Wirtschaftskriminalität kümmern. Aber ich kann nicht registrieren, daß dort OK bearbeitet wird.
"Die wirksame Bekämpfung von Organisierter Kriminalität will doch niemand", sagt ein gestandener Beamter aus Kiel ernüchtert, der lange im Bereich der Organisierten Kriminalität ermittelt hat.
2003 ist es aus der Schwerpunktsetzung der Innenministerkonferenz herausgenommen worden, weil es unbequem geworden ist. Man befaßt sich ja nicht einmal mehr mit diesem Thema in der AG/OK.
Die Kommission OK ist eine Einrichtung des Bundesinnenministeriums, in der sich die Abteilungsleiter aller Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes regelmäßig treffen:
Da geht es überwiegend nur noch um Modekriminalität, um das, was öffentlichkeitswirksam ist und Schlagzeilen verspricht.
In Düsseldorf brachte es im Frühjahr 2003 Dieter Höhbusch, Direktor der Abteilung Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Polizeipräsidium, während einer Rede vor seinen Führungskräften auf den Punkt, sofern ihn die anwesenden Beamten richtig gehört haben. Sie zitieren ihn mit den Worten:
Organisierte Kriminalität ist die Kür, und dafür fehlt uns das Personal.
Nun wissen die Kriminalisten wenigstens aus berufenem Mund, was die Stunde geschlagen hat. Und das, obwohl die Fachbeamten der entsprechenden Kommissariate sagen:
Wir haben Chinesen, Jugoslawen, Kolumbianer, Italiener, Libanesen und Russen, die bereits ihre Strukturen aufgebaut haben.Angesichts dieser Situation sind solche Einschätzungen eines Polizeichefs von beeindruckendem fachlichem Weitblick geprägt. Vor allem, wenn wir uns vor Augen führen, daß die kriminellen Feudalherren sich in und um Düsseldorf ihre Residenzen gebaut haben.
Da gibt es die Düsseldorfer Prachtstraße, die Königsallee (Kö), mit ihren zahlreichen prunkvollen Bankpalästen. Kaum ein russischer "Geschäftsmann", der dort kein Konto unterhält. "An die kommen wir überhaupt nicht mehr heran", winkt ein Beamter des Düsseldorfer Polizeipräsidiums ab:
Ich glaube, daß wir im Stadtteil Meerbusch, wo die gesellschaftliche Elite lebt, "Diebe im Gesetz" haben.
Damit meint er die höchsten kriminellen Autoritäten der ehemaligen Sowjetunion.
Sicher kein Dieb im Gesetz, aber eine kriminelle Autorität ist ein Düsseldorfer Unternehmer, ein Russe, der inzwischen eingebürgert ist und lange Zeit im Visier der Fahnder war. In einem Bericht des russischen Nachrichtendienstes (FSB) ist über ihn zu lesen:
Er hat nachweislich Verbindungen zum Klan des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew sowie zur kriminellen Autorität Sergej Michailow. Er unterhielt sehr enge Beziehungen zu dem berüchtigten Geschäftsmann Leonid Minin. Nach vorliegenden Erkenntnissen gehört er (der Unternehmer aus Düsseldorf, J.R.) zu den aktivsten und qualifiziertesten Personen für Geldwäscheaktivitäten der organisierten russischen kriminellen Szene in Westeuropa und verfügt über eigene Mittel und Möglichkeiten, Finanzierungsoperationen durchzuführen.
Die Liste seines Erfolgs ist noch weitaus länger und den Ermittlungsbehörden in Nordrhein-Westfalen bekannt. Doch was sagte mir ein Düsseldorfer Ermittler über den Geschäftsmann:
Ein Kollege vom Landeskriminalamt ist ja zur Amtsleitung gegangen und hat gesagt, daß er für den Mann fünfzig Beamten braucht, um ihn zu überführen. Da wurde er ausgelacht.
Dafür werden die Beamten beim Landeskriminalamt mit klugen Fragen gelöchert wie: "Was kostet ein Ermittlungsverfahren?" Oder es werden Vorgaben gemacht wie: "Sollten die Erfolgsaussichten zu Beginn der Ermittlungen unter 50 Prozent liegen, wird kein Verfahren eröffnet. Ende der Diskussion."
Die Kosten-Nutzen-Rechnung in der Polizeiarbeit: Auch sie stellt eine der obszönen Techniken zur Verdrängung von Problemen dar, damit die Kriminellen in Zukunft noch größere Profite einstreichen können. Deshalb wurde in den beiden folgenden Fällen selbstredend nicht einmal ansatzweise ermittelt.
Im Mai 2003 wird ein nordrhein-westfälischer Transportunternehmer beauftragt, einen beschädigten Mercedes der 550er SL-Klasse von Zwolle in den Niederlanden nach Düsseldorf zu einem einschlägig berüchtigten Autohändler zu transportieren. Als der Transportunternehmer die Luxuskarosse in Düsseldorf abliefern wollte, begegnete er bei dem Autohändler einer jungen Frau. Diese Begegnung muß ihn sehr beeindruckt haben, denn der Transportunternehmer notierte sich:
Aus der kargen Konversation war eindeutig zu entnehmen, daß ihr Mann ein bedeutendes Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft war. Sie selbst offerierte in geradezu prostituierender Freizügigkeit drei unter die Haut transplantierte hochkarätige Diamanten.
Seltsam oder nicht – der 70-jährige Ehemann der hochkarätigen jungen Frau ist in Düsseldorf eng mit einem kriminellen Syndikat verbunden. Die Polizei weiß es, hat jedoch kein Personal, um ihm das Handwerk zu legen. Was bringt es auch, hier Kosten zu investieren?
Der Transportunternehmer erinnert sich an eine weitere Wagenüberführung. Im September 2003 erhielt er den Auftrag, einen Rolls-Royce Phantom, den eine russische Kundin aus Düsseldorf per Internet für 398.000 Euro bei einem Frankfurter Autohändler ersteigert und anschließend bar bezahlt hatte, an eine Adresse in Sardinien zu liefern. Das Reiseziel war ein luxuriöses Anwesen an der Costa Smeralda, in Porto Cervo. Hier, in der Via del Villierie Nr. 4, residiert Wasilij Anisimow. Der feierte seinen 50sten Geburtstag, und der Rolls-Royce war das Geschenk seiner deutschen Freunde. Das herrliche Ambiente – kurz zuvor wurden aus einem riesigen Sattelzug Blumenbuketts abgeladen – wurde umrahmt von mit Maschinenpistolen bewaffneten Patrouillen, die auf den Gemäuern des Anwesens Präsenz zeigten. Woher die knapp 400.000 Euro der Dame aus Düsseldorf stammen oder ob es noch weitere Verbindungen zwischen dem in Sardinien lebenden Millionär und seinen Freunden in Düsseldorf gibt – kein Interesse bei der Behördenleitung.
Was wollen diese beiden Geschichten außerdem sagen? Viele kriminelle Aktivitäten spielen sich inzwischen auf einer gesellschaftlichen Ebene ab, in der die Grenzen zwischen hochkarätiger Kriminalität und normalen Geschäftserfolgen verschwimmen. Um doch noch die Grenzen aufzuzeigen, wären Polizei und Staatsanwaltschaft gefragt. Die hingegen können das schon lange nicht mehr leisten. Alle Alarmsirenen müßten schrillen, wenn selbst der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts Zachert zugibt, daß das Legalisierungsprinzip durch die Ressourcen teilweise außer Kraft gesetzt ist, daß die Polizei ab einer bestimmten Kostensumme nicht mehr ermitteln kann und daher ein rechtsfreier Raum entstanden ist.
...
Die Entführungsindustrie
Wie der Zusammenhang von Geld und Gewalt aussieht, kann ein kurzer Blick ins benachbarte Hessen zeigen. Dort wurden nach langwierigen Ermittlungen mehrere Erpressungsfälle gelöst. Möglich wurde dies durch das Engagement eines einzelnen Beamten vom Hessischen Landeskriminalamt – und durch viel Glück. Entführungen und Erpressungen sind inzwischen keine Ausnahmen mehr in Deutschland, gerade weil sie in aller Regel aus Angst vor Repressalien gegenüber Familienangehörigen an der Polizei vorbei "gelöst" werden. Ein Beamter des Landeskriminalamts in Hessen spricht von einer ganzen Serie von Entführungen, "die keinem von uns aufgefallen sind". Andere reden von einem "großen Dunkelfeld".
In diesem speziellen Fall war es etwas anders, auch weil Nursultan Nasarbajew, der Präsident von Kasachstan, zumindest indirekt involviert war. Der eröffnete am 18. April 2004 zusammen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Hannover Messe 2004. Sie stand unter dem Motto: "Heute wissen, was morgen machbar ist". Das hat sich Nursultan Nasarbajew bereits seit langem zu Herzen genommen.
Seit dem Jahr 2002 wird in den internationalen Medien über das "Kazakgate" berichtet, nachdem in den USA sein ehemaliger Berater James Giffen wegen Korruption angeklagt wurde. Ihm wird von einem US-Gericht vorgeworfen, für den Verkauf unter anderem eines kasachischen Ölfeldes an den US-Konzern Mobil Oil eine Milliarde US-Dollar Bestechungsgelder und Luxusgeschenke an mehrere kasachische Prominente gezahlt zu haben. Einer von ihnen, so kann man der Anklageschrift entnehmen, sei Nursultan Nasarbajew gewesen. Andere waren der ehemalige Ölminister und ein ehemaliger Premierminister. Das Geld wurde zwischen Mai 1997 und September 1998 über zahlreiche Scheinfirmen und Stiftungen in der Schweiz, Liechtenstein und den Virgin Islands transferiert. Giffens Anwälte halten die Beschuldigungen für "substanzlos" und erklären, daß ihr Mandant James Giffen "unter der Anleitung der kasachischen Regierung" gehandelt habe.
Anscheinend hatte der Nasarbajew-Klan noch zusätzliche, bislang unbekannte Optionen, wie einer der Erpressungsfälle in Hessen zeigte.
Einer der Erpresser lebte Ende der Neunzigerjahre in Offenbach und betrieb dort zusammen mit einem Komplizen ein illegales Bordell. Sein Name ist Sergej Maljutin, ein Exoberst des KGB und Afghanistankämpfer, Handlanger der Entführungsbande aus der ehemaligen UdSSR. Sergej Maljutin forderte im Namen seines Chefs vom im März 1998 entführten Opfer, daß dieser ihm sein Aktienpaket über ein Bergwerk in Kasachstan überschreiben sollte. Der Entführte hatte keine Wahl, wollte er überleben. Und so ging das Bergwerk, Wert heute 22 Millionen Euro, an den Nasarbajew-Klan über.
Jener entführte und erpreßte Geschäftsmann wurde während seiner Entführung schwer mißhandelt und ist heute ein gebrochener, ein vereinsamter und ein verarmter Mann. Aber erst zwei Jahre später, nachdem drei weitere deutsche Geschäftsleute entführt wurden, konnte Ex-KGB-Oberst Maljutin festgenommen werden. Und das auch nur, nachdem ein engagierter Beamter des Landeskriminalamtes Hessen herausgefunden hatte, daß es einen direkten Zusammenhang zwischen allen vier Entführungsfällen gab. Inzwischen wurde Maljutin wegen erpresserischen Menschenraubs zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Von seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Butzbach aus, wo er sich "wie ein König aufführte", so JVA-Bedienstete, erteilte er einem gewissen Igor den Auftrag, sowohl den gegen ihn ermittelnden LKA-Beamten als auch den Staatsanwalt liquidieren zu lassen. Wie gesagt, er ist nur ein Handlanger gewesen.
Der Kopf der Bande lebt derweil komfortabel in Kaliningrad am Moskowskij Prospekt 94. Er heißt Wjatscheslaw Kluge, wurde am 5. Dezember 1958 in Salokamsk geboren und wird inzwischen per internationalen Haftbefehl gesucht. Bevor er "auf sicheren Boden" nach Kaliningrad umzog, wohnte er in einer Villa im Birkenweg Nr. 6 im hessischen Friedberg. Er besitzt einen deutschen Paß, nachdem er seine Einbürgerung juristisch erstritten hat.
Sein Job, bevor er Blut roch und ins Erpressungsgeschäft wechselte, bestand darin, als eine Art Drücker für eine große deutsche Versicherung Kunden zu ködern. Das war insofern günstig, weil er auf diese Weise Informationen über deutsche Unternehmer erhielt. Denen machte er dann Angebote für normale Geschäfte.
So besuchte er Anfang 1998 auch den Metallwarenhändler Heinrich P. bei Frankfurt auf, um mit ihm über Importe von Metallprodukten zu reden. Der lehnte ab, weil ihm Kluge nicht besonders seriös erschien, und ging eigentlich davon aus, Kluge würde nie wieder etwas von sich hören lassen. Dann, eines Tages, erhielt er ein Fax aus dem ukrainischen Lwow, dem früheren Lemberg. Eine Firma Alfa Ltd. wollte mit ihm in Geschäftsverbindung treten und legte entsprechende Dokumentationen für ein seriöses Geschäft mit Metallen vor. Nachdem der Frankfurter Kaufmann telefonisch abklärte, ob die Angebote realistisch waren, wurde er eingeladen, nach Lwow zu kommen, um sich persönlich über die Qualität der Metalle zu informieren. Warum sollte er die Einladung ablehnen? Am Flughafen Lwow wartete am 22. September 1998 bereits ein Fahrer auf ihn, der ihm noch den guten Rat gab, seiner Familie telefonisch mitzuteilen, daß er gut angekommen sei. In der Firma Alfa Ltd. wurden ihm die entsprechenden Unterlagen gezeigt, alles schien in Ordnung zu sein. Gastfreundlich wurde er daraufhin zu einer Geburtstagsfeier des Firmenchefs eingeladen, eine Einladung, die er schlecht ablehnen konnte.
Das war ein kapitaler Fehler. Kaum klingelte er an der Wohnungstür des Mannes, der ihn eingeladen hatte, wurde er bewußtlos geschlagen und wie ein Paket zusammengepackt, geknebelt und in ein Zimmer gesperrt. Vierundzwanzig Stunden wußte er nicht, was die Entführer von ihm wollten. Zusammengekauert, an eine Heizung gekettet, kaum bewegungsfähig, überlegte er, was er falsch gemacht hatte: Fühlte sich jemand hintergangen, hatte er irgend jemanden beleidigt? Nach einem Tag erschien einer der Entführer, drückte ihm eine Pistole an den Kopf und sagte ihm:
Wir haben den Auftrag, dich zu erschießen. Dafür wurden uns 500.000 US-Dollar bezahlt. Wenn du uns eine Million gibst, lassen wir dich frei.
Doch er hatte keine Million. Wenig später kam ein anderer Mann.
Schau, wir wissen, daß du eine kleine Tochter hast. Unser Chef hat auch eine. Uns ist das alles unangenehm. Zahle die eine Million, und du bist frei.
Einer, der häufig mit im Zimmer war, so sagte der Entführte später gegenüber der Polizei aus, war Wjatscheslaw Kluge, der Mann, der mit ihm in Frankfurt ins Geschäft kommen wollte. Dann reichten ihm die Erpresser sein Handy, damit er bei der Bank anruft. Irgendwie bekam er wenigstens 250.000 Mark zusammen, sein gesamtes Vermögen, mehr hatte er nicht. Die 250.000 Mark wurden zwei Tage später am Frankfurter Hauptbahnhof dem dort wartenden Komplizen übergeben, und erst danach wurde er freigelassen. Frei ist übertrieben. Noch in der Wohnung wurde ihm zu verstehen gegeben, falls er zur Polizei ginge, würden sie zuerst seine Tochter, dann seine Frau und schließlich ihn töten.
Kaum ist seine Maschine auf dem Frankfurter Flughafen gelandet, geht er zur Polizei und will das Verbrechen anzeigen. Doch die Beamten zeigten überhaupt kein Interesse an seiner Entführungsgeschichte:
Was erzählen Sie uns für einen Mist. Sie haben sich das ausgedacht und täuschen uns eine Straftat vor.
Am nächsten Tag erhielt er einen Anruf, sich bei der Polizei in Darmstadt zu melden. Dort erfuhr er, daß er als Beschuldigter vernommen werden soll: wegen Vortäuschung einer Straftat. Erst nach einem stundenlangen Verhör konnten die Beamten davon überzeugt werden, daß er tatsächlich entführt und erpreßt wurde. Doch in der Zwischenzeit hatte die Polizei die Banken informiert. Die sperrten ihm sofort alle Konten, und wenig später kam das Finanzamt, um ihn und seine Geschäfte zu überprüfen. Der Geschäftsmann, der entführt wurde, mußte daraufhin seine Firma auflösen: Er war ruiniert.
Unterdessen wurden in Hessen weitere Entführungsfälle durch die Bande unter Führung von Kluge bekannt. Die Masche war immer die gleiche: Um Geschäfte abzuschließen, wurden die deutschen Unternehmer entweder nach Lwow, Prag oder Vilnius gelockt, entführt und schwer mißhandelt, bis sie das geforderte Lösegeld zahlten. Und immer erlebten die Entführten das Gleiche, wenn sie der Polizei gegenüber aussagen wollten: Anfangs glaubte ihnen niemand, sofort wurden ihnen sämtliche Konten gekündigt, und alle wurden durch die Entführung wirtschaftlich und seelisch ruiniert....