Auszüge aus Heinz Kohut's
"Die Heilung des Selbst"

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Vorwort

Der vorliegende Band geht in verschiedenen Richtungen über meine früheren Schriften zum Narzißmus hinaus. In den früheren Beiträgen stellte ich meine Funde bezüglich der Psychologie des Selbst hauptsächlich in der Sprache der klassischen Triebtheorie dar. Das wesentliche theoretische Konzept, das innerhalb dieses Rahmens vorgestellt wurde, war das des Selbstobjekts; im Zusammenhang mit dem Begriff des Selbstobjekts war der wichtigste empirische Fund auf therapeutischem Gebiet das Phänomen, das ich nun als Selbstobjekt-Übertragung bezeichne. Schließlich stellten die vorhergehenden Arbeiten noch, eine Brücke schlagend zwischen Theorie und klinischer Beobachtung, Entwicklungskonstruktion und therapeutischer Theorie, den Begriff der umwandelnden Verinnerlichung (transmuting internalization) und die damit verbundene Theorie von der Strukturbildung im Bereich des Selbst vor.

Im Vergleich zu meinen früheren Beiträgen bringt die vorliegende Arbeit mein Vertrauen in die empathisch-introspektive Haltung, das schon seit 1959 meinen begrifflichen und theoretischen Standpunkt bestimmt hat, deutlicher zum Ausdruck. Dieser Schritt – das Akzeptieren der Konsequenzen der Tatsache, daß der psychologische Bereich bestimmt wird durch die völlige Einstellung des Beobachters auf die introspektiv-empathische Betrachtungsweise – führte zu einer Reihe begrifflicher Verfeinerungen, auf die auch terminologische Veränderungen hinweisen wie etwa mein Gebrauch des Begriffs der Selbstobjekt-Übertragung anstelle des früher verwendeten Begriffs der narzißtischen Übertragung. Ich betrachte diese terminologischen Änderungen nicht als entscheidenden Bestandteil der Beiträge, die ich in der vorliegenden Arbeit mache; dennoch sind sie Ausdruck einer Bewegung in Richtung auf eine klar definierte Psychologie des Selbst – oder vielmehr, wie ich in Kürze eingehender erläutern werde, einer Bewegung in Richtung auf zwei Psychologien des Selbst, die einander ergänzen.

Ein weiteres Merkmal dieser Arbeit wie aller meiner früheren Beiträge ist die Verflechtung von empathischer Datenerarbeitung und Theorie. Die Arbeit beginnt daher mit der Darstellung einer Reihe empirischer klinischer Daten und dem Vorschlag, eine darauf bezogene erfahrungsnahe Theorie zu erwägen. Die Daten betreffen einen bestimmten Augenblick im Verlauf einer spezifischen klinischen Analyse – den Augenblick, in dem man vom Beginn einer tatsächlichen Endphase sprechen kann; der Vorschlag betrifft die Ratsamkeit einer Unterscheidung zwischen defensiven und kompensatorischen Strukturen – eine begriffliche Verfeinerung, die es uns ermöglicht, die Definition dessen, was eine psychologische Heilung ausmacht, aus einem neuen Blickwinkel zu sehen und in Verbindung mit dieser Definition die Funktion und Bedeutung der Endphase in der Psychoanalyse einer neuen Einschätzung zu unterziehen.

Am Ende des Kapitels, das sich ausführlich mit einem einzelnen, entscheidenden Moment im Verlauf einer Analyse befaßt, könnte der Leser zu der Annahme gelangen, er habe eine technische Monographie und eine Dissertation über klinische Theorie in Händen, in der besonderer Wert auf die Faktoren gelegt wird, die die Bereitschaft eines Analysanden zur Beendigung der Analyse bestimmen, und in der Argumente zur Unterstützung einer neuen psychoanalytischen Definition psychischer Gesundheit und des Prozesses der Erlangung psychoanalytischer Heilung vorgetragen werden – vor allem, was die Störungen des Selbst angeht. In gewissem Maße sind dies tatsächlich die Ziele der vorliegenden Arbeit, die im Verlauf des Buches auf verschiedenen Ebenen und innerhalb verschiedener Rahmen diskutiert werden. Doch um zu einer Definition dessen zu gelangen, was zu einer Heilung des pathologischen Selbst führt, mußte ein breites Spektrum theoretischer Konzepte neu geprüft werden. Um die Wiederherstellung des Selbst zu beschreiben, waren die Umrisse einer Psychologie des Selbst zu zeichnen.

Wie kann der theoretische Rahmen der Psychoanalyse dergestalt umgeformt werden, daß die zahlreichen und verschiedenen Phänomene, die wir hinsichtlich des Selbst beobachten, darin unterzubringen sind? Die Antwort auf diese Frage, die sich überraschenderweise aufdrängte – rückblickend hätte es eigentlich nicht überraschend zu sein brauchen –, war, daß wir lernen müssen, alternierend oder sogar gleichzeitig in den Begriffen zweier theoretischer Systeme zu denken; daß wir, gemäß einem psychologischen Prinzip der Komplementarität, erkennen müssen, daß ein Begreifen der Phänomene, die wir in unserer klinischen Arbeit – und darüber hinaus – antreffen, zwei Ansätze verlangt: eine Psychologie, in der das Selbst als Mittelpunkt des psychologischen Universums gesehen wird, und eine Psychologie, in der das Selbst als ein Inhalt eines psychischen Apparates gesehen wird.

Die Betonung des vorliegenden Beitrags liegt auf dem ersten dieser beiden Ansätze, d.h. auf einer Psychologie des Selbst im weiteren Sinne – mit anderen Worten, einer Psychologie, die das Selbst in den Mittelpunkt stellt, seine Genese, seine Entwicklung und seine Bestandteile in gesundem und in krankem Zustand untersucht. Doch der zweite Ansatz – eine Methode, die nur eine geringe Erweiterung der traditionellen Metapsychologie darstellt –, die Psychologie des Selbst im engeren Sinne, bei der das Selbst als ein Inhalt eines psychischen Apparates angesehen wird, wird immer da nicht vernachlässigt, wo die erklärende Kraft ihrer Anwendung angemessen ist. Wenn sich die vorliegende Arbeit häufiger auf die Psychologie des Selbst im weiteren Sinne als auf die Psychologie des Selbst im engeren Sinne des Begriffs konzentriert, so geschieht dies nicht nur aus dem naheliegenden Grund, daß die Beiträge, die zu ersterer geleistet werden können, neu sind und daher ausführlicher dargelegt werden müssen, sondern auch und vor allem deshalb, weil mein Hauptziel in diesem Buch darin besteht, nachzuweisen, daß es ausgedehnte psychologische Bereiche gibt, in denen die Bedeutung der empirischen Phänomene, denen wir gegenüberstehen, sich einer umfassenderen Erklärung erschließt, wenn sie von der Psychologie des Selbst im weiteren Sinne des Begriffs erhellt wird.

Um dem Ziel näherzukommen, die Umrisse einer Psychologie des Selbst zu zeichnen und das theoretische Fundament zu legen, auf das die Psychologie des Selbst gestellt werden könnte, mußte ich eine Reihe bestehender psychoanalytischer Konzeptionen neu untersuchen: Wie verändert sich der Triebbegriff durch unsere Betonung des Selbst, und wie verhält sich die Triebtheorie zur Psychologie des Selbst? Inwiefern wird der Begriff der libidinösen Triebe in ihren ödipalen und präödipalen Manifestationen berührt, wenn wir ihn im Kontext einer Psychologie des Selbst neu einschätzen? Wie wird der Begriff der Aggression als Trieb von der Einführung einer Psychologie des Selbst berührt, und welche Stellung hat die Aggression innerhalb des Rahmens der Psychologie des Selbst? Und schließlich gehen wir von der Untersuchung dynamischer Konzepte zur Untersuchung struktureller Theorie über und fragen, ob es im Rahmen der Psychologie des Selbst begrifflich sauber ist, wenn wir von Bestandteilen des Selbst statt von Funktionen eines psychischen Apparates sprechen, die auf den ersten Blick einfach als deren Gegenstück erscheinen könnten.

Obwohl ich die Eleganz makelloser Logik und sauberer Folgerichtigkeit in Terminologie, Begriffsbildung und theoretischer Formulierung bewundere, ist es nicht das Hauptziel des vorliegenden Beitrags, diese Qualitäten zu erreichen. Die Veränderungen der theoretischen Auffassung, die in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen werden, wären auf rein theoretischer Ebene nicht zu rechtfertigen – ihre wesentliche Rechtfertigung ist abgeleitet von der Anwendbarkeit des neuen Blickwinkels auf die empirischen Daten. Ich behaupte also nicht, daß die neuen Theorien eleganter, die neuen Definitionen geschliffener oder die neuen Formulierungen ökonomischer und folgerichtiger seien als die alten. Doch behaupte ich allerdings, daß sie trotz all ihrer Unebenheiten und Makel unser Verständnis des psychologischen Feldes erweitern und vertiefen – innerhalb und außerhalb der klinischen Situation. Nicht begriffliche und terminologische Verfeinerung, sondern Vertiefung unseres Begreifens der psychologischen Essenz des Menschen und Vergrößerung unserer Fähigkeit zur Erklärung menschlicher Motivationen und Verhaltensweisen werden unsere Entschlossenheit stärken, die emotionale Härte des Verzichts auf die tröstliche Hilfe des vertrauten begrifflichen Rahmens auf uns zu nehmen und bestimmte Gruppen von empirischen Daten – oder bestimmte Aspekte dieser empirischen Daten – aus dem Blickwinkel der Psychologie des Selbst zu betrachten.

Die Untersuchungen des vergangenen Jahrzehnts haben mich nicht zu Ergebnissen geführt, die mich zwingen würden, mich für die völlige Aufgabe der klassischen Theorien und der klinischen psychoanalytischen Konzeption vom Menschen einzusetzen; ich bleibe ein Befürworter ihrer weiteren Anwendung innerhalb eines bestimmten, klar definierten Bereichs. Dennoch habe ich die Grenzen der Anwendbarkeit einiger grundlegender analytischer Formulierungen erkannt. Auch im Hinblick auf die klassische psychoanalytische Auffassung von der Natur des Menschen – wie kraftvoll und schön sie auch sein mag – bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß sie einem breiten Bereich im Spektrum menschlicher Psychopathologie und einer großen Zahl anderer psychologischer Phänomene, die wir außerhalb der klinischen Situation antreffen, nicht gerecht wird.

Ich bin mir der Stärke des Einflusses bewußt, den die klassische psychoanalytische Konzeption des Menschen auf unsere Vorstellungskraft ausübt; ich weiß, ein wie machtvolles Hilfsmittel sie geworden ist bei dem Versuch des modernen Menschen, sich selbst zu verstehen. Daher weiß ich auch, daß die Annahme, sie sei unzureichend oder führe sogar in mancher Hinsicht zu einer fehlerhaften Betrachtung des Menschen, dazu geeignet ist, Widerspruch hervorzurufen. Ist es wirklich notwendig, so werden einige meiner Psychoanalytiker-Kollegen fragen, daß wir über den wesentlichen Rahmen der Triebtheorie hinausgehen? Er ist bereits unter dem Einfluß Freuds und der nächsten Generation seiner Schüler von der Es-Psychologie zur Ich-Psychologie erweitert worden. Ist es jetzt notwendig, eine Psychologie des Selbst zur Trieb-Psychologie und zur Ich-Psychologie hinzuzufügen? Ist es nicht unnötig, um ein Argument auf der kognitiven Seite vorwegzunehmen, im Hinblick auf die essentielle Richtigkeit und die Verständnis- und Erklärungskraft der Ich-Psychologie, eine Psychologie des Selbst einzuführen? Und, um ein Argument auf der moralischen Seite vorwegzunehmen, ist es nicht Eskapismus,* ein feiger Versuch, die Analyse zu säubern, die Triebnatur des Menschen zu leugnen, zu leugnen, daß der Mensch ein schlecht und unvollständig zivilisiertes Tier ist? Ich bin mir der Stärke dieser Argumente bewußt; trotzdem bestehe ich auf der Notwendigkeit einer Expansion der psychoanalytischen Sicht, einer komplementären Theorie des Selbst, die sowohl unsere Konzeption der Neurosen bereichert als auch unentbehrlich ist zur Erklärung der Störungen des Selbst – in der Hoffnung, daß die empirischen Nachweise, die ich anführen werde, und die Rationalität der Argumente, die ich vorbringen werde, sich als überzeugend erweisen.

* Eskapismus: Fluchthaltung, Ausbruchshaltung, die bewußte oder unbewußte Verweigerung gesellschaftlich allgemein anerkannter Zielsetzungen und Handlungsvorstellungen.

Ich wende mich jetzt einer zweiten Gruppe möglicher Kritiker meiner Arbeit zu, nämlich jenen, die mir vielleicht vorwerfen, daß ich sie allein unternommen habe, daß ich versucht habe, neue Lösungen zu finden, ohne mich auf die Arbeit anderer zu stützen, die ebenfalls die Grenzen der klassischen Position erkannt und bereits Verbesserungen und Korrekturen vorgeschlagen haben.

Unter den verschiedenen Kommentatoren meiner Arbeit über den Narzißmus waren einige, die der Meinung Ausdruck gaben, es bestünden Ähnlichkeiten zwischen den Resultaten meiner Untersuchungen des Bereichs des Narzißmus und den Ergebnissen der Untersuchungen anderer. Ein Kritiker (Apfelbaum, 1972) sah meinen Beitrag im wesentlichen in der Nachfolge Hartmanns; ein anderer (James, 1973) sah ihn als hauptsächlich dem Winnicotts ähnlich; wieder ein anderer (Eissler, 1975) meinte, ich folge den Spuren Aichhorns; ein vierter (Heinz, 1976) entdeckte darin die Philosophie Sartres; ein fünfter (Kepecs, 1975) wies auf Analogien zum Werk Alfred Adlers hin; ein sechster (Stolorow, 1976) tat dasselbe im Hinblick auf die klientenzentrierte Therapie von Rogers; ein Team von zwei anderen (Hanly und Masson, 1976) sah ihn als einen Ableger indischer Philosophie; zwei weitere schließlich (Stolorow und Atwood, 1976) wiesen Zusammenhänge mit den Schriften von Otto Rank nach.
Ich weiß, daß die Liste unvollständig ist, und, was noch wichtiger ist, ich weiß, daß es noch eine andere Gruppe von Forschern gibt, deren Namen den bereits erwähnten hinzugefügt werden sollten. Ich denke hier an jene – wie Balint (1968), Erikson (1956), Jacobson (1964), Kernberg (1975), Lacan (1953), Lampl-de-Groot (1965), Lichtenstein (1961), Mahler (1968), Sandler et al. (1963), Schafer (1968) und andere –, deren Forschungsbereich, wenn auch nicht ihre Methoden oder Schlußfolgerungen, sich mit dem Gegenstand meiner eigenen Untersuchungen in verschiedenem Maße überschneidet.

Im Hinblick auf die Mitglieder dieser Gruppe (und dasselbe kann mit gewissen Veränderungen bezüglich einiger von jenen, die ich in der ersten Gruppe erwähnte, vor allem Aichhorn [1936], Hartmann [1950] und Winnicott [1960a], gesagt werden) lassen Sie mich gleich eingangs betonen, daß die Tatsache, daß ihre und meine Beiträge weiterhin nicht integriert sind, nicht auf irgendeine Mißachtung zurückzuführen ist – ganz im Gegenteil, ich hege große Bewunderung für die meisten von ihnen –, sondern auf die Natur der Aufgabe, die ich mir selbst gestellt habe. Das vorliegende Buch ist keine technische oder theoretische Monographie, auf distanzierte Art von einem Autor geschrieben, der auf einem stabilen und etablierten Wissensgebiet Meisterschaft erlangt hat. Dieses Buch ist ein Bericht über den Versuch eines Analytikers, sich zu größerer Klarheit durchzukämpfen auf einem Gebiet, das er trotz jahrelanger gewissenhafter Bemühung nicht innerhalb des verfügbaren psychoanalytischen Rahmens – selbst des durch die Beiträge moderner Forscher berichtigten Rahmens – zu verstehen in der Lage war. Nach meinem besten Wissen zolle ich jenen meine Anerkennung, deren Arbeit in der Tat meine Methoden und Meinungen beeinflußt hat. Doch im Brennpunkt meiner Bemühungen steht nicht gelehrte Vollständigkeit – sie richten sich auf anderes.
Zunächst versuchte ich, mich auf dem Gebiet meines Interesses mit Hilfe der bestehenden psychoanalytischen Literatur zu orientieren. Als ich mich jedoch in einem Wirrwarr einander widersprechender, unzureichend begründeter und häufig vager theoretischer Spekulation verloren sah, entschied ich, daß es nur einen Weg gab, um einen Fortschritt zu erreichen: den Weg zurück zu direkter Beobachtung klinischer Phänomene und zur Formulierung neuer Erklärungen, die meinen Funden gerecht würden. Ich sah meine Aufgabe darin, eine Psychologie des Selbst zu umreißen vor dem Hintergrund einer klaren und konsequenten Definition einer Psychologie komplexer psychischer Zustände im allgemeinen und psychoanalytischer Tiefenpsychologie im besonderen. Ich stellte mir nicht die Aufgabe, die Ergebnisse meiner Arbeit mit den Ergebnissen der Arbeit anderer zu integrieren – Ergebnissen, die durch Methoden erreicht worden waren, welche mit anderen Standpunkten als den meinen übereinstimmten, oder die innerhalb eines vagen, unklaren oder sich verschiebenden theoretischen Rahmens formuliert worden waren. Ich glaubte, daß das Angehen einer solchen Aufgabe zu jenem Zeitpunkt nicht nur nicht ratsam sei, sondern auf dem Weg zu meinen Zielen sogar ein unüberwindliches Hindernis darstellen würde. Und ich bin insbesondere davon überzeugt, daß ein Versuch, die Exposition meiner Konzeptionen und Formulierungen mit denen anderer zu vermischen, die von verschiedenen Standpunkten aus und innerhalb verschiedener Bezugsrahmen Beiträge zur Psychologie des Selbst geleistet hatten, mich in ein Dickicht von ähnlichen, sich überschneidenden oder identischen Termini und Begriffen verstrickt hätte, die jedoch nicht die gleiche Bedeutung hatten und nicht als Teil des gleichen begrifflichen Kontextes verwendet worden waren.
Da ich also den Ballast, die verschiedenen Konzeptionen und Theorien, die von anderen Forschern benutzt worden waren, in meine Betrachtung einzubeziehen, abgeworfen habe, vertraue ich darauf, daß mein eigener grundlegender Standpunkt in der vorliegenden Arbeit klar zum Ausdruck kommen wird. Ich habe ihn in der Vergangenheit bereits ausführlich definiert und erwähne daher hier nur kurz, daß er durch die Bindung an drei Grundsätze charakterisiert ist: die Bindung an die Definition des psychologischen Bereichs als den Aspekt der Realität, der via Introspektion und Empathie zugänglich ist; die Bindung an eine Methodologie des langfristigen, empathischen Eintauchens des Beobachters in den psychologischen Bereich – vor allem hinsichtlich der klinischen Phänomene seines langfristigen, empathischen Eintauchens in die Übertragung; und die Bindung an die Formulierung von Konstruktionen mit Begriffen, die mit der introspektiv-empathischen Haltung in Einklang stehen. In der Alltagssprache ausgedrückt: Ich versuche, inneres Erleben zu beobachten und zu erklären – einschließlich des Erlebens von Objekten, des Selbst und ihrer verschiedenen Beziehungen. Ich bin – in methodologischer Hinsicht und im Hinblick auf meine Formulierungen – weder Verhaltensforscher noch Sozialpsychologe noch Psychobiologe – sosehr ich auch den Wert dieser Methoden anerkenne.

Ein letztes Wort. Die Tatsache, daß ich nicht den Versuch unternehmen konnte, meine Methoden, Funde und Formulierungen mit denen anderer Forscher zu vergleichen, die das Selbst von verschiedenen Standpunkten aus und mit Hilfe verschiedener Methodologien untersucht haben – und daher ihre Funde auch in Begriffen anderer theoretischer Systeme formuliert haben –, bedeutet nicht, daß ich der Meinung bin, solche Vergleiche sollten nicht unternommen werden. Um solche gelehrten Studien jedoch mit Erfolg durchzuführen, muß zuerst einige Zeit vergangen sein. Eine gewisse Distanz, ein gewisses Maß an Unvoreingenommenheit sind also nötig, ehe ein gut unterrichteter Kritiker der verschiedenen Betrachtungsweisen des Selbst in der Lage sein wird, ihre relativen Verdienste einzuschätzen und sie miteinander in Beziehung zu setzen.

Über wissenschaftliche Objektivität

Im ersten Kapitel legte ich klinisches Material zur Unterstützung der These vor, daß wir eine Analyse dann als vollständig betrachten können, wenn sie durch die erfolgreiche Arbeit im Bereich der kompensatorischen Strukturen ein funktionierendes Selbst errichtet hat – einen psychologischen Sektor, in dem Strebungen, Fertigkeiten und Ideale ein ungebrochenes Kontinuum bilden, das von Freude erfüllte kreative Tätigkeit ermöglicht. Die Definition psychoanalytischer Heilung, die durch die vorhergehende Feststellung impliziert wird, muß jetzt vor dem Hintergrund der traditionell von der Psychoanalyse akzeptierten Definitionen bewertet werden.

Bevor ich in Einzelheiten gehe, möchte ich betonen, daß ich mich hier auf ein Prinzip konzentriere: Ich befasse mich nicht mit Punkten, auf die sich Begriffe anwenden lassen wie analytische Weisheit, vernünftige Zweckmäßigkeit und dergleichen, obwohl ich deren klinische Relevanz voll anerkenne und vermutlich einer Reihe von Schwierigkeiten aus dem Wege ginge, wenn ich mich hauptsächlich auf sie beziehen würde, da kein Analytiker die unrealistische Behauptung aufstellen wird, er habe je einen Menschen vollständig in allen Sektoren seiner Persönlichkeit analysiert oder man solle auch nur versuchen, derartige Vollkommenheit zu erreichen. Ich befasse mich hier mit dem Problem, das durch die Tatsache hervorgerufen wird, daß ich von einer gültigen Beendigung einer Analyse spreche, die – was die Strukturen betrifft – nicht alle Schichten der wesentlichen Pathologie des Analysanden bearbeitet hat, die – was die Erkenntnis angeht – nicht zur Auflösung jeder kindlichen Amnesie geführt hat, zur Expansion des Wissens über alle jene Ereignisse der Kindheit, die genetisch und dynamisch mit der Psychopathologie zu tun haben, an der der Patient leidet.

Freud war natürlich von der Tatsache überzeugt, daß die Psychoanalyse eine heilsame Wirkung auf den Analysanden habe, daß sie einen Prozeß darstelle, dessen Antrieb aufrechterhalten werden solle, und daß sie so weit vorangetrieben werden solle wie möglich. Doch während er uns den Umriß der wesentlichen Punkte dieses Vorgangs lieferte, der, kurz gesagt, entweder in Begriffen der Erkenntnis als das Unbewußte bewußt machend oder in Strukturbegriffen als den Bereich des Ich ausweitend definiert werden kann, hat er nie – zumindest nicht mit wissenschaftlichem Ernst, d.h. in theoretischen Begriffen – seine Überzeugung von der heilsamen Wirkung der Analyse zu der Behauptung ausgeweitet, die Psychoanalyse heile psychologische Krankheit, sie führe seelische Gesundheit herbei. Freuds Werte waren nicht in erster Linie solche der Gesundheit. Es war axiomatisch für ihn, daß es wirklich erstrebenswert sei, so viel wie möglich zu wissen: Er widmete sich – durch die Konvergenz [Annäherung] und die gegenseitige Verstärkung der herrschenden Weitsicht seiner Zeit und gewisser persönlicher Neigungen (zweifellos bestimmt durch Erfahrungen seiner frühen Jahre), die diese wissenschaftliche Weitsicht zu seinem persönlichen kategorischen Imperativ, seiner persönlichen Religion machten – unnachgiebig der Aufgabe, die Wahrheit zu erkennen, sich der Wahrheit zu stellen, die Realität klar zu sehen.

Eine der bewegendsten Anekdoten über Freuds Leben betrifft diesen tiefverankerten Aspekt seiner Persönlichkeit. Als er erfuhr, daß es einige Zweifel daran gegeben hatte, ob man ihm sagen solle, daß er an einer bösartigen Erkrankung litt, reagierte er mit dem Ausdruck tiefempfundenen Zorns. Er fragte, welches Recht irgend jemand habe, ihm dieses Wissen vorzuenthalten, und ließ dabei die Möglichkeit außer acht, daß Freundlichkeit und Sorge und nicht bevormundende Arroganz für diesen kurzen Moment des Zweifels, ob man ihm die schreckliche Wahrheit sagen solle, verantwortlich sein könnten (vgl. Jones, 1957, S. 93, deutsch 1962, S. 117).

Freuds Schriften bieten eine Überfülle von Beispielen (1927b; 1933, Kapitel 25), die zeigen, daß sein höchster Wert der mutige Realismus war, sich tapfer der Wahrheit zu stellen. Sein Zorn über die bloße Tatsache, daß man in Betracht gezogen hatte, eine wichtige Wahrheit vor ihm zu verheimlichen, könnte natürlich auf die verschiedensten Arten interpretiert werden. Viele analytisch geschulte Beobachter würden, wie ich glaube, zu der Vermutung neigen, daß der Zorn, den er ausdrückte, nur stellvertretend war für den Zorn, den er über die Tatsache empfand, daß er an einer bösartigen Krankheit litt und in Todesgefahr war – daß er jetzt seinen Zorn ausdrücken konnte, weil er ihn als Reaktion auf die Möglichkeit rechtfertigen konnte, daß man die Wahrheit vor ihm hätte verbergen können. Ich neige stark zu einer anderen Erklärung. Ich glaube, daß der Kern von Freuds Selbst mehr mit der Funktion des Wahrnehmens, Denkens und Wissens verbunden war als mit physischem Überleben, daß sein Kern-Selbst mehr bedroht war durch die Gefahr, ihm werde Wissen vorenthalten, als durch die Gefahr physischer Zerstörung.

Freuds Hingabe an die Wahrheit ist bewundernswert und, für sich betrachtet, über jede Debatte erhaben. Außerdem ist sie auf dem Wege unserer Identifikation mit ihm zum Leitwert der Analytiker geworden. Der Einfluß, den die Vorherrschaft von wissensausdehnenden Werten auf die Theorien und den therapeutischen Standpunkt der Psychoanalyse ausübt, zwingt uns jedoch trotz unseres Widerstrebens dazu, sie erneut zu prüfen, ihre starke Machtposition bezüglich unseres Denkens in Frage zu stellen, da sie zu einem einengenden Faktor geworden ist, wenn wir versuchen, Formen der Psychopathologie und Heilungsmethoden in den Griff zu bekommen, die der klassische Standpunkt nicht einschließt.

Obwohl die Aufgabe faszinierend sein könnte – und potentiell wertvoll, wenn sie richtig, sine ira et studio, gehandhabt wird –, lasse ich doch die Untersuchung des persönlichen Faktors beiseite, vor allem die Suche nach irgendwelchen genetischen Daten, die erklären würden, warum Freuds intensive Hingabe an die Konfrontation mit der ungeschminkten Wahrheit, so schmerzvoll sie auch sein mochte, zu einer so machtvollen Eigenschaft seiner Persönlichkeit wurde. Statt dessen werde ich mich konzentrieren auf die Untersuchung der Stellung Freuds als Repräsentant der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts – besonders hinsichtlich des Einflusses, den seine "wissenschaftliche Weltanschauung" (1933) auf Form, Inhalt und Umfang seiner Theorien ausübte.

Freud gab folgende bezeichnende Antwort auf Ludwig Binswangers Beobachtung, seine (Freuds) Persönlichkeit werde durch einen ungeheuren Willen zur Macht charakterisiert:

Ich getraue mich nämlich nicht, Ihnen in bezug auf den Machtwillen zu widersprechen – weiß aber nichts davon. Ich vermute seit langem, daß nicht nur das Verdrängte ubw. ist, sondern auch das Herrschende unseres Wesens, das Eigentliche unseres Ich, – unbewußt, aber nicht bewußtseinsunfähig. Ich leite dies davon ab, daß das Bw. doch nur Sinnesorgan ist: nach einem Außen gerichtet ist, so daß es stets an einem selbst nicht wahrgenommenen Stück des Ich [in moderner Terminologie: des Selbst] hängt. (Binswanger, 1956)

Ich betrachte diese Feststellung – die Feststellung eines Mannes, der sein eigenes inneres Leben, einschließlich der Gegenübertragungen, die den Blick des psychologischen Beobachters trüben oder verzerren können, umfassender und gründlicher erforscht hatte als je ein Mensch vor ihm – als vollkommenen Ausdruck der grundlegenden Haltung des Wissenschaftlers seiner Tage. Es ist die Feststellung des Renaissance-Menschen, des Menschen der Aufklärung, der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Es ist die Feststellung eines Mannes, der ganz Schau und schauerklärendes Denken geworden ist. Es ist die Feststellung des Mannes, der mit ungetrübtem Blick empirisch beobachtet, dessen geistige Prozesse in den Dienst seines stolzen Realismus gestellt sind. Es ist eine Feststellung, die in voller Harmonie mit der Tatsache steht, daß ein Aspekt der Grundhaltung des klassischen Wissenschaftlers des 19. Jahrhunderts die klare Unterscheidung zwischen Beobachter und beobachtetem Gegenstand war, oder, um meine Meinung bündiger auszudrücken, sie ist, theoretisch gesagt, der Ausdruck des Ideals der wissenschaftlichen Objektivität.

Wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtet, so unternahm Freud den äußersten Schritt, der von "objektiver Wissenschaft" noch gegangen werden konnte: Er untersuchte das Innenleben des Menschen, einschließlich – insbesondere – seines eigenen. Aber – und hier liegt das entscheidende Ergebnis – er betrachtete das Innenleben des Menschen mit der Objektivität eines äußeren Beobachters, aus dem Blickwinkel also, den der Wissenschaftler seiner Zeit vervollkommnet hatte gegenüber der äußeren Umgebung des Menschen, in den biologischen Wissenschaften und vor allem in der Physik.

Die Übernahme dieser Grundhaltung hatte einen tiefen Einfluß auf die Bildung des theoretischen Rahmens der Psychoanalyse. So, wie die großen Physiker und Biologen seiner Zeit den physikalischen und biologischen Bereich beobachteten, ihre Beobachtungen abstrahierten und verallgemeinerten und die Verknüpfung ihrer Daten in Begriffen der Interaktion von mechanischen und chemischen Kräften formulierten, so schuf auch Freud durch das Ersinnen eines begrifflichen Rahmens für einen psychischen, von Trieben – d.h. von nach Ausdruck strebenden Kräften, die von Gegenkräften gehemmt wurden und miteinander in Konflikt standen – gespeisten Apparat das großartige erklärende Gebäude der psychoanalytischen Metapsychologie. Es war und ist ein erklärender Rahmen, der Ausdehnung und Veränderung zuläßt (von der topographischen zur strukturellen Theorie; von der Libidotheorie zur Ich-Psychologie). Und es ist ein Rahmen, der besonders gut auf die Erklärung gewisser Phänomene eingestellt ist, die sich dem Beobachter um die Jahrhundertwende sehr häufig darboten: die strukturellen Neurosen – vor allem die Hysterie.

Doch wie zutreffend die theoretischen Begriffsbildungen Freuds auch hinsichtlich der strukturellen Neurosen und anderer, ähnlich gelagerter psychologischer Phänomene bleiben, sie sind, wie die vorliegende Arbeit zu zeigen versuchen wird, nicht hinreichend anwendbar auf Störungen des Selbst und andere psychologische Phänomene, die im Bereich der Psychologie des Selbst liegen – Phänomene, zu deren Beobachtung und Erklärung eine wissenschaftliche Objektivität mit breiterer Basis erforderlich ist als die des Wissenschaftlers des 19. Jahrhunderts – eine Objektivität, die die introspektiv-empathische Beobachtung und die theoretische Begriffsbildung des teilnehmenden Selbst umfaßt.

Obwohl ich fasziniert beobachte, daß die moderne Physik sich ebenfalls von der Beobachtung der Welt in den Begriffen großer Massen und ihrer Interaktion auf die Beobachtung von Partikeln verlegt hat und von einer scharfen Trennung zwischen Beobachter und beobachtetem Gegenstand auf eine Haltung, die den Beobachter und den beobachteten Gegenstand als eine Einheit betrachtet, die im Prinzip in mancher Hinsicht nicht teilbar ist (siehe oben S. 42 Fußnote), weiß ich doch zu wenig über die moderne Physik, um mir zu erlauben, mich auf diese Analogie zu stützen. Doch ich glaube, ich kann innerhalb des psychologischen Feldes – ich werde meine Aufgabe damit beginnen, daß ich Triebkonzept und Triebtheorie einer neuen Einschätzung unterziehe – Nachweise zur Bestätigung der Vorteile der Psychologie des Selbst liefern.

Das bipolare Selbst – theoretische Überlegungen

Ich hoffe zuversichtlich, daß es mir gelungen ist, Relevanz und erklärende Kraft der Hypothese zu demonstrieren (siehe 2. Kapitel), daß die primären psychologischen Konfigurationen in der Erfahrungswelt des Kindes nicht Triebe sind, sondern daß Trieberfahrungen als Desintegrationsprodukte erscheinen, wenn das Selbst nicht gestützt wird. Es ist aufschlußreich, in diesem Zusammenhang die Desintegration der beiden grundlegenden psychologischen Faktoren zu untersuchen – gesunde Selbstbehauptung gegenüber dem spiegelnden Selbstobjekt, gesunde Bewunderung für das idealisierte Selbstobjekt –, deren Bestehen unter normalen, günstigen Umständen darauf hinweist, daß ein unabhängiges Selbst im Begriff ist, sich aus der Matrix spiegelnder und idealisierter Selbstobjekte zu erheben. Wenn kein spiegelndes Selbstobjekt auf die selbstbehauptende Präsenz des Kindes antwortet, so wird sein gesunder Exhibitionismus – erfahrungsmäßig eine umfassende psychologische Konfiguration, selbst wenn einzelne Körperteile oder einzelne geistige Funktionen deutlich stellvertretend für das gesamte Selbst beteiligt sind – aufgegeben, und isolierte, sexualisierte exhibitionistische Beschäftigungen mit einzelnen Größensymbolen (Urinstrom, Faeces, Phallus) treten an seine Stelle. Ähnlich ist es, wenn die Suche des Kindes nach dem idealisierten, allmächtigen Selbstobjekt, mit dessen Macht es verschmelzen möchte, fehlschlägt, entweder infolge von dessen Schwäche oder wegen seiner Weigerung, eine Verschmelzung mit seiner Größe und Macht zuzulassen; auch dann hört die gesunde und glückliche, großäugige Bewunderung des Kindes auf, die umfassende psychologische Konfiguration bricht zusammen, und isolierte, sexualisierte, voyeuristische Beschäftigungen mit isolierten Symbolen der Macht des Erwachsenen (Penis, Brust) treten an ihre Stelle. Letztlich erscheinen die klinischen Manifestationen einer exhibitionistischen oder voyeuristischen Perversion wohl infolge des Zusammenbruchs jener umfassenden psychologischen Konfigurationen gesunder Selbstbehauptung gegenüber dem spiegelnden Selbstobjekt und gesunder Bewunderung für das idealisierte Selbstobjekt, auf die – dauernd, traumatisch, nicht phasengerecht – das Selbstobjekt nicht reagierte. Daß die Perversion, d.h. das sexualisierte Abbild der ursprünglichen gesunden Konfiguration, noch immer Fragmente des Größen-Selbst (Exhibitionismus in bezug auf Teile des eigenen Körpers) und des idealisierten Objekts (voyeuristisches Interesse an den Körperteilen anderer) enthält, ist zu verstehen als Überbleibsel eines Aspekts der ursprünglichen Selbstobjekt-Konstellation: Sie war in dem einen Fall zeitweilig subjektorientiert (Selbst-Objekt), im anderen zeitweilig objektorientiert (Selbst-Objekt). In letzter Analyse jedoch sind nicht Triebe das Fundament ("der gewachsene Fels") dieser beiden klinischen Manifestationen, sondern narzißtische Kränkung und Depression.

Nachdem wir gezeigt haben, daß die Reaktionen des spiegelnden Selbstobjektes und die Idealisierbarkeit des allmächtigen Selbstobjektes nicht im Kontext der Triebpsychologie zu sehen sind, sind wir nun in der Lage, die Entwicklung des Selbst in der Kindheit näher zu beleuchten, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf zwei Vorgänge konzentrieren, die während der Psychoanalyse von Patienten mit Selbst-Pathologie stattfinden – Vorgängen, so möchte ich hinzufügen, die entscheidend zum günstigen Ausgang einer Analyse beitragen, d.h. dazu, ein stabiles, funktionell rehabilitiertes Selbst zu etablieren.

Der erste dieser Vorgänge trägt zur Etablierung eines festen Selbst bei, indem er die Trennung jener psychologischen Strukturen, die letztlich das Selbst bilden, von jenen herbeiführt, die ausgeschlossen werden. Um zu veranschaulichen, wie diese Prozesse ablaufen, und um eine solide empirische Basis zur Diskussion ihrer Bedeutung zu haben, wollen wir zur Endphase der Analyse von Herrn M. zurückkehren.

Die Frage, die wir uns zuvor bezüglich der Beendigung von Herrn M.s Analyse gestellt hatten, war, ob das Ende des psychoanalytischen Prozesses tatsächlich erreicht worden war, als die funktionelle Rehabilitierung der kompensatorischen Strukturen gelungen war, d.h. als die Durcharbeitungsprozesse zum Ausfüllen der Defekte dieser Strukturen des Selbst geführt hatten. Oder, um die Probleme nun noch genauer zu definieren, wir könnten uns umgekehrt fragen, ob die Analyse nicht eher als unvollständig und die Beendigung als verfrüht anzusehen war, da es noch einen anderen Teil des Selbst gab – den Teil, der aufgrund der unzulänglichen Reaktionen von seiten des frühesten spiegelnden Selbstobjekts nicht voll konsolidiert worden war –, bei dem die Durcharbeitungsvorgänge unvollständig geblieben waren und der daher nur mangelhaft stabilisiert worden war.

Aus praktischer Sicht können wir zufrieden sein: Herr M. scheint nun gut zu funktionieren, er hat das Gefühl, daß sein früherer Mangel an kreativem Antrieb überwunden ist, und macht einen glücklichen und produktiven Eindruck. Dennoch, ich betone diesen Punkt nochmals, bleibt ein ausgedehnter psychologischer Bereich übrig – einer, von dem man hätte erwarten können, daß er den Nährboden für die tiefsten Wurzeln des Exhibitionismus und der Strebungen, die von seinem Kern-Selbst ausgehen, enthält –, der unzureichend erforscht wurde. Im Verlauf der analytischen Arbeit schien dieser Bereich sich spontan in zwei Schichten zu teilen. Die oberflächlichere Schicht (späten praverbalen und frühen verbalen Entwicklungsstadien entsprechend) war am Durcharbeitungsprozeß beteiligt; die andere, tiefere (einem frühen präverbalen Stadium entsprechend) wich zurück.

Diese endopsychischen Prozesse erinnern an die offenbar analogen Vorgänge, die beim Wolfsmann abliefen, nachdem Freud ein Beendigungsdatum festgesetzt hatte, vor allem, nachdem sein Analysand erkannt hatte, daß der Analytiker "im Ernst" diesen einzuhalten entschlossen war, komme, was da wolle. "Unter dem unerbittlichen Druck dieser Terminsetzung", sagte Freud, "gab sein Widerstand ... nach, und die Analyse lieferte nun ... all das Material, welches die Lösung seiner Hemmungen und die Aufhebung seiner Symptome ermöglichte. Aus dieser letzten Zeit der Arbeit, in welcher der Widerstand zeitweise verschwunden war ..., stammen auch alle die Aufklärungen, welche mir das Verständnis seiner infantilen Neurose gestatteten." (Freud, 1918, S. 34). Etwa zwanzig Jahre später erweiterte Freud diese Feststellung, indem er erklärte, daß die Festlegung eines bestimmten Beendigungsdatums in einer Analyse, diese "erpresserische Maßregel", wie er es nun nannte, "keine Garantie für die vollständige Erledigung der Aufgabe geben" kann. "Man kann im Gegenteil sicher sein", fuhr er fort, "daß während ein Teil des Materials unter dem Druck der Drohung zugänglich wird, ein anderer Teil zurückgehalten bleibt und damit gleichsam verschüttet wird ..." (1937, S. 62).

Auf den ersten Blick scheint die endopsychische Abspaltung beim Wolfsmann und bei Herrn M. ähnlich zu sein. Nähere Untersuchung jedoch zeigt, daß die beiden Vorgänge in gewisser Hinsicht sehr verschieden sind. Um sofort auf einen entscheidenden Unterschied hinzuweisen: Es ist von größter Bedeutung, daß die Trennung in zwei Schichten – eine zugänglich, die andere nicht zugänglich – beim Wolfsmann unter dem Druck des Wunsches des Analytikers zustandekam, kognitiv in die Psyche des Analysanden einzudringen, während sie bei Herrn M. spontan erfolgte, nicht nur ohne Druck vom Analytiker, sondern auch – die Bedeutung dieser Tatsache mag an diesem Punkt nicht offensichtlich sein, doch ich glaube, daß wir zu der Einsicht kommen werden, daß sie in der Tat von großer Wichtigkeit ist – in einer analytischen Atmosphäre, die subtil, aber entscheidend anders war als die von Freud geschaffene (oder vielleicht, um es genauer zu sagen, anders als die von Freud im Jahre 1914, vor der Einführung der Ich-Psychologie, geschaffene). Im Gegensatz zu der therapeutischen Atmosphäre, in der die Analyse 1914 geführt wurde, war die therapeutische Atmosphäre, in der die Analyse von Herrn M. stattfand (siehe in diesem Zusammenhang Wolf, 1976), um es negativ auszudrücken, nicht bestimmt von der absoluten Vorherrschaft des Wertsystems, das mit dem Modell unbewußter und bewußter Bereiche der Psyche verbunden war, d.h. von der Vorherrschaft des Wertsystems, daß es "gut" ist zu wissen (mehr zu wissen) und "schlecht" ist, nicht zu wissen (weniger zu wissen).

Doch wenn es Freuds Beharren auf kognitiver Durchdringung innerhalb einer festgesetzten zeitlichen Begrenzung war, das die Elastizität der Psyche des Wolfsmannes überforderte und sie veranlaßte, sich zu spalten – eine "vertikale" Spaltung, wie ich glaube, im Gegensatz zu der "horizontalen" Spaltung, die bei Herrn M. auftrat –, was veranlaßte dann das erkrankte Größen-Selbst von Herrn M., sich während des Durcharbeitungsvorganges in zwei Schichten aufzuteilen? Warum ist eine Schicht aktiv an der therapeutischen Arbeit beteiligt, während die andere in der Dunkelheit versinkt und außer Sicht bleibt? Ist diese horizontale Spaltung nichts weiter als das Ergebnis einer gesunden Trägheit des Patienten, die Errichtung eines Schutzwalles für das Selbst gegen einen möglichen Angriff von seiten einer zu radikalen psychischen Chirurgie, die, indem sie den Bereich seiner tiefsten Depression, seiner schwersten Lethargie, seiner größten Wut und seines profundesten Mißtrauens freilegt, in einem einseitig eifrigen Versuch, völlige psychische Gesundheit herzustellen, das psychologische Überleben gefährden könnte?

Es ist wohl möglich, daß eine solche vorbewußte oder bewußte Motivation von seiten des Analysanden beteiligt war. Doch es war wohl nicht die einzige Motivation und vielleicht nicht einmal die wichtigste. Hier sind meine Gründe für diese Ansicht. Während ich immer und immer wieder, Analyse um Analyse, versuchte, die genetischen Wurzeln des Selbst meiner Analysanden zu bestimmen, gewann ich den Eindruck, daß in der frühen psychischen Entwicklung ein Prozeß stattfindet, bei dem einige archaische psychische Inhalte, die als zum Selbst gehörig erlebt worden waren, ausgelöscht oder dem Bereich des Nicht-Selbst zugeteilt werden, während andere weiter innerhalb des Selbst bleiben oder diesem hinzugefügt werden. Als Ergebnis dieses Prozesses wird ein zentrales Stück des Selbst – das "Kern"-Selbst – gebildet. Diese Struktur ist die Grundlage für unser Gefühl, daß wir ein unabhängiger Mittelpunkt von Antrieb und Wahrnehmung sind, ein Gefühl, das mit unseren zentralsten Strebungen und Idealen und unserer Erfahrung integriert ist, daß unser Körper und Geist eine Einheit im Raum und ein Kontinuum in der Zeit darstellen. Diese kohärente und bleibende psychische Konfiguration, gemeinsam mit einer damit verbundenen Gruppe von Begabungen und Fertigkeiten, die sie an sich zieht oder die sich als Reaktion auf die Forderungen der Strebungen und Ideale des Kern-Selbst entwickeln, bildet den zentralen Sektor der Persönlichkeit. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß, zumindest in gewissem Ausmaß, eine richtig geführte Analyse von Patienten, die an einer Störung in der Bildung des Selbst leiden, eine psychologische Matrix schafft, die die Wiederbelebung der ursprünglichen Entwicklungstendenz begünstigt. Mit anderen Worten, das Kern-Selbst des Patienten wird konsolidiert, die Begabungen und Fertigkeiten des Analysanden, die mit dem Kern-Selbst verbunden sind, werden neu belebt, während andere Aspekte des Selbst abgelegt werden oder zurückweichen.

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