Auszüge aus Peter Huth – Jan Engelke – Marc Paul Paustian
"Die Selbstbediener"

Wer sich unser Geld einsteckt

Die ganze Wahrheit über den Selbstbedienungsladen Deutschland: Vom Millionen-Mannesmann Klaus Esser über den Party-Bundesbanker Ernst Welteke – ein Skandal jagt den nächsten. Aber dies sind keine Einzelfälle. Denn unser Staat lädt regelrecht zum Selbstbedienen ein: Ob Parlamentarier oder Wirtschaftsboß, ob Gewerkschaft oder Krankenkasse, jeder wirtschaftet schamlos in die eigene Tasche – und in den meisten Fällen noch nicht einmal illegal. Die Journalisten Peter Huth und Jan Engelke decken die Fakten auf, erklären das komplexe System der Selbstbediener – und entlarven ihre Ausreden.

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Einleitung: SIE haben alles falsch gemacht. DIE alles richtig

Die schlechte Nachricht vorweg: Sie haben alles falsch gemacht.

Sicher: Sie sind zur Schule gegangen und haben anschließend eine vernünftige Ausbildung gemacht. Sie lieben, na ja, Sie mögen Ihren Beruf. Sie sind ein guter Kollege. Sie sind ein guter Mitarbeiter. Sie machen Ihr Ding. Man kann sich auf Sie verlassen. Sie wissen, worum es geht. Sie sind ein Profi. Der Chef mag Sie. Noch wichtiger: Er schätzt Sie. Sie sind in Ihrem Bereich unersetzlich. Na ja: schwer ersetzbar.

Nach der Arbeit gönnen Sie sich mit den Kollegen ein Bier, fahren anschließend mit Ihrem Golf nach Hause. Zu Hause: Das ist Ihre Mietwohnung oder das Häuschen, für das Sie monatlich die Hälfte Ihres Nettolohns ausgeben.

Sie haben die Frau geheiratet, die Sie geliebt haben. Sie haben Kinder oder denken wenigstens an welche. Wenn Sie dann ein Kinderbett brauchen, fahren Sie zu Ikea, aber das ist in Ordnung. Im Urlaub leisten Sie sich was, das haben Sie sich verdient. Sekt. Keinen Champagner. Scampi. Keinen Hummer. Cabrio als Mietwagen. Immerhin.
Sie kommen ganz gut mit Ihrem Geld zurecht. Klar, es könnte besser sein. Aber es reicht. Sie haben ein bißchen Angst vor der Zukunft, wegen der Rente. Aber es wird schon irgendwie reichen. Sie können keine großen Sprünge machen. Aber das ist in Ordnung.

So ist das. Und das alles soll falsch sein? Ja. Denn Sie bleiben unter Ihren Möglichkeiten. Alles hätte so viel größer, schöner, besser, prächtiger werden können.

Stellen Sie sich vor: Sie bestimmen Ihr Gehalt weitgehend selbst. Mehr noch: Sie erhöhen Ihr Gehalt je nach Bedarf. Sie erhöhen Ihr Gehalt gewaltig. Sie erhöhen Ihr Gehalt schwindelerregend. Sie erhöhen Ihr Gehalt astronomisch. Zum Schluß verdienen Sie das 286-fache eines normalen Arbeiters.

Stellen Sie sich vor: Sie werden eingeladen. Sie nehmen Ihre Frau mit. Und Sie nehmen Ihren Sohn mit und dessen Freundin und ihr jüngstes Kind natürlich ohnehin. Sie lassen sich verwöhnen, schlafen in den weichsten Betten der besten Hotels, und wenn Sie Hunger haben, rufen Sie einfach den Zimmer-Service. Geld spielt keine Rolle. Denn Sie bezahlen ja nichts – die Firma, die Sie eingeladen hat, übernimmt großzügig die Kosten. Dummerweise ist das die Firma, die Sie eigentlich überwachen sollten.

Stellen Sie sich vor: Sie bauen Mist. Wirklich großen Mist. Sie vernichten Arbeitsplätze. Sie vernichten Geld, wirklich viel Geld, sogar noch mehr Geld, als Sie verdienen. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie verlängern einfach Ihren Arbeitsvertrag. Und machen noch dumme Sprüche. Und winken grinsend aus der Limousine. Denn die Hand haben nicht Sie am Steuer, sondern Ihr Chauffeur.

Stellen Sie sich vor: Sie haben so gar keine Lust zur Arbeit. Also gehen Sie gar nicht hin! Oder nur ganz kurz. Nicken dem Pförtner zu. Unterschreiben auf einer Liste. Und bekommen zusätzlich zu Ihrem Grundgehalt noch ein paar hundert Euro Antrittsgeld. Wenn die Sitzung zu Ende ist, in der Sie beispielsweise den Krümmungswinkel von Import-Bananen diskutieren sollen, sitzen Sie schon lange im Flieger nach Hause. Dafür kassieren Sie nochmal Geld. Weil Sie schließlich ein Recht darauf haben, Ihre Familie zu sehen. Konnten Sie ja nicht wissen, daß das Europäische Parlament in Brüssel tagt und nicht in Ihrer Heimatstadt.

Stellen Sie sich vor: Sie essen in den besten Restaurants – der Steuerzahler zahlt dafür. Sie fliegen ausschließlich Business-Class (HamburgFrankfurt kostet so um die 600 Euro). Den Flug und damit auch die Nüsse, die Sie unterwegs verputzen, zahlt die Staatskasse – mit den Bonusmeilen fliegen Sie in den Urlaub. Vielleicht nach Südafrika. Kostet 90.000 Meilen. Für Sie kein Problem. Business-Meilen zählen doppelt. Und wenn Sie mal in Südamerika festsitzen und keinen vernünftigen Anschlußflug bekommen, bestellen Sie einfach die Flugbereitschaft der Bundesregierung.

All das ist in Deutschland möglich. In den meisten Fällen ist es sogar absolut legal, gesetzestreu und juristisch nicht verwerflich. Das einzige Problem: die Moral. Aber die können Sie ja einfach mal vergessen.

Können Sie nicht?

Vielleicht ist genau das der Grund, warum SIE zu den Verlierern gehören; der Grund, warum SIE alles falsch gemacht haben.

Das Ende der Moral ist öfter besungen worden als die Schönheit von Frauen, Sonnenuntergängen und Rosenstöcken. Vielleicht ist es ja Zeit für eine neue Strophe.
Kommen wir also zu denen, die alles richtig gemacht haben. Die Gewinner, die Cleveren, die Schlauen. Aber eben auch: die Skrupellosen, die Gierigen, die Selbstbediener, die Schamlosen.

Hier ein paar Beispiele von Selbstbedienern, die im letzten Jahr aufgefallen sind – und das nicht gerade durch Schuldbewußtsein.

  • Da ist Klaus Esser, Ex-Mannesmann-Chef. Der unscheinbare Mann mit der Brille, die trügerisch Bescheidenheit ausstrahlt, hat sich sein berufliches Totalversagen (die Übernahme seines Unternehmens durch die britische Vodafone) mit rund 30 Millionen Euro vergolden lassen.

  • Da ist Joseph Ackermann. Der Chef der Deutschen Bank hat die Esser-Abfindung als Mitglied des Ausschusses für Vorstandsangelegenheiten bei Mannesmann genehmigt. Im Geldverteilen kennt er sich gut aus, vor allem, wenn es um die Gehälter der Vorstände geht. 1967 verdienten die DB-Vorstände 42-mal so viel wie der deutsche Arbeitnehmer im Durchschnitt – zur Jahrtausendwende war es 286-mal so viel. Ackermann wird auf ein Jahresgehalt von 11,07 Millionen Euro geschätzt.

  • Da ist Jürgen Schrempp. Der Chef von DaimlerChrysler mit geschätzten 6,47 Millionen Grundgehalt (also ohne Aktien-Optionen) ist einer der bestbezahlten Manager Deutschlands. Er sagt: "Ich bin der einzige Manager, der Milliarden verspielt hat und dann auch noch sagt: Das war ganz allein meine Schuld." Ist das Stolz oder Hybris? Tatsache ist: Die einzige Konsequenz, die Schrempp zog, war die vorzeitige Verlängerung seines Vertrages bei DaimlerChrysler. Zum Thema Gehälter: 1997 verdiente Schrempp bei DaimlerChrysler das 51-fache eines Bandarbeiter-Lohns, nur sechs Jahre später, 2003, war es bereits das 130-fache. Am 28. Juli 2005 verkündete er allerdings überraschend seinen Rücktritt zum Jahresende und verzichtete auf seine Abfindung. Der Kurs von DaimlerChrysler stieg sofort um 8 Prozent.

Für SPD-Chef Franz Müntefering sind solche Managergehälter jenseits "aller Moral". Bundestagspräsident Wolfgang Thierse findet, "Selbstbedienung ist moralisch nicht zu rechtfertigen" und "schlicht unanständig". Kritik an Wirtschaftsbossen und Managern ist seit einiger Zeit schwer in Mode. Und so berechtigt sie ist, so ausschnittartig ist sie auch. Denn die dreistesten und schamlosesten Selbstbediener sitzen in der Politik und in der Grauzone zwischen Politik und Wirtschaft: in den Krankenkassen, bei der Bundesbank, in den öffentlichen Apparaten. Finanziell nicht ganz so erfolgreich wie ihre Kollegen in den Konzernzentralen, sind sie umso erfinderischer, wenn es um die Ausschöpfung der Möglichkeiten geht.

  • Da ist Florian Gerster. Als Chef der "Bundesagentur für Arbeit" hat er sich die Spesen für Bewirtungen um 76 Prozent erhöht, wie die "Rheinische Post" herausfand – auf jährlich 66.000 Euro. 66.000 im Jahr. Das sind 180 Euro jeden Tag für Essen. Damit kommen manche Familien in der Woche aus – vor allem die Familien, deren Väter Gerster in Lohn und Brot setzen sollte. Hat nicht ganz geklappt. Vor allem nicht für die Arbeitslosen. Ihr Ex-Chef Gerster ist heute übrigens hochbezahlter Immobilien-Lobbyist.

  • Da sind die 730 Abgeordneten im Europäischen Parlament. Jeder kassiert zusätzlich zu seinem Grundgehalt beispielsweise 262 Euro Tagegeld. Was nicht bedeutet, daß er den Tag tatsächlich bei der Arbeit verbringen muß. Unterschrift genügt. Das ist nur die Schneeflocke auf einem Eisgebirge. Der äußerst kreativ nutzbare Spesenkatalog der EU wird später in diesem Buch behandelt werden.

  • Da ist Dr. Horst Rehberger von der FDP, Immer-mal-wieder-Minister in Sachsen-Anhalt. Seit 14 Jahren lebt und wirkt der Saarbrücker nun schon im Osten, scheint das seiner Familie allerdings nicht zumuten zu können. Daher kassierte er, von seinem Ministerium eher ungeschickt kaschiert, Monat für Monat 255,65 Euro Trennungsgeld. Peanuts? Es gibt in Deutschland Familien, für die 3000 Euro jährlich exakt die Grenze zwischen Arm und Reich definieren. Rehberger zur BILD-Zeitung: "Es gibt in Deutschland Millionen von Pendlern, die steuerlich gefördert werden. Bei den meisten ist das weit mehr als meine Zulage."

  • Da sind die Krankenkassenchefs, die sich jahrzehntelang weigerten, ihre Gehälter offen zu legen. So was macht mißtrauisch. "Ich halte das für nicht in Ordnung", empörte sich Christine Lüer, ehemalige Chefin der AOK Niedersachsen, über die Offenlegungspflicht. Die Frau, die 180.000 Euro im Jahr verdiente, argumentierte, andere Unternehmen müßten die Gehälter einzelner Vorstandsmitglieder auch nicht offen legen. Die Verpflichtung, daß die Chefs der gesetzlichen Krankenkassen dies tun müssen, sei ein Ausdruck der deutschen Neidgesellschaft.

  • Da ist die mächtige (und mittlerweile in Schande vom Autohof gejagte) Clique um die Gewerkschafter von VW: Klaus Volkert, Ex-Betriebsrats- und Ex-Vize-Aufsichtsrats-Chef, Ex-"Leiter Personalprojekte" Klaus-Joachim Gebauer und Peter Hartz, der berühmte Ex-Personalvorstand bei VW und Kanzlerfreund. Volkert trat zurück, kurz bevor Zeitungen seine angeblich dubiosen Verbindungen zu einem betrügerischen VW-Manager aufdeckten. Gebauer riß seinen Chef Hartz mit in den Abgrund, als unter anderem die "FAZ" meldete, der "Chefanimateur der Betriebsräte" habe für verdiente Gewerkschafter unter anderem Luxusreisen und sogar Prostituierte bezahlt.

Also: Kassieren, wo es nur geht, und wenn man erwischt wird, möglichst beleidigt reagieren. Ist das erwachendes Schuldbewußtsein bei den Abzockern? Nein, eher das Gegenteil: Sie empören sich auch noch.

  • Da ist Ernst Welteke. "Hätte ich das vielleicht selber bezahlen sollen?", blaffte der Ex-Präsident der Deutschen Bundesbank TV-Reporter an, die ihn gefragt hatten, warum er sich von der Dresdner Bank (die er eigentlich kontrollieren soll) zu einer viertägigen Silvesterparty im Hotel Adlon anläßlich der Euro-Einführung hat einladen lassen. Kosten: 7661,20 Euro. Mitglieder der Reisegruppe: Welteke, seine Ehefrau, zwei Söhne, einer davon mit Freundin (der andere war erst 18 Monate alt).

Hier sind sie wieder vereint, die Absahner und Selbstbediener, hier ist sich Deutschlands schamlose Elite von Politik bis Wirtschaft einig: Sie fühlen sich im Recht. Sie nehmen sich, von dem sie glauben, daß es ihnen zusteht. Sie verbitten sich, kritisiert zu werden, sondern wollen für ihre Initiative hofiert werden.

Diejenigen, die sie anklagen – die Medien und die Öffentlichkeit, die von diesen informiert werden –, sind mißgünstig, kleingeistig und ungerecht. Denn auch die Absahner sind sich sicher: SIE haben alles richtig gemacht. DIE dagegen nicht (also wir). Wir leben in einer neidischen, dummen Gesellschaft, die nicht kapiert, daß die Leistungsträger sich Sonderrechte nicht erschleichen, sondern ehrlich verdient haben.

Nun sind wir Deutschen im Großen und Ganzen vernünftige Menschen: Wir haben uns abgewöhnt, Kriege anzufangen, wir trennen den Müll so penibel wie keine andere Nation, wir können uns im Urlaub ganz gut benehmen, einen i-Pod bedienen, und wir sind grundsätzlich in der Lage zu erkennen, warum George W. Bush den Irak-Krieg begonnen hat.

Wir sind keine Idioten. Wir lassen uns deshalb extrem ungern so behandeln.

Wir sind keine Neidgesellschaft. Es geht überhaupt nicht um Neid. Neid ist eine Todsünde. Wir gönnen unserem Nachbarn das tolle Auto, die riesige Modellbahnanlage, die schöne Frau und die gelungeneren Würstchen beim Grillen.

Wir können durchaus anerkennen, daß der, der viel arbeitet, auch viel verdient. Wir fordern keine Einheitslöhne. Wo denn, bitte schön, wenn nicht in Deutschland, ist das Gespenst der Gleichmacherei großflächig und konsequent ausgetrieben worden?

Die Deutschen übernehmen gerne Verantwortung, und sie erkennen die Leistungen von Menschen, die Verantwortung tragen, an. Aber Verantwortung bedeutet auch, sich selbst unter Kontrolle zu halten und den Blick auf das Allgemeinwohl zu richten.

Verantwortung ist das Gegenteil von Selbstbedienungsmentalität.

Ohne Verantwortung aber kann unsere Gesellschaft nicht funktionieren.

Deshalb dieses Buch.

Wie werde ich Politiker?

Verlockende Aussichten

Angenommen, Sie könnten Ihr Leben noch einmal leben, hätten die Einleitung zu diesem Buch gelesen und sich entschieden, im zweiten Versuch alles viel besser zu machen und es diesmal schlauer anzustellen. Angenommen, Sie würden Ihre normalen moralischen Reflexe über den Haufen werfen und alles dafür tun, auch Business-Class durch die Gegend zu fliegen, auf fantastische Partys eingeladen zu werden, eine eigene Sekretärin zu haben und dafür noch jede Menge Geld zu bekommen.

Angenommen, Sie hätten beschlossen, auch ein Selbstbediener zu werden und die Möglichkeiten, die sich Ihnen bieten, vorurteilsfrei auszuschöpfen.

Wie könnten Sie das anstellen?

Im Folgenden gibt es eine kurze Anleitung, die sich allerdings darauf beschränkt, die mustergültige Karriere eines Politikers zu beschreiben.

Sie könnten natürlich auch in die Wirtschaft gehen, aber dieser Weg ist mühsamer, wenn auch nicht unmöglich. Gerade Jürgen Schrempp ist ein gutes Beispiel für einen, der es mit Fleiß und Disziplin geschafft hat, sich vom Lehrling der Kraftfahrzeugmechanik zum Vorstandschef seines Unternehmens hochzuarbeiten. Zumindest dafür gebührt ihm Respekt, keine Frage. Dazu kommt, daß Karrieren in der Wirtschaft deutlich unberechenbarer sind als in der Politik. Es könnte passieren, daß Sie am Ende einem Vorgesetzten begegnen, dem ihre Visage nicht paßt oder der sogar Ihre unlauteren Absichten erkennt und Ihre Karriere mit einem Lächeln zerstört. Dann sind Sie ganz schnell wieder da, wo Sie hergekommen sind und – wir spielen hier nicht Monopoly: Gehen Sie zurück auf Start gibt es nicht. Im Zweifelsfall bleiben Sie irgendwo in der mittleren Entscheider-Ebene hängen, fristen ein trauriges Dasein als Buchhalter und beißen vor Wut in die PC-Maus, wenn Sie sehen, wie andere vollenden, was Sie eigentlich geplant hatten: abkassieren, selbstbedienen, lustig sein.

In der Politik gibt es ebenfalls keine Karrieregarantie, aber die Fallhöhen sind geringer. Aus einem einfachen Grund: Es gibt eigentlich nichts, an dem Ihre Leistung gemessen werden kann. Selbst wenn Sie miserabel oder schlecht arbeiten, wird Ihnen dies niemand vorwerfen. Es fehlt schlicht eine Kontrollinstanz, die Ihre Arbeit beurteilt.

Ist das nicht fantastisch?

Ist das nicht gelogen, werden Sie fragen. Denn: Da ist immerhin noch der Wähler, der alle vier oder fünf Jahre (neuerdings auch gerne mal nach drei Jahren) entscheidet, ob ein Politiker weitermachen darf oder nicht.

Stimmt – theoretisch.

Überlegen Sie mal: Wie heißt nochmal Ihr Bundestagsabgeordneter? Wissen Sie nicht? Aber Sie kennen doch bestimmt denjenigen, der Sie im Kreistag, im Stadtrat, der Bürgerversammlung, also im lokalen Parlament, vertritt? Nein? Aber Sie regen sich doch immer so über die Grinsegesichter der Politiker auf den Wahlplakaten auf! Wie oft haben Sie gemurmelt: Das Gesicht kann ich nun wirklich nicht mehr sehen! Aber Sie haben sich den Namen nicht gemerkt! Und auf dem Wahlzettel (wenn Sie denn überhaupt gewählt haben, was wir grundsätzlich dringend empfehlen) haben Sie dann die Partei angekreuzt, die Sie als das kleinste Übel angesehen haben.

Genau da liegt die große Karrierechance des Politikers: Kein Wähler kennt ihn. Kein Wähler erwartet irgendetwas von ihm. Also wird ihm auch kein Wähler irgendetwas vorwerfen – es sei denn, er baut eine vierspurige Umgehungsstraße durch Ihren Vorgarten, und Sie sehen sich gezwungen, gemeinsam mit Ihren Nachbarn eine Bürgerinitiative zu gründen. Aber selbst dann werden Sie Ihren Volksvertreter kaum zu Gesicht bekommen, denn er hat Besseres zu tun: Er arbeitet an seiner Karriere. Und in null Komma nix ist er so wichtig, daß er von seiner Partei einen aussichtsreichen Listenplatz bekommt, eine Art Garantie auf Wiederwahl.

Zwischenspiel: Um wen es hier nicht geht

Es wird Sie jetzt vielleicht verwundern zu hören, daß ich selbst aus einer Politikerfamilie stamme. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren bzw. sind gewählte Volksvertreter in dem kleinen Parlament meiner Heimatstadt. Als ich noch jung war, habe ich meinen Vater oft tagelang nicht zu Gesicht bekommen, weil er ständig in irgendwelchen Ratssitzungen oder Ausschüssen saß, weil er mit der Fraktion unterwegs war, um sich anzuschauen, wie die das mit der lokalen Energieversorgung oder der Abwasserentsorgung in der Nachbarstadt hinkriegen. In Wahlkampfzeiten marschierten meine Eltern durch ihren Wahlbezirk – meine Schwestern und mich im Schlepptau – und verteilten Wahlprospekte. Wenn sie ihre Geburtstage feierten, war das Wohnzimmer voll mit anderen Freizeit-Politikern, und die Themen waren dementsprechend langweilig für Kinder. Einmal war mein Vater sogar in der "Tagesschau": Er sollte erklären, warum sich unsere Stadt es nicht mehr leisten konnte, ein festes Theater zu unterhalten. Ich war mächtig stolz auf ihn. Und ich bin es heute noch.

In Deutschland gibt es mehrere tausend Menschen, die in der Politik tätig sind. Die meisten von ihnen arbeiten viel und verdienen – nichts. Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung für Sitzungen (bei Anwesenheit), die bei rund 300 Euro liegt. Die meisten arbeiten aus purem Idealismus, und die wenigsten haben Ambitionen, Karriere zu machen. Es sind sozusagen ehrenamtliche Demokraten. Menschen, die sich eben mehr für Kanalisation, Stadtbebauung und Vereinsbezuschussung interessieren als für gewaltige Wasserspritzen, Unimogs und Atemschutzgeräte, wie es Leute tun, die sich bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz oder dem Technischen Hilfswerk engagieren.

Im 15. Deutschen Bundestag gibt es 601 Parlamentarier. Diese Politiker werden bezahlt – sie bekommen rund 7000 Euro im Monat. Viele haben in ihren Zivilberufen vorher mehr Geld verdient, einige mußten gut gehende Anwaltspraxen aufgeben, andere führen ihre alten Berufe mit gebremster Kraft nebenbei weiter. Die meisten dieser Männer und Frauen sehen ihre Familien nur am Wochenende, wenn sie nach einer Fahrt im Intercity, umgeben und bepöbelt von betrunkenen Bundeswehr-Soldaten, beispielsweise in den Erftkreis zurückkommen. Die ganze Woche haben sie in Berlin verbracht, im Reichstag, in Ausschüssen und in der "Ständigen Vertretung", einer Politikerkneipe, in der sie noch ein Kölsch trinken, bevor sie sich in ihr Ikea-Bett im Wohn/Schlafzimmer ihres Einzimmer-Appartements legen.

Aber auch am Wochenende haben sie keine Zeit, mit den Kindern zu spielen, mit dem Hund durch die Wiesen zu streifen oder mit ihrer Frau zu schlafen: Am Wochenende wird lokale Politik gemacht. Egal, ob SIE da sind oder nicht: Es gibt Bürgerfragestunden und Informationsveranstaltungen. Es gilt, sich auf Vereinstreffen und den Tagen der offenen Tür in Altersheimen und bei den Maltesern blicken zu lassen. Im Rheinland läßt man sich besser auf ein paar Karnevalssitzungen pro Session blicken, in Bayern ist es sinnvoll, bei der Fronleichnamsprozession ziemlich weit vorne mitzulaufen.

Um all diese Menschen geht es in diesem Kapitel und in diesem Buch nicht – und auch nicht um die Manager, die gute Arbeit in ihren Firmen machen.

Und genau das wollen SIE ja auch nicht: viel arbeiten und wenig verdienen. Sie wollen wenig arbeiten und ordentlich absahnen. Es geht um die Selbstbediener und ihre prächtige Welt des Abzockens. Der schnellste Weg dorthin führt über eine Partei.

Wie mache ich Karriere in einer Partei, und was sind die Gefahren?

Es gibt drei Grundeigenschaften, die den zukünftigen Abzocker in der Vorbereitungsphase seines Daseins auszeichnen: Ehrgeiz, Skrupellosigkeit und die Bereitschaft, jedem, der ihm helfen könnte, bedingungslos in den Arsch zu kriechen.

Bevor Sie das allerdings können, müssen Sie zuerst jemanden kennen lernen, bei dem Sie das tun können. Extrem empfänglich für Schleimereien jeder Art und zudem noch äußerst förderlich, wenn es um die Karrieregestaltung geht, sind die Elder Statesmen, Lordsiegelbewahrer und Granden etablierter Parteien. Sie haben sich ein Leben lang in ungefähr die Position gebracht, in der sie gerne sein wollten, und genießen es jetzt, Strippen zu ziehen, Intrigen zu spinnen und möglichst bis zum Stadium der Senilität alle Fäden in den hageren Händen zu halten. Diese Leute sind Ihre Zielgruppe.

Für welche der Parteien Sie sich entscheiden, sollte ebenfalls klug überlegt werden.

Hüten Sie sich davor, zu schnell sein zu wollen!

Im Jahr 2001 begann in Hamburg der rasante Aufstieg der Schill-Partei. Er endete nur knapp drei Jahre später im politischen und wirtschaftlichen Total-Crash – das ideale Gegenbeispiel für das, was Sie vorhaben.

Von der Presse wegen seiner harten Urteile zum "Richter Gnadenlos" hochgejubelt, beschloß der Hamburger Amtsrichter Ronald Schill (der bis dahin mit Politik ungefähr so viel zu tun hatte wie eine Dampfmaschine mit Halbleitertechnik), eine eigene Partei zu gründen, die er selbstbewußt nach sich selbst benannte und sich noch selbstbewußter auch gleich zum Programm machte. Mit einem einzigen Slogan – "Mehr Sicherheit" – kam die neue Partei aus dem Stand bei der Bürgerschaftswahl 2001 auf über 19 Prozent. Eine politische Sensation, weit über Hamburg hinaus. Die einen schrien "Rechtsruck", die anderen "Endlich", im Ergebnis aber wurde die seit 43 Jahren regierende SPD abgewählt, und Ronald Schill zog als Juniorpartner des "Bürgersenats" aus CDU, ihm selbst und FDP im Rathaus ein. Zweiter Bürgermeister, Justizsenator – unglaublich für einen Seiteneinsteiger. Für viele Beobachter markierte Schill den Beginn einer neuen Politik-Ära, vor allem, weil er sich sofort auch bundesweit engagierte und seinen Erfolg erst in den neuen Bundesländern, dann bei der Bundestagswahl wiederholen wollte.

Interessant für unsere Betrachtung ist vor allem Schills zweiter Mann, Mario Mettbach. Der Möchtegern-Abzocker, Jahre vorher mit der Statt-Partei in Hamburg gescheitert, träumte schon vom Bundesvorsitz der Partei und glaubte, endlich an den Futtertrögen gelandet zu sein. Als Bausenator stellte er seine Geliebte in der eigenen Behörde ein (zu den Möglichkeiten, solches zu tun, später mehr) und ließ sich auf Partys in Dreifachfunktion feiern: als Senator, als Bundesgeschäftsführer der Schill-Partei und als Geschäftsführer der Landesgeschäftsstelle. Fast ein Jahr lang schien es, als habe "Super-Mario" endlich aufs richtige Pferd gesetzt.

Doch Schill scheiterte in den neuen Ländern, sorgte für einen Eklat bei einer Rede im Bundestag und blamierte sich bei den Wahlen. Schließlich stolperte er über a) seine mangelnde Moral und b) Walter Wellinghausen, einen weiteren Luxus-Kassierer in den eigenen Reihen. Der Anwalt, der Schill in einem Prozeß vertreten hatte, war kurz nach der Wahl zum Staatsrat befördert worden und verstrickte sich in eine Affäre, weil er angeblich noch während seiner Zeit im öffentlichen Amt weiter alte Mandanten beraten haben soll. Doch sein Freund Schill hielt noch zu ihm, als Wellinghausen lange nicht mehr zu halten war. Das Schicksal von Schill und Wellinghausen wurde im größten politischen Skandal der Freien und Hansestadt besiegelt. Von Bürgermeister Ole von Beust aufgefordert, Wellinghausen zu entlassen, drohte Schill, Beusts Homosexualität öffentlich zu machen. Beust reagierte, indem er beide feuerte, Neuwahlen ansetzte, diese mit absoluter Mehrheit gewann und Schill samt Partei zu einer Fußnote machte.

Wellinghausen kehrte in seinen alten Beruf als Anwalt zurück, Schill läßt sich mit der Ehefrau von Udo Jürgens beim Frühstücken fotografieren und fantasiert von Emigration nach Kuba. Mario Mettbach aber, jetzt zum zweiten Mal gescheitert, beendete seine politische Karriere.

Was lernen wir? Einerseits zeigt sich, wie stabil das vorhandene Parteiensystem in der Bundesrepublik ist (in deren über 50-jährigen Geschichte sich alleine die Grünen als feste Kraft etablieren konnten). Andererseits: In den kleinen Parteien, die, befeuert von Existenzängsten, Sozialnot oder Frust auf die großen Parteien, immer mal wieder Wahlerfolge erringen, sitzen so viele Abzocker, die untereinander intrigieren, tricksen und sich letztlich ausbremsen, daß es eine wahre Freude ist, zuzusehen.

Vor allem rechtsextreme Parteien wie die NPD oder die DVU haben es darin zu großer Perfektion gebracht.

Hier ein Beispiel vom platten Land: Den "Diätenwucher" wollten die sechs Abgeordneten der DVU bekämpfen, als sie 1992 mit Getöse in den Landtag von Schleswig-Holstein einritten. Aber erst einmal taten sie alles, um den Diätenwucher ganz genau kennen zu lernen – indem sie ihn auf die Spitze trieben. In der sechsköpfigen Gruppe gab es nur Führungspersonal: Ingo Stawitz bekam zusätzlich zu seiner monatlichen Abgeordnetendiät von 6680 Mark noch einmal 7950 Mark für seine Funktion als Fraktionschef. Als Vize bekam Benvenuto Friese zu seiner Grunddiät noch einmal 1908 Mark – genau wie die beiden Zusatz-Vizes Renate Köhler und Ingo Schachtschneider. Helmut Werner Thienemann kassierte als parlamentarischer Geschäftsführer zusätzliche 4770 Mark. Außerdem wurde erst einmal für 1,1 Millionen Mark aus Steuermitteln eingekauft: Faxgeräte, Handys, Kopierer und – hurra, Deutschland! – 20 Flaggen. Ein halbes Jahr nach der Wahl zerfiel die Fraktion nach internem Krach.
Wer also Großes vorhat und nachhaltig profitieren möchte, muß sich auch an die Großen halten. Ihr Parteikorsett ist starrer, verhindert grobe Ausreißer und bietet dem Pfiffigen dennoch jede Menge Möglichkeiten zur, nun ja, persönlichen Entfaltung.

CDU und SPD, die beiden großen Volksparteien, gibt es im kleinsten Kuhkaff, und sie sind in fast jedem Parlament vertreten. Vielleicht sind Sie versucht, in Bayern in die CSU einzutreten oder im Ruhrgebiet in die SPD, weil diese Parteien dort sehr stark sind. Kein schlechter Gedanke, aber bedenken Sie auch, daß ein ehrgeiziger Nachwuchspolitiker in der Diaspora für einiges Aufsehen sorgen kann und damit für eine fast schon programmierte Karriere in Frage kommt.

Eine ausgezeichnete Alternative ist in jedem Fall die FDP. Zerklüftet von Machtkämpfen und immer mal wieder von wirren Modernisierungsgedanken erschüttert, bieten sich in dieser Partei hervorragende Möglichkeiten, es schnell bis ganz nach oben zu schaffen. Haben Sie ein interessantes Hobby wie Fallschirmspringen oder Tiefseetauchen, können Sie es sich von der Partei bezahlen lassen und publikumswirksam einsetzen. Ihre Kollegen und vor allem die Wähler werden begeistert sein. Sie könnten jetzt versucht sein, sich ein kariertes Boss-Jackett und eine beige Cargo-Hose zu kaufen, sich von ihrer Mutter einen Garfield-Schlips binden zu lassen und bei der FDP vorzusprechen, aber bedenken Sie auch: Viele dort sind mit dem gleichen Ziel wie Sie unterwegs. Die Konkurrenz ist groß, die Plätze an den Futtertrögen und auf den Listen aber sind begrenzt.

Informieren Sie sich also vor Ort über die Machtstrukturen der kommunalen Parteien (das bedeutet: Lesen Sie die Lokalpresse – oder noch besser: Machen Sie den leitenden politischen Lokalredakteur in Ihrer Heimatstadt betrunken, er wird Ihnen alles erzählen) und entscheiden Sie sich dann für die Partei, die mächtig genug ist, Sie nach oben zu befördern, von der aber qua Altersstruktur absehbar ist, daß sie sich in den nächsten Jahren dringend verjüngen muß, weil es auch in Deutschland verboten ist, Tote in Parlamente zu wählen, egal, wie lange und wie wichtig sie im Hintergrund agiert haben.

Der ideale Einstieg in eine Parteikarriere ist die Jugendorganisation. Bei der CDU ist das die Junge Union (JU), bei der SPD sind das die Jungsozialisten (Jusos) und bei der FDP die Jungen Liberalen (JuLis, haha!). Keine Sorge, eine Aufnahmeprüfung gibt es nicht, jeder wird genommen.

In diesen Jugendorganisationen gibt es alles, was es auch in den großen Parteien gibt: Gemeinde-, Orts-, Stadtteil-, Landes- und sogar einen Bundesverband, Kongresse, Geschäftsstellen, Vorstände, Beiräte, Ausschüsse und Delegierte, also von den Mitgliedern zu weiteren Wahlzwecken bestimmte Sondermitglieder, die bei Wahlen auf der nächsthöheren Hierarchie-Ebene Stimmrecht haben. Das ist übrigens Ihr Ziel: Delegierter zu werden. Denn dieses Extra-Stimmrecht ist Ihr erstes Macht-Puzzlestück. Wer in eine höhere Position gewählt oder in einer höheren Position bestätigt werden möchte, braucht IHRE Stimme! Ist das nicht fantastisch? Die Kandidaten werden Sie umgarnen und umwerben, und derjenige, dem Sie Ihre Stimme geben, schuldet Ihnen einen Gefallen! Sie werden noch darauf zurückkommen!
Und das soll klappen?

Ja.

Zwischenspiel: Angela Merkel und Gerhard Schröder – zwei exzellente Politiker-Karrieren

Gerhard Schröder wurde 1963, mit 19 Jahren, Mitglied der SPD. Er engagierte sich bei den Jungsozialisten in Göttingen, wo er es rasch in den Vorstand brachte. 1971 wurde er Juso-Chef von Hannover, Nachfolger von Herbert Schmalstieg, der lustigerweise heute Bürgermeister von Schröders Heimatstadt Hannover ist. Überliefert ist die Episode, in der sich der junge Bundestagsabgeordnete Schröder eines Nachts vor dem Bundeskanzleramt einfand, am eisernen Tor rüttelte und die Worte "Ich will hier rein" in den Bonner Nachthimmel schrie. Nun, er hat es geschafft – eine wirklich exzellente Politiker-Karriere.

Über die Jugendorganisation kam Schröder in die SPD-Parteivorstände im Unterbezirk Hannover-Stadt und im Bezirk Hannover. Nach einem internen Grabenkampf mit dem späteren SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter wurde Schröder 1978 Juso-Vorsitzender und hatte es erst einmal geschafft. Er hatte Zugang zu den Parteigranden und war wichtig genug, um sich ins Gespräch zu bringen. Zwei Jahre nach Übernahme des Vorsitzes mußte er ihn schon wieder aufgeben – Schröder war zu alt, um weiter Chef der Jugendorganisation zu sein. Hatte er auch nicht mehr nötig: Schröder marschierte geradewegs in den Bundestag, übernahm drei Jahre später den Vorsitz des SPD-Bezirks Hannover. Nur vier Jahre später war er bereits Spitzenkandidat der Partei in Niedersachsen, verlor eine Wahl, wurde Chef der SPD-Fraktion und sah seine große Chance, als sich der amtierende Ministerpräsident Albrecht durch einen Spielbankenskandal, Ausbruchspannen aus Hochsicherheitsgefängnissen (Celler Loch) und angebliche Bespitzelungsaffären gegen ihn, Schröder, immer weiter in ein PR-Loch manövrierte. Ein Mißtrauensvotum scheiterte zwar, aber am 13. Mai 1990 war es endlich so weit: Schröder errang mit der SPD 44,2 Prozent, er konnte mit den Grünen eine Koalition bilden und die Regierungsverantwortung in Hannover übernehmen. Weitere vier Jahre später konnte Schröder, mittlerweile einer der absoluten Shooting Stars seiner Partei auch auf Bundesebene, auf die Grünen verzichten und alleine regieren. Schon damals verfolgte er systematisch seinen alten Jugendtraum: Bundeskanzler werden, Kohl ablösen, ganz oben stehen. Vor der nächsten Landtagswahl in Niedersachsen verknüpfte er sein persönliches Schicksal mit dem des Landes. Nur wenn er deutlich zulegen würde, werde er als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf ziehen. Schröder gewann mit 47,9 Prozent. Sein Nachfolger in Hannover wurde Gerhard Glogowski. Am 27. September 1998 löste Rot-Grün die konservative Kohl-Koalition ab. Schröder war Kanzler, später auch noch Parteivorsitzender. Im Frühjahr 2004 trat er von seinem Amt als Chef der Sozialdemokraten zurück. Die Partei hatte für den Politiker ihre Zwecke erfüllt. Der Rest ist bekannt.

Man mag von Gerhard Schröder halten, was man will – ein Abzocker ist er nicht. Dennoch illustriert die Karriere des Mannes, der einst Verkäufer lernte und sich zum Volljuristen (natürlich neben seiner politischen Karriere) hocharbeitete: Mit Willen, Disziplin und Geschick stehen jedem a) höchste Ämter offen, und b) ohne Parteistruktur geht es nicht.

Sosehr sich Gerhard Schröder in seinen politischen Zielen und seiner Biographie von Angela Merkel unterscheidet – in Sachen Karriere gibt es durchaus Parallelen.
Denn auch Angela Merkel ist ein gutes Beispiel dafür, wie jemand in einer Partei sein Glück gemacht hat. Von der FDJ bis ganz nach oben – Kohls "Mädchen" hat zweifelsohne die perfekte Karriere hinter sich.

Anders als Gerhard Schröder hatte es die gebürtige Hamburgerin allerdings nicht von Anfang an auf einen politischen Beruf abgesehen. Im Gegenteil: Angela Merkel ist Physikerin, der Titel ihrer Dissertation an der Universität Leipzig lautet: "Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden." Also, dumm scheint sie nicht zu sein, die Angela.
Warum aber studierte die Hanseatin an der Universität Leipzig, also in der DDR? Schon der Säugling Angela Merkel hat eine interessante Biographie: Ihr Vater, Horst Kasner, entschloß sich wenige Monate nach der Geburt der kleinen Angela, in die DDR auszuwandern. Nicht, weil er ein großer Kommunist gewesen wäre – im Gegenteil. Horst Kasner war Pfarrer und übernahm im Herbst 1954 die Gemeinde Quitzow bei Perleburg, später wurde er Leiter des Pastoralkollegs bei Templin.

Die kleine Angela lebte ein typisches DDR-Leben. Polytechnische Oberschule, Mitgliedschaft in der FDJ, wüstes Campen mit Freunden. Es gibt Fotos aus ihrer Kindheit und Jugend, die sind einfach zum Schreien. Zum Beispiel vom Karneval in Templin. Alle Kinder, verkleidet als Prinzessinnen und Piraten, scheinen sich zu amüsieren. Vorneweg marschiert die kleine Angela, ein Rotkäppchen mit einer dicken Kladde unter dem Arm – sie trägt sie stolz vor sich wie eine Aktentasche.

Machen, Gestalten, Bestimmen schien schon früh die Mission der jungen Merkel zu sein. Und als sich 1989 das Ende der ungeliebten DDR abzeichnete, trat sie in die Partei Demokratische Aufbruch (DA) ein – einer Art DDR-CSU. Eine Blitzkarriere gleich vom Start weg: Von der Pressesprecherin wurde sie nach der Volkskammerwahl 1990 stellvertretende Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung. Und sie fiel Helmut Kohl auf. Der Einheitskanzler erkannte als Erster das große Potential der klugen Frau. Wie machtbewußt sie andererseits war, sollte er viele Jahre später erfahren. Vorerst aber war Angela Merkel Kohls "Mädchen", das der Übervater schon 1991 zur Bundesministerin machte. Das muß man sich mal vorstellen: zwei Jahre nach Parteieintritt (denn die Zwangsmitgliedschaft in der FDJ kann man ja kaum als solche zählen) gleich ins Kabinett. Und auch in der Partei ging die Karriere so steil, daß manchem schwindelig wurde: 1991 wurde Angela Merkel stellvertretende Bundesvorsitzende, zwei Jahre später außerdem CDU-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern. Interessanterweise trat sie dort nie als Spitzenkandidatin an – auch das zeigt ihren Machtinstinkt. Den Makel einer verlorenen Wahl wollte sie sich ersparen – und nahm dafür den Spott ihrer innerparteilichen Gegner (und davon gab es zeitweise mehr als Freunde) in Kauf. Nach dem Regierungswechsel 1998 verlor die damalige Umweltministerin ihren Job – und hatte schon wenige Wochen später einen neuen. Ein besseren. Wolfgang Schäuble, damals Bundesvorsitzender der CDU, setzte sie als Generalsekretärin der Partei durch.

Jetzt war Angela Merkel so weit oben, daß sie kaum noch einer stürzen konnte. Und sie begann – im Namen der Partei – jene aufzuräumen. Einen Neuanfang OHNE Helmut Kohl forderte sie, nachdem der Einheitskanzler durch die Parteispendenaffäre diskreditiert worden war. Einen Neuanfang OHNE Wolfgang Schäuble setzte sie dann 2000 durch, nachdem ebenjener aufgrund von Unkorrektheiten zurücktreten mußte. Hauptfigur dieses Neuanfangs: sie selbst. Angela Merkel wurde die neue Parteivorsitzende. Jetzt fehlte nur noch ein Mosaiksteinchen zur Macht: der Fraktionsvorsitz. Den errang sie durch eine Koalition mit Edmund Stoiber, dem sie wiederum die Kanzlerkandidatur 2002 überlassen hatte.

Im Mai 2005, nach der überraschenden Neuwahl-Ankündigung der Herren Müntefering und Schröder, war die eigene Kanzlerkandidatur endlich in Reichweite. Schon am Abend der verlorenen NRW-Wahl stellte sich niemand mehr gegen Angela Merkel. Ein Woche später wurde das, was alle wußten, offiziell verkündet.

Der Rest ist bekannt.

Nur keine Angst vor dem Wähler!

Also: Werden Sie auf jeden Fall Mitglied einer Partei! Entscheiden Sie sich für SPD, CDU oder mindestens die FDP. Machen Sie sich Freunde, indem Sie am Anfang deren, später gar keine und am Ende nur noch Ihr eigene Meinung vertreten. Suchen Sie Kontakt zu den Mächtigen und Wichtigen. Machen Sie von Ihrem innerparteilichen Wahlrecht Gebrauch und lassen sich als Kandidat aufstellen! Auch wenn es anfangs kleine, unbedeutende Posten sind: Wichtig ist, daß die Parteifreunde sich daran gewöhnen, Sie zu wählen. Dann steht Ihrer Karriere nichts im Wege – und Sie haben gute Chancen, als Kandidat für den Deutschen Bundestag aufgestellt zu werden.
Ach, Sie haben Angst, daß der einfache Wähler, der Bürger, in Ihrem Wahlkreis gar nicht für Sie stimmen könnte? Daß Sie vergeblich Plakate kleben, Handzettel verteilen oder Reden gehalten und dabei Blut und Wasser geschwitzt haben?

Keine Sorge: Der Wähler ist das eine, die Partei das andere.

Die meisten Parlamente in Deutschland sind nur ungefähr zur Hälfte mit direkt gewählten Volksvertretern bestückt. Das sind die Frauen und Männer, die in ihren Wahlkreisen die Mehrheit erzielt und damit ein Direkt-Ticket nach Berlin gezogen haben. Der andere Teil, zurzeit etwa 300 Abgeordnete, sind über so genannte Landeslisten in den Bundestag eingezogen.

Warum? Weil der Bundestag größer ist als die 299 Wahlkreise, in denen die Bundesrepublik organisiert ist. Die Direktmandate werden über die Erststimme verteilt, die Listenplätze über die Zweitstimme. Sie kennen das vor jeder Wahl, wenn die FDP um die Zweitstimme der CDU-Wähler (zu sozialliberalen Zeiten SPD-Wähler) bettelt: Da den FDP-Fürsten klar ist, daß wohl keiner ihrer Kandidaten per Erststimme in den Bundestag einzieht, muß die Partei auf Zweitstimmen setzen (das sind übrigens auch die Wahlergebnisse, die Sie im Fernsehen sehen). Je mehr Prozentpunkte an Zweitstimmen eine Partei erhält, desto mehr Listenplätze darf sie besetzen. Das sind dann die Abgeordneten, die entweder in ihrem Wahlkreis verloren haben oder gar nicht erst angetreten sind. Also Abgeordnete, die nie vom Wähler gewählt, sondern von der Partei bestimmt worden sind.

Diese Listenplätze sind innerhalb der Parteien vor den Wahlen natürlich heiß umkämpft. Ihnen aber dürfte es kaum schwer fallen, einen solchen Platz zu ergattern: Schließlich haben Sie vorgearbeitet und einflußreiche Freunde gewonnen. Schließlich haben Sie viele von denen, die jetzt über die Listenplätze entscheiden, häufig unterstützt. Schließlich halten viele von diesen Parteifreunden Sie für "ihren Mann". Schließlich könnten Sie denen ja von Berlin aus auch den einen oder anderen Gefallen tun.

Kurz: Sie sind ein grandios guter Schleimer und haben allen das Blaue vom Himmel herunterversprochen. Das dankt man Ihnen jetzt – mit einem Platz in Berlin.
Herzlich willkommen!

Und jetzt dürfen Sie auch schon die ersten Geschenke auspacken.

Was Ihnen sofort zusteht

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, Artikel 48 Abs. 3: Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Was sein muß, muß sein

Jeder Mensch, der arbeitet, bekommt dafür Geld. Die meisten würden sonst auf die Arbeit komplett verzichten und sich den ganzen Tag Oliver Geissen und Gerichtsfernsehen anschauen.

Natürlich werden auch Politiker bezahlt. Aber sie bekommen kein Gehalt, sondern eine Entschädigung. Der Unterschied ist: Mit dieser Zahlung soll die Unabhängigkeit der Parlamentarier gesichert werden. Das bedeutet schon einmal eins: nämlich daß die Entschädigung nicht allzu gering ausfallen darf. Denn sonst könnte der einzelne Politiker ja nur allzu leicht Bestechungsversuchen erliegen.

Also so: Im Bundestag wird abgestimmt, ob künftig Tomaten mit Beinen gezüchtet werden dürfen, die praktischerweise gleich vom Feld in die Supermärkte laufen. Das Gentechnik-Unternehmen "Flitztomate" möchte die Abstimmung nun beeinflussen und bietet jedem Abgeordneten, der die Idee des rennenden Gemüses ebenfalls pfiffig findet, eine Summe von 5000 Euro. Genau hier, so schoben die Urväter des Grundgesetzes den Riegel vor, muß der Abgeordnete so viel verdienen, daß er solchen Angeboten mannhaft widerstehen kann.

Das ist natürlich totaler Unsinn. Natürlich wären viele Unternehmen bereit, schwindelerregend hohe Summen zu zahlen, um ihre Interessen durchzusetzen. Viel mehr, als der Staat moralisch wenig gefestigten Bundestagsabgeordneten zahlen könnte. Aber immerhin.

Im Moment verdient jeder Abgeordnete monatlich brutto 7009 Euro. Das mag vielen in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen bei rund 2435 Euro (BRUTTO) liegt, schon viel vorkommen. Aber: Viele MdB (immerhin 115 sind Volljuristen) haben in ihrem Zivilberuf vorher mehr Geld verdient. Und: Diese 7009 Euro sind nur die zarte Spitze des leckeren Milcheisbergs, an dem jeder neu gewählte Abgeordnete lecken darf.

Alle Zahlen sind öffentlich. Es gibt eine fünfseitige Broschüre "Leistungen an die Mitglieder des Deutschen Bundestages", in denen sämtliche Zuwendungen veröffentlicht sind. Es gibt auf der Homepage http://www.bundestag.de mehrere Seiten, die die Zuwendungen erklären.

Logischer und nachvollziehbarer werden sie dadurch nicht unbedingt. Wir werden im Laufe der nächsten Kapitel immer wieder auf diese Seite zurückkommen.

– Nun gut, monatlich: 7009 Euro Grundgehalt.

Achtung! Der Strafkatalog!

Wenn Sie gerne den Sportteil Ihrer Tageszeitung lesen, wissen Sie: Wer nicht zum Training kommt, zahlt in die Mannschaftskasse. Eine ähnliche Regelung gibt es auch im Bundestag. Allerdings wird dann vom Gehalt abgezogen. Hier der Bußgeldkatalog des Bundestags:


1

Bei Nichteintragung in die Anwesenheitsliste an einem Sitzungstag
bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit,
Aufenthalt in einem Krankenhaus oder Sanatorium

50,00

20,00



2

Bei unentschuldigtem Fehlen an einem Plenarsitzungstag

100,00

3

Bei entschuldigtem Fehlen an einem Plenarsitzungstag

50,00

4

Bei Versäumnis einer namentlichen Abstimmung

50,00

5

Bei vom Präsidenten genehmigter Dienstreise

20,00

Also, korrigiert: bei gutem Benehmen und ohne Dienstreise 7009 Euro Grundgehalt. Dazu kommen 3589 Euro Kostenpauschale. Diese Kostenpauschale ist steuerfrei, das bedeutet, sie wird netto auf das Konto des MdB überwiesen. Die Bundestags-Internetseite erklärt das so:

Was sein muß, muß sein.

Fängt schon gut an, was?

Zum Beispiel eine Zweitwohnung in Berlin. Zum Beispiel ein leistungsfähiges Büro im Wahlkreis. Zum Beispiel ein Auto, um in ländlichen Stimmbezirken überhaupt "vor Ort" sein zu können. Und hier eine Spende für soziale Belange, dort eine Spende für Vereine und Verbände, da ein Pokal für das örtliche Fußballturnier ... und nicht zuletzt erhebliche Zuwendungen für Veranstaltungen und Aktionen der heimischen "Basis", die von "ihrem" Abgeordneten ganz selbstverständlich erwartet, daß er mit gutem Beispiel vorangeht.

Weil ein "MdB" auch im Wahlkreis keinen Arbeitgeber hat (der ein Büro stellt, Reisekosten abdeckt und Kilometergeld bezahlt) und weil eine Einzelabrechnung aufwendiger wäre, gibt es die Kostenpauschale. Sie beträgt zurzeit 3589,00 € und wird zum 1. Januar eines jeden Jahres entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten angehoben. In vielen Fällen reicht die Pauschale nicht aus. Höhere Ausgaben werden jedoch nicht erstattet, und sie können auch nicht steuerlich abgesetzt werden; denn für den Abgeordneten gibt es keine "Werbungskosten".

Was mag eine Wohnung in Berlin kosten? Unser Rechercheur Marc Paustian zahlt für knappe 200 Quadratmeter in guter Lage (drei U-Bahn-Stationen und fünfzehn Minuten Fußweg vom Reichstag) 600 Euro. 1000 Euro sind in der internen Verwaltungs-Berechnung für eine Wohnung in Berlin veranschlagt. Für eine Wohnung übrigens, die die meisten Abgeordneten natürlich nur von Montag bis Freitag nutzen. Die rund 25 Parlamentarier, die ohnehin ihren Erstwohnsitz in Berlin angemeldet haben – darunter Bundespräsident Wolfgang Thierse (SPD) –, bekommen die Kostenpauschale natürlich komplett. Hier zahlt der Staat also ganz einfach mal die Miete.

Die meisten aber sind am Wochenende, an Feiertagen und in den sitzungsfreien Zeiten in ihren Wahlkreisen – um dort den Rest ihrer Kostenpauschale auszugeben. Oder, wie es weiter oben heißt, "in ländlichen Gebieten mit dem Auto vor Ort zu sein". Das Auto, natürlich, kann man auch von der Kostenpauschale zahlen. Was mag ein Auto kosten? Für 360 Leasing-Euro bekommt man locker einen sehr gut ausgestatteten 3er-BMW oder einen kleinen Mercedes. Oder auch: Braucht man tatsächlich ein Auto, wenn man als MdB ohnehin kostenfrei 1. Klasse mit der Bahn fahren darf? In Berlin braucht man übrigens kein eigenes Auto: Rund um die Uhr stehen die Limousinen der Fahrbereitschaft zur Verfügung – mit Chauffeur. Wer lieber Berliner Luft schnappen möchte, fährt Bus oder Bahn – kostenfrei, man hätte es sich fast denken können.
Aber zurück im "ländlichen Wahlbezirk". Was bedeutet es tatsächlich, wenn ein Abgeordneter beispielsweise einem Sportverein im Wahlkreis 1000 Euro spendet? Eigentlich nur eine Art Steuergeld-Durchlauf-Erhitzung. Denn ob beispielsweise der VfL Hintertupfingen die 1000 Euro für die Jugendarbeit und ein neues Tor gleich aus dem Steuertopf bekommt oder ob sie vom Parlamentarier auf einem Sommerfest freudestrahlend per Scheck überreicht werden – wo ist da der Unterschied? Genau: Es gibt keinen – außer der Tatsache, daß der Politiker auf besondere Wählergunst spekulieren darf. Wir sprechen also von einer offen finanzierten Wahlkampfhilfe für den Abgeordneten. Oder: Schleimerei auf Staatskosten.

Einen Nachweis über die Verwendung dieser Kostenpauschale will niemand sehen. Alle Vorschläge, die es in den vergangenen Jahren gab, die Pauschale auf ein Minimum zu reduzieren und den MdB die Möglichkeit zu geben, den Rest von der Steuer abzusetzen (wie Sie das als Werbungskosten aus Ihrer Steuererklärung kennen), sind gescheitert.

Also monatlich: brutto 7009 Euro, netto nochmal 3589 Euro. Feine Grundausstattung.

Auf Landesebene verdient man übrigens nicht ganz so gut, aber das System ist das gleiche: Entschädigung plus Kostenpauschale. Vielen reicht das nicht: Der Berliner PDS-Abgeordnete Walter Kaczmarczyk erhielt 1995 eine Entschädigung von 5100 Mark und eine Kostenpauschale von 1460 Mark. Wie viele Landesparlamentarier arbeitete Kaczmarczyk allerdings nebenbei noch in einem zivilen Beruf weiter: In seinem Fall war es eine ABM-Stelle, da mit seinem Heimatstaat, der DDR, auch sein ursprünglicher Beruf, DDR-Grenzbeamter, abgeschafft worden war. Als die ABM-Stelle auslief, meldete er sich arbeitslos. Heißt: wollte zusätzlich zu den rund 6500 Mark noch Arbeitslosengeld für 832 Tage kassieren. Unverschämt? Fand das Arbeitsamt auch. Die Richter, vor denen Kaczmarczyk klagte, allerdings nicht – schließlich wurden dem ehemaligen Grenzhüter 30000 Mark Nachzahlung zugesprochen. Ein Kernsatz des Urteils lautete, daß die Arbeit eines Parlamentariers keine Berufstätigkeit sei.

Stimmt: Wir reden ja über Entschädigungen.

Sie müssen ja nicht alles alleine machen

Natürlich muß kein Abgeordneter die ganze Arbeit, die zwar keine Arbeit ist, für die er aber entschädigt wird, alleine erledigen. Kann er ja gar nicht.
Steht auch unter http://www.bundestag.de:

Kein Abgeordneter kann die ihm obliegenden Mandatsaufgaben alleine bewältigen. Ohne die Hilfe von qualifizierten Mitarbeitern kommt er nicht aus. Hierfür stehen ihm monatlich rund 9100,00 €, ab 01.04.2004 bis zu 9819,00 € und ab 01.05.2004 bis zu 9910,00 € zur Verfügung. Diese Summe erhält der Abgeordnete allerdings nicht selbst. Vielmehr bezahlt die Bundestagsverwaltung daraus die von den Abgeordneten eingestellten Mitarbeiter unmittelbar. Mitarbeiter, die mit dem Abgeordneten verwandt, verheiratet oder verschwägert sind, sind hiervon übrigens ausgenommen. Ihr Gehalt müßte der Abgeordnete selbst zahlen.

Eine Menge Geld. Für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter weist der Bundestag je nach Eintrittsalter ein Monatsgehalt zwischen 2676 und 4095 Euro aus. Zwei bis drei Stellen müßten also pro Abgeordneten drin sein, vor allem, weil in dem Gesamtbetrag die Sozialleistung für die Mitarbeiter nicht mit eingerechnet sind.

Das sind hohe Gehälter, außerdem wird die Pauschale regelmäßig erhöht. Das führt häufig zu Kritik, so etwa vom "Sozialverband Deutschland". SoVD-Präsident Adolf Bauer bezeichnete die Erhöhung als "Ohrfeige für alle Rentner und Arbeitslosen", sprach von einer "völlig instinktlosen Anhebung". Begründung: Während man den einen reale Einkommensverluste zumute, könnten die Bundestagsabgeordneten ihren Mitarbeitern großzügige Gehaltserhöhungen genehmigen.

In der Pressemitteilung heißt es, der SoVD akzeptiere, daß unsere Abgeordneten qualifizierte Mitarbeiter benötigen, um im Interesse der Bürger sachgerecht entscheiden zu können. Diese Mitarbeiter entlasteten aber die Bundestagsabgeordneten offenbar bereits heute über das nötige Maß hinaus, wie die zahlreichen Nebenbeschäftigungen vieler Parlamentarier vermuten lassen, unterstrich Bauer. Auch von daher bestehe kein Bedarf für eine Erhöhung der Mitarbeiterpauschale.

Was genau aber muß ein Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten können? In der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung wird der Job so beschrieben:

Wissenschaftliche Mitarbeiter des Deutschen Bundestages arbeiten an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft. Sie arbeiten Abgeordneten fachlich zu. Dafür müssen sie in der Lage sein, wissenschaftliche Zusammenhänge schnell zu erfassen und auf ihre wesentlichen Kernelemente zu reduzieren, also "politikgerecht" zu machen. "Man muß alles können", sagt der Politologe Jens Holtkamp, seit anderthalb Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Abgeordnetenbüro. "Einerseits ist man eine Art persönlicher Referent des Abgeordneten und berät ihn bei Fachfragen – das ist hochinteressant. Es fallen aber auch Sekretariatsaufgaben an."

Sekretariatsaufgaben? Schnelle Auffassungsgabe? Persönlicher Referent? Scheint ein toller Job zu sein. Den freilich nicht jeder bekommt. Weiter schreibt die Süddeutsche Zeitung:

Nicht selten ebnen allerdings persönliche Kontakte den Weg ins Abgeordnetenbüro, denn freie Stellen werden nicht öffentlich ausgeschrieben. Die Mitgliedschaft in einer Partei oder einem Verband ist unter Umständen von Vorteil, aber nicht notwendig.

Persönliche Kontakte? Mitgliedschaft in einer Partei ist unter Umständen von Vorteil? Keine öffentliche Ausschreibung? Es wäre naiv zu denken, daß dieses System nicht zu kreativen Prozessen verleiten würde.

Beispielsweise: Ich stelle deine Ehefrau an und du meine – das heißt im Politik-Jargon "Crossover". Oder: Ich stelle den Sohn von Parteikumpel Soundso aus dem "ländlichen Wahlkreis" an, und dafür habe ich seinen Rückhalt bei der nächsten Listenplatz-Diskussion. Oder: Ist der Cousin meiner Schwester eigentlich mein Verwandter? Eigentlich nicht. Oder: Mit meiner Lebensgefährtin bin ich ja wohl weder verheiratet noch verwandt.

Wir haben Mario Mettbach schon kennen gelernt. Sein erster großer Skandal war, seine Lebensgefährtin in der eigenen Behörde beschäftigt zu haben.

Tatsache ist: Wo Stellen nicht öffentlich ausgeschrieben werden und Vetternwirtschaft mit einem Paragraphensatz verboten wird, setzt sich diese immer durch.

Auch Ihr Alltag wird ordentlich versüßt

Abgeordnete des Deutschen Bundestages fahren 1. Klasse Bahn – umsonst, in Berlin Bus und Bahn – umsonst, haben Zugriff auf die Fahrbereitschaft – umsonst.

Was, wenn sie mit dem Flugzeug unterwegs sein müssen? Dann zahlt natürlich, soweit es sich um eine Dienstreise handelt, auch der Bund. Die MdB fliegen Business-Class. Das bedeutet, daß ein einfacher Flug von Berlin nach Köln mit der Lufthansa beispielsweise 605,67 statt 205,67 Euro kostet, wobei man nicht von der Hand weisen darf, daß bei Storno oder Umbuchung keine weiteren Kosten anfallen. Die Wartezeit verbringt der Abgeordnete in einer Business-Lounge, denn Lufthansa stellt allen MdB automatisch die "Senator-Card" aus – die natürlich auch privat genutzt werden kann.

Die anfallenden Bonusmeilen des "Miles and More"-Programms sind eigentlich auch wieder für Dienstreisen zu benutzen. Als auffiel, daß sich nicht alle Abgeordneten daran halten, rappelte es gehörig im Karton – dazu später mehr. Aber auch für einsame Abende in Berlin oder anderswo ist gesorgt: 1999 beispielsweise schenkte die Kinokette "Cinemaxx" allen Mandatsträgern einen VIP-Ausweis, mit dem sie 100 Tage umsonst ins Kino gehen konnten. Der Spiegel wußte im August 2002 zu berichten, daß McDonald’s gerne mal Fast-Food-Gutscheine schickt und Friseure Parlamentarier-Haare kostenlos schneiden.

Im Rahmen der Freizeitgestaltung tun sich aber noch weitere interessante Alternativen auf. Wer gerne golft, schließt sich der Golftruppe in der "Sportgemeinschaft" des Deutschen Bundestages an und muß in Berlin und Bonn nur Mini-Gebühren zahlen, wie der Stern im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte. Ferner ließ sich die Tennismannschaft des Bundestages Flüge zu Turnieren nach Finnland und Rom von der Rüstungsindustrie sponsern, die "Motorradgruppe des Bundestages", recherchierte ebenfalls der Stern, fährt mit Gratis-Sprit durchs Land. Easy-Riderin Ute Vogt von der SPD bezeichnet Kritik an der Spritverteilung als "typisch deutsche Neidhammelei". Da ging es ja auch um sie selbst – wie Frau Vogt reagiert, wenn sie anderen Mißbrauch vorwirft: später.

Zusätzlich zu den Diäten, der Kostenpauschale und den Mitarbeitern, die Abgeordnete beschäftigen, gibt es noch Extra-Töpfe, aus denen geschöpft werden kann. Sehr beliebt ist dabei die Summe, die jeder Abgeordnete für Bürobedarf ausgeben darf. Bürobedarf: Das sind Druckerpatronen, Stifte, Büroklammern, Papier, Briefmarken – also nicht gerade hochpreisige Artikel. Das liest sich im Leitfaden für Abgeordnete des Bundestages so:

Nach Beschluß des Haushaltsausschusses und des Ältestenrates können die Mitglieder des Deutschen Bundestages im Rahmen bestehender Haushaltsansätze haushaltsneutral bestimmte Sachleistungen im Rahmen der Amtsausstattung flexibel in Anspruch nehmen. Das Flexibilisierungskonzept umfaßt die Bereiche:

  • Büro- und Geschäftsbedarf,
  • Versand von Telegrammen, Fernschreiben und Telebriefen,
  • Aufwendungen für luk-Leistungen nach Maßgabe der Ausführungsbestimmungen des Ältestenrates § 12 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 AbgG. Die Leistungen können bis zu einem Jahreshöchstbetrag von 7500 € in Anspruch genommen werden. Dieser erhöht sich um 256 € für jedes erstmals in den Bundestag gewählte Mitglied im ersten Jahr der Mitgliedschaft. Endet die Wahlperiode oder das Mandat vor Ablauf des Jahres, kann der Höchstbetrag für dieses Jahr nur anteilig in Anspruch genommen werden.

Da der 7500-Euro-Etat aber am Ende des Jahres verfällt, geraten einige Abgeordnete in der Vorweihnachtszeit in hektische Aktivität, diesen Honigtopf noch zu leeren. Schließlich sind auch teure Füller im weitesten Sinne Bürobedarf – und machen sich unter dem Weihnachtsbaum ganz gut als Geschenk für Onkel, Tante, Patenkind. 20 Luxus-Füller der Edelmarke Montblanc, Modell "Le Grand de Montblanc", sind bislang die Rekordbestellung, die ein einzelner Abgeordneter beim Hauptlieferanten des Bundestags aufgegeben hat. Stückpreis: knapp 180 Euro netto.

Im ersten Jahr im Bundestag darf ein neuer Abgeordneter sogar 256 Euro mehr ausgeben. Warum eigentlich?

Im Januar 2005 ist der Leitfaden aktualisiert worden. Was der Leitfaden jedoch nicht erwähnt: Gleichzeitig wurde die Summe für Bürobedarf auf 9000 Euro im Jahr erhöht. Begründung: Auch Handy-Kosten müssen abgerechnet werden können.

Man muß übrigens gar nicht mehr unbedingt im Bundestag sein, um die Mandats-Privilegien genießen zu können. Petra Bläss (PDS), Rudolf Seiters (CDU) und Anke Fuchs (SPD) sind zwar seit 2002 nicht mehr im Parlament, haben aber als ehemalige Bundestagsvizepräsidenten bis heute sowohl ein Büro im Regierungsviertel als auch einen Mitarbeiter der Gehaltsklasse BAT IVa (kostet rund 40.000 Euro jährlich). Sie telefonieren gratis, bekommen zwei Tageszeitungen, behalten die Freifahrtkarte der Bahn und dürfen 9000 Euro im Jahr für Montblanc-Füller, nein, sorry, für Büromaterialien ausgeben.

Und wenn mal was schief geht?

Daß die Wahrscheinlichkeit, nicht gewählt zu werden, bei entsprechender Vorbereitung relativ gering ist, haben wir vorher schon erwähnt. Dennoch kann es Situationen geben, in denen die politische Karriere ein jähes Ende findet – sei es, weil der unberechenbare Wähler die jeweilige Partei großflächig abstraft und die Listenplätze nicht mehr in gewohnter Anzahl vergeben werden, sei es, weil der Abgeordnete aus internen Schwierigkeiten mit den Genossen/Kameraden/Parteifreunden gar keinen Listenplatz ergattert hat, sei es, weil eine dumme Affäre ihn zum Rücktritt zwingt.

All diese Fälle mögen eintreffen, ein Grund zum Jammern sind sie nicht: Die so genannten Übergangsregelungen sind eine Art finanzielle Versicherung für Ex-Politiker. Mit Arbeitslosengeld, egal, ob I oder II, haben sie so rein gar nichts zu tun.

Auf der Homepage http://www.bundestag.de liest sich das so:

Das Übergangsgeld für Abgeordnete soll den beruflichen Wiedereinstieg absichern. Sein Zweck ist es, den Abgeordneten nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag eine Rückkehr in den angestammten Beruf oder die Aufnahme einer neuen Berufstätigkeit zu ermöglichen. Damit trägt das Übergangsgeld dazu bei, die Unabhängigkeit der Abgeordneten zu sichern. Diese sollen sich voll ihrem Mandat widmen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sein, sich schon während der Mandatszeit Sorgen um ihre berufliche Existenz nach dem Ausscheiden aus dem Parlament zu machen.

Also: Es soll verhindert werden, daß in der Fraktion einer Regierungspartei, in der drei Jahre lang absoluter Mist gebaut wurde und bei deren Mitgliedern das Gefühl dämmert, demnächst auf der Straße zu sitzen, statt praktischer Parteiarbeit nur noch Bewerbungen geschrieben werden. Es soll verhindert werden, daß sich die Herren Demnächst-vielleicht-nicht-mehr-Politiker in Job-Centern (aka Arbeitsämtern) herumtreiben, sich über Umschulungen informieren oder Bewerbungstrainings-Kurse belegen, statt im Reichstag noch schnell ein paar Gesetze zu verabschieden – oder ein Dutzend Montblanc-Füller zu bestellen.

Weiter:

Denn wer ein Bundestagsmandat annimmt, gibt regelmäßig für eine ungewisse Zeit seinen bis dahin ausgeübten Beruf auf. Die Mandatsausübung fällt dabei typischerweise in einen Lebensabschnitt, der bei anderen der Förderung der eigenen beruflichen Karriere, dem Aufbau und der Expansion des eigenen Betriebes oder einer Rechtsanwaltskanzlei oder Arztpraxis dient.

In der Theorie mag das alles eine gewisse Logik haben. In der Praxis aber sieht es doch eigentlich eher so aus, daß die politische Karriere (was auch nicht unbedingt falsch ist) der Förderung der eigenen beruflichen Karriere dient. Sind nicht vielleicht sogar eher Fälle bekannt, in denen Politiker gerade durch ihre Arbeit dermaßen wunderbare Kontakte geknüpft haben, daß sie geräuschlos vom Parlament in die freie Wirtschaft wechseln konnten? Im vergangenen Jahr traf ich Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller, der parteilos und dementsprechend weitgehend ohne Parteilobby in Schröders Kabinett wirkte und dann nicht mehr. Hatte ich das Gefühl, daß dieser Mann, groß, graumeliert, durchaus nicht unsympathisch, sich pudelwohl fühlt? Zweifelte ich einen Augenblick daran, daß dieser Herr Müller keine auch nur so kleine Sekunde Angst vor Arbeitslosigkeit nach seiner politischen Karriere gehabt hatte? Hatte ich nicht eher das Gefühl, daß er in seiner neuen Funktion als Vorstandsvorsitzender des nordrhein-westfälischen Energieriesen RAG jede Menge Eloquenz und Sprachfintenhaftigkeit seiner Ministertätigkeit geradezu hervorragend gebrauchen konnte? Bin ich mir nicht absolut sicher, daß er nun ein Vielfaches seiner Ministerbezüge verdient?

Friedrich Merz, der, entnervt von den Demütigungen durch seine Parteivorsitzende Angela Merkel, die hohen CDU-Parteiämter hinschmiß, war schon zwei Wochen später als gutdotierter Chef verschiedener Unternehmen im Gespräch.

Martin Bangemann, bei der FDP in Ungnade gefallen und zum EU-Kommissar (Gehalt damals rund 30.000 Mark) runtergeadelt, wechselte problemlos die Seiten und ging für 200.000 Mark Monatsgehalt zur spanischen Telefonica.

Keiner dieser Männer hat sich wohl eine Sekunde darüber Gedanken gemacht, wie es ihm finanziell nach der politischen Top-Karriere gehen möge – alle fanden ein so liebevoll gemachtes Bett in der Privatwirtschaft vor, daß man sich kaum vorstellen mag, daß in diesen Fällen Bewerbungen nötig gewesen wären. Im Gegenteil zur Homepage des Bundestages könnte man eher behaupten, daß alle ihre Jobs wohl vor allem dem Ausbau ihrer persönlichen Beziehungen während der politischen Karriere zu verdanken haben.

Was ja weder schlecht noch verboten ist! Jeden Steuerzahler freut es, wenn ein Ex-Minister, Ex-Fraktionschef oder Ex-FDP-Chefin Lohn und Brot steht und (solange er nicht Wissen von einst und Macht von heute vermischt) sein eigenes, gutes Geld verdient.

Aber ist die Begründung, Politik schade dem beruflichen Fortkommen mehr, als sie nützt, nicht ein wenig fadenscheinig?

Über wieviel Geld reden wir aber eigentlich? Der Leitfaden vermerkt:

Übergangsgeld je Jahr der Mitgliedschaft im Bundestag einen Monat in Höhe der Abgeordnetenentschädigung von 7009 €, maximal für 18 Monate (steuerpflichtig).

Pro Jahr im Bundestag gibt es 7009 Euro, maximal also 126.162 Euro, falls sich ein Abgeordneter entscheidet, lieber gar nicht zu arbeiten. Viele tun das. Ronald Schill beispielsweise, weiter oben schon erwähnt, genießt zurzeit sein Übergangsgeld-Dasein angeblich in Kuba. Dort, wo für die Bevölkerung 100 Dollar ein Vermögen und ein gebratenes Hähnchen ein Festtagsschmaus sind, kann man mit einem Übergangsgeld ganz schön weit kommen, wenn man nun auch nicht mehr der Jüngste ist.

So ist Nichtstun häufig der vernünftigste Schritt. Wird nämlich eine neue Stelle angenommen (wie bei Müller, Merz etc.), wird das Übergangsgeld immerhin angerechnet. Also besser: stillhalten und kassieren. Denn für Politiker, die zusätzlich zu ihrem normalen Mandat noch Ministerämter bekleidet haben, gibt es hervorragende Nichts-tun-und-abkassieren-Möglichkeiten – auch wenn der Grund für das Ende der politischen Karriere eher hausgemacht war. Da gab es in Stuttgart den jungen Staatsminister Christoph Palmer (43) von der CDU, der in einer eher berauschten Nacht seinen Parteikollegen Joachim Pfeiffer ohrfeigte. Natürlich mußte Palmer seine Ämter abgeben. Natürlich nicht umsonst: Der Berliner Kurier hat ausgerechnet, daß er bis zu seiner Rente rund 1,2 Millionen Euro einstreicht: 33.051,42 Euro Übergangsgeld für das erste Vierteljahr samt Familienzuschlägen und Sonderzahlungen. Hinzu kommt nach neun Jahren in der Landesregierung ein wegen höherer Lebenshaltungskosten stetig steigendes Ruhegeld von 4333,93 Euro bis zum Ruhestand mit 65. Da lohnt es sich doch, ganz flink Karriere gemacht zu haben. Man hat halt mehr vom Leben. Jedenfalls nach der Arbeit.

Manchen aber reicht auch das Übergangsgeld nicht, oder sie sind so gut gelitten, daß ihre mächtigen Freunde selbst nach der Demission zu ihnen halten. Wie im nächsten Fall (schon wieder Stuttgart!): Kurz nach der Kabinettsumbildung ersetzte der scheidende Sozialminister Friedhelm Repnik den Chef der staatlichen Lotto-Toto-Gesellschaft, Wolfgang Crusen, dessen Vertrag gegen den eigenen Wunsch nicht verlängert worden war. Lotto-Chef. Hört sich lahm an, wird aber gut bezahlt. Angeblich mit 180.000 Euro im Jahr. Eine öffentliche Ausschreibung der Stelle gab es übrigens nicht – 1994 mußte sich Crusen noch gegen 160 Bewerber durchsetzen. Thomas Schäuble, wie Repnik ehemaliger Minister (Innen), sollte als Chef zur Staatsbrauerei Rothaus wechseln.

Harsche Kritik an diesen Personalien übte übrigens Ute Vogt von der SPD, die in der Stuttgarter Zeitung zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Wolfgang Drexler zitiert wird:

Fürs Regieren reichen Motivation und Kraft der Herren Schäuble und Repnik offensichtlich nicht mehr; als Belohnung bekommen sie jetzt gut bezahlte Spitzenjobs in Staatsunternehmen.

Tönt also Ute Vogt. Ute wer? Genau! Ute "Motorradgruppe" Vogt von weiter oben. Sie erinnern sich? "Typisch deutsche Neidhammelei" fand sie Kritik an der Tatsache, daß sie auf Steuerzahlerkosten Motorrad fährt.

Wie komme ich auf 11.500 Euro Rente im Monat?

Vielleicht haben Sie, lieber Leser, sich ja schon einmal Sorgen um die Zukunft gemacht. Also über die Zeit nach dem Arbeitsleben, also über die Rente. Wir schlagen vor: Werden Sie Minister! Dann müssen Sie sich keine Sorgen mehr machen.

Ein normaler Abgeordneter bezieht nach acht Jahren im Bundestag eine Pension von 1682 Euro. Ein normaler Arbeitnehmer (also SIE) müßte dafür 32 Jahre in die Rentenkasse zahlen. Weiter: Für jedes Jahr, das der Abgeordnete darüber hinaus im Parlament ist, bekommt er drei Prozent mehr, der Höchstsatz sind 4837 Euro. Allerdings kann ein Politiker auch schon mit 55 Jahren in den Ruhestand gehen. Und dann gegebenenfalls in seinem alten oder sogar einem neuen Beruf weiterarbeiten – seine Altersbezüge aus der Politik laufen natürlich weiter. Viele Abgeordnete sind daher extrem scharf darauf, schon während ihrer Politikerzeit weiterhin berufstätig zu sein. Mehr zu den kreativen Möglichkeiten der Nebenbeschäftigung lesen Sie im nächsten Kapitel.

So richtig rentenmäßig lohnend wird die Angelegenheit für Spitzenpolitiker, beispielsweise Minister. Bei ihnen genügen schon ein Jahr und 274 Tage Amtszeit für eine stattliche Rente von rund 2000 Euro im Monat, nach vier Jahren gibt es bereits 3556 Euro. Und so weiter.

Hans Eichel, der Sparminister und von Anfang an bei Gerhard Schröder im Kabinett, hatte schon Anfang 2005 einen Rentenanspruch von 11.600 Euro. 2004 betrug der Etat im Bundeshaushalt für die Versorgung ehemaliger Abgeordneter und ihrer Angehörigen satte 28,3 Millionen Euro. Das ist doppelt so viel wie 1990.

Für den Spiegel hat der Bund der Steuerzahler die Versorgungsansprüche von deutschen Spitzenpolitikern ausgerechnet. Wir drucken diese Liste gerne nach – die Zahlen in Klammern beschreiben jeweils die Anzahl der Jahre, die ein normaler Arbeitnehmer den Höchstbetrag in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen müßte. Bei den Politikern, die noch im Amt sind, bezieht sich der Versorgungsanspruch auf die Summe, die er einstreichen würde, hätte er zum Zeitpunkt der Berechnung (Januar 2005) sein Amt niedergelegt. In dem Moment, in dem Sie dieses Buch lesen, sind schon wieder einige Euro dazugekommen. Kompliziert? Gar nicht. Hier ein Beispiel:

Bundesaußenminister Joschka Fischer hatte im Januar 2005 einen Pensionsanspruch von 9500 Euro. SIE hätten dafür 173 Jahre in die Rentenkasse einzahlen müssen. 173 Jahre? So alt wird doch kein Mensch!

Genau! Um also den Pensionsanspruch von Joschka Fischer zu erreichen, müßten (bei einer Lebensarbeitszeit von 45 Jahren) Sie, Ihr Sohn, Ihr Enkel und anschließend ihr Urenkel nochmal 40 Jahre einzahlen. Um auf den Pensionsanspruch von Helmut Kohl zu kommen, müßten SIE, IHR SOHN, IHR ENKEL, IHR URENKEL, IHR URURENKEL und IHR URURURENKEL nochmal acht Jahre einzahlen. Hier die Liste:


Name

Tätigkeit

Rente in Euro

Jahre

Helmut Kohl

Ex-Bundeskanzler

12.800

233

Hans Eichel

Finanzminister

11.600

210

Erwin Teufel

Ministerpräsident Baden-Württemberg

10.100

183

Joschka Fischer

Außenminister

9.500

173

Norbert Blüm

Ex-Arbeitsminister

9.100

165

Gerhard Schröder

Bundeskanzler

8.900

162

Horst Seehofer

Ex-Minister

8.900

162

Wolfgang Clement

Wirtschaftsminister

8.800

159

Otto Graf Lambsdorff

Ex-Wirtschaftsminister

8.700

158

Heidemarie Wieczorek-Zeul

Entwicklungshilfeministerin

8.000

146

Otto Schily

Innenminister

7.600

138

Edelgard Bulmahn

Bildungsministerin

7.500

136

Wolfgang Schäuble

Ex-Minister

7.400

135

Angela Merkel

CDU-Chefin

7.300

132

Peter Struck

Verteidigungsminister

6.800

123

Claudia Nolte

Ex-Familienministerin

6.500

118

Manfred Stolpe

Verkehrsminister

6.400

115

Theo Waigel

Ex-Finanzminister

6.400

115

Ulla Schmidt

Gesundheitsministerin

6.300

114

Renate Schmidt

Familienministerin

6.000

108

Jürgen Trittin

Umweltminister

5.500

100

Renate Künast

Verbraucherschutzministerin

4.000

73

Daß diese Summen deutlich höher sind als die normalen (ja auch nicht gerade bescheidenen) Ansprüche aus reiner Parlamentarierzeit (Sie erinnern sich: Höchstbetrag 4837 Euro), ergibt sich daraus, daß sich Ansprüche aus den im Laufe einer Karriere besetzten Ämtern und Positionen summieren. Gerhard Schröder beispielsweise hat Ansprüche als Kanzler (logisch), als Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen, als Ex-Landtagsabgeordneter von Niedersachsen und als Ex-Bundestagsabgeordneter.

Als Feigenblatt, um die Pensionsansprüche in der Öffentlichkeit nicht geradezu hanebüchen hoch erscheinen zu lassen, gibt es Regelungen zur Verrechnung von Mehrfachpensionen. In Niedersachsen, wo Schröder regierte, sind sie relativ streng – ihm wird die Hälfte der Gelder aus Hannover abgezogen. Immerhin: Es bleiben 8900 Euro.

Sollten Sie als Spitzenbeamter in einer Regierung angestellt worden sein, die kurz vor der Abwahl steht, dürfen Sie bei guter Führung ebenfalls damit rechnen, daß man für Sie sorgt.

Eine Woche vor der letzten Wahl in NRW (die anschließend ja zu Neuwahlen im Bund führte) fanden Reporter der B.Z. heraus, daß in Düsseldorf die "Operation Abendsonne" angelaufen war. So wurde wenige Tage vor dem abzusehenden Regierungswechsel noch ordentlich befördert: Einem Mitarbeiter der Staatskanzlei wurde durch Beförderung zum Ministerialdirigenten das Gehalt von 6400 Euro auf 7500 Euro angehoben. Die FDP-Politikerin Marianne Thomann-Stahl damals zur B.Z.:
Eine ärgerliche Versorgungswirtschaft! In letzter Minute hievt das Kabinett verdiente Genossen in gute Positionen. Und der Steuerzahler wird als Melkkuh mißbraucht!

Gerechter Zorn: Denn auch im Finanz-, Schul-, Gesundheits- und Justizministerium kam es zu ungewöhnlichen Beförderungen.

Mehr schreit nach Mehr

Wir sehen: Die Grundversorgung der Politiker in Deutschland ist durchaus gewährleistet. Mehr noch: Wer in den Bundestag gewählt worden ist, verdient ein fürstliches Gehalt und genießt Privilegien, von denen viele Normalbürger noch nicht einmal zu träumen wagen. Grundkosten wie Miete, Telefon, Transport werden – wenn nicht sogar offiziell – durch sehr liberale Regelungen fast komplett bezahlt. Selbst im Falle von Arbeitslosigkeit (also Nicht-Wiederwahl oder Ausscheiden) gibt es Übergangszahlungen, die Lichtjahre von dem entfernt sind, was jeder Angestellte oder Arbeiter in Deutschland zu erwarten hat – nämlich die Beibehaltung der kompletten Bezüge über einen Zeitraum von bis zu eineinhalb Jahren.

2004 beschlossen Regierung und Opposition die größte Reform des Sozialsystems in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – Hartz IV. Wenn zehn Jahre zuvor irgendjemand gewettet hätte, daß diese Reform ausgerechnet unter einer rot-grünen Bundesregierung verabschiedet werden würde – man hätte ihn als Spinner ausgelacht.
Dabei geht es im Grunde um nichts anderes, als um eine Neuordnung der staatlichen Hilfszuteilungen. Um eine gerechte Neuordnung der staatlichen Hilfszuteilungen! Grob gesagt: Wer sich auf Dauer weigert, Arbeit anzunehmen, die ihm nicht paßt, muß mit einer absoluten Grundversorgung zufrieden sein. Sozialschmarotzer sollten Chancen genommen werden, sich auf Kosten der Allgemeinheit ein gutes, schönes, arbeitsloses Leben zu machen. Vor allem soll Hartz IV die arbeitslos gewordenen Besserverdiener treffen, die – hochnäsig, arrogant und dünkelbehaftet – jeden Job ablehnten, der nicht ihren Vorstellungen entsprach. Menschen, die nicht einsehen wollten, daß der Staat eine Fürsorgepflicht hat und diese wahrnimmt, daß der Staat aber keinesfalls eine Totalversicherung gegen Unglück, mißliche Umstände und Probleme, kurz: gegen Pech, ist. Hartz IV soll Menschen treffen, die den Staat ausnutzen. Hartz IV soll Gerechtigkeit schaffen. Hartz IV soll die Gerechtigkeit finanzierbar halten.

Das alles betrifft aber die Politiker kaum oder wenig. Für sie gibt es ja das Überbrückungsgeld – eine Sonderregelung, die so sehr das Gegenteil von Hartz IV ist, wie der eiskalte und staubige Jupitermond Jo das Gegenteil der Sonne ist. Vielleicht liegt auch hier das Problem für gewisse Vermittlungsschwierigkeiten.

Dennoch, bei aller Kritik: Diese Leistungen sind Teil der Gesetze (daß die Gesetze in diesem Fall von denen gemacht werden, die am stärksten von ihnen profitieren, wird später noch behandelt), und die Gesetze sind – wie der Name schon sagt – gesetzt.

Lustigerweise aber reagieren die Nutznießer häufig nicht etwa mit verschämter Bescheidenheit, sondern im Gegenteil, mit zunehmender Gier. Daß Mehr nach Mehr schreit – eine psychologische Binsenweisheit.

Mit berechtigter Wut aber reagiert der Normalbürger immer dann, wenn er das Gefühl hat, daß ohnehin gut Ausgestattete sich immer mehr einverleiben, zugestehen, rausnehmen, auszahlen und in die Schlünde stopfen. Und am Ende – ertappt, erwischt, erkannt – nicht einsehen wollen, was sie falsch gemacht haben.

Zur Jahreswende 2004/2005 mußten dies zahlreiche deutsche Bundes- und Landespolitiker einsehen. Das böse Wort Gier machte die Runde.

Bevor wir weitermachen:

"Gier ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen belebtem und unbelebtem Sein."

Was geht eigentlich in den Köpfen der Abzocker vor? Sind es persönliche Defizite, oder ist Abzocken sogar eine Krankheit? Oder sind wir, die Normalen, eigentlich die Anormalen, die ihre Chancen nicht nutzen? Jan Engelke hat mit dem Münchner Arzt und Schriftsteller Till Bastian gesprochen, der zahlreiche Sachbücher zu Friedensforschung, Umweltfragen und psychologischen Themen veröffentlicht hat.

Im Zusammenhang mit den Nebenverdiensten ist viel von Gier die Rede. Was ist Gier eigentlich?

Gier ist eine Motivation. Wir Menschen werden ja von vielen Motivationen gesteuert. Gier ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen belebtem und unbelebtem Sein. Wenn ein Stein einen Abhang herunterrollt, dann sagt man nicht, der tut das, um mich zu ärgern, sondern jedem ist klar: Das war reiner Zufall. Aber wenn ein Mensch diesen Stein lostritt, dann denken Sie schon: Der hat einen Grund gehabt. Menschliches Verhalten ist also motiviert. Unter den Motivationen – die Psychologen streiten sich, wie viele es gibt, vielleicht fünf, sechs, sieben – gibt es die körperlichen Bedürfnisse wie Hunger und Durst, es gibt die Sexualität, es gibt Neugier, Exploration, Spielverhalten – was ganz wichtig ist –, und es gibt offenbar auch den Drang nach Dominanz, nach Größe, nach Vorherrschaft. Und dem ist wohl die Gier als Entgleisung dieser Motivation zuzuordnen.

Also ist Gier die übersteigerte Form eines natürlichen Dranges?

Richtig. Gier ist schon in der Dichtung oder in der bildenden Kunst gekennzeichnet durch das Übermaß. Was hat es etwa dem guten Kurt Biedenkopf und seiner Frau genutzt, sich einen Sonderrabatt bei Ikea zu beschaffen? Das ist doch eigentlich lächerlich, das hat der Mann doch gar nicht nötig gehabt. Aber auf solche Fälle stößt man immer wieder. Wenn man sich die äußeren Umstände dieser Leute ansieht, dann muß man meist feststellen, daß sie häufig schon so reich sind, daß es auf dieses zusätzliche "Mehr" gar nicht ankommt. Klaus Esser hat seine riesige Abfindung bei der Mannesmann-Übernahme gar nicht nötig gehabt. Aber es gibt offenbar diesen inneren Drang nach dem "So viel wie möglich" oder dem "Für mich ist nie genug da, ich kann eigentlich alles brauchen, und ich darf mir alles verschaffen, was möglich ist". Es gibt da kein Sättigungsverhalten.

Viele dieser als "Abzocker" Kritisierten stellen sich hin und sagen, daß sie eigentlich gar nicht verstehen, was man ihnen vorwirft. Ist das glaubhaft?

Ich glaube schon. Ich kenne einen Journalisten, der hat mal ein Interview mit dem früheren ABB-Chef Percy Barnevik gemacht. Der hat eine astronomische Abfindung (laut Handelsblatt bekam er 1996 148 Mio. Schweizer Franken) eingestrichen, obwohl er den Konzern ziemlich heruntergebracht hatte. Doch Barnevik zeigte überhaupt kein Unrechtsbewußtsein. Im Gegenteil. Im Gespräch mit dem Journalisten erzählte er, daß er mit seinem Enkel in der Kirche war, und da habe der Kleine gefragt, wer denn der Mann da am Kreuz sei. Und da habe er gesagt: "Das ist der Jesus, der ans Kreuz geschlagen worden ist. So ergeht es den großen Leuten immer." Es ist bizarr. Aber man muß das wohl auch aus der Perspektive Barneviks sehen: Der Mann war mehrmals Manager des Jahres, hat unzählige Ehrendoktortitel eingesammelt – da glauben die Leute irgendwann einfach, ihnen steht das alles zu. Sie leiden tatsächlich unter der Verfolgung und unter dem Neid. Sie denken, alles verdient zu haben. Sie sind eigentlich krank.

Würden Sie Gier als Krankheit sehen?

Es ist wohl eher wie die Perversität. Sexualität ist schön und gut, aber wenn man es irgendwann nur noch im Taucheranzug machen kann, dann wird man sagen: Der ist pervers, denn der kann nicht mehr normal. So ist es auch mit der Gier. Diese Menschen haben einfach kein flexibles, gesundes Verhältnis mehr zum Maß. Sie können den Hals nicht voll kriegen, wie man ja auch sehr treffend im Volksmund sagt.

Macht und Geld besänftigen nicht, sondern stärken eher die Gier?

Ja, wie beim Alkoholiker. Je mehr er säuft, desto süchtiger wird er.

Gibt es einen Ausweg?

Es gibt offenbar bei der Gier keine Sättigung, keine Befriedigung. Normale Menschen können zwei Schnitzel essen oder drei, dann wird einem von dem vielen Fleisch übel. Man kann auch zwei Liter Wein am Tag trinken, aber irgendwann wird einem schlecht. Man kann dreimal am Tag Sex haben, irgendwann ist es genug. Aber bei Macht, bei Erwerb, bei sozialer Dominanz, bei Geltung – da gibt es offenbar keine Schwelle. Das ist wie die nach oben offene Richter-Skala. Keine Grenze. Je mehr man bekommt, desto mehr will man.

Viele der öffentlich gewordenen Fälle sind ja einfach lächerlich. Wenn Cherie Blair im Londoner Kaufhaus Harrods als Gast eingeladen wird und dann tatsächlich mit 30 Paketen wieder rauskommt oder wenn Frau Biedenkopf an der IKEA-Kasse um Prozente feilscht – das können diese Leute doch nicht ernst meinen?

Doch, das ist ja das Traurige. Es ist mit normalen Maßstäben einfach nicht mehr zu fassen. Die gegensteuernden Mechanismen des Verstandes setzen aus. Sicher, es gibt auch Mächtige, die abgedankt haben. Aber die Mehrheit tut das eben nicht. Ein Bereich, in dem sich das immer wieder zeigt, sind die Politiker. In der übergroßen Mehrheit verpassen sie den Zeitpunkt, zurückzutreten. Und machen sich damit oft alles kaputt. Sie verderben das Bild, das die Nachwelt von ihnen haben könnte, weil sie am Amt kleben und so zur Witzfigur werden. Vernunft und Einsicht werden unterlaufen von der Verführung des Erwerbs und Geltens. Es gibt nur wenige souveräne Menschen, die das doch können.

Ihre Beschreibung klingt wie eine ärztliche Diagnose. Kann man denn von der Gier als einem meßbaren Phänomen sprechen, ist die Gier erforscht?

Leider nur sehr wenig, wahrscheinlich gerade weil sie so allgegenwärtig ist. Unsere soziale Ordnung kritisiert ja auch nur die Auswüchse, denn im Grunde genommen wird ein bißchen Gier positiv bewertet. "Geiz ist geil" und "Jedem das meiste und mir nur das Beste" – diese Verhaltensweisen findet man im Extrem abstoßend, aber im Kleinen macht man es selbst auch nicht viel anders.

Stimmt es also, wenn viele Beschuldigte entgegnen, hinter den Vorwürfen gegen sie stecke nur blanker Neid?

Das ist kein zutreffendes Argument. Sicher würden es viele genauso machen, aber was heißt das schon? Mord steht ja auch unter Strafe, obwohl in vielen Menschen ein potentieller Mörder steckt. Außerdem kann ich den Neid auch nicht immer als etwas Schlechtes erkennen. Neid ist doch ein Gefühl mit Ursachen. Unter meinen Patienten sind Sozialhilfeempfänger, die 300 Euro im Monat bekommen und denen das Sozialamt nicht einmal die Brille bezahlt, die sie für ihre Arbeit brauchen. Wenn die dann neidisch werden auf diese fast obszöne Menge praktisch leistungsloser Einkommen einiger Leute, dann kann ich das gut nachfühlen. So etwas als Neid abzuqualifizieren, ist schlicht die Weigerung, sich mit den Vorwürfen auseinander zu setzen.

Ist der Neidvorwurf ein Schutz, um sich nicht eingestehen zu müssen, daß etwas nicht in Ordnung ist?

Das denke ich schon. Die können es sich nicht eingestehen. Schicksalsschläge lösen wie eine schwere Krankheit manchmal ein Nachdenken aus. Aber das ist ja recht selten der Fall.

Läßt sich gar nichts tun?

Es gibt einen Aufsatz von dem verstorbenen Freiburger Psychoanalytiker Johannes Cremerius über die Behandlung der Reichen und Mächtigen. Warum sie nicht in Psychotherapie kommen, und warum, wenn sie denn kommen, so schwer zu behandeln sind. Das liege, so Cremerius, schlicht daran, daß diese Patienten ihre persönlichen Schwierigkeiten, ihre psychologischen Probleme gewissermaßen unterbringen können. Sie sind erfolgreich, alles andere zählt nicht. Damit haben sie eine für sich geeignete soziale Nische gefunden. Und deshalb leiden sie nicht.

Ist das der Spleen?

Genau. Sie können das, was sie an "Verrücktheit", also an Absonderlichkeiten, an persönlichen Eigenarten, mitbringen und was den armen Menschen in die geschlossene Anstalt bringen würde, das können sie ausleben. So wie Generäle im Krieg. Ein interessantes Feld übrigens, wie viele Verrückte es unter den Generälen und Feldherren gegeben hat. In der Politik ist es leider ganz ähnlich. Im Wirtschaftsleben auch. Wenn Sie an Ferdinand Piëch denken. Wenn ich den reden hörte, dann habe ich immer gedacht, daß der so eine leichte Schizophrenie hat.

Wollen Sie damit sagen, daß unsere Wirtschaft ein Bereich ist, in dem sich Menschen bewegen, die in früheren Jahrhunderten Kriege geführt hätten?

Ja, Söldner geworden wären, Söldnerführer. Das ist ja bei den Japanern heute noch stark verbreitet. In Japan hat es ja nicht einmal ansatzweise so eine Vergangenheitsbewältigung gegeben wie bei uns nach ’45. Da sind die Erkenntnisse des Militärs nahtlos in die Wirtschaft eingeflossen. Deshalb sind sie auch lange so erfolgreich gewesen.

Kommt aus dieser Nähe der Wirtschaft zum Militär auch eine gewisse Skrupellosigkeit, die im Krieg vielleicht sinnvoll ist?

Im Grunde genommen haben – das muß man der Fairness halber sagen – die Wirtschaftsbosse auch ein bißchen Recht, wenn sie sagen: Ihr würdet es ja genauso machen. In einer Gesellschaft, in der überall unethisch gehandelt wird, kann man schlecht von der Wirtschaft besondere Ethik verlangen. Aber daß die ökonomischen Werte in unserer Gesellschaft dominieren und es eigentlich kaum noch verpflichtende, moralische Normen gibt, das ist ein bedenklicher Prozeß. Und der beeinflußt auch und vor allem die "kleinen Leute".

Ist die Gier eine menschliche Konstante oder eher ein Ausdruck unserer Zeit?

Beides. Der Nationalsozialismus hat von 1933 bis 1945 aus diesem Land gewissermaßen ein Versuchslaboratorium gemacht, in dem sich menschliche Grausamkeit, Gemeinheit und Destruktivität besonders hemmungslos haben ausleben können. Die gegenwärtigen Umstände wie etwa die Globalisierung fördern heute dagegen die Gier. Man könnte das mit den Auswahlverfahren an den Universitäten zum Medizinstudium vergleichen. Im Moment ist es ja so, daß dort gerade die Leute zugelassen werden, die im Zweifel gerade eben nicht die für den Arztberuf notwendigen sozialen Fähigkeiten haben. Denn um das fürs Studium geforderte Einser-Abitur zu machen, muß man schon leicht asoziale Züge tragen – da wird halt gerne mal die Hand auf die Bank gelegt, daß der Nachbar nicht abschreibt. Einen ähnlichen Mechanismus gibt es in Wirtschaft und Politik eben auch.

Also ist das System schuld?

Ich finde schon, daß man diese Leute hart angehen muß. Auch weil ich es gar nicht einsehe, daß man Leute, die etwa zu Unrecht Krankengeld oder Sozialhilfe beziehen, als Sozialschmarotzer bezeichnet, die Großen aber nicht. Natürlich ist jemand wie Herr Ackermann oder Herr Esser ein Sozialschmarotzer. Nur wird das halt kaum mal gesagt. Aber dieser Vorwurf alleine reicht noch nicht. Man muß sich auch über das gesellschaftliche Klima Gedanken machen.

Was kann denn getan werden? Helfen mehr Vorschriften, oder braucht es einen Bewußtseinswechsel?

Ich denke, beides. Es muß mehr Gesetze geben, die die Selbstbedienung einschränken. Der Staat kann nicht immer nur der Deregulierer sein, es gibt auch Bereiche, wo er eingreifen muß. Das ist seine Aufgabe, dafür kassiert er Steuern. Aber um langfristig erfolgreich zu sein, braucht es auch eine Kultur, die sich wieder darauf besinnt, daß es auch andere Werte als den Konsum gibt. Solange es die ungehinderte Vorrangstellung der ökonomischen Werte gibt, kann man schwarz sehen. Mit ökonomischen Argumenten läßt sich zurzeit jede Debatte gewinnen. Ich war jahrelang im Stadtrat und mußte dort erfahren: Egal, ob etwas ökologischen oder gesundheitlichen Sinn macht, die Entscheidungen fallen immer zugunsten der Ökonomie.

Die Nebentätigkeiten

"Nebenjobs" und "Nebeneinkünfte" werden oft verwechselt. Nicht jeder Nebenjob bringt Nebeneinkünfte. Fast alle Abgeordneten haben einen oder gar mehrere "Nebenjobs": Ehrenämter in gemeinnützigen Organisationen, Aufgaben in der Bildungs- und Sozialarbeit, Mandate in Kommunalparlamenten, Beisitzerposten in Parteien und Verbänden, Vereinen und Stiftungen.

Vergessen wird oft: Abgeordnete haben bloß ein Mandat auf Zeit – sie sind immer nur auf vier Jahre gewählt. Vielfach ist es einfach notwendig, Kontakt zum Beruf zu halten und für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Parlament Vorsorge zu treffen. Verbindungen zur Berufswelt sind im Übrigen auch gut für das Parlament:

1.      Abgeordnete mit "Nebenjobs" bringen Farbe ins Parlament. Mit ihren außerhalb des Parlaments gewonnenen Erfahrungen und Eindrücken bereichern sie die parlamentarische Arbeit.

2.      Viele meinen, wenn ein Abgeordneter Nebeneinkünfte hat, müssen jedenfalls seine "Diäten" gekürzt werden. Das ist jedoch nicht möglich. Die Entschädigung muß für alle Abgeordneten gleich hoch sein. Die Verfassung schreibt das zwingend vor. Nebeneinkünfte oder eigenes Vermögen dürfen deshalb nicht zu Abzügen bei den "Diäten" führen. Denn wer dies fordert, schafft zwei Klassen von Abgeordneten.

3.      Alle Nebenjobs – bezahlte oder unbezahlte – sind dem Präsidenten des Deutschen Bundestages anzuzeigen, um mögliche Interessenverknüpfungen offenzulegen. Nebeneinkünfte unterliegen strengen Verhaltensregeln. Wer gegen sie verstößt, muß damit rechnen, daß diese Tatsache veröffentlicht wird. Es gibt keine andere Berufsgruppe in Deutschland, die sich ähnliche Verpflichtungen auferlegt hat.

So steht es ein wenig versteckt auf der mittlerweile schon bekannten Homepage des Deutschen Bundestages, http://www.bundestag.de unter "Abgeordnete", dann "Diäten und Aufwandsentschädigungen", dann "Nebenjobs". Und das hört sich doch richtig gut an, oder? Wir werden später darauf zurückkommen, und zwar Satz für Satz.

Sie wollen noch mehr? Bitte schön!

Sie sind also Abgeordneter geworden. Sie haben es geschafft und sitzen im Bundestag. Sie bekommen viel Geld, Sie können alten Freunden einen Gefallen tun und deren Kinder bei sich anstellen. Sie fahren umsonst mit der Bundesbahn und dürfen im Jahr ein paar tausend Euro für Büromaterial ausgeben. Sie bekommen eine fürstliche Entschädigung, einen satten, steuerfreien Zuschuß, über den Sie noch nicht einmal Rechenschaft ablegen müssen.

Das ist Ihnen alles noch nicht genug?

Dann suchen Sie sich einen Nebenjob, mit dem Sie gleich nochmal verdienen!

Sie haben Sorgen, daß Sie mit zwei Jobs überfordert sind, vielleicht sogar zeitlich? Keine Bange: Ihren Hauptjob (Bundestag) können Sie so gestalten, wie Sie es für richtig halten. Kommen Sie oder nicht – egal. Das Geld, das Ihnen abgezogen wird, wenn Sie nicht zu Sitzungen erscheinen, ist nicht der Rede wert. Und Ihren neuen Zweitjob? Den brauchen Sie in den meisten Fällen erst gar nicht anzutreten! Viele Firmen (unter anderem VW oder RWE) sind gerne bereit, Ihnen ein Gehalt zu zahlen, ohne daß Sie dafür arbeiten müssen.

Warum? Ganz einfach: Weil Sie Bundestagsabgeordneter sind (in vielen Fällen funktioniert die Sache allerdings auch bei Landtagsabgeordneten) und weil Sie (schon vergessen?) mächtig sind. Und einen Teil der Macht, die Sie ausüben, für die eigenen Zwecke zu nutzen, das ist genau das, was sich jede Firma sehnlich wünscht. Keine Angst: Niemand wird frontal auf Sie zugehen und irgendetwas verlangen! Außer ein klein wenig Sympathie, ein klein wenig Aufmerksamkeit und ein klein wenig Überzeugungsarbeit bei Ihren Mitparlamentariern. Würden Sie beispielsweise einen Nebenjob bei einem Unternehmen antreten, das Autos herstellt, wird niemand von Ihnen erwarten, daß Sie diesem Unternehmen Steuervorteile verschaffen oder Standorte sichern. Das wäre ja regelrecht unverschämt!

Aber überlegen Sie mal Folgendes: Im Sommer bricht mal wieder die übliche Sommerloch-Debatte um Tempo 130 auf Autobahnen los. Sind Sie wirklich dafür? Ist es nicht einfach besser, daß jeder Autofahrer mit seinem Schlitten so schnell über die Pisten brausen darf, wie er mag? Ist das nicht letztlich auch ganz ausgezeichnet für die Automobilindustrie, die ja auch ihre teuren Spitzenmodelle verkaufen muß? Ist nicht das, was für die Automobilbranche gut ist, auch gut für Deutschland? Ist irgendetwas falsch daran, diesen Standpunkt zu vertreten, sei es beim abendlichen Abgeordneten-Bier, beispielsweise in der "Ständigen Vertretung" am Berliner Schiffbauerdamm, oder ganz offen im Parlament? Ist das nicht eine ganz normale, gesunde und vernünftige Einstellung? Ist es nicht so, daß man Sie genau deswegen gewählt hat – damit Sie Ihre normale, gesunde und vernünftige Einstellung vertreten?

Was also soll falsch daran sein, sowohl für die Autofirma zu arbeiten als auch für die Wähler, das Volk, uns? Wenn sich die Interessen doch ohnehin decken?

Falls Sie das alles nicht schockt, sind Sie ein idealer Kandidat für einen Nebenjob. Mit einem nur müssen Sie klarkommen: Sie nehmen jemand anderem den Job weg! Und das ist ganz bestimmt nicht die Person, die – in diesem Fall – bei den tapferen Automobilbauern Ihre Stelle bekommen hätte. Nein, Sie sind dabei, eine ganze Rasse von politischen Schattengewächsen auszurotten. Die Lobbyisten.

Zwischenspiel: die Welt der Lobbyisten

Lobbyismus – so nennt man das politische Beeinflussen von Entscheidungsprozessen zugunsten bestimmter Unternehmen.

"Lobbyist" ist sogar ein eigener Beruf. Man kann ihn nicht studieren, der Mann im Job-Center wird mit dem Kopf schütteln, falls Sie mal überlegen, darauf umzuschulen, ja, es gibt noch nicht einmal eine einzige Visitenkarte, auf der "Lobbyist" steht – obwohl es zu jeder Zeit in der Bundesrepublik mehr Lobbyisten als Bundestagsabgeordnete gibt.

Viele sagen, Lobbyist ist der einzige wirkliche Begabungsberuf, den es gibt. Und das stimmt: Sie brauchen Charme, eine flinke Zunge, überzeugendes Auftreten und einen sehr festen Händedruck – das alles können Sie nicht lernen. Es wirkt in jedem Fall so einstudiert und aufgesetzt, daß es allenfalls zum Autoverkäufer oder für einen Versicherungsvertreter in einer Kleinstadt reichen mag, auf keinen Fall aber für knallharten politischen Lobbyismus.

Denn die Aufgabe des Lobbyisten ist es ja, Entscheidungen zu beeinflussen, und das geht am besten über die Beeinflussung von Entscheidungsträgern. Nun ist das Problem: Jeder Politiker, sei er auch noch so bestechlich, ist schlau genug zu kapieren, wenn man ihm um den Bart geht, um einen Vorteil zu erlangen. Schließlich ist er mit ähnlichen Methoden genau dahin gekommen, wo er ist (nämlich neben Ihnen auf der Abgeordneten-Bank). Nur: Da ist es ja auch um seine eigene Karriere gegangen. Warum aber sollte unser Politiker diesem Lobbyisten helfen?

Eben!

Genau deshalb ist es die Aufgabe des Lobbyisten, beim Politiker eine virtuelle Bestechung durchzuführen. Geld würden die meisten Parlamentarier sofort empört ablehnen. Komplimente durchschauen. Was also hilft?

Ganz einfach: ein gutes (teures) Abendessen!

Bonns Gastronomie lebte über fast fünf Jahrzehnte von den Lobbyisten und üppigen Spesenkonten, mit denen sie von den jeweiligen Unternehmen ausgestattet worden waren. Das Spesenkonto ist demnach das, was für den Klempner dieses Gummiding ist, mit dem er die Toilette reinigt, oder für den Arzt das Stethoskop: das Hauptarbeitswerkzeug. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie beeindruckt viele Leute von einem Spesenkonto und dessen Besitzer sind. Und ißt nicht jeder gerne auf anderer Kosten gut zu Abend? Das weiß der Lobbyist, und er lädt ein: Politiker, Staatssekretäre, Beamte, Berater, Entscheidungsträger.

Ein Abendessen in Berlin ist teuer, wenn man in die richtigen Restaurants geht, sogar sehr teuer. Wenn man in die extrem richtigen Restaurants geht, ist es für den Normalbürger sogar unnachvollziehbar teuer. Im "Borchardt" am Gendarmenmarkt, dem sicher nicht besten, aber bekanntesten Restaurant Berlins, beispielsweise kostet ein Filet vom japanischen Kobe-Rind (das Zeit seines Lebens unter anderem mit Massagen verwöhnt und Bier getränkt wurde) rund 60 Euro. Mit Beilagen, immerhin. Aber mal im Ernst: fast 120 Mark für ein Stück Fleisch! Geht man in das zweite Restaurant des "Borchardt"-Chefs, Roland Mary, das "Panasia" in Berlin-Mitte, zahlt man für das Kobe-Filet nur 48 Euro, sitzt aber unter Umständen an den langen Holzbänken in unangenehmer, sprich: ohrenspitzender Gesellschaft. Also marschieren die Lobbyisten mit ihren Kunden ins "Borchardt" und zahlen gerne etwas mehr. Sie haben damit kein Problem, weil ihre Spesenkonten praktisch unbegrenzt sind. Kein großer deutscher Konzern gibt jährlich weniger als 500.000 Euro für den Lobbyismus aus. Da können die Japaner schon mal ordentlich Biernachschub für ihre Luxus-Rinder ordern.

Nun stellen Sie sich vor, Sie sind ein kleiner Ministerialbeamter, ein Verwaltungs-Mensch, ein kleiner Hinterbänkler. Sie sitzen nun im "Borchardt", wo selbst Gesellschaftsdamen wie Tita von Hardenberg oder Beate Wedekind gerne mal ein halbes Stündchen an der Bar warten müssen. Sie sehen, wie die Kellner mit unvergleichbar arrogantem Blick durch die Gänge des bahnhofshallenähnlichen Restaurants huschen und wie selbstverständlich alle Bestellungen vergessen. Auf der Toilette torkelt Ihnen Courtney Love, kajalverschmiert, entgegen. In der Luft schwirren die Gespräche, Pläne, Gedanken der anderen Gäste, da ist Hellmuth Karasek, da hinten die Autorin Karen Armstrong, vielleicht kommt später noch der Kanzler, man weiß ja nie.

Ja. Alle sind hier.

Die, zu denen Sie nie gehört haben. Die, die zwar auch im politischen Berlin arbeiten, aber die SIE nur aus der Zeitung kennen, von denen keiner SIE jemals gegrüßt hat, von denen keiner IHREN Namen kennt. Jetzt aber, jetzt gehören Sie auch dazu. Sie sitzen an einem Tisch, und Sie müssen nicht auf Ihre Bestellung warten. Sie bekommen ein Schnitzel, so groß, daß es kaum auf den Teller paßt – das bestellt jeder hier beim ersten Mal –, und vorher hatten Sie schon Austern, ein bißchen schleimig, klar, aber das haben Sie mit einem ausgezeichneten Wein heruntergespült, einem Wein, der so viel kostet, wie Ihre Mutter im Monat verdient, aber der Mann, der Sie eingeladen hat, achtet nicht auf Preise. Jetzt bestellt er die nächste Flasche, der Kellner nickt nur kurz, und dann lacht er laut, der Mann an Ihrem Tisch, aber nicht zu laut, dann winkt er rüber zu einem Nachbartisch, und dort sitzt ein Minister. Endlich gehören Sie dazu. Alles wird gut. Später zahlt der Mann, und selbst wenn Sie es nicht schaffen, einen Blick auf die Rechnung zu werfen, wissen Sie, daß der Betrag höher ist als der, den Sie an einem Tag mit Ihrer EC-Karte abheben können. Natürlich lädt Ihr Gastgeber Sie ein. Das Treffen war ja auch seine Idee gewesen. Er wollte Sie mal kennen lernen. Er wollte sich mal mit Ihnen austauschen. Dabei hat fast die ganze Zeit er gesprochen. Über die Probleme, die die Branche hat, die er vertritt. Über die anstehenden Änderungen. Über die Arbeitsplätze, die daran hängen. Über die Sorgen, die ihm das macht.
Da kann man doch was machen, oder? Schließlich sind Sie ja kein so kleines Rädchen im Getriebe, oder? Schließlich waren Sie ja heute Abend dabei! Schließlich hat man Sie hervorragend behandelt.

Natürlich haben Sie sich nicht bestechen lassen! Sie haben sich zu einem Abendessen einladen lassen, und letztlich war es ein Dienst-Abendessen.

5000 Lobbyisten gibt es zurzeit in Berlin, dazu kommen fast 1900 Verbände und mehrere Dutzend PR-Agenturen, die sich ausschließlich auf dem politischen Sektor bewegen. Auf ihren Visitenkarten stehen Phantasietitel wie "Repräsentant", "Unternehmenssprecher Regierungsangelegenheiten", "Bevollmächtigter", und ihre Büros heißen "Konzernrepräsentanz". VW unterhält sogar eine Abteilung mit dem bestechenden Namen "Regierungsangelegenheiten". Mit dem Umzug nach Berlin haben sich alle großen deutschen Unternehmen auch in Berlin niedergelassen. Produziert wird hier nichts außer: Einfluß. Einfluß auf die Politiker und auf ihr Handeln.

"So kommt keine EU-Richtlinie und kaum ein deutsches Gesetz ohne die Mitwirkung von Lobbyisten zustande", stellte die "Zeit" Anfang 2005 in einem Hintergrundartikel fest.

Wir wissen nun, was die Ziele der Lobbyisten sind und wie sie arbeiten. Wer aber sind die Männer und Frauen, die diesen Beruf ausüben, den es offiziell gar nicht gibt?

Gutes Benehmen, ein gewinnendes Auftreten, hervorragende Manieren und gewisse Grundkenntnisse in Politik und Wirtschaft sind die Voraussetzungen. Auch ein Adelstitel ist nicht schlecht, er macht meistens Eindruck, selbst wenn das Familiengeschlecht schon seit Jahrhunderten verarmt ist. Weltläufig sollten Lobbyisten sein – oder wenigstens Weltläufigkeit simulieren können. Überhaupt scheinen die Eingangsvoraussetzungen in den Beruf ganz ähnlich denen im diplomatischen Dienst zu sein, dem naturgemäß engsten Verwandten des Lobbyisten im Artengeflecht der Berufe. Die meisten Lobbyisten in Berlin arbeiten auf vergleichsweise niedrigem Niveau und sind froh, beispielsweise für einen Medikamenten-Konzern werben zu können. Sie sind bessere Pharmavertreter. Mit dem Unterschied, daß sie nicht Apothekern und Ärzten Pillen andrehen, sondern bei Politikern darum werben, daß die Pillen überhaupt erst auf den Markt kommen.

Die Top-Männer im Lobby-Geschäft aber sind häufig ehemalige hochrangige Wirtschaftsvertreter, Politiker und häufig auch Journalisten. Ihre Kontakte aus der ersten Karriere kommen ihnen in der Lobbyisten-Arbeit zugute.

  • Der ehemalige Kanzleramtsminister Horst Teltschik, in dieser Funktion einer der engsten Vertrauten von Altbundeskanzler Kohl, ist jetzt Vertreter des Flugzeugherstellers Boeing.
  • Bei der Deutschen Bahn sorgt der ehemalige Verkehrsminister Reinhard Klimmt für gute Beziehungen zum politischen Berlin.
  • Der ehemalige FDP-Abgeordnete Wolf-Dieter Zumpfort arbeitet jetzt bei der TUI, dem Reisekonzern, mit dem Sie vielleicht auch schon mal in den Urlaub geflogen sind.
  • Als hervorragender Strippenzieher gilt Dieter Spöri, ehemals Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg.
  • Und auch Hansgeorg Hauser, der als Staatssekretär im Finanzministerium Karriere gemacht hat, arbeitet jetzt in der Wirtschaft: bei der Commerzbank.

Um es klar zu sagen: Keinem dieser Männer kann irgendetwas vorgeworfen werden – sie arbeiten lediglich in einem Job, der trotz des Einsatzes teuren Rasierwassers von vielen als leicht anrüchig angesehen wird. Über eine neue Spezies der Lobbyisten, die so genannten Berater, wird später noch zu berichten sein. Kapitel sechs dieses Buches ist allein ihnen gewidmet.

Die Lobbyisten der alten Schule aber könnte man in gewisser Weise sogar loben. Denn sie haben wenigstens den Anstand gehabt, vor ihrer Wirtschaftskarriere ihre politische Karriere zu beenden. Im Spätherbst 2004 hat die deutsche Öffentlichkeit erfahren, daß dies nicht immer der Fall ist. Damals gerieten in einer Serie von Affären und Skandälchen die Nebentätigkeiten von Landes- und Bundespolitikern ins Zwielicht. Es stellte sich heraus, daß etliche Damen und Herren auch während ihrer Parlamentariertätigkeit Zahlungen von Konzernen erhielten.

Ja, geht denn so was? Ja und nein.

Muß man für Nebentätigkeiten auch mehr arbeiten?

Zeit also, die Regelungen für Nebentätigkeiten, die sich im Internet (siehe Kapitelanfang) so geschmeidig gelesen haben, mal genauer unter die Lupe zu nehmen ...
"Nebenjobs" und "Nebeneinkünfte" werden oft verwechselt. Nicht jeder Nebenjob bringt Nebeneinkünfte.

Welcher Referent auch immer diesen Satz auf die Website des Bundestages geschrieben hat: Wäre er in der DDR tätig gewesen, hätte er mit Fug und Recht einen dicken Orden für dialektisches Denken bekommen. Ein Job bringt logischerweise immer Geld. In Wahrigs Wörterbuch steht:

Job: Beschäftigung, Stellung, Gelegenheit, um Geld zu verdienen.

Die Tätigkeiten, auf die der Autor offensichtlich abzielen möchte, sind Ehrenämter. Egal: Nebeneinkünfte jedenfalls müssen – klar – durch einen Job erzielt werden. Oder sollte es tatsächlich Fälle geben, in denen Menschen von Firmen Geld erhalten, ohne daß sie dafür eine Leistung erbringen? Wäre das nicht paradiesisch?

Und tatsächlich scheint es solche Fälle zu geben. Im Herbst 2004 überraschte der damalige Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, mit dem Geständnis, von einem großen nordrhein-westfälischen Stromkonzern (RWE) Geld bekommen zu haben, ohne dafür tätig zu werden. Zuletzt waren das immerhin 60.000 Euro im Jahr und 7500 Kilowattstunden Strom umsonst. 60.000 Euro im Jahr für gar nichts? Von einer Firma, bei der Arentz vor seiner politischen Karriere nicht angestellt war? Die ihn, 1992, urplötzlich ohne weitere Bedingungen einstellte und ihm ein fürstliches Gehalt zahlte? Was sagt man dazu? Arentz sagte Folgendes:

Da ich weder Beamter auf Lebenszeit noch von zu Hause aus reich bin, mußte ich mir ein zweites Standbein schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht nennt solche Angelegenheiten "arbeitslose Einkommen" und hat sie bereits 1975 klipp und klar verboten. Sie sind "mit dem unabhängigen Status eines Abgeordneten unvereinbar", heißt es im entsprechenden Grundsatzurteil.

Arentz, der – wie bei solchen Affären üblich – anfangs von einem Neider sprach, der "mit Dreck" wirft, verlor seinen Job. Das Geld aber durfte er behalten. Warum eigentlich?

Ein weiterer CDU-Spitzenpolitiker, der auf der Lohnliste des RWE stand, ohne dafür zu arbeiten, war Laurenz Meyer, ehemaliger Generalsekretär der Christdemokraten. Weil Meyer allerdings vor seiner Zeit als Parlamentarier schon bei dem Konzern gearbeitet hatte, war der Fall komplizierter.

Sicher ist, daß Meyer während der gesamten Jahre als Generalsekretär gratis Strom von RWE bezog. Sicher ist auch, daß Meyer zwischen Dezember 2000 und April 2001 neben seinem Gehalt als Generalsekretär zusätzlich 40.400 Euro von RWE überwiesen bekam, dazu Weihnachtsgeld und eine Tantieme. Im Laufe der zwei Wochen, in denen Meyer gegen seinen Rücktritt kämpfte (zu den genauen Umständen, wie er versuchte, an seinem warm gesessenen Stuhl kleben zu bleiben, und wie er die Sache heute sieht, später mehr), stellte sich heraus, daß er von RWE zusätzlich eine Abfindung in Höhe von 160.000 Mark erhalten hatte – obwohl er formell noch in dem Unternehmen beschäftigt war.

Kassieren, kassieren, kassieren. Doch was waren die Gegenleistungen? Ganz einfach: Es gab keine!

Auf jeden Fall keine, die sich ansatzweise mit der Arbeit, die Sie und ich verrichten müssen, vergleichen lassen. Auch Meyer stürzte über die Affäre, auch Meyer darf das Geld behalten – obwohl er versprochen hatte, zumindest einen Teil zu spenden.

Wenn es darum geht, die gut bezahlte Nicht-Arbeit zu rechtfertigen, entwickeln unsere Parlamentarier oft eine erstaunliche Kreativität. Er habe einen "Telearbeitsplatz" gehabt, meinte Ingolf Viereck, der für die SPD im niedersächsischen Landtag sitzt und wie sein Kollege Hans-Hermann Wendhausen weiterhin auf der Payroll von VW stand. In den Landtagen ist, wie wir wissen, eine Berufstätigkeit nicht verboten. Es ist eher so, daß das Landesparlament den "Nebenjob" darstellt (der selbstverständlich ebenfalls vergütet wird). Nicht erlaubt aber ist es laut Bundesverfassungsgericht, einen Lohn ohne jede Gegenleistung zu erhalten. In den Fällen Viereck und Wendhausen ging der Präsident des Landtages schon 2004 davon aus, daß den Vergütungen (von 3000 Euro pro Monat plus Dienstwagen war die Rede) "keine adäquaten Gegenleistungen entgegenstehen".

Eher jämmerlich also der Versuch von Viereck, sich auf einen "Telearbeitsplatz" herauszureden. Arbeitsplätze wie diese spielen in der Wirklichkeit unseres Landes überhaupt keine Rolle – es sind reine Worthülsenerfindungen aus den 80er Jahren, utopische Ideen, die von der Realität längst überholt worden sind. Heute – und auch in Zukunft – arbeiten die meisten Leute in ihrer Werkstatt oder in ihrem Büro. Selbst das Internet hat es nicht fertig gebracht, daß sich der Arbeitsplatz vor den heimischen Fernseher verlagert – von freien Journalisten vielleicht einmal abgesehen.

Bei VW schien man generell sehr darauf erpicht, möglichst viele Abgeordnete aus unterschiedlichen Parlamenten mit "Telearbeitsplätzen" zu versorgen. Anfang 2005 publizierte der Konzern auf Druck der Öffentlichkeit eine Liste, auf der zwei Bundestagsabgeordnete, ein bayerischer, drei niedersächsische Landtagsabgeordnete und insgesamt 367 Kommunalpolitiker im Dienste des Konzerns standen. Bei VW gab es sogar ein offizielles Dekret, das Mitarbeitern bei Wechsel in ein politisches Amt Weiterbeschäftigung und damit Weiterbezahlung garantierte. Das mag im Fall eines kleinen Stadtverordneten in Celle oder Königswusterhausen noch okay sein. Aber wie, bitte schön, kann ein Bundestagsabgeordneter an seinem neuen Arbeitsplatz in Berlin noch glaubhaft für den Konzern in Wolfsburg arbeiten?

Die soziale Verantwortung des Unternehmens für Menschen, die sich engagieren und den schweren Gang ins Gemeinwohl gehen, wird es wohl schwerlich gewesen sein. Bislang ist kein Fall bekannt, in dem VW eine Mitarbeiterin weiterbezahlt hätte, nur weil sie sich entschieden hat, hauptberuflich in die Altenarbeit zu gehen, ihre schwer kranke Mutter zu pflegen oder einen Ikebana-Kurs an der Volkshochschule zu geben.

Kassieren, ohne zu arbeiten. Es geht also doch. Und wir lernen: Nicht jeder Nebenjob bringt Nebeneinkünfte, aber auch nicht jede Nebeneinkunft hat etwas mit Arbeit zu tun.

Wie kann ich meine politische Arbeit sinnvoll mit meinem Nebenjob verbinden?

Wir lesen weiter:

Abgeordnete mit "Nebenjobs" bringen Farbe ins Parlament. Mit ihren außerhalb des Parlaments gewonnenen Erfahrungen und Eindrücken bereichern sie die politische Arbeit.

Abgesehen davon, daß schon die Anführungszeichen beim Wort Nebenjob andeuten, daß selbst die Verfasser sich nicht hundertprozentig klar darüber sind, um was es sich bei einem solchen überhaupt handelt: Welche Berufe könnten denn die Arbeit im Parlament sinnbringend bereichern?

Ich würde vorschlagen:

  • Krankenschwester: weiß, wie es in unseren Krankenhäusern wirklich aussieht.
  • Hausmeister: sieht 40-Quadratmeter-Wohnungen, in denen Familien mit vier Kindern leben.
  • Polizist: kann ein Lied davon singen, wie es ist, für einen Hungerlohn sein Leben zu riskieren.
  • Lehrer: hat Ahnung davon, warum Deutschland in den PISA-Studien so schlecht abschneidet.
  • Handwerker: weiß nur allzu gut, wie es ist, auf seinen Rechnungen sitzen zu bleiben, weil Walter Bau gerade dicht gemacht hat.
  • Taxifahrer (war übrigens Joschka Fischer mal): kann sich vor ehrlicher Bürgermeinung kaum retten.
  • Kioskbesitzer: erfährt am eigenen Leib, wie es ist, wenn sich die Menschen weder Zigaretten noch Zeitungen leisten können.
  • Fließbandarbeiter bei Ford: kann berichten, wie es ist, jeden Morgen mit Angst vor dem Job zur Arbeit zu gehen.

Solche "Nebenjobs" findet man allerdings im Bundestag nicht. So bleibt es in erster Linie bei "Nebenjobs", die weniger die parlamentarische Arbeit mit Erfahrungen und Eindrücken als die Parlamentarier selbst bereichern.

Einer, der trotzdem gerne darauf beharrt, daß seine Arbeit außerhalb der Politik letztlich ebendieser zugute kommt, ist Ludger Volmer. Mehr über den Vorzeige-Grünen erfahren Sie im nächsten Kapitel – er war einer der Herren, die den "absichtsvoll angelegten Verlockungen des Lufthansa-Bonusmeilen-Systems" (Wolfgang Thierse) nicht so recht widerstehen konnte, sich aber als Staatsminister im Außenministerium doch noch aus der Affäre retten konnte. Doch dort, also an seinem Hauptarbeitsplatz, war er schon lange nicht mehr gut gelitten. Als ewiger Kritiker seines Chefs, Außenminister Joschka Fischer, hatte Volmer dessen Karriere zum beliebtesten Grünen aller Zeiten gar nicht gerne gesehen – und das auch oft geäußert. 1995 riet er Fischer, sich doch eine Knarre anzuschaffen und nach Sarajewo zu marschieren, nur weil der Obergrüne im Jugoslawien-Konflikt von "unrealistischer Gewaltfreiheit" gesprochen hatte. Später rief Volmer offen zum Wahlboykott auf – keine idealen Bedingungen für eine Spitzenkarriere unter Vizekanzler Fischer. Sollte man meinen. Der aber machte Volmer zum Staatssekretär, verschaffte ihm einen Dienstwagen, einen Referenten und eine Sekretärin und ein Treffen mit Bill Clinton, dem er eifrig aus verbeugender Position die Hand schüttelte – und brachte Volmer so zum Schweigen.

Vier Jahre war Volmer im Amt, 2002 wurde er zum außenpolitischen Sprecher seiner Partei bestellt – und blieb natürlich im Bundestag. Den Zugewinn an freier Zeit nutzte Volmer kreativ und gründete mit seinem Parteifreund Burkhard Hoffmeister aus Bad Honnef eine Firma, bei der er sich selbst – man hätte es ahnen können – als "Berater" anstellte. Ein weiterer Miteigentümer der Firma ist übrigens ein gewisser Roland Poser, ein Geschäftsmann aus Leipzig, gegen den die sächsische Anti-Korruptions-Einheit "INES" wegen Verdachts auf Beihilfe zur Untreue ermittelt.

Der Name der Firma lautet: Synthesis applied networking business services GmbH, und wenn Sie jetzt nicht genau verstehen, was das denn bedeuten soll, hat der Name seinen Zweck schon erfüllt. Wenn Sie den Namen der Firma auf einer Übersetzungsmaschine eingeben (z.B. http://www.babelfish.de), erhalten Sie folgendes Ergebnis: "Netzwerkanschluss-Dienstleistungen der Synthese angewandte".

Aha.

Was genau macht aber die Firma, der der gelernte und promovierte Sozialwissenschaftler Volmer vorsteht?

Synthesis versuche, so verriet Volmer dem Spiegel, Unternehmen im Ausland "Türen zu öffnen", und das erinnert uns doch ziemlich exakt an die Berufsbeschreibung eines Lobbyisten aus dem ersten Teil dieses Kapitels.

Er habe sich, so erklärte Volmer wiederum dem Stern, ein "zweites Standbein" schaffen wollen. Und diese Tätigkeit habe er auch ordnungsgemäß beim Bundestagspräsidenten angemeldet und laut Richtlinien veröffentlicht. Daraus erschließt sich zumindest eins: Volmer verdient mit seiner Beratertätigkeit für Synthesis mehr als 3000 Euro im Jahr.

In Wirklichkeit ist es natürlich deutlich mehr Geld, das der Bundestagsabgeordnete Volmer für seinen "Nebenjob" erhält. 400.000 Euro fand der Stern-Reporter und Leipziger Medienpreisträger Hans-Martin Tillack heraus, erhielten "Synthesis" und eine zweite Firma mit dem phonetisch fast zwillingsgleichen Namen "Synergie" von der Bundesdruckerei.

Die Bundesdruckerei wiederum, an der Kochstraße im ehemaligen Zeitungsviertel von Berlin gelegen, hat ihre besten Zeiten hinter sich. Der Boom der frühen 90er Jahre, als es galt, 18 Millionen DDR-Bürger mit West-Papieren auszustatten, ist vorbei. Am 21. November 2000 verkaufte Finanzminister Eichel das 1879 gegründete Staatsunternehmen für zwei Milliarden Mark an die britische Kapitalgesellschaft Apax. Glücklich wurden die Briten mit der deutschen Druckerei nicht – schon 2001 verzeichnete man 454 Millionen Euro Verluste. Die Bundesdruckerei, die früher über 4000 Menschen Arbeit bot und zweistellige Millionen (Mark-) Beträge einbrachte, wurde 2002 für den symbolischen Preis von einem Euro an eine Auffanggesellschaft verkauft.

Klar, daß sich solche Firmen am Rande des Existenzminimums nach neuen Einnahmequellen umsehen und für Berater, die Top-Kontakte versprechen, extrem empfänglich sind. Für das Ausland wollte man Pässe drucken, am liebsten für Südafrika und Vietnam. Mehrmals reiste auch Ludger Volmer in diese Länder. Die Trips bezahlte seine Beratungsfirma, für die Öffentlichkeit aber sorgte Volmer auf seiner Homepage, auf der er seine Reisen ankündigte. Eine Reise ans Kap diente demnach "zur Vertiefung der wirtschaftlichen Kontakte", ein Ausflug nach Asien dazu, "den Weg für Auslandsinvestitionen zu ebnen". Die "Wirtschaftsdelegation" aus Deutschland, die dort warb, bestand vor allem aus Volmer und seinem Geschäftspartner und Parteikollegen, dem Synthesis-Chef Burkhard Hoffmeister. Zumindest die Südafrikaner bissen flott an: Dem "Spiegel" gegenüber bestätigten die Behörden in Johannesburg sowohl, daß die Bundesdruckerei einen lukrativen Auftrag, als auch, daß Volmer ein Beraterhonorar bekommen habe. Über das Volumen des Auftrags wie auch über die Höhe des Honorars schweigt man sich allerdings bis heute aus.

Wir fassen zusammen: Da gründet ein hochrangiger deutscher Diplomat, Mitglied des Bundestages, eine Firma, die ein pleitebedrohtes Unternehmen berät, das gerne Aufträge in Übersee hätte. Auf seiner Internet-Seite verkauft er seinen Akquise-Trip als politisches Geschäft, vor Ort aber macht er mit seinem politischen Amt Geschäfte.
Was denken Sie: Wen empfängt der Ober-Chef des vietnamesischen Innenministeriums wohl eher? Einen ehemaligen Staatssekretär des Außenministeriums oder irgendeinen Lobbyisten aus Gütersloh, Augsburg oder Emmerich?

"Als Geschäftsmann kann ich nicht verschweigen, daß ich Abgeordneter bin", verteidigte sich Volmer im Stern und philosophierte gleich hinterher, daß eine saubere Trennung von Mandat und Beratertätigkeit gar nicht möglich sei.

Das ist natürlich großer Blödsinn. In den Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete ist glasklar geregelt, daß "Hinweise auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag in geschäftlichen Angelegenheiten unzulässig sind". Einer, der das auch nicht richtig verstanden hatte, war übrigens der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann, der auf Minister-Briefpapier eine Mini-Erfindung eines Cousins verkaufen wollte.

Noch einmal: Was fördert hier was? Ist es so, daß Volmer von Erfahrung und Erkenntnis erhellt aus Vietnam und Südafrika zurückkehrt und bei der nächsten Debatte, in der eben diese Länder eine Rolle spielen, mit detaillierter Sachkenntnis glänzt? Oder hat nicht ihm bzw. seiner Firma bzw. seinem Geldbeutel der Job als Bundestagsabgeordneter genutzt?

Doch wie jede Geschichte hat auch die enge Beziehung zwischen Volmer und der Bundesdruckerei eine Vorgeschichte.

Sein Nebenjob bei Synthesis war nicht die einzige Affäre, mit der Volmer zur Jahreswende 2004/2005 zu kämpfen hatte. Auch ein Erlaß, mit dem Volmer noch als Staatssekretär im März 2000 weitreichende Änderungen im Visumsrecht erwirkt hatte, entpuppte sich als politische Falle. Denn auch hier führte die Spur wieder zur Bundesdruckerei. Was war geschehen?

Am 8. März 2000 trat Volmer in Berlin vor 20 Journalisten und verkündete – wie weiland Günther Schabowski am Tag des Mauerfalls – eine weitreichende Liberalisierung der Einreisebestimmungen für Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. In dubio pro liberate, im Zweifel für die Reisefreiheit, lautete die neue Devise für die Botschaften zwischen Kiew und Moskau. Ab sofort, so Volmer, sollten die Beamten bei Visaanträgen russischer Staatsbürger nicht mehr aufwendig prüfen, sondern Visa eher großzügig ausstellen – für Besuchsreisen. Der "Schleusen-auf-Erlaß" des Grünen wurde eifrig genutzt. Schon 2001 stieg die Anzahl allein der in der Ukraine ausgestellten Visa für die Einreise nach Deutschland auf atemberaubende 297.784 Exemplare. 1999 waren es noch 141.156 gewesen. Die meisten Ukrainer, die nach Deutschland kamen, interessierten sich allerdings kaum für Rheinpanorama, Kölner Dom und Rüdesheim, sondern nutzten die Gelegenheit, um hier schwarz zu arbeiten.
Später, im Frühjahr 2005, übernahm Außenminister Joschka Fischer die politische Verantwortung für die so genannte Visa-Affäre. Was hätte er auch tun sollen? Zugeben, daß in seinem Ministerium wichtige Beschlüsse nicht über den Schreibtisch des Chefs gehen, konnte er ja wohl kaum.

Die grüne Gemeinschafts-Liberalität sorgte also dafür, daß jeder, der wollte, nach Deutschland reisen konnte – für die meisten "Touristen" aus der GUS eine fantastische Sache (wenn man mal von den Zwangsprostituierten absieht, die nun busweise halblegal über die Grenze geschafft wurden). Es brachte allerdings auch deutsche Geschäftsleute auf pfiffige Ideen.

Einer von ihnen war der Versicherungsvertreter Heinz Martin Kübler, der 19 lange Jahre in einem Kaff bei Heilbronn Brandschutzversicherungen verkauft hatte und nun das ganz große Ding erfinden wollte. Sein Ziel: eine Art Reisekrankenversicherung für Visa-Reisende. Das Geschäftsmodell war geradezu genial: Für 92 Euro pro Monat sollten die Ukrainer formell versichert werden, wobei klar war, daß kaum einer von ihnen (denn schließlich kamen die meisten ja nicht als Touristen, sondern als Schwarzarbeiter) diese Versicherung tatsächlich im Krankheitsfall ausnutzen würde. Zu groß die Angst, nach Hause geschickt zu werden.

Im Mai 2001 ist Kübler – indirekt dank der Grünen – am Ziel: Die ersten "Reiseschutzpässe" werden gedruckt und gelangen in den Verkauf. Bis heute sind 170.000 dieser aufwendig gestalteten, mit Hologramm fälschungssicher gemachten Dokumente erstellt worden. Wo? Genau. In der Bundesdruckerei. Dem Unternehmen, das wenige Jahre später der Volmer-Firma hunderttausende Euro für "Berater-Tätigkeiten" gezahlt hat.

Am 11. Februar 2005 teilte die Bundesdruckerei mit, sich von Volmer und dessen Firma Synthesis getrennt zu haben. Noch am gleichen Abend gab Ludger Volmer all seine politischen Ämter bei den Grünen ab und zog sich aus der Firma Synthesis zurück. Heute ist er lediglich noch Mitglied des Bundestages. Was man dort so verdient, wissen Sie ja.

Aber nicht nur Politiker, die selbständig sind, verdienen nebenher sehr gut. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach bezog während ihrer MdB-Zeit jahrelang von ihrem vorparlamentarischen Arbeitgeber Siemens ein Gehalt. 60.000 Euro im Jahr. Viel Geld, oder? Und wofür? Ganz einfach: "Von zu Hause aus" habe sie Übersetzungsarbeiten erledigt. Also: noch ein Telearbeitsplatz – und was für ein fürstlich entlohnter. 60.000 Euro im Jahr für Übersetzungstätigkeiten – ist das nicht ein bißchen happig?

Freiberufliche Übersetzer, die literarische Werke übersetzen, kommen nach Berechnungen der Gewerkschaft ver.di auf 962 Euro monatlich – das wären 11.544 Euro im Jahr bei zwölf Monatsgehältern.

Diplom-Dolmetscher, die immerhin eine universitäre Ausbildung genossen haben, fangen mit 3119 Euro im Monat an, bekommen also im Jahr 37.428 Euro als Anfangsgehalt. Wer fleißig übersetzt hat, kommt nach fünf Jahren auf 3528 Euro monatlich.

Man muß schon sagen: Frau Flach ist offensichtlich eine wirkliche Spitzenkraft in Übersetzungsdingen, eine Koryphäe der Fremdsprachen. Und schnell muß sie sein und fleißig. Denn natürlich beziehen sich oben genannte Zahlen auf Vollzeitstellen, 35-Stunden-Woche. Und das alles erledigt die Frau Flach nebenbei "von zu Hause aus". Alle Achtung. Kein Wunder, daß auf der Bundestags-Homepage folgende Wahrheit verkündet wird:

Verbindungen zur Berufswelt sind im Übrigen auch gut für das Parlament.

Ein wahrer Satz, der in seiner Schlichtheit geradezu entlarvend ist. Denn ist die Berufswelt nichts anderes als die Realität, in der wir, die Bürger, die Wähler, das Volk, unser Leben verbringen? Ist es nicht so, daß Verbindungen zur Berufswelt und damit für diese Art von Leben für jeden Politiker Grundvoraussetzung für seine Arbeit sind? Wie könnte denn ein Parlamentarier überhaupt jemals über Arbeitsschutzgesetze, Hartz IV oder ähnliche Problemfelder entscheiden, wenn er nicht über Verbindungen zur Berufswelt verfügt? Was heißt also "im Übrigen"? Hier wird offensichtlich die Grundlage jedes Politikmachens als Rechtfertigungsgrund für weitere Einnahmequellen hergenommen. Aber das nur nebenbei.

Daß die Verbindungen zur Berufswelt "im Übrigen" auch ganz besonders gut für die Parteien sein können, zeigt der Fall der CDU-Bundestagsabgeordneten Hildegard Müller. Die Betriebswirtin war seit 1995 bei der Dresdner Bank tätig – und viele Kollegen und Vorgesetzte sagten ihr eine hervorragende Karriere voraus. Dennoch entschied sich Hildegard Müller, in die große Politik zu gehen – eine gute Entscheidung, gegen die kein Mensch etwas haben kann. Schließlich war sie seit Jahren hochrangig in der Jungen Union engagiert.

Hildegard Müller wurde gewählt, zog 2002 in den Deutschen Bundestag ein – Glückwunsch – und mauserte sich schnell zu einer der engeren Vertrauten von CDU-Parteichefin Angela Merkel. Auch gut. Ihrem alten Arbeitgeber aber, der Dresdner Bank, blieb sie mehr als freundschaftlich verbunden. 2000 Euro pro Monat zahlt das Kreditinstitut der fleißigen Frau Müller für zwei Projekte im Bereich "culture" (auf deutsch: Kultur). Eins davon hat mit der Renovierung der Frauenkirche in Dresden zu tun. "Alles legal", verkündete Frau Müller, als die Bild-Zeitung diese Zahlen veröffentlichte. "Ärgerlich" fand es dagegen ihr Parteikollege, Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus.

Kurze Zeit später enthüllte die Berliner Zeitung, daß die 2000 Euro monatlich nicht die einzigen Zahlungen der Dresdner Bank in Sachen Müller waren: Zwischen 2000 und 2002 spendete die Bank 60.000 Mark an die Junge Union. Mit dem Geld wurde eine Halbtagssekretärin finanziert, die Frau Müller unterstützte. Also: CDU-Vorstandsmitglied Hildegard Müller macht Projektarbeit für die Dresdner Bank, und ihre Sekretärin wird von der JU bezahlt, die wiederum das Geld von der Dresdner Bank erhält.

Stimmt schon: Kontakte zur Berufswelt kommen der parlamentarischen Arbeit offensichtlich zugute.

Aber weiter: In einem internen Schreiben der Bank heißt es, Frau Müller werde unterstützt, weil sie ein "sehr positiver Imageträger sei" und außerdem über eine "sehr gute Verbindung zu Frau Merkel" verfüge. Und solche Kontakte kann man schließlich immer gebrauchen, oder?

...

Bloß keine Peanuts. Die Wirtschaft

Für Hilmar Kopper, den damaligen Chef der Deutschen Bank AG, waren die 50 Millionen Mark, die Mega-Pleitier Jürgen Schneider Handwerksbetrieben in ganz Deutschland schuldete, nur "Peanuts" – Erdnüsse. Kopper gilt seitdem als Prototyp des kaltherzigen Kapitalisten.

Dabei hatte der Mann nur Recht: Im Vergleich zu den Milliarden und Abermilliarden, die täglich, stündlich, minütlich in der Weltwirtschaft bewegt werden, sind 50 Millionen Mark (25 Millionen Euro) wirklich geradezu ein Nichts.

Das meiste Geld allerdings, das transferiert, optioniert, hin und her überwiesen wird, ist gar kein echtes Geld, sondern eine virtuelle Währung, die lediglich als Zahl in den Computerkonten der Banken existiert. Zu Veranschaulichung: Würden alle Kunden der Deutschen Bank ihr Gesamtvermögen an einem Tag abheben wollen, wäre die Bank pleite.

Und Sie glauben doch nicht wirklich, daß in diesem eher undurchschaubaren Dschungel kein Raum für Selbstbediener und Abzocker ist?

Okay, werden Sie denken: Laß sie sich doch selbst bedienen! Ist doch deren Geld. Stimmt: Bislang ging es um IHR Geld. Um das Geld, das Sie jedes Jahr bis Mitte Juli verdienen – erst ab dann arbeiten Sie in Ihre eigene Tasche. Die ersten Monate des Jahres schuften Sie statistisch gesehen für den Staat und seine Institutionen, erwirtschaften also in erster Linie die Steuern. Dagegen ist das mittelalterliche Zehntel, das jeder Bauer seinem Landesfürsten abtreten mußte, also eine extrem bescheidene Besteuerung. Wie pfleglich unsere neuzeitlichen Lehnsherren zuweilen mit unserem Geld umgehen, haben wir in den vorausgegangenen Kapiteln erfahren.

Aber wir haben auch gesehen, daß die Abzockmentalität dort ganz hervorragend ist, wo Politik und Wirtschaft sich küssen, wo also einerseits öffentliches Geld im Spiel ist und andererseits knallharte wirtschaftliche Interessen dieses Spiel bestimmen.

In Reinform aber findet man Selbstbedienung leider allzu häufig in der Wirtschaft.

Aber natürlich: Es ist ja nicht Ihr Geld. So kann man natürlich argumentieren. Große Konzerne sind entweder als Aktiengesellschaften organisiert oder gehören einem mehr oder weniger überschaubaren Konsortium von Eigentümern. Alles Geld, was hier verschwendet wird, fehlt am Ende den Aktionären oder den Eigentümern. Deren Sache.
Jeder Mensch kann schließlich selbst bestimmen, was er mit seinem Geld macht. Wenn Sie auf die Idee kommen, Ihr Wohnzimmer in eine riesige Sammlung von australischen Bierkühlern zu verwandeln, dafür ein Heidengeld ausgeben und ausführliche Recherche-Reisen auf den fünften Kontinent unternehmen, riskieren Sie allerhöchstens Streit mit Ihrer Ehefrau und gelten im Bekanntenkreis als totaler Spinner. Ihre Sache.

Wenn ein Unternehmen also meint, es müßte seinem Vorstandsvorsitzenden zig Millionen Euro Gehalt bezahlen – warum nicht? Die werden schon wissen, was sie tun. Könnte man denken.

Die Diskussion um die Managergehälter, die 2004 das Land elektrisierte – und ein halbes Jahr später ein extrem lautes Echo in Form des Manager-Heuschrecken-Vergleichs von Franz Müntefering erzeugte –, war das nicht eine reine Neidkampagne der Medien? Ist es nicht tatsächlich so, daß ein Manager zurecht häufig das 100-fache eines einfachen Arbeiters verdient? Weil er einen Großteil seiner Jugend in eine aufwendigere Ausbildung investiert hat? Weil er – und das ist zweifelsohne so – länger arbeitet, keinen Acht-Stunden-Tag kennt, nie Überstunden aufschreibt und seine Frau höchstens an den Wochenenden sieht? Weil er sogar in seiner Freizeit auf dem Golfplatz Geschäftstermine wahrnimmt? Und nicht zuletzt: Weil er die Verantwortung hat für zigtausend Angestellte und Arbeiter, weil er das große Ganze im Blick haben muß, weil er sich nicht in der Masse verstecken kann, weil alle seine Fehler sofort erkannt und ihm zugeschrieben werden? Weil er Verantwortung in einem Maße trägt, die Sie vielleicht gar nicht tragen wollen?

Ja. Im Idealfall ist das alles richtig. Und in schätzungsweise 97 von 100 deutschen Unternehmen ist es genau so geregelt.

Dennoch diese Debatte. Warum?

Erstens: gerade eben wegen der Verantwortung für das Gesamte. Der Chef einer Firma ist nicht nur für die Gewinne, sondern auch für das soziale Gewissen in einem Unternehmen verantwortlich. Jeder Angestellte, jeder Arbeiter hat eine Familie. Jede Familie ist Kunde in vielen anderen Geschäften. Die Mitarbeiter dort haben wiederum Familien, die wiederum einkaufen gehen. Kommt es bei einem in einer Region dominierenden Unternehmen zu Massenentlassungen, entsteht eine extreme wirtschaftliche und soziale Schieflage.

Welche verheerenden Auswirkungen ein Kahlschlag haben kann, hat man im Sachsen-Anhalt der Nachwendejahre gesehen. Als die großen Chemiekombinate von Buna und Leuna schließen mußten, verödete eine ganze Region. Noch heute ist Sachsen-Anhalt und vor allem die Gegend um Halle eines der ärmsten Gebiete der gesamten Bundesrepublik. Sicher: Die heruntergewirtschafteten DDR-Altlasten waren nicht zu retten, aber stellen Sie sich vor, was in Wolfsburg geschehen würde, wenn VW dichtmachen würde.

Wer sich der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt, muß auch das Soziale ernst nehmen. Und das ist nicht nur die Aufgabe der Politik, sondern auch der Manager.

Zweitens: Daß große, nationale Unternehmen vollkommen abgekoppelt vom Steuergeld (UNSEREM GELD) funktionieren, ist eine Legende. Eine Firma, die sich in einer bestimmten Region ansiedeln möchte, wird mit zahlreichen finanziellen Vergünstigungen rechnen können. Erlaß der Grundsteuer und der zeitweilige Verzicht auf die Gewerbesteuer sind übliche Mittel, Unternehmen anzulocken. Warum? Ganz einfach: weil jede Firmenansiedlung neue Arbeitsplätze schafft. "Finanzielle Anreize bieten" nennt man diese Methode – und glauben Sie nicht, daß Mercedes, Fuji oder irgendein anderer Großkonzern sich irgendwo niederläßt, ohne Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen.

Die Unternehmen werden also subventioniert. Aber ist es dann wirklich noch alleine das Firmenkapital, über das die Firmenmanager bestimmen?

Nein – es ist zu einem bedeutenden Teil UNSER Geld. Und wir können schon erwarten, daß damit pfleglich umgegangen wird. Denn: Wenn WIR von 50 Millionen Mark (ca. 25 Millionen Euro) sprechen, sind das für uns eben keine "Peanuts", dann ist das eine unvorstellbare Summe, die es noch nicht einmal im Lotto zu gewinnen gibt, so fantastisch wie ein Flug zum Mars.

Solche Gedanken aber scheinen vielen Bankern – und häufig vor allem denen der Deutschen Bank – eher fremd. Denn im Frühjahr 2004 war es ebenfalls ein Deutscher-Bank-Chef, der sich mit einer Geste extrem unbeliebt gemacht hat. Mit Victory-Zeichen stand er am 22. Januar 2004 in dem Gerichtssaal, in dem darüber entschieden werden sollte, ob er und die anderen Aufsichtsratsmitglieder von Mannesmann dem Ex-Chef Klaus Esser rechtmäßig eine Zahlung in zweistelliger Millionenhöhe verschafft hatten. Diese Geste, die Ackermann später mit eigener Verlegenheit entschuldigen wollte, gilt als DAS Symbol für Absahnerei und Selbstbedienung der deutschen Firmenbosse und war wegen ihrer Arroganz eine der Schlüsselszenen, aufgrund deren wir uns entschlossen haben, dieses Buch zu schreiben.

Um aber grundsätzlich erst einmal zu klären, über wie viel Geld wir eigentlich sprechen, warum die Spitzenmanager so dermaßen lässig mit Geld umgehen und wie sie überhaupt auf den Geschmack gekommen sind, zuerst ein kleines Amuse-Gueule.

Vorspeise: Der Appetit kommt mit dem Essen

"Fat cats" nennt man sie, fette Katzen. Dabei wird kaum geschnurrt, eher gekratzt. Willkommen in der Welt der Top-Manager, willkommen in einer Welt mit nahezu unüberschaubaren Verdienstmöglichkeiten.

Wir bewegen uns auf internationalem Parkett: Wir reden von Menschen wie dem Chef der britischen HSBC-Bank, der sich seinen Wechsel an die Spitze des Kreditinstitutes mit über 50 Millionen Dollar bezahlen ließ. Wir reden vom französischen Manager-Star Jean-Marie Messier, der sich und seinem Führungsteam beim Internet-Konzern Vivendi ein Optionsprogramm im Wert von zwei Milliarden Euro gönnen wollte – obwohl der Aktienkurs um 40 Prozent gesunken war. Oder von Menschen wie dem vierfachen "Manager des Jahres", Percy Barnevik, der sich beim Anlagebauer ABB für den Falle seines Abgangs eine steuerfreie und umgehend zu zahlende Gesamtsumme von 100 Millionen Euro ausgehandelt hatte.

Selbstbedienung international. Kein Wunder, daß die deutschen Spitzenmanager gegen Ende der 90er Jahre sich auch ihr Stück vom Giganten-Kuchen sichern wollten. Eine psychologische Einschätzung dieses Verhaltens lesen Sie im Anschluß an dieses Kapitel.

Wie gesagt: Jahrzehntelang galten die Gehälter in der Bundesrepublik als relativ bescheiden. Ende der 60er Jahre verdiente ein Vorstand bei der Deutschen Bank das 42fache eines durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmers, in den 80er und 90er Jahren war es immer noch das rund 36fache. In absoluten Zahlen handelte es sich dabei um rund eine Million Euro pro Jahr.

Dann aber explodierten die Vorstandsgehälter: Im Jahr 2000 lagen sie 286fach über dem Durchschnitt eines Normal-Arbeiters, gingen dann im nächsten Jahr leicht zurück – auf das 240fache. Durchschnittlich verdiente ein Deutsche-Bank-Vorstand jetzt rund sieben Millionen Euro im Jahr – der deutsche Durchschnittsverdienst lag bei 29.000 Euro.

Was war geschehen? Im Börsenboom der späten 90er Jahre führten deutsche Manager das in den USA schon lange praktizierte Konzept des Shareholder value ein. Grob gesagt, geht es bei diesem Ansatz darum, daß das Management nicht nur das eigentliche Geschäft am Laufen hält, sondern kontinuierlich bemüht ist, den Gesamtwert des Unternehmens zu steigern, um so den Aktienkurs nach oben zu treiben. Gewissermaßen stehen also nicht mehr die Kunden, sondern vor allem die Shareholder, also die Aktionäre, im Mittelpunkt. Und für die Manager hat es noch zwei weitere, extrem positive Auswirkungen:

Erstens können mit den jetzt teureren Aktien kleinere Firmen geschluckt werden. Handelt es sich um US-Unternehmen, hat dies dann auch zur Folge, daß die Gehälter der deutschen Manager an die hohen amerikanischen Zahlungen angepaßt werden können.

Zweitens wurden in den meisten Firmen mit dem Shareholder-value-Prinzip Optionsprogramme für die Manager eingeführt: bestimmte Aktienpakete der Firma, die nach dem Erreichen gewisser (und von den Managern selbst bestimmter) Ziele eingelöst werden können.

Gemeinsam mit den unglaublichen Entwicklungen der Aktienkurse, die vor der Jahrtausendwende aus der kleinsten dotcom-Klitsche einen Weltkonzern machte (zumindest für ein paar Monate), hatte sich so ein Turbo für die Erhöhung der Managergehälter entwickelt, wie ihn die Weltwirtschaft selten zuvor gesehen hatte.

  • Bei der deutschen Telekom, deren Börsengang als Glücksfall für die Volkswirtschaft und als lohnendes Anlagegeschäft auch für Kleinaktionäre gefeiert wurde, sah das beispielsweise so aus: 2001, dem bis dato schlechtesten Jahr der Telekom-Geschichte, sicherte sich der Vorstand (acht Personen) die Bezugsrechte für 1,74 Millionen T-Aktien. Da mit denen aufgrund des miserablen Kurses allerdings kaum das große Geld zu machen war, wurden auch die Bezüge erhöht: Laut Spiegel um fast 90 Prozent auf 17,425 Millionen Euro, worin allerdings auch zwei Abfindungen enthalten waren.
  • Der Vorstand der Dresdner Bank verdoppelte noch 2001, nachdem der operative Verlust des Bankhauses bei 844 Millionen Euro gelegen hatte und 7800 Angestellte entlassen werden mußten, seine Gehälter im Schnitt von knapp einer auf rund zwei Millionen Euro pro Vorstandsmitglied. Entlassungen hier, verdoppelte Millionen-Gagen dort. Sind Sie wirklich sicher, daß SIE das nichts angeht, was die Firmen mit dem Geld machen?
  • Und auch bei Jürgen Schrempp, dem Noch-Vorstandsvorsitzenden von DaimlerChrysler, hat sich das Umdenken im deutschen Management auf lohnende Art ausgewirkt: 1997 verdiente er noch das 51fache Gehalt eines normalen Bandarbeiters. Nur sechs Jahre später, 2003, bekam der Boß schon das 130fache. Schrempp hatte es fertig gebracht, sein Gehalt zu verfünffachen – auf etwa 6,5 Millionen Euro pro Jahr.

Wer Jürgen Schrempp je in persona erlebt hat, wird kaum zweifeln, daß er dieses Geld auch verdient: Der Mann ist ein hervorragender Manager-Darsteller. Groß wie ein Baum, mit markanten Gesichtszügen, unter deren Härte sich genau die Portion jovialer Kleinstadt-Firmenboß erahnen läßt, die auch ihm das Attribut "hemdsärmelig" eingebracht hat. Das Wirtschaftsmagazin Fortune wählte ihn zum viertmächtigsten Menschen der Welt, daneben darf er allerlei Ehrentitel wie "Ikarus des Jahres", "Manager des Jahres" und "Kommandeur der Ehrenlegion Frankreichs" tragen.

Aber verdient Schrempp wirklich, was er bekommt?

Eine "Welt AG" wollte er aus DaimlerChrysler machen – und kaufte die japanische Autofirma Mitsubishi. Das kostete den Konzern 2,2 Milliarden Euro. 2,7 Milliarden Euro Verlust hatte Schrempp bereits mit der holländischen Konzern-Tochter Fokker gemacht und anschließend verkündet: "Ich bin der einzige Manager der Welt, der Milliarden verspielt hat und dann auch noch sagt: Das war ganz alleine meine Schuld." Die Quittung wurde am 28. Juli 2005 nachgereicht.

Das ist das andere Gesicht des nach Joseph Ackermann bestverdienenden deutschen Managers: Seine Ehrlichkeit ist so entwaffnend, daß sie fast schon wehtut. In einer Situation allerdings, in der die Managergehälter explodieren und die Unternehmen Milliarden verlieren, könnte man es auch anders nennen: dreist!

Ähnlich sehen das seit Anfang des Jahrtausends auch Politiker. Ex-Bundespräsident Johannes Rau kritisierte in seiner letzten Berliner Rede die überzogen hohen Gehälter, die stärksten Worte aber fand Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Das er mehr Verständnis für bonusmeilenfliegende Politiker-Kollegen hatte, steht auf einem anderen Blatt. Thierse jedenfalls geißelte Manager, die "sich in Selbstbedienungsmanier unverschämt hohe Jahresgehälter genehmigen". Er sehe, wie sich die wirtschaftliche Elite "auf geradezu obszöne Weise selbst bediene", während der einfache Bürger Einbußen hinnehmen müsse.

Noch einmal zur Verdeutlichung: Von 1991 bis 2001 stiegen die Nettolöhne der Arbeitnehmer um knapp 20 Prozent. Die der Vorstände um 90,3 Prozent.

Mit Beginn des neuen Jahrtausends waren die goldenen 90er Jahre längst Geschichte, die hochgeputschten Internet-Firmen entweder auf ein Normalmaß zurechtgestutzt oder gar nicht mehr vorhanden. Und doch waren nur wenige Bosse bereit, Unternehmer wie Lufthansa-Chef Jürgen Weber (eine Million Euro Jahresgehalt, die Hälfte davon vom Unternehmenserfolg abhängig), auf Teile ihres Gehaltes zu verzichten. Während Weber und sein Führungsteam für sechs Monate ihr Grundgehalt noch einmal um zehn Prozent herunterschraubten, bedienten sich die Kollegen anderer Unternehmen.

Zeit für die Politik zum Eingreifen. Unter Führung von Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen Krupp, wurde eine Kommission gegründet, die einen Verhaltenskodex für Spitzenmanager erarbeiten sollte. Dazu gehören auch detaillierte Veröffentlichungen der Vorstandsgehälter. Denn selbst Cromme erachtete die Gehälter für so hoch, daß sie "durch objektive Kriterien nur noch schwer zu rechtfertigen sind". Doch nur wenige Firmen wie beispielsweise der Berliner Pharma-Konzern Schering hielten sich an die Vorschläge und veröffentlichten die Bezüge ihrer Spitzenmanager. Das Verhalten der Wirtschaft ließ Justizministerin Brigitte Zypries schließlich eine gesetzliche Regelung vorantreiben. Gegen den Protest aus Unternehmenskreisen verabschiedete der Bundestag mit großer Mehrheit im Juli 2005 ein Gesetz, nach dem die knapp 1000 börsennotierten Unternehmen in Deutschland künftig ihre Vorstandsgehälter individuell offen legen müssen – sonst drohen 50.000 Euro Bußgeld.

Auch ein anderer Versuch, der Selbstbedienung der Manager mit Appellen an Ehre und Ethik zu begegnen, war gescheitert. Womit wir wieder bei den Herren Joseph Ackermann und Klaus Esser wären.

Hauptspeise: eine sehr große Portion Mannesmann

Im Mai 1999 wurde Klaus Esser, ein Mann mit einem spöttischen Lächeln, Vorstandschef der 120 Jahre alten deutschen Traditionsfirma Mannesmann. Esser war und ist unter den Managern nicht der erfolgreichste. Zum Schluß seiner Karriere wenigstens war er reich. Unter welch unglaublichen Umständen er zu einer schwindelerregenden "Anerkennungs-Prämie" kam, mit welcher fast schon krankhaften Detailfreude er sie bis ins Letzte erhöhte und wie Klaus Esser zu einem der wenigen Selbstbediener wurde, die tatsächlich vor einem Gericht landeten (und nach Prozeßende grinsend herausspazierten), davon handelt dieses Kapitel. Doch erst einmal muß die Frage geklärt werden: Wer ist Klaus Esser?

Skorpion, Westfale, verheiratet. Rechtswissenschaftler mit Studium an den Universitäten Tübingen, Genf und München und einer zusätzlichen Station in Cambridge/USA. Von 1976 bis 1977 arbeitete er als Anwalt in New York, bevor er als Jurist zu Mannesmann nach Duisburg ging. In seiner Freizeit liest Esser gern Bücher zur europäischen Geschichte (sagte er zumindest der FAZ) und Lyrik. Er spielt Schach und Tennis, läuft Ski.

Sein Lebensmotto ist: "Der Bessere wird sich schon Bahn brechen."

Hört sich gut an. In der Wirklichkeit hat er sich die Bahn gebrochen, auch ohne der Bessere zu sein. Viele andere Manager würden ihn noch nicht mal als "gut" bezeichnen.
Also: 1990 war Esser Finanzvorstand bei der Mannesmann-Tochter Demag. 200 Millionen Euro wurden beim falsch kalkulierten Bau eines Stahlwerks in Iowa in den Sand gesetzt. Als Mannesmann später in die Mobilfunkbranche investierte, war Esser dagegen. Er verkannte die enormen Wachstumschancen. Stattdessen wollte er aus Mannesmann einen "integrierten Maschinenbau- und Anlagekonzern" machen.

Wie wenig Zukunftsblick Esser besaß, verdeutlichen diese Zahlen: 1684 Millionen Mark erwirtschaftete Mannesmann im Jahr 1999 insgesamt, auf den Bereich Maschinenbau entfielen davon lediglich 423 Millionen Mark. Die Sparten Röhren und weitere Gesellschaften von Mannesmann machten ebenfalls Miese: 504 Millionen Mark. Das heißt nichts anderes, als daß allein die Mobilfunksparte Mannesmann gegen Ende der 90er Jahre über Wasser gehalten hat. Am 28. Mai 1999 wurde Klaus Esser Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Knapp neun Monate später war er ein sehr reicher Mann. Zu diesem Zeitpunkt gab es Mannesmann nicht mehr, zigtausend Arbeiter zitterten um ihren Job, und ein 72-jähriger Multimillionär namens LiKa-Shing war um einen zweistelligen Milliardenbetrag reicher.
Milliarden statt Millionen.

Millionen aber sahnte Klaus Esser ab. Denn ohne ihn wäre auch Ka-Shing nicht an sein Geld gekommen. Ein Wirtschaftskrimi.

Der Deal

Mit seinem Aufstieg zum Vorstandsvorsitzenden hatte Klaus Esser wohl auch seine Ressentiments gegen den von ihm ursprünglich so skeptisch betrachteten Mobilfunk abgelegt. Seine erste Amtshandlung (neben Übernahme von Dienstwagen und Sekretariat) war, das britische Mobilfunkunternehmen Orange zu kaufen – für 59,8 Milliarden Mark. Eine Summe, die damals allgemein als unglaublich hoch angesehen wurde. Wie im internationalen Übernahmegeschäft üblich, erhielt der größte Orange-Besitzer, der Mischkonzern Hutchison Whampoa, kein Bargeld, sondern einen zehnprozentigen Anteil an Mannesmann. Hutchison, wiederum im Besitz des schon erwähnten Greises Ka-Shing, wurde daraufhin auf einen Schlag zum größten Einzelaktionär der Ruhrpott-Firma. Und um sicherzustellen, daß er das auch blieb, wurde eine 18-monatige Frist vereinbart, innerhalb deren Hutchison die deutschen Aktien nicht verkaufen durfte. So sollte verhindert werden, daß die Asiaten beim ersten kräftigen Kursanstieg von Mannesmann (der nach der Orange-Übernahme so gut wie sicher war) ihre Papiere verkaufen, den Gewinn einstreichen und das deutsche Unternehmen so in eine tiefe Krise stürzen würden. Denn: Würde der größte Einzelaktionär das Boot verlassen, würden auch die anderen Aktionäre nervös. Kurs fällt, Aktie nix mehr wert. Spiel verloren.

Grundsätzlich nicht so dumm von Klaus Esser.

Mischkonzeme aber sind genau das, wonach sie sich anhören: Gemischtwarenhändler. Wie ein Krämer in seinem Laden verkaufen und kaufen sie Firmen wie Gegenstände, je nach Marktlage und größtmöglichem Profit. Sie haben keine Beziehung zu den Firmen, an denen sie riesige Aktienpakete halten: Für sie sind alle gleich, Hauptsache, sie machen Gewinn. Menschen, die das kritisieren, sind Wirtschaftsromantiker und Nostalgiker. Dennoch ist die Causa Mannesmann/Vodafone schon ein ziemlich rüder Fall von orthodox praktiziertem Kapitalismus.

Hutchison war durch den Verkauf von Orange an Mannesmann nun nicht mehr an einem kleinen, sondern an einem großen Mobilfunkanbieter beteiligt. Doch nicht alle waren über die Übernahme des britischen Unternehmens durch die Deutschen glücklich. Beispielsweise Chris Gent, damals 52, gelernter Banker (und nicht, wie Esser, Jurist). Der Chef des britischen Mobilfunkanbieters Vodafone hatte einen Traum: der Boß des größten Handykonzerns der Welt zu werden. Die Erfüllung dieses Traums sah er durch die Orange-Übernahme in Frage gestellt – und er tat genau das, was Raubfische tun, wenn sie sich von einem anderen Raubfisch angegriffen fühlen: Er wurde aggressiv. Er begann zu drohen und machte dabei von Anfang an wenig Hehl aus seinem Ziel: Mannesmann zu schlucken.

In der Wirtschaft gibt es freundliche und feindliche Übernahmen. Bei einer freundlichen Übemahme einigen sich die beiden Geschäftsführungen auf eine Partnerschaft, bei einer feindlichen bietet der eine Partner den Aktionären des anderen einfach so viel Geld, bis sie nicht mehr "nein" sagen können. Genau das tat Chris Gent. 58,96 Vodafone-Aktien bot er Ende Januar 2000 allen Mannesmann-Aktionären für ihre Papiere am Duisburger Unternehmen an. Ein perfektes Geschäft. Das Angebot sollte zunächst am 6. Januar ablaufen.

Klaus Esser lief die Zeit davon. Zu diesem Zeitpunkt war Esser noch ein strikter Gegner der Übernahme durch die Briten. Das hatte zum einen mit Eitelkeit zu tun: der analytische Esser gegen den hemdsärmeligen Gent – ein Kampf der Wirtschaftsphilosophien. Und für beide nicht nur eine Frage der Ehre, sondern auch eine Frage von Geld, viel Geld. Esser war klar, daß in einem Mannesmann-Konzern unter der Vodafone-Führung kein Platz mehr für ihn sein würde. Nicht auszuschließen, daß seine Karriere (die er ausschließlich bei Mannesmann gemacht hatte) beendet wäre: Wer nimmt schon einen Manager, der sich sein Unternehmen unter dem Schreibtisch wegkaufen läßt?
An diesem Montag, dem 6. Januar 2000, hatte Esser miserable Laune. Schon am Sonntag, einem Tag vor Ablauf der Gent-Frist, hat er eine empfindliche Schlappe hinnehmen müssen. Einer seiner Pläne war, mit dem französischen Konzern Vivendi im Handy-Markt zu kooperieren und so zu einem zu großen Konkurrenten für Gent und Vodafone zu werden. An diesem Sonntag aber war der Chef von Vivendi, Jean-Marie Messier, überraschend mit einem anderen Mann vor die Presse getreten, um eine Kooperation zu verkünden: Chris Gent. Messier, der Esser als "Zauderer" kritisierte, hatte sich mit dem Erzfeind des Deutschen zusammengetan. Beleidigt konstatiert der, Messier habe "ohne sein Wissen" mit Gent verhandelt. Als wenn er selbst Gent vorher um Erlaubnis gefragt hätte. An diesem Montag telefonierte Esser mit den Großaktionären von Mannesmann – er wollte die Stimmung ausloten. Doch immer mehr teilten ihm mit, daß sie nun ernsthaft über das VodafoneAngebot nachdenken würden. Auch Essers zweiter Trumpf, ein Zusammenschluss mit AOL, dem zweitgrößten europäischen Internet-Anbieter, schien zu platzen. Als "klebrig" beschrieb Esser selbst später die Verhandlungssituation.

Am frühen Nachmittag bat er Gent zu Verhandlungen. Die Traditionsfirma Mannesmann war spätestens zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Name auf einem Stück Papier, daneben stand ein Preis.

Am nächsten Morgen flog Gent mit einem Privatjet nach Düsseldorf. Schnell wurde er sich mit Esser in den Grundzügen einig – nur die Verteilung der Anteile blieb strittig. Esser wollte 52 Prozent der neuen Riesenfirma für Mannesmann-Aktionäre. Gent lehnte natürlich ab – schließlich war er der Chef bei den Verhandlungen. Esser wollte vertagen, doch nach weiteren Telefonaten mit Großaktionären verkündete er am Abend seinem Aufsichtsrat: "Die Stimmung ist gekippt."

Im Steigenberger Hotel von Düsseldorf, in Steinwurfweite von der Mannesmann-Zentrale entfernt, verfolgte derweil ein weiterer Mann mit großer Gelassenheit die Übernahmeschlacht in ihrer letzten Phase. Es ist Canning Fok, Statthalter des mächtigen Ka-Shing, des Mannes im Hintergrund. Ohne sein "Go" würde nichts laufen.
Für seinen Konzern Hutchison bot sich eine glänzende Gelegenheit, eine Übernahme von Mannesmann durch Vodafone wäre ein Spitzengeschäft: Die Kurse waren seit den ersten Gerüchten über Gents Begehrlichkeit gestiegen, und nur die Orange-Klausel verhinderte, daß Hutchison dieses Geld sofort per Aktienverkauf einstreichen konnte. Käme es aber zu einer Übemahme, könnte Hutchison seine Anteile sofort verkaufen und den Gewinn kassieren.
Ein perfekter Deal.

Doch der hing in diesem Moment noch an Klaus Esser, dem deutschen Juristen, der in den vergangenen Wochen so eifrig f ür die Firma gekämpft hatte. Jeder Wirtschaftsexperte wußte: Esser war in der Lage, den Fusionsprozeß über Monate zu blockieren, was sich zweifelsohne negativ auf die Aktienkurse ausgewirkt hätte.

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