Auszüge aus Günter Ogger's
"Kauf dir einen Kaiser"

Die Geschichte der Fugger

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Wie sich die Bilder gleichen

In einer Zeit wie der unseren, da der Kanzler ein Wirtschaftskanzler ist und die Politik zur Wirtschaftspolitik verkümmerte, erscheint die Geschichte der Fugger verblüffend aktuell.

Nie zuvor und kaum wieder danach bestimmte die Wirtschaft so eindeutig die Weltpolitik wie in den Tagen Jakob Fuggers des Reichen. Es war nicht ein Mann des Staates, sondern ein privater Unternehmer, der die größte Macht der Welt in Händen hielt. Der Augsburger Geldherr entschied, wann Kriege geführt und Frieden geschlossen wurden. Von ihm hing es ab, ob ein Habsburger oder ein Valois zum römisch-deutschen Kaiser gewählt wurde. Ja, die Fugger mischten sich letztlich sogar in Angelegenheiten des Glaubens: Ihre dubiosen Ablaßgeschäfte führten zur Reformation und ihr Geld verhinderte, daß Mitteleuropa protestantisch wurde.

Die Stamokap-Theorien einiger Jusos, nach denen das Übel der Welt aus der Verflechtung des Staates mit dem Monopolkapitalismus herrührt, wurden schon vor 400 Jahren ad absurdum geführt. Denn in der ersten Phase des Frühkapitalismus war der Staat bereits total von der Privatwirtschaft abhängig. Aber das unausweichliche Chaos ruinierte nicht den Staat, sondern eben jene Großkaufleute, die ihn vorher so trefflich auszubeuten wußten.

Modellhaft spiegeln sich in jener "großen" Zeit der europäischen Geschichte – den Jahren zwischen 1480 und 1560 – viele unserer heutigen Probleme. Ausbeutung der Dritten Welt, ungleiche Verteilung der Rohstoffe, Arbeitslosigkeit und Tarifkonflikte, Preiswucher und technologischer Fortschritt – all das gab es auch damals schon. Geändert haben sich seither die Produkte und die Produktionsprozesse, aber nicht die Menschen. Sie waren damals genauso gutmütig und bösartig, phantasievoll und stupide, charakterfest und bestechlich wie heute. Deshalb unterscheidet sich die beispiellose Erfolgs- und Mißerfolgsgeschichte der Fugger allenfalls in ihren Dimensionen von denen der großen Unternehmerdynastien der Gegenwart. Was die Fugger indes so einzigartig macht, ist die Zeit, in der sie lebten. Sie hatten den Vorteil, am Beginn einer Entwicklung zu stehen, deren Ende wir – vielleicht – noch erleben werden.

Mit ihnen begann der Siegeszug der europäischen Wirtschaft. Sie schufen den ersten multinationalen Konzern der Geschichte und dazu Organisationsformen, die bis heute nicht überholt sind. Ein moderner Mischkonzern wie die Flickgruppe oder amerikanische Konglomerate wie Litton sind dem einstigen Fuggerkonzern viel ähnlicher als traditionelle Mono-Unternehmen. Zwar funktionierte das "Management by Mittelalter" noch ohne Computer und Firmenjet, aber es funktionierte mit erstaunlicher Präzision und Geschwindigkeit.

Die Fugger waren zweifellos hartgesottene Geschäftsleute mit einem ausgeprägten Instinkt für den kaufmännischen Nutzen neuer technischer Entwicklungen und menschlicher Schwächen. Sie profitierten von den Lastern der Fürsten ebenso wie von den Entdeckungen der Seefahrer, nutzten kaltblütig die Jenseitsangst der Gläubigen und die diesseitigen Erkenntnisse der Wissenschaftler. Sie beuteten die Bodenschätze der Alpen ebenso rücksichtslos aus wie Jahrhunderte später die Ölgesellschaften die Energievorräte Arabiens. Und sie bestachen die Politiker ihrer Zeit mindestens ebenso wirksam wie heutzutage die Lobbyisten des Lockheed-Konzerns. Nur hatten sie noch ein bißchen mehr Macht als jeder Großkonzern der Gegenwart: Als Jakob Fugger beispielsweise sämtliche Erzgruben Tirols in der Hand hatte, ließ er den Herrscher des Alpenlandes, Herzog Sigismund, kurzerhand absetzen.

Mit erschreckender Konsequenz nutzte bereits dieser frühkapitalistische Tycoon seine Marktmacht. Sein Ziel war stets das Monopol. Um es zu erreichen, manipulierte er die Preise nach Belieben, bis auch der letzte Konkurrent entmutigt aufgab und der Fugger dann die Kundschaft anschließend um so nachhaltiger zur Kasse bitten konnte. Und als die deutschen Reichsstände, eine Art Parlamentsvorläufer, dem einträglichen Profitspiel ein Ende bereiten wollten, mußte eben der Kaiser höchstselbst für den Schutz seines wichtigsten Finanziers sorgen.

Die unglaubliche Energie, mit der die Fugger ihren weltumspannenden Konzern ausbauten, hätte zweifellos den Wohlstand der ganzen Nation anheben können. Statt dessen aber wurde der größte Teil des neugeschaffenen Volksvermögens sinnlos auf den Schlachtfeldern verpulvert. Die permanenten Kriege zwischen Deutschen und Franzosen, Katholiken und Protestanten oder Christen und Moslems wären ohne die gewaltige Steigerung der Produktivkräfte gar nicht möglich gewesen. Insofern führte die erste Blüte der europäischen Wirtschaft schnurstracks zu ihrem eigenen Niedergang, und es dauerte Jahrhunderte, bis das kaufmännische, technologische und organisatorische Niveau der Fuggerzeit wieder erreicht wurde.

Bis heute dienen die Fugger deutschen Unternehmern als Vorbild, aber keiner hat je wieder auch nur entfernt ihre Machtfülle und historische Bedeutung erlangt. Der Clan, der einst die Welt beherrschte – sein Einflußbereich reichte von der Westküste Südamerikas über den gesamten europäischen Kontinent bis zu den Gewürzinseln der Molukken –, läßt sich allenfalls noch mit zwei anderen europäischen Familien vergleichen: den Medicis und den Rothschilds. Aber auch sie erreichten nie jene totale ökonomische Vorherrschaft, welche die Fugger zeitweilig im Bergbau sowie im Geld- und Warenverkehr besaßen.

Auch wenn die Fugger als Kunstsammler, Mäzene und Bauherren längst nicht Medici-Format erreichten, so überragen doch ihre kulturellen Leistungen alle diesbezüglichen Versuche gegenwärtiger Wirtschaftskapitäne um Längen. Das Sozialwerk der Fuggerei, dem sie bis heute ihren guten Namen verdanken, läßt bundesdeutsche Stifter der Gegenwart daneben doch reichlich bescheiden aussehen. Dabei waren jene schwäbischen Großkaufleute alles andere als pure Menschenfreunde. Die Art, in der sie beispielsweise Tarifkonflikte mit Kanonen und Hellebarden beendeten, unterscheidet sie glücklicherweise doch ganz erheblich von ihren späten Nachfahren.

Zweifellos sind die großen Familien der Gegenwart reicher, als es die Fugger selbst in ihren besten Tagen waren. Die beiden potentesten Privatkapitalisten der Bundesrepublik, der Münchner Bankier August von Finck, 79, und der Düsseldorfer Konzernerbe Friedrich Karl Flick, 50, verfügen über ein Vermögen von jeweils vier bis fünf Milliarden DM. Der reichste Amerikaner, Daniel K. Ludwig, dürfte sogar noch ein, zwei Milliarden DM mehr besitzen, trotz des gesunkenen Dollarkurses. Und diese Industriegiganten werden noch weit übertroffen von den Ölpotentaten des Nahen Ostens, wie Scheich Salem Al Sabbah von Kuwait, König Khaled von Saudi-Arabien oder Schah Reza Pahlewi von Persien.

Anton Fugger hingegen bilanzierte im Jahr 1550 keine Milliarden, sondern "nur" ein Vermögen von rund sechs Millionen Gulden. Trotzdem wird keiner der Superreichen unserer Tage auch nur entfernt die Machtfülle und die historische Bedeutung jenes schwäbischen Kaufmanns aus der beginnenden Neuzeit erreichen.

Größer als alle Konzerne der Gegenwart

Schon die einfache Umrechnung von harten Goldgulden der Fuggerzeit in weiche Papiermark des Jahres 1978 ergibt eine beträchtliche Aufwertung des Fuggervermögens. Der einzige brauchbare Umrechnungsfaktor wäre nämlich der Goldpreis. Ein rheinischer Goldgulden hatte damals 3,25Gramm Feingewicht. Allein der Materialwert des Guldens würde nach heutigen Preisen demnach etwa 30 DM betragen. So gerechnet, wäre Anton Fugger wenigstens 1180 Millionen DM "schwer" gewesen.

In Wahrheit war er natürlich viel reicher. In seinen besten Tagen verfügte der Clan nämlich über fast zehn Prozent des gesamten Volksvermögens im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Wer heutzutage zehn Prozent des Volksvermögens der Bundesrepublik besäße, wäre wenigstens ein hundertfacher Milliardär.

Ein Konzern von der Übermacht der Fugger ist in unseren Tagen einfach nicht vorstellbar: Er müßte etwa die 100 größten Unternehmen der Bundesrepublik umfassen – vom VEBA-Konzern über VW, Thyssen, Siemens, Daimler-Benz bis hin zum Versandhaus Quelle – und nebenbei noch die Deutsche Bank und den Bundesnachrichtendienst einschließen. Zeitweilig war die Firma Fugger rund fünfzigmal größer als das zweitstärkste Unternehmen auf deutschem Boden, das den ebenfalls in Augsburg ansässigen Welsern gehörte. Das entspricht etwa dem Größenverhältnis zwischen dem weltumspannenden Thyssenkonzern und der Duftwasserfirma 4711.
Die Fugger beherrschten praktisch alle Bereiche der damaligen Wirtschaft. Sie waren einer der größten Grundbesitzer im Reich, die bedeutendsten Bankiers der Welt, das mit Abstand größte Handelshaus, wichtigstes Bergbauunternehmen, bedeutendster Arbeitgeber des Handwerks, Waffenproduzent, Münzverwalter und eine politische Großmacht ersten Ranges.

Nie zuvor und nie wieder danach hat eine einzige Firma so weitgehend das Wirtschaftsleben Europas und der Welt beeinflußt wie in den Jahren, als Jakob Fugger der Reiche regierte. Im Herrschaftsgebiet Kaiser Karls V., in dem die Sonne nicht unterging, gab es, den Kaiser eingeschlossen, keinen mächtigeren Mann als den Augsburger Kaufherrn. Denn Fugger war es, der die Wahl des Kaisers finanzierte, der seine Heere bezahlte und der letztlich auch die Politik des Kaisers mitbestimmte. In diesem europäischen Weltreich regierte in Wahrheit nicht der abgewirtschaftete Adel, sondern ein schwäbischer Geschäftsmann, der zum unerreichten Vorbild für die Großkapitalisten, Industriemagnaten und Bankfürsten bis in unsere Tage wurde.

Besuch bei einem alten Herrn

Das Schloß wirkt kalt und abweisend. Sein Turm beherrscht die Landschaft im Umkreis von zwanzig Kilometern. Die hohen, schmucklosen Mauern scheinen eine Festung abzuschirmen, vor der sich die Häuser des Dorfes fast ängstlich ducken.

Es kostet mich einige Überwindung, durchs offene Tor zu gehen und den riesigen Schloßhof zu betreten. Weit und breit ist niemand zu sehen, kein Wachtposten, kein Gärtner, kein Zeremonienmeister. Finster und tot liegt die Steinmasse vor mir.

Vergangenheit. Nur einmal im Jahr, während der Sommermonate, kommt Leben ins Schloß, wenn der Fürst zu den traditionellen "Musiktagen" in den berühmten Zedernsaal nach Kirchheim einlädt. Aus ganz Europa reisen Liebhaber klassischer Musik an, um den Klängen der authentischen Instrumente aus der Barockzeit zu lauschen.
Als ich vorher in einem Metzgerladen nach dem Herrn von Schloß Kirchheim fragte, sprach man ehrfürchtig von "Seiner Durchlaucht". Seine Durchlaucht erwartet Sie schon, kommen Sie." Ein ältliches Mädchen mit Dutt hat mich angemeldet. Sie sitzt in einer winzigen Kammer am Schloßeingang. Nach einer Weile kommt ein Bursche in Bluejeans und bittet, ihm zu folgen. Er führt mich durch endlose Gänge. Die weiß gekalkten Wände sind mit Bildern bepflastert. Die Porträts zeigen feierliche, hochmütige Gesichter. Mir fallen die überlangen Nasen auf.

Auch der alte Herr hat eine solche Nase. Mit seinem eisgrauen Haar, der randlosen Brille und in der leicht gebeugten Haltung sieht er aus wie ein pensionierter Germanistik-Professor. Er ist zweiundachtzig: Seine Durchlaucht Josef Ernst Fürst Fugger von Glött.

Ich fühle mich wieder wohler. Der alte Herr ist mir sympathisch. Warum ich mich für seine Vorfahren interessiere, will er wissen. Ja, warum wohl? Soll ich ihm erzählen, daß ich vor Jahren in einem Brüsseler Antiquariat 125 Mark für jenes vergilbte Bändchen ausgab, in dem ein gewisser Ulrich von Hutten über die "Fuckerer" herzieht? Oder würde ihn vielleicht interessieren, wie verblüffend die Parallelen zwischen den Bestechungstechniken Jakobs des Reichen und dem Lockheed-Skandal in jüngster Zeit sind?
Ich glaube nicht, daß er dies hören möchte. Deshalb erzähle ich ihm, wie großartig ich die Leistung der Fugger fände. Denn ich weiß natürlich, daß seine Vorfahren Meister in Sachen Public Relations waren, und daß auch seine wichtigste Aufgabe als Senior der Dynastie darin besteht, deren untadeliges Image zu pflegen.

"Es ist ja schon eine ganze Menge über uns geschrieben worden", meint er nach einer Weile. Ich verkneife mir die Bemerkung, daß die Verfasser der umfangreichsten Fuggerbiographien durchwegs im Dienst der Familie standen. Kein anderer Clan hat über die Jahrhunderte hinweg so beharrlich an seiner eigenen Legende gewoben wie die Fugger.

Ich denke an die Fuggerei, jenes Denkmal der Großzügigkeit, das in Wirklichkeit nichts anderes war als ein Propagandatrick des genialen Jakob Fugger. Der reichste Mann der beginnenden Neuzeit hatte sie einst mit "schwarzem" Geld gegründet, um ein schwebendes Verfahren wegen schwerer Vergehen gegen die Antimonopolgesetze zu unterlaufen. Die Idee war umwerfend: Bis heute wird in den Schulbüchern das Märchen vom gütigen Fugger erzählt.

Für meinen Gastgeber ist das Vermächtnis des Tycoon ein kategorischer Imperativ. Buchstabengetreu hält sich die Stiftungs-Administration an die vor 457Jahren erlassenen Vorschriften. Weil irgendwann im letzten Jahrhundert ein rheinischer Gulden in 1,72. Goldmark umgewechselt wurde, zahlen die Bewohner der Fuggerei exakt diesen Betrag als Jahresmiete, obwohl der vom alten Jakob geforderte Gulden nach heutiger Währung mindestens 40 Mark wert ist. Und wie im frommen Augsburg des 16. Jahrhunderts werden die Tore zur ältesten Sozialsiedlung der Welt pünktlich um 22. Uhr geschlossen. Wer später kommt, muß sich vom Nachtwächter den Schlüssel geben lassen und 50 Pfennig Buße zahlen.

Dafür hat der Fürst jetzt seine liebe Not, Nächstenliebe an den Mann zu bringen. Während sich früher Hunderte Familien in die Wartelisten eintragen ließen, stehen heute schon 13 der insgesamt 148 Wohnungen in der Fuggerei leer. "Wo kriegen wir nur die Armen her?" sorgt sich Seine Durchlaucht.

Ganz einfach ist das sicher nicht. Laut Stiftungsbrief müssen die Bewohner der Fuggerei aus Augsburg stammen, katholisch und "arm, aber fleißig" sein. Dergleichen ist Mangelware im Zeitalter der Rentendynamik. Was also tun mit der Fuggerei? Sollen die 67 Reihenhäuser, denen die einst reichste und mächtigste Unternehmerdynastie des Abendlandes ihren guten Ruf verdankt, am Ende abgerissen werden? Schon der Gedanke an solchen Frevel ist geeignet, meinem Gesprächspartner die Schamröte ins Gesicht zu treiben. Er duldet nicht die kleinste Versündigung gegenüber der großen Vergangenheit.

Wir trinken von der Hausherrin selbst zubereiteten Kaffee. Die Fürstin, erheblich jünger als ihr Mann, bringt Leben ins tote Schloß. Dann gibt es Vollkornbrot, Butter, rohen Schinken und knackige Radieschen aus dem eigenen Garten.

Mich interessiert: Was machen die Fugger heute? Ihre großen Vorbilder und Rivalen, die Medicis in Florenz, sind schon anno 1737 ausgestorben. Die Rothschilds aber sind noch aktiv im Geschäft.

Der Fürst hebt die Arme: "Wir sind keine bedeutenden Geister wie unsere Vorfahren." Ich widerspreche nicht. Der alte Herr lebt so unprätentiös wie früher wahrscheinlich nicht einmal die Diener seiner Ahnen. In dem riesigen Schloß mit seinen über hundert Räumen bewohnt er mit seiner Frau gerade drei Zimmerchen – ohne Butler, ohne Zofe. Die Fürstin muß selbst die Kohlen aus dem Keller holen, und ich habe nicht den Eindruck, ihr falle dies schwer. Außerhalb der fürstlichen Dreizimmerwohnung ist es bitter kalt im Schloß. "Allein das Heizöl würde mich ein Vermögen kosten", meint Seine Durchlaucht.

Stelldichein der Schloßratten

Der Erbauer von Schloß Kirchheim, ein gewisser Johannes Fugger, kommt mir in den Sinn. Er war kein sehr bedeutender Kaufmann; er hatte einfach Geld, und zwar so viel, daß er sich diesen Prachtbau als Zweitwohnsitz leisten konnte. Das ganze umliegende Land gehörte ihm, soweit das Auge reichte. Einschließlich der Leute, die darauf wohnten, des Viehs, der Wälder und der Wiesen.

Sieben Jahre, von 1578 bis 1585, brauchten die Augsburger Baumeister Jakob Eschay und Wendel Dietrich für den Auftrag. Als die vier um den quadratischen Schloßhof gebauten Flügel fertig waren, glich das Ganze verblüffend dem berühmten Escorial bei Madrid, und keinem der Zeitgenossen mag dies vermessen vorgekommen sein. Denn Spaniens König Philipp II. war bei weitem ärmer als dieser schwäbische Playboy aus dem Geschlecht der Fugger. Genauer gesagt, der Erbauer des Escorial schuldete dem Erbauer von Schloß Kirchheim die nette Summe von sechs Millionen Goldgulden, nach heutiger Währung 240 Millionen Mark. Nebbich!

Heute gilt das Schloß als eines der bedeutendsten Renaissance-Gebäude auf deutschem Boden. Es hat die Dimensionen einer Konzernzentrale, aber verwaltet wird hier nur noch die Vergangenheit.

Während wir in Wintermänteln durch die Gänge stapfen, fällt mir auf, wie kleinbürgerlich doch die Reichen unserer Tage leben, verglichen mit dem Wohnstil dieses unbedeutenden Renaissance-Fuggers. Da gibt es riesige Säle für Festbankette mit mehreren Hundert Personen, intime Boudoirs mit kostbaren Lüstern und Seidentapeten, Himmelbetten für die schönsten Stunden zu zweit. Aber dort, wo sich früher die bedeutendsten Künstler mit den schönsten Frauen des Landes ein Stelldichein gaben, treffen sich heutzutage allenfalls noch ein paar Schloßratten – oder Holzwürmer.

Im 400 Quadratmeter großen Festsaal deutet der Fürst nach oben: "Da war der Wurm drin." Es müssen respektlose Tierchen gewesen sein, die sich an der berühmten Zedernholzdecke des Wendel Dietrich vergingen. Das schönste Schnitzwerk der deutschen Renaissance ist – vom Boden aus kaum erkennbar – überreich strukturiert. Mehrere Jahre brauchte der Meister für die vielen tausend Figuren und Ornamente. Fast zwei Meter beträgt die Tiefe der einzelnen Relief-Kassetten.

Die Experten vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege taxierten die Reparatur auf 60.000 Mark. Die Hälfte davon, ließen sie den Hausherrn wissen, würde der Staat übernehmen. Sie hatten indes nicht mit der Sparsamkeit des Schloßbesitzers gerechnet. Der Fürst verlegte die Reparatur auf den Winter, besorgte sich das Baugerüst zum Nulltarif und heuerte preiswerte Restaurateure an. Am Ende kostete die Arbeit nur 40.000 Mark. "Ich mußte", erinnert sich Durchlaucht schmunzelnd, " nur 10.000 aus der eigenen Tasche beisteuern."

Ein kleiner Rest von 250 Millionen

Sparsamkeit, so scheint es, ist das einzige, was diesem Fugger der 17. Generation vom Geschäftstalent seiner Ahnen noch geblieben ist. Denn die Fähigkeit, viel Geld zu verdienen, ist seiner Familie schon vor 400 Jahren abhanden gekommen, als Anton, der letzte große Fugger, im Jahr 1560 die Augen für immer schloß.

Glücklicherweise war das Erbe reichlich bemessen, so daß bis zum heutigen Tag kein Fugger je die Notwendigkeit verspürte, durch eigener Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Stets reichte das, was trotz aller Kriege, Krisen und Kräche an die nächste Generation weitergegeben wurde, durchaus für einen angemessenen Lebensstil.

Auch mein Gastgeber ist, bei aller Bescheidenheit, kein armer Mann. Trotz seines abgewetzten Jacketts, seines verbeulten Nachkriegs-BMW sowie seiner Vorliebe für Gerstensuppe, Bier und warme Würstchen zählt der Schloßherr zweifellos zu den besser situierten Bürgern der Nation.

Mit zwölf Angestellten – Förstern, Landwirten und kaufmännischem Personal – verwaltet er sein Erbe. Es besteht neben den unermeßlichen Kunstschätzen aus 1500 Hektar Grundbesitz, zahlreichen Mietshäugern, einem kleinen Elektrizitätswerk, einem Installationsgeschäft sowie Aktien und Anleihen im Gesamtwert von schätzungsweise 80 Millionen Mark.

Dabei ist der Senior der Dynastie der "ärmere" Fugger. Sein auf Schloß Wellenburg bei Augsburg residierender Anverwandter, Friedrich Carl Fürst Fugger-Babenhausen, besitzt annähernd doppelt soviel. Diesem Zweig der Familie gehören 5000 Hektar Grund, noch mehr Mietshäuser, die Fürst-Fugger-Bank mit einer Bilanzsumme von 200 Millionen DM, eine stattliche Brauerei, eine Fischzucht und sogar drei Schlösser. Hinzu kommen ferner: die berühmten Fuggerhäuser im Zentrum Augsburgs und die Kontrolle über das Vermögen der diversen Stiftungen. Zu diesen zählen beispielsweise die Fuggerei, über 3000 Hektar Wald, weitere Mietshäuser, noch eine Brauerei und ausgedehnte Industriebeteiligungen im Gesamtwert von mindestens 100 Millionen DM.

Alles in allem dürfte das Fuggervermögen eine Größenordnung von 250 bis 300 Millionen DM erreichen. Das ist zwar ein bißchen weniger als das, was etwa die Sachs-Erben zur Verfügung haben, aber doch entschieden mehr als das Vermögen der meisten Durchschnittsmillionäre. Zumindest an Masse sind die traditionsreichen Fugger den Neureichen unserer Tage, ob sie nun Abs, Gerling oder Neckermann heißen, immer noch haushoch überlegen.

Verglichen mit den großen Ahnen, dürfen die heutigen Fürsten freilich fast als bedürftig gelten. Mein Gastgeber hat ausgerechnet, daß allein die Habsburger seiner Familie noch einen Betrag schulden, der einschließlich der inzwischen aufgelaufenen Zinsen an die 250 Milliarden DM ausmacht. Das ist etwa anderthalb mal soviel wie der gesamte Haushaltsetat der Bundesrepublik.

Ein Fugger lebt für die Vergangenheit

Wenn also die relativ spärlichen Überreste der einstigen Finanzgroßmacht bequem ausreichen, den heutigen und künftigen Fuggergenerationen ein sorgloses Leben zu ermöglichen, weshalb dann die beinahe exzentrische Sparsamkeit Seiner Durchlaucht?

Dafür gibt es, so erklärt mir der Fürst, mehrere Gründe. Seit gut vierhundert Jahren lebt die Familie von der Substanz, sie verzehrt, statt zu vermehren. Alle Versuche, die Geschäfte wieder aufzunehmen, schlugen fehl. Als Fugger war man reich von Gottes und des alten Jakobs Gnaden. Man betrieb, wenn überhaupt, den Handel nach Gutsherrenart.

In den zwölf Generationen vom großen Anton bis zur Gegenwart überwiegen die Privatiers, die berufsmäßigen Schloßbesitzer. Zwischendurch taucht gelegentlich ein Gelehrter, ein Bischof oder auch, welch Sonderling, ein Feldmarschall auf. Auf alle Fälle wurde das Eingemachte nicht mehr, sondern weniger.

Daß das Vermögen überhaupt so lange vorhielt und nicht längst verpraßt, verspielt oder verloren wurde, hat die Familie Anton zu verdanken. Er legte beizeiten einen erklecklichen Teil des Gesellschaftskapitals in krisensicherem Grundbesitz an und verfügte, daß nichts davon verkauft werden durfte. Zeitweilig gehörte den Fuggern halb Schwaben, ein schönes Stück Bayern, eine Portion Schweiz, der größte Teil vom Elsaß sowie allerlei Kleinkram in Tirol, Ungarn, Polen, Böhmen und Sachsen.
Auf den Ländereien ließ sich’s zwar prächtig überleben, aber die Erträge nahmen im Laufe der Jahrhunderte beständig ab. Heute gehören der Dynastie noch rund 10.000 Hektar. Damit rangieren die Fugger unter den Großgrundbesitzern der Bundesrepublik ungefähr an zehnter Stelle hinter Standeskollegen wie den Fürsten von Thurn und Taxis, Waldburg-Zeil, Fürstenberg, Hohenzollern und Hohenlohe.

Anders als viele minderbemittelte Illustriertenmillionäre können die Nachkommen der Augsburger Großkaufleute nicht von der Dividende in den Mund leben, sondern müssen mit den "Einkünften aus Landwirtschaft und Forstbetrieb" ihre Schlösser instand halten und die diversen Stiftungen finanzieren. "Wenn nur die verdammten Schlösser nicht wären", schimpft der Fürst, während wir in den Hof hinunterblicken, wo zwei schwarze Riesenschnauzer Wache halten, "dann ließe sich ganz ordentlich auskommen."

Schon bin ich versucht, den alten Mann in seinem kalten Schloß zu bedauern, da fällt mir ein, daß er sich’s mit seinen 80 Millionen doch recht bequem machen könnte, wenn er wollte. Warum will er nicht? Seine Durchlaucht starrt mich an, als wäre ich ein Gespenst aus dem Mittelalter: " Ich werde alles tun, dies hier" – er macht eine weitausholende Geste – "gut zu erhalten."

Ein Fugger lebt für die Vergangenheit. Für das fast 4000 Quadratmeter große Schloßdach, das gelegentlich repariert werden muß, für die Zedernholzdecke des Wendel Dietrich, für die vielen alten Meister an den Wänden, für den guten Namen der Familie. Der Fürst in einem Neckermann-Häuschen – das wäre vielleicht ganz gemütlich, aber schlicht unmöglich. Lieber tippt er seine Briefe mit unsicherer Hand selbst in die Maschine, als daß er auf die angestammte Umgebung verzichtete.

Schlüsselerlebnis in der Einzelzelle

Auf großem (Zins-)Fuß lebte die Familie schon immer; der schöne Fürstentitel indes ist noch fast neu. Zwar wurde schon Jakob der Reiche von Kaiser Maximilian in den Grafenstand erhoben, doch der selbstbewußte Kaufmann nannte sich schlicht und einfach "Fugger", das genügte. Grafen, Fürsten und Könige gab es haufenweise, einen Jakob Fugger aber nur einmal. Mit seinem weltumspannenden Konzern, seinem politischen Einfluß und seinem Riesenvermögen dünkte er sich allen Blaublütigen seiner Zeit weit überlegen. Auch sein Neffe Anton hielt es so, und erst die späteren Generationen versuchten, Taten durch Titel zu ersetzen.

Anno 1803 verlieh der letzte römisch-deutsche Kaiser Franz II. einem gewissen Anselm-Maria Fugger-Babenhausen die Lehensherrschaft über das erbliche "Reichsfürstentum Babenhausen, Boos und Kettershausen". Der private Mini-Staat im schönen Schwabenland zählte 11.000 Einwohner auf rund 52 Quadratkilometern. Souveräner Reichsfürst blieb jener Fuggererbe allerdings nur drei Jahre lang, dann wurde er Untertan des jungen Königreichs Bayern. Immerhin, der Titel ziert die Babenhausener Linie der Dynastie bis heute.

Der Titel meines Gastgebers ist noch jüngeren Datums. Erst der Vater des heutigen Schloßherrn, Karl Ernst Fugger von Glött, wurde ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs durch den bayerischen König Ludwig III. vom Grafen- in den Fürstenstand erhoben – für seine Verdienste als Kronoberstmarschall und langjähriger Präsident der Reichsrätekammer.

Der Sohn wollte zunächst nichts von der Familientradition wissen. Nach dem Elend des Ersten Weltkriegs, den die Fugger unbeschadet auf ihren Schlössern überstanden hatten, entschloß er sich sogar zum Bruch mit der Vergangenheit: "Ich hatte vor, nach Amerika auszuwandern", erinnert er sich wehmütig, während wir in die warme Stube zurückkehren, um uns noch einen Schluck zu genehmigen. Natürlich blieb er. Ein Fugger, der sich am Broadway Hot Dogs einverleibt – das war eine zu kuriose Vorstellung.
Durchlaucht hatte später Grund, sein Zaudern zu bedauern. Als Hitler an die Macht kam, gehörte er zu jenen Grandseigneurs, die den böhmischen Gefreiten schlicht für irrsinnig hielten. Aber im Gegensatz zu den meisten seiner Standesgenossen scheute er sich nicht, dies auch deutlich zu sagen. In der Wehrmacht sah er wie mancher andere Adelige die einzige Macht, die den Diktator stürzen konnte. Als er sich jedoch freiwillig meldete, wurde er abgelehnt, weil er für politisch unzuverlässig galt. Grund: "Ich hatte mal einen Kreisleiter aus meinem Haus geworfen."

Am Widerstand im Militär verhindert, schloß sich der Fürst dem "Kreisauer Kreis" seines Freundes Helmuth James von Moltke an, der die christliche Opposition gegen Hitler organisierte. Ein Fugger als Rebell – das war schon einmal schiefgegangen: Bei der Revolution von 1848 verlor ein Graf Theodor Fugger von Glött Kopf und Kragen. Bayerische Füsiliere erschossen den adeligen Revoluzzer in der pfälzischen Feste Landau.

Es ging auch diesmal schief. Einer der Mitverschwörer des Kreisauer Kreises, Pater Alfred Delp, wurde nach dem Attentat Stauffenbergs verhaftet. Unter der brutalen Folter der Gestapo entschlüpfte ihm der Name Fugger. Am 3.Oktober 1944 verlor auch der Fürst seine Freiheit. Er wurde nach Berlin verschleppt, wo ihn ein Tribunal unter dem Vorsitz Roland Freislers zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilte. An Händen und Füßen gefesselt, erlebte er in seiner Einzelzelle die Luftangriffe auf Berlin. "Ich hatte Todesangst", erinnert sich der alte Herr. "Jeden Augenblick konnte eine Bombe einschlagen. Ein Teil des Gefängnisses war schon zerstört, und der Staub machte das Atmen zur Qual. Ich glaubte zu ersticken."

Kurz vor Kriegsende wurden die Häftlinge aus der zerbombten Hauptstadt nach Sankt Georgen bei Bayreuth gebracht. Es war ausgerechnet ein Indianer, ein Major der siegreichen US-Army, der ihn im Mai 1945 aus dem Kerker holte. Vier Jahrhunderte vorher, als den Fuggern noch halb Südamerika gehörte, waren die Vorfahren des Befreiten die Unterdrücker der Vorfahren des Befreiers.

Die große Vergangenheit, nun lag sie in Schutt und Asche. Die Schlösser hatten den Krieg zwar gut überstanden, aber die Fuggerhäuser in Augsburg waren schwer getroffen, und die Fuggerei glich einem Trümmerhaufen. Das Vermächtnis des alten Jakob, das Jahrhunderte überdauert hatte, schien endgültig zerstört.

Stärke in der Stunde Null

In der Stunde Null aber bewiesen die Nachkommen Jakob des Reichen überraschende Stärke. Fürst Fugger-Babenhausen kümmerte sich um den stilgerechten Wiederaufbau der Zentrale, Fürst Fugger von Glött um den der Fuggerei. Gegen den Widerstand der Besatzungsmacht und der Stadtverwaltung begann er unverzüglich, den Schutt wegzuräumen, Arbeitstrupps zusammenzustellen – und einen blühenden Schwarzhandel aufzuziehen.

Zur Finanzierung des Wiederaufbaus ließen die Fugger Teile ihrer Wälder abholzen, um Zement, Steine und Sand dafür einzutauschen. Als der Stadtbaumeister nörgelte, es gebe wichtigeres zu tun, als Denkmäler zu restaurieren, erinnerte der Fürst den Vertreter der Obrigkeit kühl an dessen braune Vergangenheit, und er schlug vor: "Sie müssen ja nicht unbedingt an der Baustelle vorbeimarschieren."

Allein aus dem Stiftungsvermögen, ohne einen Pfennig öffentliche Mittel, erbaute Joseph Ernst die neue Fuggerei exakt nach den Plänen der alten, und damit es nicht so teuer wurde, heuerte er selbst die Bauarbeiter an. Zum Dank für seine Aufbauleistung entsandte ihn die Augsburger CSU in den ersten Deutschen Bundestag.

War er nun einer jener typischen Konservativen, welche die Gunst der Stunde nutzten, um sich die alten Privilegien wieder anzueignen? Durchlaucht erachtet seinen politischen Einfluß für kaum der Rede wert: "Ich hatte viel zu wenig Zeit für Bonn." Nach vier Jahren gab er sein Mandat zurück – die Familie ging vor.

Neben der Armensiedlung beanspruchten die diversen Fuggerstiftungen die Arbeitskraft des Fürsten. Da ist zum Beispiel das berühmte, von Anton im Jahr 1548 gestiftete "Holz- und Blatternhaus", das nicht etwa aus blanken Brettern besteht, wie der Name suggeriert, sondern bei dem es sich um eine durchaus standfeste Klinik handelt. Ihre Spezialität war im ausgehenden Mittelalter die "Holzkur". Hierbei mußten die Patienten ein übelschmeckendes Gebräu trinken, das aus dem amerikanischen Guajakholz gewonnen wurde – an dessen Einfuhr die Fugger eine Stange Geld verdienten. Helfen sollte der Sud gegen eine verheerende Krankheit, für die man damals noch keinen rechten Namen wußte: die Syphilis.

Zu den medizinischen Stiftungen des gesundheitsbewußten Anton gehört ferner ein "Schneidhaus", die älteste private chirurgische Klinik Deutschlands, sowie das Hospital Waltenhausen im Landkreis Krumbach. Alle diese privaten Wohltätigkeitseinrichtungen, deren Stiftung nicht ohne Hintergedanken erfolgte, funktionieren seit Jahrhunderten. Die Familie verstand sich eben, wie gesagt, schon auf Public Relations, lange bevor der Begriff erfunden wurde.

Die ersten Zeitungen der Welt gedruckt

Daß die Fugger reicher und mächtiger wurden als jemals eine andere Kaufmannsfamilie vor und nach ihnen, haben sie zweifelsohne zu einem erheblichen Teil ihrer geschickten Informationspolitik zu verdanken. Lange vor allen Konkurrenten erkannte Jakob der Reiche den Nutzen und die Bedeutung der Information. Er baute schon vor den Thurn und Taxis den ersten privaten Nachrichtendienst der Welt auf, und er nutzte seinen Informationsvorsprung auf jede erdenkliche Weise.

Durch zuverlässige Vorausmeldungen machte er sich Kaiser und Könige zu Verbündeten, durch gezielte Falschinformationen vernichtete er seine Konkurrenten. Tausende von bezahlten Agenten in allen Teilen des Fuggerschen Handelsimperiums sammelten laufend alle bedeutsamen Nachrichten. Als schriftliche Botschaften gelangten sie, meist unter normalen Warenladungen versteckt, über die nächstgelegene Faktorei in die Augsburger Zentrale.

Weil aber selbst reitende Boten mitunter wochenlang unterwegs waren, dachte Jakob schon frühzeitig darüber nach, wie man den Informationsfluß beschleunigen könne. Besonders eilige Meldungen wurden – was allerdings nur bei Sonnenschein möglich war – mit Spiegeln weitersignalisiert. Angeblich soll auf diese Weise die Distanz zwischen den Fuggerschen Quecksilberbergwerken in Südspanien und der Augsburger Zentrale in nur zwei Stunden überbrückt worden sein. Funktionierte das Nachrichtensystem der Fugger zunächst in der Art eines Geheimdienstes, so wurde es später beinahe öffentlich. Aus der Fülle der eingehenden Nachrichten ließ man solche, die nicht speziell für eigene Zwecke benötigt wurden, auswählen und mit Hilfe des neu erfundenen Buchdrucks vervielfältigen: So entstanden die ersten Zeitungen der Welt.

Sie wurden kostenlos und gratis an gute Geschäftsfreunde verteilt und enthielten beileibe nicht immer die reine Wahrheit. Die Fugger sahen in ihnen vor allem ein Machtinstrument, weniger eine Einnahmequelle, obwohl später mitunter sogar Sensationsberichte – wie etwa der über die Enthauptung der Maria Stuart – abgedruckt wurden.

Leider gingen die meisten dieser "Fuggerzeitungen" ebenso wie das unermeßlich wertvolle Archiv der Handelsgesellschaft verloren. Ein Nachfahre des großen Anton verkaufte die Dokumente unter dem Druck seiner Gläubiger für eine geringe Summe an die Habsburger. Doch das Schiff, das die Folianten nach Wien bringen sollte, versank mitsamt seiner Fracht in den Fluten der Donau.

"Stillschweigen stehet wohl an", hieß des großen Anton Fuggers Leitmotiv. Aber wenn es der Firma dienlich war, wurde auch eine ganze Menge geredet. Kein Wunder, wenn im Laufe der Jahrhunderte allerlei freundliche Fuggergeschichten entstanden wie etwa jene von der Verbrennung der Schuldscheine Kaiser Karls V. Demnach soll Jakob der Reiche eines Tages den Herrscher von allen Verbindlichkeiten befreit haben, indem er dessen Wechsel zerriß und ins Kaminfeuer warf. Zahlreiche Maler haben diese rührende Szene sogar im Bild festgehalten – aber wahr daran ist nichts. Ein Fugger verbrennt keine Schuldscheine! Die Legende geht offenbar auf einen Brief zurück, den der Fuggerangestellte Dr. Holtzapfel am 2. Oktober 1647 aus Spanien nach Hause schrieb. Darin heißt es, daß Anton Fugger (nicht Jakob) vor fast genau 100 Jahren während schwieriger Geldgespräche mit dem Kaiser im Jahr 1546 behauptete, "allein in Deutschland habe er keine anderen Mittel als etliche Wechselbriefe von Ihrer Majestät, die er zerrissen oder verbrannt, damit Ihre Majestät sehe, daß er ihr mit seiner ganzen Substanz begehre zu dienen".

Karl V. hatte nämlich im Verlauf des Schmalkaldischen Krieges gerade Ingolstadt erobert und brauchte dringend Geld, um seine Truppen bezahlen zu können. Anton Fugger hingegen wollte es auch mit den protestantischen Gegnern Karls V. nicht verderben und gab deshalb vor, momentan nicht flüssig zu sein. Damit der Kaiser nun aber keinen Verdacht schöpfte, erzählte er die Geschichte von den verbrannten Wechselbriefen. Was in der Legende wie eine großmütige Geste aussieht, war in Wirklichkeit ein Theatercoup.

"Die Habsburger sind uns eben ganz besonders teuer", schmunzelt der Fürst, während wir in den Salon hinübergehen, wo er mir noch ein paar besondere Kostbarkeiten zeigen will. Da nie ein Fugger die Schuldscheine des Herrschergeschlechts verbrannte oder zerriß, wäre die Forderung über 250 Milliarden Mark mithin wohl noch Rechtens, wenn man von den üblichen Verjährungsfristen absieht.

Doch die Fugger haben sich schon vor Jahrhunderten damit abgefunden, daß beim ehemals mächtigsten Herrscherhaus Europas nichts mehr zu holen ist. "Der Otto", erzählt Durchlaucht nicht ohne leichte Schadenfreude, "muß ja heute seine Familie durch Vorträge ernähren." Selbstverständlich vergißt der Grandseigneur nicht, im nächsten Satz sofort seine Freundschaft mit dem letzten Habsburger zu beteuern.

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Der Abstieg

Als die Zahlen auf dem Tisch lagen, dämmerte den Gesellschaftern des Familienverbandes, daß sie bald pleite sein würden, wenn dies so weiterging. Schon in den letzten Jahren hatte es ständig Krach zwischen den beiden ungleichen Chefs gegeben, da Markus Fugger trotz seiner Jugend der bessere Kaufmann war und die seltsamen Geschäfte seines Vetters nur dem Letzten Willen des verstorbenen Vaters zuliebe duldete. Nun aber war endgültig Schluß.

Hans Jakob geht pleite

Markus erklärte sich zwar bereit, für die Schulden der Firma geradezustehen, dafür aber mußte Hans Jakob unwiderruflich seinen Platz räumen und alle Verbindlichkeiten, die aus seinen Privatgeschäften herrührten, selbst übernehmen. Entnervt floh der gestürzte "Regierer" aus Augsburg. Nur seine Freundschaft zum Bayernherzog bewahrte ihn auf seinem Schloß Taufkirchen vor dem Zugriff der Gläubiger. 1571 mußte der Lebemann und Kunstmäzen dem Herzog sogar seine kostbare Büchersammlung verkaufen, um sich über Wasser halten zu können. Diese mehrere hundert Bände umfassende Sammlung bildete den Grundstock der späteren Bayerischen Staatsbibliothek.

Unklar blieb bis heute, weshalb ausgerechnet ihm, dem einzigen Bankrotteur seiner Dynastie – wenn man von den Fuggern vom Reh absieht –, die Reichsstadt Augsburg ein Denkmal aufstellen ließ. Ironischerweise steht es ausgerechnet gegenüber der Industrie- und Handelskammer. Der Streit zwischen den beiden Familienzweigen – hier die Erben Raymunds, dort die Söhne Antons – hörte nach dem Ausscheiden Hans Jakobs keineswegs auf, sondern nahm immer heftigere Formen an, je mehr Markus die alleinige Führung der Gesellschaft für sich beanspruchte. Von den drei Brüdern Hans Jakobs starben Georg und Raymund schon 1569. Als letzter blieb Christoph in der Firma, der in vielerlei Hinsicht als Außenseiter galt. Er war der einzige Fugger seiner Generation, der sich selbst offen zum Protestantismus bekannte. Außerdem hatte er offenbar das meiste von dem Geschäftstalent seiner Vorfahren geerbt. Denn sein Privatvermögen wuchs in jenen Jahren viel schneller als das der Firma. 1572 verließ auch er nach einem heftigen Konflikt mit Markus das Unternehmen und machte Heidelberg zu seinem Wohnsitz. Als er sieben Jahre später starb, galt er als der reichste Fugger seiner Zeit.

Die Firma hingegen befand sich in einer fatalen Situation. Spaniens König Philipp II., dessen berühmter Admiral Juan d’Austria in der Seeschlacht bei Lepanto die Türken besiegt hatte und sich nun zum Vorkämpfer der Rekatholisierung Europas machte, traf nicht die geringsten Anstalten, seine immensen Schulden zurückzuzahlen. Nur wenn sich einer seiner Gläubiger bereit erklärte, ihm neue Kredite einzuräumen, ließ er über die Tilgung der alten Schulden mit sich reden.

Da Markus Fugger, der Politik seines Vaters folgend, erst die alten Verbindlichkeiten getilgt wissen wollte, ehe er sich zu neuen Darlehen verstand, wurde er von den beweglicheren Konkurrenten aus Genua laufend ausgespielt. Das hatte den Effekt, daß weder neue Geschäfte zustande kamen noch alte Schulden beglichen wurden. Schließlich gab er den ständigen Drohungen und Erpressungsmanövern der spanischen Finanzbürokraten doch nach.

Markus Fugger war zwar ein durchaus solider Kaufmann, aber ihm fehlte die Raffinesse seines Vaters und die kompromißlose Härte des reichen Jakob. "In Spanien waren die Genueser jetzt an die Stelle der Fugger eingerückt", faßt Richard Ehrenberg zusammen.

Zwar dienten auch letztere dem Könige wiederholt mit neuen Vorschüssen; aber von den Genuesen erhielt er unvergleichlich höhere Summen, und daneben traten jetzt auch wieder spanische Bankiers in den Vordergrund. Freilich mußte sich der König von ihnen ganz andere harte Bedingungen gefallen lassen als von den Fuggern. Aber er erhielt wenigstens Geld, während die Fugger, wenn irgend möglich, sich von neuen Geschäften freizuhalten suchten. Nur durch die Drohung, man werde ihnen die älteren Forderungen nicht bezahlen, gelang es immer wieder, einiges von ihnen herauszupressen. Andererseits mußten die Fugger die Finanzbeamten immer von neuem bestechen, um nur etwas von den versprochenen Rückzahlungen zu erhalten.

Ein neuer Staatsbankrott

Philipps Kriege gegen die Türken, die niederländischen Protestanten und die englische Königin verschlangen solch enorme Summen, daß die Staatsschulden auch mit allem Gold Amerikas nicht verringert werden konnten. Im Gegenteil, sie wuchsen immer weiter an und erreichten 1575 die Rekordhöhe von 37 Millionen Dukaten. Längst waren die Bankiers aus Genua und Spanien ausgeblutet, und in Europa wurde Bargeld knapper als je zuvor.

Am 1. September 1575 griff Philipp II. erneut zur Feder, um sein zweites "Dekret" zu unterzeichnen. Der neuerliche Staatsbankrott bedeutete den Ruin für viele italienische und spanische Bankhäuser, während die Fugger vergleichsweise glimpflich davonkamen. Zu verdanken hatten sie dies ihrer zurückhaltenden Geschäftspolitik der letzten Jahre. Sie waren nun auch die einzigen, bei denen der König unter Umständen noch ein paar hunderttausend Dukaten auftreiben konnte. Daß darüber ihre Konkurrenten "vor Neid zerschellen" wollten, wie der Antwerpener Faktor berichtete, kann man verstehen. Am Tag nach der Verkündung des Staatsbankrotts schrieb Christoph Hörmann nach Augsburg:

Es ist der Credito ganz allgemein durch diese Neuerung darniedergelegt, und bei keiner Nation Bargeld zu bekommen, weder auf Deposito noch gegen Wechsel.

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