Auszüge aus Dr. Robert D. Hare's
"Gewissenlos"

Die Psychopathen unter uns

Wir fühlen uns zugleich abgestoßen und fasziniert von kaltblütigen, gewissenlosen Mördern, die uns täglich in den Medien begegnen. Serienmörder sind nur die schockierendsten Beispiele von Psychopathen. Individuen mit dieser Persönlichkeitsstörung sind sich der Konsequenzen ihrer Handlungen vollauf bewußt – sie unterscheiden zwischen Gut und Böse und sind doch erschreckend egozentrisch und völlig unfähig, auf Gefühle ihrer Mitmenschen Rücksicht zu nehmen. Ihren arglosen Opfern erscheinen sie oft als völlig normal. Robert Hare präsentiert eine fesselnde Welt von Trickbetrügern, Schnorrern, Vergewaltigern und Räubern, die sich mit Charme, Lüge und Manipulation eine Schneise durchs Leben bahnen.

Sind Psychopathen verrückt oder einfach nur böse? Wie können wir sie erkennen? Und wie können wir uns vor ihnen schützen?
Der renommierteste Forscher zur Psychopathie hat präzise Erkenntnisse mit fesselnden Fallbeispielen verwoben. Ein beeindruckendes Buch: spannend zu lesen und doch wissenschaftlich fundiert. J. Monahan, University of Virginia

Robert D. Hare, ein. Professor für Psychologie in Vancouver, Kanada, ist der weltweit führende Experte für Psychopathie. Er entwickelte die Psychopathie-Checkliste, die sich als das Standard-Testinstrument in Forschung und klinischer Praxis durchgesetzt hat. Dr. Hare hat zwei Bücher und zahlreiche Artikel über Psychopathie verfaßt.

Neunteiliges Video über einen Psychopathen:
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Vorbemerkung

Psychopathie ist eine Persönlichkeitsstörung, die durch eine ausgeprägte Kombination von Verhaltensweisen und daraus gefolgerten Charaktereigenschaften definiert wird. Die meisten dieser Eigenschaften werden von der Gesellschaft als negativ angesehen; daher ist es keine Bagatelle, jemanden als Psychopathen zu diagnostizieren. Wie bei jeder psychiatrischen Störung basiert die Diagnose auf zusammengetragenen Indizien dafür, daß eine Person zumindest die Minimalkriterien der Persönlichkeitsstörung erfüllt. Bei Fällen aus meinen eigenen Akten sind die jeweiligen Personen sorgfältig auf der Basis umfangreicher Informationen aus Interviews und den Akten diagnostiziert worden. Allerdings habe ich diese Personen durch die Veränderung von Einzelheiten und das Entfernen von Identifikationsmerkmalen unkenntlich gemacht, ohne jedoch die zu treffende Aussage zu verfälschen.

Wenn auch das Thema dieses Buches Psychopathie ist, so sind doch nicht alle hier beschriebenen Personen Psychopathen. Viele der verwendeten Beispiele stammen aus öffentlich zugänglichen Berichten, den Nachrichtenmedien und persönlichen Gesprächen, und ich kann nicht sicher sein, daß die jeweils in Frage stehenden Personen Psychopathen sind, selbst wenn sie von anderen so bezeichnet worden sind. In jedem Falle stehen aber die belegten Aussagen über einen Verhaltensaspekt der jeweiligen Person mit dem Konzept der Psychopathie in Einklang, oder sie illustrieren einen für die Persönlichkeitsstörung zentralen Charakterzug oder ein typisches Verhalten. Solche Personen könnten Psychopathen sein oder auch nicht. Aber die Berichte über ihr Verhalten sind ein nützliches Vehikel, um die verschiedenen Eigenschaften und Verhaltensweisen zu erörtern, die Psychopathie definieren. Der Leser sollte aber keinesfalls aus dem Kontext, in dem eine Person in diesem Buch dargestellt wird, den Schluß ziehen, daß diese Person psychopathisch ist.

Vorwort

Psychopathen sind soziale Raubtiere, die sich mit Charme und Manipulation skrupellos ihren Weg durchs Leben pflügen und eine breite Schneise gebrochener Herzen, enttäuschter Erwartungen und geplünderter Brieftaschen hinter sich lassen. Ein Gewissen und Mitgefühl für andere Menschen fehlt ihnen völlig, und so nehmen sie sich selbstsüchtig, was sie begehren und machen, was sie wollen. Dabei mißachten sie gesellschaftliche Normen und Erwartungen ohne jegliches Schuldbewußtsein oder Reuegefühl. Ihre fassungslosen Opfer fragen sich verzweifelt, "Wer sind diese Menschen?", "Was hat sie zu dem gemacht, was sie sind?" und "Wie können wir uns schützen?". Wenn auch diese und ähnliche Fragen seit mehr als hundert Jahren im Brennpunkt klinischer Mutmaßungen und empirischer Forschungen – und meiner eigenen Arbeit seit einem Vierteljahrhundert – stehen, ist es erst in den letzten Jahrzehnten gelungen, den Schleier um das tödliche Rätsel der Psychopathie ein wenig zu lüften.
Als ich mich bereiterklärt habe, dieses Buch zu schreiben, wußte ich, daß es schwierig sein würde, wissenschaftliche Daten und Überlegungen allgemeinverständlich zu präsentieren. Ich hätte bequem in meinem akademischen Elfenbeinturm bleiben können, um tiefschürfende Diskussionen mit anderen Forschern zu führen und wissenschaftliche Bücher und Artikel zu schreiben, aber die Allgemeinheit ist in den letzten Jahren in dramatisch zunehmendem Maße den Machenschaften und Verheerungen von Psychopathen ausgesetzt gewesen. Die Nachrichtenmedien sind voll von spektakulären Berichten über Gewaltverbrechen, Finanzskandale und Verletzungen des öffentlichen Vertrauens. Zahllose Spielfilme und Bücher erzählen die Geschichten von Serienmördern, Betrügern und Mitgliedern der organisierten Kriminalität. Wenn auch viele dieser Berichte und Darstellungen von Psychopathen handeln, trifft das bei vielen anderen nicht zu, und dieser wichtige Unterschied ist den Nachrichtenmedien, der Unterhaltungsindustrie und der Öffentlichkeit oft nicht klar. Selbst die Akteure der Strafjustiz – Rechtsanwälte, Kriminalpsychiater und -psychologen, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Polizisten, Vollzugsbeamte –, deren Arbeit sie täglich mit Psychopathen in Berührung bringt, haben oft nur ein geringes praktisches Wissen darüber, mit welcher Art von Menschen sie es zu tun haben. Die fehlende Unterscheidung zwischen Straftätern, die Psychopathen sind und solchen, die es nicht sind, hat bittere Konsequenzen für die Gesellschaft, wie dieses Buch zeigen wird. Auf einer privateren Ebene ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie eines Tages eine schmerzhafte Begegnung mit einem Psychopathen haben werden. Für Ihr eigenes leibliches, psychisches und finanzielles Wohl ist es entscheidend, daß Sie wissen, wie man einen Psychopathen erkennt und wie Sie sich schützen und den Ihnen zugefügten Schaden begrenzen können.

Ein großer Teil der wissenschaftlichen Literatur über Psychopathie ist technisch, abstrakt und schwer verständlich für Menschen, die keine Vorkenntnisse der Verhaltenswissenschaften haben. Mein Ziel war es, diese Literatur so zu übersetzen, daß sie nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch dem Personal des Strafvollzugs und der Psychiatrie zugänglich wird. Ich habe versucht, theoretische Fragen und Forschungsergebnisse nicht zu sehr zu vereinfachen und den Stand unserer Erkenntnisse nicht zu optimistisch darzustellen. Ich hoffe, daß Leser, deren Interesse geweckt ist, anhand der Fußnoten tiefer in die Materie einsteigen werden.

Der wissenschaftliche Anstrich dieses Buches reflektiert meinen Hintergrund in experimenteller Psychologie und kognitiver Psychophysiologie. Mancher Leser wird enttäuscht feststellen, daß ich der Abhandlung psychodynamischer Fragen wie unbewußter Prozesse und Konflikte, Abwehrmechanismen, etc. nur wenig Raum gewidmet habe. Obwohl in den letzten fünfzig Jahren zahlreiche Bücher und Hunderte von Artikeln über die Psychodynamik der Psychopathie geschrieben worden sind, haben sie meines Erachtens nur wenig zu unserem Verständnis der Persönlichkeitsstörung beigetragen. Das liegt zum großen Teil daran, daß die meisten psychodynamischen Betrachtungen über Psychopathie eine betuliche Qualität haben und die Argumentation sich oft im Kreise dreht; daher sind sie für empirische Untersuchungen nicht sonderlich geeignet. Allerdings hat es kürzlich Versuche gegeben, psychodynamische Spekulationen über Psychopathie mit den Theorien und Verfahren der Verhaltenswissenschaften in Einklang zu bringen. Einige Ergebnisse dieser Arbeit sind interessant und werden, soweit relevant, in diesem Buch erörtert.

Im Laufe der Jahre bin ich mit einem beständigen Strom hervorragender Studenten und Assistenten gesegnet gewesen. Unser Verhältnis war stets zum beiderseitigen Nutzen: Ich kann ihnen Führung und eine förderliche Umgebung bieten, während sie die neuen Ideen, die Kreativität und den Enthusiasmus beisteuern, die notwendig sind, um ein Forschungslabor vital und produktiv zu erhalten. Ihre Beiträge zeigen sich darin, daß sie oft die verantwortlichen Autoren der aus meinem Labor stammenden Veröffentlichungen sind. Insbesondere bin ich Stephen Hart, Adelle Forth, Timothy Harpur, Sherrie Williamson und Brenda Gillstrom zu Dank verpflichtet, die alle einen großen Einfluß auf mein Denken und meine Forschungen des letzten Jahrzehnts gehabt haben.

Unsere Studien sind durch Stiftungen der "Medical Research Council of Canada", des "The MacArthur Research Network on Mental Health and the Law" und der "British Columbia Health Research Foundation" unterstützt worden. Die meisten dieser Studien sind in Anstalten durchgeführt worden, die vom "Correctional Service of Canada" betrieben werden. Ich danke den Insassen und dem Personal dieser Anstalten für ihre Mitwirkung. Um die Identitäten der Insassen, die an den Studien teilgenommen haben, zu schützen, habe ich die Umstände der einzelnen Fälle verändert oder mehrere Fälle zusammengefaßt.

Ich bedanke mich bei Judith Regan dafür, daß sie mich darin bestärkt hat, dieses Buch zu schreiben. Ich danke Suzanne Lipsett für ihre Hilfe dabei, aus wissenschaftlichem Material lesbare Prosa zu machen.

Meine Lebenssicht ist von Mut, Zielstrebigkeit und Noblesse meiner Tochter Cheryl und meiner Schwester Noelle stark beeinflußt worden. In besonderer Schuld stehe ich bei meiner Frau und besten Freundin Averil, die – trotz einer eigenen, anspruchsvollen beruflichen Laufbahn – irgendwie die Zeit und Kraft gefunden hat, meine Arbeit aktiv zu unterstützen und zu fördern. Dank ihrer Warmherzigkeit, ihres Urteilsvermögens und ihrer Klugheit habe ich mich über all die Jahre glücklich, geborgen und geistig gesund gefühlt.

* * *

Gute Menschen sind nur selten mißtrauisch: Sie können sich nicht vorstellen, daß jemand etwas tut, wozu sie selbst nicht imstande wären; für gewöhnlich akzeptieren sie die unspektakuläre Lösung als die beste und lassen damit die Dinge auf sich beruhen. Dazu kommt, daß ein normaler Mensch dazu neigt, sich einen Psychopathen als jemanden vorzustellen, dessen Erscheinung ebenso monströs ist wie seine Psyche – aber kaum etwas könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. ... Diese Monster des Alltags hatten für gewöhnlich ein normaleres Aussehen und Verhalten, als ihre tatsächlich normalen Brüder und Schwestern; sie präsentierten ein überzeugenderes Bild der Tugend als die Tugend selbst – ähnlich der wächsernen Blüte einer Rose oder dem künstlichen Pfirsich, die dem Auge viel perfekter erscheinen als das mit Makeln behaftete Original, nach dessen Vorbild sie modelliert worden sind. William March, "The Bad Seed"

Einführung: Das Problem

Vor einigen Jahren habe ich gemeinsam mit zwei Doktoranden eine Studie an eine Fachzeitschrift zur Veröffentlichung eingereicht. Sie beschrieb ein Experiment, das mit Hilfe eines medizinischen Meßwertschreibers die Hirnströme von mehreren Gruppen erwachsener, männlicher Probanden aufzeichnete, die eine Sprachaufgabe bearbeiteten. Die Hirnströme wurden als eine Reihe von Kurven auf Papier dargestellt; ein solches Diagramm ist auch als Elektroenzephalogramm (EEG) bekannt. Der zuständige Redakteur hat uns die Arbeit mit Bedauern zurückgeschickt. Zur Begründung sagte er uns: "Offen gesagt fanden wir einige der abgebildeten Hirnstrom-Kurven sehr seltsam. Diese EEGs können eigentlich nicht von wirklichen Menschen stammen."

Einige der Hirnstrom-Aufzeichnungen waren tatsächlich merkwürdig, aber sie stammten nicht von Außerirdischen, und natürlich hatten wir die Daten nicht gefälscht. Sie stammten von einer Klasse von Menschen, die in jeder Rasse, Kultur, Gesellschaft und sozialen Schicht vorkommt. Jedermann ist solchen Menschen schon begegnet, ist getäuscht und manipuliert worden und war gezwungen, mit dem so angerichteten Schaden zu leben oder ihn zu reparieren. Für solche Menschen – häufig charmant, aber stets tödlich – gibt es eine klinische Bezeichnung: Psychopathen. Ihr Markenzeichen ist eine verblüffende Gewissenlosigkeit, ihr Spiel ist die Befriedigung ihrer Bedürfnisse auf Kosten anderer. Viele von ihnen – aber durchaus nicht alle – landen im Gefängnis. Alle nehmen sie viel mehr als sie geben.

Dieses Buch setzt sich direkt mit Psychopathie auseinander und beschreibt dieses beunruhigende Thema als das, was es ist – ein finsteres Rätsel mit erschütternden Auswirkungen für die Gesellschaft; ein Rätsel, dessen Lösung sich endlich anbahnt, nach Jahrhunderten der Spekulation und Jahrzehnten psychologischer Feldforschung.
Die Dimension des Problems erschließt sich, wenn man bedenkt, daß es mindestens zwei Millionen Psychopathen in Nordamerika gibt. Unter den Einwohnern von New York City gibt es mindestens 100.000 Psychopathen. Und dies sind vorsichtige Schätzungen. Psychopathie ist weit davon entfernt, ein esoterisches, vereinzeltes Problem zu sein, das nur einige wenige von uns beeinträchtigt; nein, wir sind fast alle davon betroffen.

Psychopathie ist in unserer Gesellschaft etwa so verbreitet wie Schizophrenie, eine verheerende Geisteskrankheit, die herzzerreißendes Leid für den Patienten und seine Angehörigen mit sich bringt. Die Schmerzen und die Verzweiflung, die von Schizophrenie verursacht werden, sind allerdings unbedeutend im Vergleich zu der menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verwüstung, die von Psychopathen angerichtet wird. Sie fischen mit einem großen Netz, in dem fast jedermann sich auf die eine oder andere Art verfängt.

Der auffälligste – aber keineswegs einzige – Ausdruck von Psychopathie besteht in abscheulichen und kriminellen Verletzungen der gesellschaftlichen Regeln. Es ist nicht überraschend, daß viele Psychopathen Verbrecher sind; vielen von ihnen gelingt es allerdings, dem Gefängnis zu entgehen. Mit Charme und chamäleonartiger Anpassungsfähigkeit schlagen sie eine breite Schneise der Verwüstung durch die Gesellschaft und lassen zerstörte Leben hinter sich.

Zusammengesetzt ergeben die Einzelteile des Puzzles das Bild einer egozentrischen, gefühllosen und brutalen Persönlichkeit ohne jegliches Mitgefühl, unfähig, warmherzige Gefühlsbindungen einzugehen, eines Menschen, der ohne die Instanz eines Gewissens "funktioniert". Man muß feststellen, daß in diesem Bild genau jene Qualitäten fehlen, die es uns ermöglichen, in gesellschaftlicher Harmonie zusammenzuleben.

Es ist kein schönes Bild, und gelegentlich wird bezweifelt, daß es solche Menschen gibt. Um solche Zweifel zu zerstreuen, muß man nur einige der in letzter Zeit immer häufiger in unserer Gesellschaft auftretenden, dramatischen Beispiele von Psychopathie betrachten. Dutzende von Büchern, Spielfilmen, Fernsehberichten, Hunderte von Zeitungsartikeln und Schlagzeilen erzählen die Geschichte: Die Menschen, über die in den Medien berichtet wird, sind zu einem großen Teil Psychopathen – Serienmörder, Vergewaltiger, Diebe, Schwindler, Betrüger, gewalttätige Ehemänner, Wirtschaftskriminelle, Anlagebetrüger, gewissenlose Aktienhändler, Kinderschänder, Bandenmitglieder, Rechtsanwälte und Ärzte, denen die Zulassung entzogen wurde, Drogenbarone, Mitglieder der organisierten Kriminalität, Terroristen, Sektenführer, Söldner und skrupellose Geschäftsleute.

Liest man die Zeitungen aus diesem Blickwinkel, springen einem Hinweise auf das Ausmaß des Problems förmlich von den Seiten entgegen. Die dramatischsten Fälle sind jene kaltblütigen, gewissenlosen Mörder, die den Leser gleichzeitig abstoßen und faszinieren. Es folgt eine kleine Auswahl von Hunderten von Fällen, von denen viele verfilmt worden sind:

John Gacy, ein Bauunternehmer aus Des Plaines, Illinois, war von der Handelskammer zum "Mann des Jahres" gewählt worden. Er pflegte den "Clown Pogo" für kleine Kinder zu spielen und ließ sich mit Präsident Carters Gattin Rosalynn fotografieren. Er hat in den Siebzigern 32 junge Männer ermordet und die meisten ihrer Leichen unter seinem Haus vergraben.

Charles Sobhraj, ein in Saigon geborener Franzose, den sein Vater als "Zerstörer" bezeichnet hat, wurde ein Hochstapler, Schmuggler, Zocker und Mörder, der in den Siebzigern eine breite Spur von geleerten Brieftaschen, verwirrten Frauen, durch Drogen betäubte Touristen und Leichen quer durch Südostasien gelegt hat.

Jeffrey MacDonald war Feldarzt bei den "Green Berets", einer Spezialeinheit der US-Streitkräfte. Er hat 1970 seine Frau und seine beiden Kinder ermordet und behauptet, Drogensüchtige hätten die Verbrechen begangen. Buch und Film Fatal Vision erzählen seine Geschichte.

Gary Tison war ein verurteilter Mörder, dem es meisterhaft gelang, die Justiz zu manipulieren. 1978 ist er mit Hilfe seiner drei Söhne aus einem Gefängnis in Arizona entflohen und hat eine grausige Mordserie begangen, die sechs Menschen das Leben kostete.

Kenneth Bianchi war einer der "Hillside Stranglers", die in den späten Siebzigern bei Los Angeles ein Dutzend Frauen vergewaltigt, gefoltert und ermordet haben. Er hat seinen Vetter und Komplizen Angelo Buono an die Polizei verraten und mehrere Sachverständige davon überzeugt, eine multiple Persönlichkeit zu sein und daß sein Alter Ego "Steve" seine Verbrechen begangen hätte.

Richard Ramirez war ein satanistischer Serienmörder, der unter dem Namen "Night Stalker" bekannt wurde und sich selbst voller Stolz als "böse" bezeichnet hat. Er ist 1987 überführt worden, dreizehn Morde und dreißig andere Verbrechen begangen zu haben, darunter Raub, Einbruch, Vergewaltigung, Sodomie, orale Vergewaltigung und versuchter Mord.

Diane Downs hat ihre eigenen Kinder erschossen, um für einen Mann, der keine Kinder haben wollte, attraktiver zu erscheinen; später hat sie sich selbst als das wahre Opfer dargestellt.

Ted Bundy, der "All-American" Serienmörder, war für die Ermordung einiger Dutzend junger Frauen in den Mittsiebzigern verantwortlich; er machte geltend, zu viele pornographische Bücher gelesen zu haben und behauptete, eine "böse Macht" hätte Besitz von ihm ergriffen. Er wurde vor kurzem in Florida hingerichtet.

Clifford Olson war ein kanadischer Serienmörder, dem es gelang, die Regierung dazu zu bewegen, ihm 100.000 Dollar dafür zu bezahlen, daß er den Ermittlungsbehörden die Stelle zeigte, wo er seine Opfer vergraben hatte. Er ist um anhaltende Medienpräsenz sehr bemüht.

Joe Hunt war ein redegewandter Manipulator, der sich in den frühen Achtzigern ein betrügerisches Anlagemodell für die Sprößlinge reicher Eltern (auch bekannt als der "Billionaire Boys Club") in Los Angeles ausgedacht hat. Er hat wohlhabenden Leuten das Geld aus der Tasche gelockt und war in zwei Mordfälle verwickelt.

William Bradfield war ein eloquenter Lehrer für klassische Literatur, der überführt wurde, eine Kollegin und ihre beiden Kinder getötet zu haben.

Ken McElroy trieb jahrelang sein Unwesen. Er "beraubte, vergewaltigte, verbrannte, erschoß ... und verstümmelte die Einwohner von Skidmore, Missouri, ohne Gewissen oder Reue" – bis er schließlich 1981 in Gegenwart von 45 Menschen erschossen wurde.

Colin Pitchfork war ein englischer Exhibitionist, Vergewaltiger und Mörder, der erste, der durch seinen "genetischen Fingerabdruck" überführt wurde.

Kenneth Taylor war ein Zahnarzt und Schürzenjäger in New Jersey. Er hat seine erste Frau verlassen und versucht, seine zweite Frau umzubringen, schlug 1983 seine dritte Frau während ihrer Hochzeitsreise grün und blau, prügelte sie im Jahr darauf zu Tode und besuchte mit der Leiche im Kofferraum seines Autos seine Eltern und seine zweite Frau. Später hat er behauptet, er hätte seine Frau in Notwehr getötet – sie sei auf ihn losgegangen, nachdem er "entdeckt" hätte, daß sie ihr gemeinsames Baby sexuell mißbrauchen würde.

Constantine Paspalakis und Deidre Hunt haben die Folterung und Ermordung eines jungen Mannes auf Video gefilmt und sitzen jetzt in der Todeszelle.

Solche Individuen und ihre grausigen Verbrechen üben eine morbide Faszination aus. Häufig teilen sie die öffentliche Aufmerksamkeit mit diversen Mördern und Massenmördern, deren oft unsagbar grauenhafte Verbrechen auf schwere psychische Störungen zurückzuführen sind – zum Beispiel mit Ed Gein, einem psychotischen Mörder, der seinen Opfern die Haut abzog und sie aß; Edmund Kemper, dem "Studentinnenmörder", einem nekrophilen Sadisten, der seine Opfer verstümmelt und zerteilt hat; David Berkowitz, der "Son-of-Sam Killer", der jungen Liebespaaren in geparkten Autos aufgelauert hat; der "Son-of-Sam Killer" Jeffrey Dahmer, dem "Milwaukee Monster", der sich der Folterung, Ermordung und Verstümmelung von fünfzehn Männern und Knaben schuldig bekannte und zu fünfzehnmal lebenslänglich verurteilt wurde. Obwohl solche Mörder häufig als "geistig gesund" eingestuft werden (wie Kemper, Berkowitz und Dahmer), kann man ihre unsäglichen Taten, ihre grotesken sexuellen Phantasien und ihre Fixierung auf Macht, Folter und Tod kaum als "gesund" bezeichnen.

Demgegenüber sind psychopathische Mörder, nach gängiger Rechtssprechung und psychiatrischer Praxis, nicht verrückt. Ihre Taten entspringen nicht einer gestörten Psyche, sondern einem kühl berechnenden Kalkül in Verbindung mit einer beklemmenden Unfähigkeit, andere als denkende und fühlende Mitmenschen zu behandeln. Derartig moralisch unverständliches Verhalten einer scheinbar normalen Person erzeugt Verwirrung und Hilflosigkeit.

So beunruhigend das auch sein mag, müssen wir an dieser Stelle doch darauf achten, den größeren Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren, denn die meisten Psychopathen spielen ihr böses Spiel, ohne Leute umzubringen. Konzentriert man sich allzu sehr auf die brutalsten und schlagzeilenträchtigsten Beispiele ihres Verhaltens, läuft man Gefahr, das große Bild nicht mehr zu sehen: Psychopathen, die nicht morden, aber unser geregeltes Leben stören. Die Gefahr, seine Ersparnisse an einen wortgewandten Schwindler zu verlieren, ist sehr viel größer, als von einem Killer mit stählernem Blick ermordet zu werden.

Trotzdem sind solche spektakulären Fälle wichtig, denn oft sind sie ausführlich dokumentiert und erinnern uns so daran, daß es solche Menschen gibt und daß sie unsere Verwandten, Nachbarn, oder Arbeitskollegen waren, bevor sie erwischt wurden. Auch können solche Beispiele ein Thema illustrieren, daß sämtliche Fallbeispiele von Psychopathen durchzieht: ein zutiefst beunruhigendes Desinteresse an den Schmerzen und Leiden ihrer Mitmenschen – kurzum, das völlige Fehlen von Mitgefühl, der Voraussetzung für Liebe.

In dem verzweifelten Versuch, diesen Mangel zu erklären, betrachtet man zunächst das familiäre Umfeld, aber das bringt einen kaum weiter. Zwar war die Kindheit mancher Psychopathen durch materiellen und emotionalen Mangel und physischen Mißbrauch geprägt, aber auf jeden erwachsenen Psychopathen aus einer gestörten Familie kommt ein anderer, dessen Familienleben warm und liebevoll war und dessen Geschwister normale, gewissenhafte und mitfühlende Menschen sind. Darüber hinaus werden nur die wenigsten Menschen, die eine schlimme Kindheit hatten, zu Psychopathen oder gefühllosen Mördern. Die Argumentation, daß aus Kindern, die Mißbrauch und Gewalt ausgesetzt waren, gewalttätige und mißbrauchende Erwachsene werden, führt uns hier nicht weiter (auch wenn sie für andere Betrachtungen der menschlichen Entwicklung durchaus hilfreich sein können). Mögliche Erklärungen für das Entstehen von Psychopathie sind tiefgründiger und schwieriger zu erfassen. Dieses Buch stellt meine Suche nach Antworten dar, die mich seit einem Vierteljahrhundert beschäftigt.

Ein großer Teil dieser Suche hat aus einer gemeinschaftlichen Anstrengung bestanden, ein präzises Verfahren zur Identifikation der Psychopathen unter uns zu entwickeln. Denn wenn wir sie nicht erkennen können, sind wir dazu verdammt, zu ihren Opfern zu werden – sowohl als Individuen wie als Gesellschaft im Ganzen. Ich will nur ein einziges, leider alltägliches, Beispiel dafür anführen: Die meisten Menschen sind verblüfft, wenn ein verurteilter Mörder, nachdem er auf Bewährung entlassen worden ist, umgehend ein weiteres Gewaltverbrechen begeht. Man fragt sich fassungslos: "Warum ist ein solcher Mensch entlassen worden?" Diese Fassungslosigkeit würde zweifellos in Wut umschlagen, wenn bekannt wäre, daß in vielen Fällen der Straftäter ein Psychopath war, dessen Rückfall vorauszusehen gewesen wäre – wenn die Bewährungskommission ihre Hausaufgaben gemacht hätte. Es ist meine Hoffnung, daß dieses Buch sowohl der Allgemeinheit als auch den Strafvollzugsbehörden dabei helfen kann, das Wesen der Psychopathie, die Größenordnung des Problems und mögliche Maßnahmen zur Verminderung ihrer verheerenden Auswirkungen auf unser Leben zu verstehen.

Die wichtigsten Symptome der Psychopathie

Emotional / zwischenmenschlich

Abweichendes Sozialverhalten

heuchlerisch und oberflächlich

impulsiv

egozentrisch und grandios

unbeherrscht

Mangel an Reue oder Schuldbewußtsein

sucht Erregung

Mangel an Einfühlungsvermögen

verantwortungslos

hinterlistig und manipulativ

gestörtes Verhalten als Kind

flaches Gefühlsleben

abweichendes Sozialverhalten als Erwachsener

Ein Warnhinweis

Die Psychopathie-Checkliste ist ein komplexes klinisches Werkzeug zum Einsatz durch geschultes Personal. Im folgenden wird eine allgemeine Zusammenfassung der wichtigsten Charakterzüge und Verhaltensweisen von Psychopathen gegeben. Es sollte nicht versucht werden, anhand dieser Informationen sich selbst oder andere zu diagnostizieren. Eine Diagnose erfordert eine gezielte Schulung und das formale Auswertungshandbuch. Sollten Sie den Verdacht haben, daß jemand, den Sie kennen, in das in diesem und dem folgenden Kapitel beschriebene Profil fällt und falls es für Sie wichtig ist, eine fundierte Meinung zu erhalten, sollten Sie die Dienste eines qualifizierten (eingetragenen) Kriminalpsychologen oder -psychiaters in Anspruch nehmen.

Außerdem sollte man bedenken, daß auch Personen, die keine Psychopathen sind, einige der hier beschriebenen Symptome aufweisen können. Viele Menschen sind impulsiv, heuchlerisch, kalt und gefühlsarm oder asozial, aber das bedeutet nicht, daß sie Psychopathen sind. Psychopathie ist ein Syndrom – eine Kombination zusammen auftretender Symptome.

Heuchlerisch und oberflächlich

Psychopathen sind oft geistreich und wortgewandt. Sie können amüsante, unterhaltsame und schlagfertige Gesprächspartner sein und unwahrscheinliche, aber glaubhafte Geschichten erzählen, die sie selbst in einem guten Licht erscheinen lassen. Sie können sich sehr geschickt gut darstellen und sind häufig liebenswert und charmant. Gelegentlich jedoch wirken sie aalglatt, als offenkundig unaufrichtig und oberflächlich. Ein sorgfältiger Beobachter gewinnt häufig den Eindruck, daß Psychopathen Theater spielen und mechanisch "ihren Text aufsagen".

Eine meiner Mitarbeiterinnen beschrieb ein Interview, daß sie mit einem Häftling durchgeführt hat:

Ich setzte mich und nahm meinen Notizblock zur Hand, und das erste, was dieser Bursche mir sagte, war, daß ich wunderschöne Augen hätte. Er brachte eine ganze Menge Komplimente über mein Aussehen in dem Interview unter – er konnte sich gar nicht wieder beruhigen über mein Haar. Gegen Ende des Interviews fühlte ich mich ungewöhnlich ... äh, hübsch. Ich bin ein wachsamer Mensch, besonders bei der Arbeit, und erkenne normalerweise einen Schwindler. Als ich wieder draußen war, konnte ich kaum glauben, daß ich ihm auf den Leim gegangen war.

Psychopathen neigen zum Fabulieren und erzählen gerne Geschichten, die ziemlich unwahrscheinlich klingen, wenn man bedenkt, was über sie bekannt ist. Gerne stellen sie sich als Experten der Soziologie, Psychiatrie, Medizin, Psychologie, Poesie, Literatur, Künste oder der Rechtswissenschaften dar. Meistens stört es sie kein bißchen, ertappt zu werden. In einer unserer Gefängnisakten ist ein psychopathischer Insasse beschrieben, der vorgab, akademische Titel in Soziologie und Psychologie zu führen, obwohl er nicht einmal die High School abgeschlossen hatte. Während eines Interviews mit einer meiner Studentinnen, einer Psychologie-Doktorandin, erhielt er die Posse aufrecht; sie merkte an, daß er so versiert im Gebrauch des Fachjargons war, daß er einen Laien wohl getäuscht hätte. Solchen Geschichten begegnet man bei Psychopathen immer wieder.

Dick! Aalglatt und clever, das mußte man ihm lassen. Toll, wie der so was fingerte. Wie das Ding mit dem Verkäufer im Kleiderladen in Kansas City, Missouri. Das war das Geschäft, in dem sie, wie Dick beschloß, ihren ersten Fischzug machten ... Dick sagte zu ihm: "Du brauchst weiter nichts zu tun, als bloß dastehen. Du darfst bloß nicht lachen und dich über nichts wundern, was ich sage. Für diese Dinge muß man ein Gespür haben." Und das hatte er offenbar. Er rauschte in den Laden und stellte Perry dem Verkäufer forsch als "Freund von mir, der heiraten will", vor. Dann sagte er: "Ich bin sein Trauzeuge und helfe ihm dabei, die Sachen zu besorgen, die er braucht ..." Der Verkäufer "schluckte" das, und alsbald probierte Perry, nachdem er seine Drillichhose ausgezogen hatte, einen dunklen Anzug an, den der Verkäufer als "ideal für eine zwanglose Hochzeitsfeier" bezeichnete ... Danach stellten sie eine geschmacklos bunte Auswahl von Sporthosen und Jacken zusammen, die nach Dick für die Flitterwochen in Florida genau richtig wären ... Wie finden Sie das? Ein häßlicher Zwerg wie der schnappt sich ’ne Puppe, die nicht nur ’ne Filmfigur hat, sondern auch noch Zaster, während Burschen wie Sie und ich, die nach was aussehen ..." Der Verkäufer gab ihm die Rechnung. Dick langte in seine Gesäßtasche, runzelte die Stirn, schnippte mit den Fingern und sagte: "Verdammt! Ich hab meine Brieftasche vergessen." Was Perry so fadenscheinig vorkam, daß selbst ein Idiot nicht drauf reingefallen wäre. Der Verkäufer war offenbar nicht dieser Ansicht, denn er kam mit einem Blankoscheck an, und zahlte, als Dick ihn auf achtzig Dollar über die Gesamtsumme hinaus ausschrieb, ohne weiteres die Differenz in bar aus. Truman Capote, Kaltblütig

In seinem Buch Echoes in the Darkness liefert Joseph Wambaugh eine anschauliche Beschreibung eines psychopathischen Lehrers, der seine gesamte Umgebung mit seiner angeblichen Gelehrsamkeit hereinlegen konnte. Das heißt, fast seine gesamte Umgebung – denjenigen, die sich ein bißchen im jeweiligen Fachgebiet auskannten, fiel schnell auf, wie oberflächlich sein Wissen war. Einer sagte, er hätte "zu jedem Thema einen oder zwei gute Sätze – aber nicht mehr."

Natürlich ist es nicht immer leicht, einen Heuchler von einem ehrlichen Menschen zu unterscheiden, vor allem, wenn wir nur wenig über die Person wissen. Nehmen wir einmal an, eine Frau trifft in einer Bar einen attraktiven Mann, und über einem Glas Wein sagt er:

Ich habe einen großen Teil meines Lebens verschwendet. Man kann die Zeit nicht zurückholen. Ich habe versucht, die verlorene Zeit wettzumachen, indem ich mehr gemacht habe; dadurch wurde das Leben aber nur schneller, nicht besser. Ich will in Zukunft viel ruhiger leben und anderen Menschen vieles geben, was ich selbst nie hatte. Ihnen Freude machen. Ich meine nicht einen billigen Nervenkitzel, sondern Substanz im Leben eines Mitmenschen. Das wäre wahrscheinlich – aber nicht unbedingt – eine Frau. Vielleicht das Kind einer Frau oder jemand in einem Altersheim. Ich glaube – nein, ich weiß –, daß mir das viel Freude machen würde; ich würde mich als ein besserer Mensch fühlen.

Ist dieser Mann aufrichtig? Hat er die Worte mit Überzeugung gesprochen? Sie stammen von einem 45jährigen Häftling mit einem erschreckenden Vorstrafenregister und der höchstmöglichen Punktzahl auf der Psychopathie-Checkliste, der seine Frau brutal mißhandelt und seine Kinder verlassen hat.

In seinem Buch Fatal Vision hat Joe McGinniss seine Beziehung zu Jeffrey MacDonald beschrieben, einem psychopathischen Arzt, der des Mordes an seiner Frau und seinen Kindern überführt worden war:

Für sechs Monate nach seiner Inhaftierung, vielleicht auch sieben oder acht, während ich mich mit den schrecklichsten Tatumständen konfrontiert sah, die mir jemals als Autor begegnet waren, und während ich außerdem ständig von diesem liebenswerten und überzeugenden Mann bedrängt wurde, ihm zu glauben, hatte ich nicht nur mit der Frage seiner Schuld zu ringen, sondern einer weiteren, die in gewisser Weise noch beunruhigender war: Wenn er das getan haben könnte, wie konnte ich ihn dann mögen? [S. 668]

Jeffrey MacDonald verklagte McGinniss mit diversen Anschuldigungen, unter anderem wegen "seelischer Grausamkeit". Der Schriftsteller Joseph Wambaugh wurde im Prozeß als Zeuge gehört und äußerte sich folgendermaßen über MacDonald, den er für einen Psychopathen hielt:

Ich fand ihn aalglatt ... ich glaube, ich bin noch nie einem solchen Heuchler begegnet, und ich war schockiert von der Art, wie er seine Geschichte erzählte. Er beschrieb entsetzliche Ereignisse, er konnte die Mordtaten erschreckend detailliert schildern ... in einer sehr distanzierten, glatten und beiläufigen Art ... Ich habe Dutzende von Leuten befragt, die Überlebende schrecklicher Verbrechen waren, manche unmittelbar danach, manche Jahre später, darunter die Eltern ermordeter Kinder, und ich bin in meiner ganzen Laufbahn noch nie jemandem begegnet, der ein solches Ereignis so teilnahmslos beschreiben konnte wie Dr. MacDonald. [S. 678]

Egozentrisch und grandios

"Ich. Ich. Ich ... und weiter umkreist die Welt ihr strahlendes Ich – sie war nicht der hellste, sondern der einzige Stern", sagte Ann Rule über Diane Downs, die 1984 verurteilt wurde, weil sie auf ihre drei kleinen Kinder geschossen hatte, von denen eines starb und die anderen beiden bleibende Schäden davontrugen.

Psychopathen haben ein narzißtisches und immens aufgeblähtes Bild ihres eigenen Wertes und ihrer Wichtigkeit, sind unglaublich egozentrisch, leben in der Gewißheit, daß ihnen alles zusteht ("sense of entitlement") und sehen sich selbst als den Mittelpunkt des Universums an, als überlegenes Wesen, das das Recht hat, nur nach seinen eigenen Regeln zu leben. "Ich bin nicht gesetzlos", sagte eine unserer Probandinnen, "ich folge meinen eigenen Gesetzen. Ich verstoße nie gegen meine eigenen Regeln." Dann beschrieb sie diese Regeln, deren wichtigstes Ziel ihr eigenes Wohlergehen war.

Ein anderer Psychopath, der unter anderem wegen Raub, Vergewaltigung und Betrug einsaß, gab auf die Frage nach seinen Schwächen folgende Antwort: "Ich habe keine Schwächen; man könnte höchstens sagen, daß ich zu fürsorglich bin." Auf einer 10-Punkte-Skala sah er sich "als eine volle 10. Ich hätte 12 gesagt, aber ich will ja nicht angeben. Mit einer besseren Bildung wäre ich brillant."

Die Grandiosität und Großspurigkeit mancher Psychopathen äußert sich manchmal dramatisch im Gerichtssaal. So ist es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, daß sie ihre Verteidiger kritisieren oder entlassen und ihre Verteidigung selbst übernehmen, meist mit kläglichen Ergebnissen. "Mein Partner bekam ein Jahr. Ich bekam zwei, wegen eines idiotischen Anwalts", erzählte einer unserer Probanden. In seinem Berufungsverfahren verteidigte er sich selbst – und seine Strafe wurde auf drei Jahre erhöht.
Psychopathen erscheinen oft als arrogante, schamlose Angeber – selbstbewußt, starrsinnig, dominant und eingebildet. Sie streben nach Macht und Kontrolle über andere und scheinen unfähig, andere Meinungen als stichhaltig anzuerkennen. Auf manche Menschen wirken sie charismatisch und "elektrisierend".

Nur selten machen Psychopathen sich Sorgen über ihre rechtlichen, finanziellen oder persönlichen Probleme. Sie sehen sie als vorübergehende Rückschläge an, als Ergebnis von Pech, illoyalen Freunden oder ein unfaires und untaugliches Gesellschaftssystem.

Wenn auch Psychopathen häufig bestimmte Ziele vorgeben, zeigen sie doch wenig Verständnis für die erforderlichen Qualifikationen – sie haben keine Ahnung, wie sie ihre Ziele erreichen können und haben mit ihrem Werdegang und ihrem Desinteresse an fundierter Bildung kaum eine Chance, sie zu verwirklichen. Der psychopathische Häftling mag in seinen Überlegungen über eine Entlassung auf Bewährung vage Pläne äußern, ein Immobilienhai oder ein Rechtsanwalt für Arme zu werden. Einem nicht sonderlich gebildeten Häftling gelang es, sich den Titel für eine Autobiographie schützen zu lassen, die er schreiben wollte – in Gedanken rechnete er sich schon aus, welch ein Vermögen sein Bestseller ihm einbringen würde.

Psychopathen sind überzeugt, mit ihren Fähigkeiten auf einem beliebigen Gebiet reüssieren zu können. Unter den richtigen Voraussetzungen – Gelegenheit, Glück, willige Opfer – kann sich ihre Grandiosität spektakulär auszahlen. So dreht zum Beispiel der psychopathische Unternehmer ein "großes Rad" – aber meistens mit dem Geld anderer Leute.

Jack war wegen Einbruchs eingesperrt, einem von zahllosen Delikten, die er von früher Jugend an begangen hatte. Er erzielte die höchstmögliche Punktzahl auf der Psychopathie-Checkliste. Eines Tages begann er ein Interview – typisch für ihn – mit übermäßigem Interesse an der Videokamera. "Wann können wir die Kassette sehen? Ich will sehen, wie ich aussehe, wie ich rüberkomme." Dann ließ er eine (vier Stunden) lange Erzählung über seine Kriminalgeschichte vom Stapel, mit eingestreuten Ermahnungen an sich selbst, "Ach ja, das habe ich natürlich alles längst aufgegeben." Er breitete die Geschichte eines kleinen Diebes und Betrügers aus – "je mehr Leute du triffst, desto mehr Geld kannst Du ihnen aus der Tasche ziehen – und sie sind nicht wirklich Opfer. Verdammt, sie kriegen immer von der Versicherung mehr erstattet, als sie verloren haben."

Mit den kleinen Diebstählen, die schließlich zu Einbrüchen und bewaffnetem Raub führten, gingen Körperverletzungen einher. "Oh ja, Homos-Klatschen war mein Hobby, seit ich 14 war – aber ich mache nichts Schlimmes, Frauen schlagen oder Kinder. Im Gegenteil, ich liebe Frauen. Ich finde, sie sollten sich alle um den Haushalt kümmern. Am liebsten wäre es mir, wenn alle Männer auf der Welt einfach sterben würden und ich als einziger übrig bliebe."

"Wenn ich dieses Mal rauskomme, will ich einen Sohn haben", erzählte Jack der Psychologin, die das Interview durchführte. "Wenn er fünf ist, würde ich die Frau dazu bringen, zu verschwinden, und ihn dann auf meine Art großziehen."

Auf die Frage, wie seine kriminelle Karriere begonnen hätte, antwortete er: "Das hatte mit meiner Mutter zu tun, dem wunderbarsten Menschen auf der ganzen Welt. Sie war stark und arbeitete hart, um vier Kinder durchzubringen. Ein wunderbarer Mensch. Ich begann, ihren Schmuck zu klauen, als ich in der fünften Klasse war. Ich würde sagen, ich habe die Schlampe nie wirklich gekannt – unsere Wege trennten sich."

Jack machte einen schwachen Versuch, sein kriminelles Leben zu rechtfertigen – "Ja, ich mußte manchmal stehlen, um aus der Stadt rauszukommen, aber ich bin kein verdammter Krimineller." Im späteren Verlauf des Interviews erinnerte er sich allerdings: "Ich habe 16 Einbrüche in zehn Tagen gemacht. Das war gut, gab mir ein echt gutes Gefühl. So ähnlich, als ob ich süchtig wäre und mir meinen Schuß besorgen würde."

"Haben sie jemals gelogen?", fragte die Interviewerin.

"Sie machen wohl Witze! Ich lüge wie ich atme, eins so selbstverständlich wie das andere."

Die Interviewerin war eine Psychologin mit einiger Erfahrung in der Anwendung der Psychopathie-Checkliste. Sie beschrieb das Interview als nicht nur das längste, sondern auch das unterhaltsamste, das sie je durchgeführt hatte. Jack war nach ihrer Einschätzung einer der großspurigsten Häftlinge, die ihr bis dahin begegnet waren. Obwohl er keinerlei Mitgefühl für seine Opfer an den Tag legte, war er ganz offenbar vernarrt in seine Straftaten und anscheinend darum bemüht, die Interviewerin mit seinen erstaunlichen Tricks zum Schaden anderer zu beeindrucken. Jack redete wie ein Wasserfall, mit der typischen Eigenart eines Psychopathen, sich in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen völlig zu widersprechen. Sein langes Vorstrafenregister reflektierte nicht nur seine Vielseitigkeit als Verbrecher, sondern auch seine ausgeprägte Unfähigkeit, aus Erfahrung zu lernen.

Ebenso verblüffend war Jacks Unfähigkeit zu realistischer Planung. Obwohl er Übergewicht hatte und ziemlich aus der Form gegangen war durch jahrelanges Anstaltsessen im Gefängnis und billigem "Fast Food", wenn er draußen war, erzählte er unserer Interviewerin mit der Zuversicht eines jungen Sportlers von seinem Plan, nach Ende seiner Haftstrafe eine Karriere als professioneller Schwimmer zu verfolgen. Er wollte anständig werden, von den gewonnenen Preisgeldern leben und davon Reisen finanzieren, nachdem er sich frühzeitig zur Ruhe gesetzt hätte.

Zum Zeitpunkt des Interviews war Jack 38 Jahre alt. Es ist nicht bekannt, ob er jemals zuvor ein Schwimmer gewesen war.

Mangel an Reue oder Schuldbewußtsein

Psychopathen zeigen ein erstaunliches Desinteresse an den verheerenden Auswirkungen ihres Verhaltens für andere. Häufig sind sie darüber ganz offen und stellen gelassen fest, daß sie kein Schuldbewußtsein haben, daß die von ihnen verursachten Schmerzen und Zerstörungen ihnen nicht leid tun und daß es keinen Grund für Anteilnahme gäbe.
Auf die Frage, ob er Reuegefühle wegen eines bewaffneten Raubüberfalls hätte, dessen Opfer anschließend drei Monate mit Stichverletzungen im Krankenhaus verbringen mußte, antwortete einer unsere Probanden: "Bleiben wir doch bei den Tatsachen! Er liegt ein paar Monate im Krankenhaus, während ich hier schmore. Ich habe ihn ein bißchen aufgeschlitzt, aber hätte ich ihn umbringen wollen, hätte ich ihm die Kehle durchgeschnitten. So bin ich nun mal; ich war noch nett zu ihm." Befragt, ob er irgendeines seiner Verbrechen bereue, antwortete er: "Ich bereue gar nichts. Nichts kann ungeschehen gemacht werden; es muß damals gute Gründe gegeben haben und darum habe ich es getan."

Vor seiner Hinrichtung sprach der Serienmörder Ted Bundy in mehreren Interviews mit Stephen Michaud und Hugh Aynesworth über Schuldbewußtsein. "Was immer ich auch in der Vergangenheit getan habe", sagte er, "es – die Unterlassungen oder Handlungen – berührt mich nicht emotional. Wie kann man die Vergangenheit fühlen? Man muß mit ihr leben. Sie ist nicht real. Sie ist nur ein Traum!" [S. 284] Bundys "Traum" umfaßte die Ermordung von bis zu hundert jungen Frauen – er hatte sich nicht nur aus seiner Vergangenheit davongemacht, sondern die Zukunft eines jeden einzelnen seiner jungen Opfer ausgelöscht. "Schuldbewußtsein?", sagte er im Gefängnis, "Das ist der Mechanismus, mit dem Menschen gesteuert werden. Es ist eine Illusion. Es ist ein gesellschaftlicher Kontrollmechanismus – und es ist sehr ungesund. Es macht schreckliche Dinge mit unserem Körper. Und es gibt viel bessere Wege, unser Verhalten zu kontrollieren, als diese ziemlich ungewöhnliche Anwendung von Schuldbewußtsein." [S. 288]

Andererseits kommt es vor, daß Psychopathen Reue zeigen, sich aber dann in Wort oder Tat selbst widersprechen. Verbrecher lernen im Gefängnis schnell, daß Reue ein wichtiges Wort ist. Auf die Frage, ob er einen von ihm begangenen Mord bereuen würde, erzählte uns ein junger Häftling: "Ja, klar fühle ich Reue." Auf Nachfrage hin sagte er, daß er sich "deswegen nicht schlecht fühlen" würde.

Einmal war ich völlig entgeistert von der Logik eines Häftlings, der meinte, sein Mordopfer hätte von seiner Tat profitiert, indem es "eine harte Lektion über das Leben" gelernt hätte.

"Er hatte sich das doch selbst zuzuschreiben", sagte ein anderer Häftling über einen Mann, den er bei einem Streit über die Zeche in einem Lokal getötet hatte. "Jeder konnte sehen, daß ich an dem Abend in einer üblen Laune war. Warum hat er mich gepiesackt?" Er fuhr fort: "Jedenfalls hat der Bursche nicht gelitten. Ein Messerstich in eine Arterie ist die leichteste Art zu gehen."

Das Fehlen von Reue oder Schuldbewußtsein bei Psychopathen geht einher mit einer erstaunlichen Fähigkeit, ihr Verhalten zu rechtfertigen. Jedwede persönliche Verantwortlichkeit für Handlungen, die ihren Verwandten, Freunden, Bekannten und anderen Mitmenschen, die sich an die Regeln gehalten haben, Schrecken und Enttäuschung bereiten, tun sie mit einem Achselzucken ab. Meistens haben sie wohlfeile Entschuldigungen für ihr Verhalten, und manchmal streiten sie es rundheraus ab.
Jack Abbott wurde in den Nachrichten bekannt, als der Schriftsteller Norman Mauer ihm bei der Veröffentlichung seines Buchs In the Belly of the Beast: Letters from Prison half. Abbott kam durch seine Verbindung mit dem prominenten Romanautor und politischen Aktivisten nicht nur zu Berühmtheit; er erreichte auch seine Freilassung. Kurz nachdem er auf Bewährung freigekommen war, geriet er in einem Restaurant in New York in einen Streit mit einem Kellner, der ihn aufgefordert hatte, das Lokal zu verlassen. Abbott zierte sich und die beiden fanden sich im Hinterhof des Restaurants wieder, wo Abbott den – unbewaffneten – Kellner namens Richard Adan mit einem Messer tödlich verletzte.

In einem Interview für die Fernsehsendung A Current Affair, einem Nachrichtenmagazin, wurde Abbott gefragt, ob er seine Tat bereue. "Ich glaube, das ist nicht das richtige Wort ... Reue bedeutet, daß Du etwas Falsches getan hast ... Falls ich ihn denn erstochen haben sollte, war es ein Unfall."

Abbott wurde des Verbrechens überführt und wieder ins Gefängnis gesteckt. Einige Jahre später strengte Adans Witwe einen Zivilprozeß wegen Schadenersatz und Schmerzensgeld für den Tod ihres Gatten an; in diesem Verfahren verteidigte Abbott sich selbst. Ricci Adan, die Witwe des Opfers, über Abbotts Verhalten im Gerichtssaal:

"Erst entschuldigte er sich, um mich dann aus heiterem Himmel zu beleidigen."

"Jeder im Gerichtssaal wußte, daß die Anschuldigungen gegen mich falsch waren", sagte Abbott dem Fernsehreporter. Seine Bemerkung, "Er hatte keine Schmerzen, es war eine saubere Wunde", erlaubt Rückschlüsse auf die Tiefe seiner Gefühle über den Tod des Kellners. Dann äußerte er über Richard Adan selbst: "Er hatte keine Zukunft als Schauspieler – wahrscheinlich hätte er ohnehin die Branche gewechselt."

The N. Y. Times News Service meldete am 16. Juni 1990, Abbott hätte zu Ricci Adan gesagt, das Leben ihres Mannes sei "keinen Dollar wert gewesen". Trotzdem wurden ihr vom Gericht mehr als sieben Millionen Dollar zugesprochen.

Erinnerungslücken, Gedächtnisschwund, Blackouts, multiple Persönlichkeiten und vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit tauchen immer wieder in Vernehmungsprotokollen von Psychopathen auf. So zeigt zum Beispiel ein weithin bekannter Ausschnitt eines Fernsehberichts über Kenneth Bianchi, einem der berüchtigten "Hillside Stranglers" aus Los Angeles, eine erbärmliche und durchsichtige Imitation einer multiplen Persönlichkeit.

Auch wenn ein Psychopath manchmal seine Handlungen zugibt, wird er ihre Folgen für andere verharmlosen oder gar abstreiten. Ein Häftling mit einer sehr hohen Punktzahl auf der Psychopathie-Checkliste hat behauptet, daß seine Verbrechen tatsächlich positive Auswirkungen für die Opfer gehabt hätten. "Am nächsten Tag konnte ich über einen meiner Streiche in der Zeitung lesen – einen Raub oder eine Vergewaltigung. Es wurden Interviews mit den Opfern abgedruckt – sie waren in der Zeitung! Frauen haben oft nette Sachen über mich gesagt, daß ich sehr höflich und rücksichtsvoll bin, sehr gewissenhaft. Ich war nicht gewalttätig zu ihnen, klar? Einige haben sich sogar bei mir bedankt."

Ein anderer Proband, wegen seines zwanzigsten Einbruchs in Untersuchungshaft, sagte: "Klar hab ich das Zeug geklaut. Aber hallo – die Leute waren doch bis zur Hutschnur versichert! Niemand wurde verletzt, niemand hat gelitten. Warum also das Theater? Tatsächlich habe ich ihnen einen Gefallen getan, dadurch, daß sie die Versicherungssumme kassieren konnten. Natürlich geben sie einen höheren Schaden an, als der Krempel wert war, das machen sie immer."

In einer kühnen Verdrehung der Tatsachen sehen Psychopathen häufig sich selbst als die wahren Opfer an.

"Ich bin zum Idioten und zum Sündenbock gemacht worden. Wenn ich zurückblicke, sehe ich mich selbst mehr als Opfer denn als Täter." So äußerte sich John Wayne Gacy, ein psychopathischer Serienmörder, der dreiunddreißig junge Männer und Knaben gefoltert, ermordet und dann im Keller seines Hauses vergraben hat.

Im Verhör über seine Morde stellte sich Gacy als das vierunddreißigste Opfer dar. "Ich war das Opfer, um meine Kindheit betrogen." Er fragte sich nachdenklich, ob es wohl "irgendwo einen Menschen gibt, der verstehen kann, wie sehr es geschmerzt hat, John Wayne Gacy zu sein.

In seinem Buch über Kenneth Taylor, den Zahnarzt, der seine Frau auf ihrer Hochzeitsreise brutal schlug, sie betrog und sie später zu Tode prügelte, zitiert der Autor Peter Maas ihn mit der Aussage: "Ich habe sie so sehr geliebt. Sie fehlt mir so sehr. Was passiert ist, ist eine Tragödie. Ich habe meine beste Geliebte und meine beste Freundin verloren ... Warum versteht denn niemand, was ich durchgemacht habe?"

Mangel an Einfühlungsvermögen

Viele der an Psychopathen zu beobachtenden Eigenschaften – insbesondere Egozentrik, Mangel an Reue, flaches Gefühlsleben und Hinterlist – stehen in enger Verbindung mit einem profunden Mangel an Einfühlungsvermögen ("empathy"; die Unfähigkeit, ein geistiges und emotionales Abbild einer anderen Person herzustellen). Sie scheinen unfähig zu sein, sich in andere Menschen "hineinzuversetzen" oder "einzufühlen", außer vielleicht in einem rein intellektuellen Sinne. Die Gefühle ihrer Mitmenschen sind für Psychopathen uninteressant.

In mancherlei Hinsicht sind sie wie die emotionslosen Androiden in Science Fiction-Romanen, unfähig, sich die Gefühle echter Menschen vorzustellen. Ein Vergewaltiger, weit oben auf der Psychopathie-Checkliste, fand es schwierig, sich in seine Opfer hineinzuversetzen. "Sie haben Angst, oder? Aber ich verstehe das nicht wirklich. Ich habe schon selbst Angst gehabt, ich fand das nicht unangenehm."

Psychopathen sehen Mitmenschen zumeist nur als Objekte an, die sie zur Befriedigung eigener Bedürfnisse benutzen können. Schwache und Verletzliche – die sie verspotten, anstatt sie zu bemitleiden – sind ihre beliebtesten Ziele. "Im Universum des Psychopathen gibt es niemanden, der einfach nur schwach ist", schrieb der Psychologe Robert Rieber. "Wer schwach ist, ist auch ein Schwächling – also jemand, der es herausfordert, ausgenutzt zu werden."

"Oh wie schrecklich, sehr bedauerlich", schnappte ein junger Häftling, als er vom Tod eines Jungen erfuhr, auf den er in einem Bandenkonflikt eingestochen hatte. "Versuchen sie nicht, mich mit diesem Mist aufzuweichen. Der kleine Arsch hat gekriegt, was er verdient hat, und ich kann mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Sie sehen ja," – er zeigte auf die verhörenden Beamten – "daß ich hier meine eigenen Probleme habe."

Manchmal entwickeln normale Menschen, um physisch und psychisch zu überleben, eine gewisse Unempfindlichkeit für die Gefühle und Leiden bestimmter Personengruppen. Zum Beispiel könnten Ärzte, die zu sehr mit ihren Patienten mitfühlen, von ihren eigenen Emotionen überwältigt und so in der Ausübung ihrer beruflichen Aufgaben beeinträchtigt werden. Für sie ist mangelnde Sensibilität klar abgegrenzt, beschränkt auf eine bestimmte Zielgruppe. In ähnlicher Weise können Soldaten, Bandenmitglieder und Terroristen – sehr effektiv, wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat – gedrillt werden, den Feind als Untermenschen, als ein seelenloses Objekt zu sehen.

Psychopathen hingegen zeigen einen allgemeinen Mangel an Mitgefühl. Sie sind gleichgültig gegenüber den Rechten und Leiden von Verwandten und Fremden gleichermaßen. Wenn sie Bindungen zu ihren Ehepartnern oder Kindern pflegen, dann nur, weil sie sie als Besitztümer ansehen, ähnlich wie eine Stereoanlage oder ein Auto. Tatsächlich drängt sich der Schluß auf, daß für manche Psychopathen die Innereien ihres Autos wichtiger sind als die inneren Welten ihrer "Lieben". Eine unserer Probandinnen ließ es zu, daß ihr Freund ihre fünfjährige Tochter sexuell belästigte, weil "er mich geschafft hat. Ich wollte an dem Abend nicht noch mehr Sex." Die Frau hatte Schwierigkeiten zu verstehen, warum die Behörden ihr die Obhut für das Kind entzogen. "Sie gehört mir. Ihr Wohlergehen geht nur mich etwas an." Sie widersprach allerdings nur matt – ihr Protest war wesentlich energischer, als ihr Auto während einer Vormundschaftsanhörung wegen unbezahlter Strafzettel beschlagnahmt worden war.
Wegen ihrer Unfähigkeit, die Gefühle ihrer Mitmenschen zu verstehen, legen Psychopathen manchmal Verhaltensweisen an den Tag, die normale Menschen nicht nur erschreckend, sondern auch rätselhaft finden. So können sie zum Beispiel ihre Opfer mit ungefähr so viel Anteilnahme foltern und verstümmeln, wie unsereins fühlt, wenn wir eine Weihnachtsgans tranchieren.

Allerdings verüben nur wenige Psychopathen – außer vielleicht in Filmen und Büchern – solche Verbrechen. Ihre Gefühlskälte offenbart sich typischerweise auf weniger auffällige, aber nicht minder verheerende Art: Schmarotzend bringen sie andere Menschen um ihre Besitztümer, Ersparnisse und Würde; aggressiv tun und nehmen sie, was ihnen gefällt; in schamloser Weise vernachlässigen sie das leibliche und seelische Wohlergehen ihrer Familien; gehen eine endlose Folge von zufälligen, unpersönlichen und belanglosen sexuellen Beziehungen ein, und so weiter.

Connie ist fünfzehn, in der Schwebe zwischen Kindlichkeit und Weiblichkeit, manchmal vom einen zum anderen pendelnd an einem einzigen Tag. Sie ist eine Jungfrau, aber eingestimmt auf ihre aufkeimende Sexualität, als würde sie aufmerksam einer Melodie in ihrem Kopf lauschen. Eines heißen und schwülen Tages, alleingelassen von ihrer Familie, erscheint ein Fremder an der Tür – ein Fremder, der sagt, er hätte sie beobachtet.

"Ich bin dein Geliebter, Schatz", sagt er ihr. "Noch weißt du nicht, was das bedeutet ... aber bald wirst du es wissen. Ich weiß alles über dich ... Ich sage dir, wie es sein wird, ich bin zuerst immer ganz lieb, beim ersten Mal. Ich werde dich so fest halten, daß du weißt, du brauchst nicht versuchen zu fliehen oder mir etwas vorzuspielen, weil es vergeblich wäre. Und ich werde in dich hineinkommen, wo es ganz geheim ist und du wirst dich hingeben und mich lieben –" ... "Ich rufe die Polizei –" ...Zwischen den Zähnen stieß er einen kurzen Fluch aus, der nicht für ihre Ohren gedacht war. Aber selbst dieses "Mein Gott!" klang gezwungen. Dann begann er wieder zu lächeln. Sie sah sein Lächeln kommen, unbeholfen, als würde er durch eine Maske lächeln. Sein ganzes Gesicht ist eine Maske, dachte sie aufgeregt, es ist braungebrannt bis zur Kehle. "Also, Schätzchen: Entweder du kommst jetzt raus und wir machen eine schöne Spritztour zusammen. Oder, wenn du nicht rauskommst, werden wir warten, bis deine Leute wieder zuhause sind, und dann werde ich es ihnen allen besorgen ... Mein süßes, blauäugiges, kleines Mädchen", sagte er mit einem halb gesungenen Seufzer, der nichts mit ihren braunen Augen zu tun hatte ... [Joyce Carol Oates, Where Are You Going, Where Have You Been?]

Hinterlistig und manipulativ

Psychopathen sind Naturtalente im Lügen, Täuschen und Manipulieren.

Mit ihrer regen Einbildungskraft und konzentriert auf sich selbst können Psychopathen durch die Möglichkeit – oder gar Gewißheit –, ertappt zu werden, kaum aus der Fassung gebracht werden. Bei einer Lüge ertappt oder mit der Wahrheit konfrontiert, reagieren sie nur selten ratlos oder verlegen – sie ändern einfach ihre Geschichte oder versuchen die Umstände neu zu erfinden, so daß sie zu der Lüge passen. Die Ergebnisse sind eine Reihe widersprüchlicher Aussagen und ein gründlich verwirrter Zuhörer. Ein großer Teil dieser Lügen scheint keine andere Motivation zu haben als den vom Psychologen Paul Ekman so bezeichneten "Spaß am Verkohlen" ("duping delight").

"Ich bin ein sehr sensibler Mensch. Man muß diese Kinder doch einfach lieben!", hat Genene Jones gesagt, der Ermordung zweier Säuglinge überführt und in mehr als einem Dutzend weiterer Fälle verdächtigt. Sie war Krankenschwester in San Antonio und verabreichte lebensbedrohliche Drogen an Neugeborene auf einer lntensivstation, um sich daraufhin selbst als Heldin darzustellen, die die Kinder "von der Schwelle des Todes" wieder ins Leben zurückholte. Ihre "hypnotische Präsenz", extrem kompetente und resolute Ausstrahlung in Verbindung mit einer abscheulichen, medizinisch plausiblen Vertuschungstaktik ermöglichten ihre Verbrechen, trotz zahlreicher Verdachtsmomente über ihre Rolle bei vielen Todesfällen und beinahe tödlichen Notfällen unter Säuglingen. In Gesprächen mit dem Schriftsteller Peter Elkind beklagte sich Jones, daß "ich als Sündenbock herhalten mußte, weil ich so ruppig war. ›Mein Mundwerk hat mir das eingebrockt‹, sagte Genene mit einem Grinsen, ›und mit meinem Mundwerk werde ich da wieder rauskommen.‹" Wie alle Psychopathen hatte sie ein erstaunliches Talent, die Wahrheit für ihre eigenen Zwecke zu manipulieren. "Am Ende unseres Gesprächs", schrieb Elkind, "hatte Genene eine Lebensgeschichte erzählt, die sich sehr unterschied von allem, was ich von Dutzenden anderen Personen, die sie kannten, gehört hatte. Sie kollidierte mit den Tatsachen nicht nur aufgrund ihrer Schuld ... sondern auch in unzähligen Details, klein und unwichtig, außer vielleicht dadurch, daß sie in Genenes Selbstbild zu Tage traten. Genene widersprach sich nicht nur in ihren Erinnerungen an andere und in den umfangreichen Akten, sondern sie widersprach auch Tatsachen, die sie mir selbst vier Jahre zuvor berichtet hatte ... Für sie waren die Grenzen zwischen Wahrheit und Dichtung, Gut und Böse und richtig und falsch ohne Bedeutung." [Peter Elkind, The Death Shift]

Psychopathen scheinen stolz zu sein auf ihre Fähigkeit, zu lügen. Befragt, ob sie leicht lügen könne, lachte eine Frau mit einer hohen Punktzahl auf der Psychopathie-Checkliste und antwortete: "Im Lügen bin ich die Beste. Darin bin ich wirklich gut – ich glaube, weil ich manchmal etwas Negatives über mich selbst eingestehe. Dann denkt man, na, wenn sie das zugibt, dann muß der Rest ja auch stimmen." Sie fuhr fort, daß sie manchmal "die Suppe würzt" mit einem Körnchen Wahrheit. "Wenn man dir einen Teil der Geschichte abnimmt, dann glaubt man dir auch den Rest."

Bei vielen Beobachtern stellt sich der Eindruck ein, daß Psychopathen manchmal unbewußt lügen; es ist, als ob die Worte ein Eigenleben haben, unabhängig davon, daß der Sprecher weiß, daß der Zuhörer die Tatsachen kennt. Die Indifferenz des Psychopathen, als Lügner ertappt zu werden, ist wirklich außergewöhnlich; sie läßt manchmal den Zuhörer am Geisteszustand des Sprechers zweifeln. Häufiger jedoch wird der Zuhörer eingewickelt.

Bei den Seminaren, die wir für psychisches und kriminologisches Personal abhalten, wird häufig Erstaunen geäußert angesichts des Vorstrafenregisters eines unserer Probanden, nachdem eine Videoaufzeichnung eines Interviews mit ihm vorgeführt worden ist. Das Subjekt ist ein gutaussehender, redegewandter 24jähriger Mann mit zahllosen Plänen für sein Leben nach der Entlassung und einem anscheinend unerschöpflichen Vorrat schlummernder Talente. In einem stakkatoartigen Redeschwall hat er durchaus glaubhaft von seinen früheren Aktivitäten berichtet. Er

  •       verließ das Elternhaus mit acht;
  •       wurde Sportpilot mit elf, machte seinen Pilotenschein mit fünfzehn;
  •       war als Pilot in der Wirtschaft angestellt, mit Zweimotoren- und Instrumentenflugerfahrung;
  •       hat in neun verschiedenen Ländern auf vier Kontinenten gelebt;
  •       hat ein Mietshaus verwaltet;
  •       hat seine eigene Dachdeckerei betrieben;
  •       hat für ein Jahr eine Ranch betrieben;
  •       hat für sechs Monate als Waldbrand-Bekämpfer gearbeitet;
  •       hat zwei Jahre bei der Küstenwache verbracht;
  •       war der Kapitän eines 48-Fuß-Charterboots;
  •       war für vier Monate Tiefseetaucher.

Zur Zeit sitzt er eine Haftstrafe wegen Mordes ab. Vier Anträge auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung wurden bereits abgelehnt, aber trotzdem hat er jede Menge Pläne: Er will ins Immobiliengeschäft einsteigen und Timesharing-Apartments verkaufen, die Berufspilotenlizenz machen und vieles mehr. Er will bei seinen Eltern leben, die er seit 17 Jahren nicht mehr gesehen hat. Über psychologische Tests, die er absolviert hatte, sagte er: "Für die Dinger bin ich zu clever, habe alle Tests haushoch bestanden, wurde immer als hochintelligent eingestuft."

Aus naheliegenden Gründen bekam er von uns den Spitznamen "Sprechmaschine" ("motor-mouth") verpaßt. Seine Philosophie? "Wenn du genug Scheiße schmeißt, bleibt immer was kleben." Es scheint zu funktionieren, da auch skeptische Zuhörer von seiner Aufrichtigkeit beeindruckt waren. So machte zum Beispiel ein Interviewer Notizen wie: "sehr beeindruckend"; "aufrichtig und geradeheraus"; "besitzt gute interpersonelle Fähigkeiten"; "intelligent und eloquent". Nachdem der Interviewer seine Akte gelesen hatte, mußte er allerdings feststellen, daß praktisch nichts von den Erzählungen des Häftlings der Wahrheit entsprach. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß dieser Mann eine sehr hohe Punktzahl auf der Psychopathie-Checkliste erreicht hatte.

Bedenkt man ihre Redegewandtheit und die Leichtigkeit, mit der ihnen Lügen von den Lippen gehen, ist es nicht überraschend, daß Psychopathen mit großem Erfolg ihre Mitmenschen beschummeln, belügen, betrügen, hereinlegen und manipulieren, ohne deswegen auch nur die geringsten Gewissensbisse zu haben. Häufig bezeichnen sie sich selbst geradeheraus als Schwindler oder Trickbetrüger. Ihre Äußerungen verraten ihre Überzeugung, die Welt würde aus "Gebern und Nehmern" bestehen, aus Jägern und Opfern, und daß es dumm wäre, die Schwächen anderer nicht auszunutzen. Außerdem haben sie häufig eine feine Nase für solche Schwächen und wie sie sie am besten zu ihrem Vorteil ausnutzen können. "Ich mag es, Leute hereinzulegen. Jetzt lege ich sie gerade herein", hat einer unserer Probanden gesagt, ein 45jähriger Mann, der seine erste Haftstrafe wegen Anlagebetrugs absaß.

Einige ihrer Manöver sind aufwendig und ausgeklügelt, andere dagegen ziemlich simpel: parallel mit mehreren Frauen anzubändeln, oder Verwandte und Freunde davon zu überzeugen, daß Geld gebraucht würde, "um mir aus der Klemme zu helfen". Selbst der mieseste Trick wird gelassen, selbstbewußt und dreist in die Tat umgesetzt.

"Ach ja, die Siebziger", erinnerte sich ein engagierter Sozialarbeiter, als wir ihn für dieses Buch befragten. "Ich habe ein Rehabilitationszentrum für Ex-Häftlinge betrieben und war ziemlich beschäftigt damit, diese Jungs zu beraten, Jobs für sie zu finden und das Geld zusammenzukratzen, um das Ganze am laufen zu halten. Einer von ihnen benahm sich wie mein bester Freund, ich mochte ihn wirklich gern; manchmal war er richtig lieb. Und dann hat er plötzlich den ganzen Laden ausgeräumt. Nicht nur einmal, nein, zweimal hat er das gesamte Inventar versetzt: Schreibmaschinen, Möbel, Lebensmittel, Büroausstattung, einfach alles. Nach dem ersten Mal gelang es ihm irgendwie, mich davon zu überzeugen, daß es ihm Leid täte – ich kann es nicht fassen, daß ich auf seine Reueschwüre hereingefallen bin, aber so war es. Ungefähr einen Monat später fälschte er einen Scheck und räumte unser Bankkonto ab – und das war das Ende von diesem Projekt. Ich stand mit einem Packen geplatzter Schecks in der Bank und redete wie ein Wasserfall. Mir kommt immer noch die Galle hoch, weil ich eigentlich kein Trottel bin. Ich war es gewohnt, mit ziemlich derben Jungs umzugehen und dachte, ich hätte sie im Griff. Ich hatte mir nicht träumen lassen, daß ich mich so vorführen lassen würde – aber da stand ich plötzlich und war selbst auf der Suche nach einem Job."

Die Fähigkeit, Freund und Feind gleichermaßen zu betrügen, macht es Psychopathen leicht, Betrug, Unterschlagung und Hochstapelei zu begehen, gefälschte Aktien und wertlosen Grundbesitz zu verscherbeln und alle nur denkbaren großen oder kleinen Schwindeleien anzustellen. Einer unserer Probanden erzählte uns folgende Geschichte: Er schlenderte eines Tages durch einen Yachthafen, als ihm ein junges Paar auffiel, das sich für ein großes Segelboot interessierte, an dem ein Schild "Zu Verkaufen" hing. Er ging hinüber zu dem Pärchen, stellte sich wie selbstverständlich als der Eigner des Bootes vor – "völliger Quatsch", erzählte er uns – und lud sie ein, an Bord zu gehen und sich umzusehen. Nach einer angenehmen Stunde auf dem Boot machte das Paar ein Kaufangebot. Nachdem man sich handelseinig geworden war, verabredete er, sich am nächsten Tag mit dem Pärchen vor der Bank zu treffen und bat um eine Anzahlung von 1500 Dollar, um das Geschäft perfekt zu machen. Nachdem man sich freundlich voneinander verabschiedet hatte, ließ er sich ihren Scheck auszahlen und sah sie danach nie wieder.

"Das Geld liegt auf der Straße", sagte uns eine Psychopathin mit einem langen Register von Betrugsdelikten und Kleindiebstählen. "Man sagt, das stimmt nicht – oh doch, es stimmt sehr wohl. Ich will den Leuten nichts Böses tun – aber es ist ja so einfach!"

In ganz ähnlicher Weise lernen Psychopathen im Gefängnis oft, die Vollzugseinrichtungen zu ihrem Vorteil zu nutzen und sich so ein vorteilhaftes Image für den Bewährungsausschuß aufzubauen. Sie bilden sich fort, studieren, nehmen an Drogen- und Alkohol-Therapien teil, engagieren sich religiös oder quasireligiös und folgen stets dem letzten Trend zur Rehabilitation – nicht etwa, um sich zu "rehabilitieren", sondern um einen guten Eindruck zu machen. So ist es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, daß ein besonders geschickter Manipulator sich als "wiedergeboren" im christlichen Sinne ausgibt – nicht nur, um den Bewährungsausschuß von seinem angeblich aufrichtigen Vorsatz zu überzeugen, sich zu bessern, sondern auch, um die wohlmeinende und gut ausgestattete Gemeinde der "Wiedergeborenen" für seine Unterstützung einzuspannen ... und natürlich von ihren materiellen Ressourcen zu profitieren. Und da heutzutage die Theorien vom "Zyklus des Mißbrauchs" ("cycle of abuse") allgemein anerkannt sind, bemühen sich viele Psychopathen eifrig, ihre Fehler auf Mißbrauch im Kindesalter zu schieben. Wenn auch ihre Behauptungen schwer nachprüfbar sein mögen, sind doch stets zahlreiche wohlmeinende Menschen zur Stelle, die ihnen glauben.

Problem: Wie bringe ich eine Person dazu, das zu tun, was ich von ihr will? Steigerung: Wie gelingt mir das, wenn das, was ich von ihr will, ihren ureigensten Neigungen und allem, was sie für falsch, gefährlich und undenkbar zu halten gelernt hat, widerspricht – zum Beispiel, zu einem fremden Mann ins Auto zu steigen, besonders dann, wenn diese Person eine junge, hübsche Frau in der Öffentlichkeit ist?

Ted Bundy, der vielleicht bekannteste Serienmörder, den die Vereinigten Staaten hervorgebracht haben – 1989 wurde er für den letzten einer langen Reihe von brutalen Morden an jungen Frauen hingerichtet –, muß sich mit diesem Problem lange und intensiv und aus jedem Blickwinkel beschäftigt haben. Er muß seine ganze Beobachtungsgabe eingesetzt haben, die beträchtlich war – er hatte sie durch sein Psychologiestudium schärfen können. Er muß die Tiefen seiner Kenntnisse und Erfahrungen über menschliche Probleme und Verletzlichkeiten ausgelotet haben – er hatte sie während seiner Zeit als Mitarbeiter einer Krisen-Hotline sammeln können. Wir können nicht sicher sein, was in Ted Bundy vorging, als er begann, seine Opfer in sein Auto zu locken, um mit ihnen an den Ort ihrer Ermordung zu fahren. Aber anhand der Lösungen, die er sich einfallen ließ, können wir davon ausgehen, daß die vorstehenden Vermutungen richtig sind – Variationen eines Motivs, daß er angeblich immer wieder durchspielte, um es zu perfektionieren.

Ted Bundy kaufte sich ein Paar Krücken und ging sogar so weit, einen Gipsverband am Bein vorzutäuschen. Solchermaßen zeitweilig "behindert", bat er sympathische junge Frauen um Hilfe – die wohl die Straßenseite gewechselt hätten, um einem Annäherungsversuch eines Fremden zu entgehen, aber anscheinend gerne anhielten, um einem Mann mit gebrochenem Bein zu helfen. Bundy variierte das Thema – manchmal trug er den Arm in einer Schlinge und fand sein Opfer an einer belebten Straße; manchmal war das Bein "verletzt" und er machte sich in Freizeitparks an junge Frauen heran und bat um Hilfe dabei, seinen Bootsanhänger am Auto zu befestigen –"es ist gleich da hinten". Der Trick war ein grausiger Geniestreich. Manchmal klappte er nicht und die Frauen, die er ansprach, lehnten es ab, ihm zu folgen – aber er hatte nur allzu oft Erfolg, wie Ann Rule in ihrem Buch The Stranger Beside Me berichtet.

Ann Rules Buch ist eine Studie über Bundys systematisch perfektionierte Fähigkeit, sich durch seine attraktive Erscheinung und seinen glatten Charme das Vertrauen von Frauen zu erschmeicheln. Durch einen unglaublichen Zufall haben Rule und Bundy für mehrere Jahre bei einer Krisen-Hotline zusammengearbeitet, bevor sie berufen wurde, im Rahmen polizeilicher Ermittlungen über einen bis dahin noch nicht identifizierten Serienmörder junger Frauen Fallberichte zu schreiben. In dem Maße, wie die Anzahl der Opfer stieg, wuchs ihr Verdacht. Aber um zu Tage zu treten, mußte sich dieser Verdacht einen Weg bahnen durch ihre Erinnerungen an Bundy als sympathischen und – das macht ihr Buch klar – sexuell attraktiven Arbeitskollegen, während der Nachtschicht am Schreibtisch gegenüber. Der Umstand, daß Ann Rule ihre Arbeit als Polizeischreiberin aufgab und Krimi-Autorin mit Bestseller-Auflagen wurde, machte aus diesem merkwürdigen Zufall eine Gelegenheit für sie, Bundys Macht über andere aus der Perspektive eines lnsiders darzustellen. Das Ergebnis? Ein seltsames und beklemmendes Buch über einen Psychopathen, der auf die Frage eines Fernsehreporters, ob er, Bundy, es verdient hätte, zu sterben, geantwortet hat: "Gute Frage – ich glaube, die Gesellschaft verdient es, vor mir und meinesgleichen geschützt zu werden."

Flaches Gefühlsleben

"Ich bin der kaltblütigste Hurensohn, dem du jemals begegnen wirst." So beschrieb sich Ted Bundy nach seiner endgültigen Verhaftung gegenüber der Polizei.
Psychopathen scheinen unter einer Art Gefühlsarmut zu leiden, die die Breite und Tiefe ihrer Emotionen beschränkt. Während sie manchmal kalt und gefühllos wirken, neigen sie andererseits zu dramatischen, flachen und kurzlebigen Gefühlsausbrüchen. Sorgfältige Beobachter gewinnen den Eindruck, daß sie Theater spielen und daß sich unter der Oberfläche nur wenig abspielt.

Manchmal behaupten sie, starke Gefühle zu erleben, können aber die feinen Unterschiede verschiedener Gemütszustände nicht beschreiben. So setzen sie zum Beispiel Liebe mit sexueller Erregung gleich, Traurigkeit mit Frustration und Zorn mit Gereiztheit. "Ich glaube an Gefühle: Haß, Zorn, Lust und Gier", sagte Richard Ramirez, der "Night Stalker."

Bemerkungen wie die folgende von Diane Downs, die auf ihre drei kleinen Kinder geschossen hat, geben Anlaß zu Betrachtungen über ihre völlige Unangemessenheit und die Art der ihnen zugrundeliegenden Gefühle. Noch Jahre nach ihrer Verurteilung besteht Diane Downs darauf, daß ihre Kinder – und sie selbst – in Wirklichkeit von einem "zotteligen Unbekannten" angeschossen worden wären. Zu ihrem eigenen Überleben (sie trug eine Armverletzung davon, die sie sich nach Überzeugung der Geschworenen selbst beigebracht hatte) sagte sie:

Alle sagen, "Du hast aber wirklich Glück gehabt." Nun, das finde ich nicht. Ich konnte mir zwei Monate lang noch nicht einmal die verdammten Schuhe zubinden! Es tut weh, es tut immer noch weh, ich habe eine Stahlplatte in meinem Arm – sie wird noch anderthalb Jahre drin bleiben. Die Narbe wird immer bleiben. Ich werde mich für den Rest meines Lebens an diese Nacht erinnern, ob ich es will oder nicht. Ich kann nicht finden, daß ich Glück gehabt habe. Ich meine, daß meine Kinder Glück hatten. Wenn ich genauso verletzt worden wäre wie sie, wären wir alle gestorben.

Das offenkundige Fehlen normaler Affekte und emotionaler Tiefe brachte die Psychologen J. H. Johns und H. C. Quay zu der Einschätzung, ein Psychopath "kennt den Text, aber nicht die Melodie." So hat zum Beispiel Jack Abbott in einem schwadronierenden Buch von Haß, Gewalt und Rechtfertigungen für sein Verhalten die folgende aufschlußreiche Bemerkung gemacht:

Es gibt Gefühle – ein ganzes Spektrum von ihnen –, die ich nur durch Beschreibungen kenne, durch Lektüre und meine unreife Phantasie. Ich kann mir vorstellen, diese Gefühle zu haben (und weiß daher, was sie sind), aber ich habe sie nicht. Mit 37 Jahren bin ich lediglich ein blasiertes Kind. Meine Leidenschaften sind die eines Knaben.

Viele Praktiker sind der Auffassung, daß die Gefühle von Psychopathen so flach sind, daß sie kaum mehr als Proto-Emotionen seien: primitive Reaktionen auf unmittelbare Bedürfnisse. (Ich werde die jüngsten Forschungsergebnisse zu diesem Thema in späteren Kapiteln erörtern.) Zum Beispiel hatte einer unserer psychopathischen Probanden, ein 28jähriger Geldeintreiber für einen Kredithai, folgendes über seinen Job zu sagen: "Wenn ich jemandem auf die Pelle rücken muß, der nicht zahlt, mache ich mich erst mal wütend." Befragt, ob diese Wut sich unterscheide von seinem Gefühl, wenn ihn jemand beleidigen würde oder übervorteilen wolle, antwortete er: "Nein. Das ist alles dasselbe. Es ist programmiert, alles künstlich. Ich könnte jetzt sofort böse werden, ich kann es ganz einfach ein- und ausschalten."

Ein anderer Psychopath hat im Rahmen unserer Forschungsarbeit gesagt, daß er nicht wirklich verstehen würde, was mit dem Ausdruck "Angst" gemeint sei. "Wenn ich eine Bank ausraube", sagte er, "merke ich, daß der Mensch an der Kasse zittert oder nicht mehr sprechen kann. Eine Kassiererin hat über das ganze Geld gekotzt. Sie muß ziemlich fertig gewesen sein, aber ich weiß nicht, wieso. Wenn mir jemand eine Kanone vor die Nase halten würde, hätte ich wohl auch Angst, glaube ich, aber ich würde nicht kotzen." Als er gebeten wurde, seine Gefühle in einer solchen Situation zu beschreiben, enthielt seine Antwort keine Aussage über körperliche Empfindungen. Er sagte Dinge wie, "ich würde das Geld herausgeben"; "ich würde überlegen, wie ich dem Räuber zuvorkommen könnte"; "ich würde versuchen, meinen Arsch zu retten". Als er gefragt wurde, wie er sich fühlen würde, nicht, was er denken oder tun würde, schien er ratlos zu sein. Gefragt, ob er jemals Herzklopfen hätte oder Bauchschmerzen, antwortete er: "Natürlich! Ich bin doch kein Roboter. Ich komme ziemlich in Fahrt beim Sex oder bei einer Prügelei."

Laborexperimente mit einem medizinischen Meßwertschreiber haben gezeigt, daß Psychopathen die physiologischen Reaktionen, die normalerweise mit Angst einhergehen, nicht zeigen. Die Bedeutung dieser Erkenntnis liegt darin, daß für die meisten Menschen die Angst, die durch Androhung von Schmerzen oder Strafe verursacht wird, ein unangenehmes Gefühl und ein starkes Verhaltensmotiv ist. Angst hält uns von manchen Handlungen ab – "Mach das und es wird dir leid tun" –, aber sie läßt uns andere Handlungen ausführen – "Mach das oder es wird dir leid tun." In jedem Falle ist es das emotionale Bewußtsein der Folgen, das uns zu einer bestimmten Handlungsweise treibt. Das gilt aber nicht für Psychopathen – sie machen unbekümmert weiter. Vielleicht wissen sie, was passieren könnte, aber es kümmert sie nicht ernsthaft.

"Trotz seines gesellschaftlichen Ranges ist er wahrlich einer der gefährlichsten Soziopathen, die mir jemals begegnet sind", sagte der Bundesrichter, nachdem er den angesehenen 37jährigen Rechtsanwalt Norman Russell Sjonborg aus San Jose wegen der brutalen Ermordung einer seiner Mandantinnen, von der er Geld unterschlagen hatte, verurteilt hatte. Seine dritte Frau Terry, die ihm zunächst ein Alibi verschafft hatte, sagte über ihr erstes Treffen mit ihm: "Er wirkte wie ein netter Kerl, sanft und außerordentlich charmant." Aber sie merkte auch an: "Vom ersten Moment an sprach Russell von dieser Gefühlsleere, einer Unfähigkeit, zu fühlen wie andere Menschen; zu wissen, wann er weinen oder sich freuen sollte." Terry fuhr fort, daß "sein Gefühlsleben wie Zahlenmalerei war" und daß "er psychologische Selbsthilfe-Bücher las, um die passenden emotionalen Reaktionen in Alltagssituationen zu lernen."

Als ihre Ehe zu zerbrechen begann, versuchte Russell, seine Frau davon zu überzeugen, daß sie dabei sei, verrückt zu werden. "Ich ging völlig hysterisch in die Therapiesitzungen", erzählte sie, "während Russell ruhig und freundlich und rational dasaß. Er wandte sich dem Therapeuten zu und sagte, ›Sehen sie, womit ich es zu tun habe?‹ Ich fing an zu schreien und zu kreischen und sagte, ›Er ist der Verrückte von uns, nicht ich!‹ Aber der Therapeut hat Russell seine Show abgenommen und meinte, wir könnten als Paar keine Fortschritte machen, wenn ich meinem Mann für alles die Schuld geben würde."

Später entwickelte Russell mehrere Szenarien, mit den Problemen seiner Frau umzugehen, und notierte sie auf einem Zettel: "Nichts tun"; "Vaterschaftstest/ Familiengericht"; "Die Mädchen nehmen, niemanden umbringen"; "Die Mädchen nehmen, 4 umbringen"; "Die Mädchen und Justin umbringen." Sein Bewährungshelfer sagte dazu, die Liste würde "die Psyche eines Mannes offenbaren, der die Ermordung seiner eigenen Kinder mit der gleichen Distanz erwägt wie den Abschluß verschiedener Kfz-Haftpflichtversicherungen. Es ist die Wäscheliste eines Mannes ohne Seele."

Über Russells Mord an Phyllis Wilde sagte seine Frau: "Ich habe ihn nur einige Stunden, nachdem er sie zu Tode geprügelt hatte, getroffen. Es gab nichts in seinem Verhalten, das ihn hätte verraten können ... keine Angst, keine Reue, nichts."

In einer Eingabe an den Richter flehte Terry: "Bitte erkennen sie das Tier in ihm, hinter seiner respektablen Fassade." Sie brachte ihre Befürchtung zum Ausdruck, daß er sie schließlich finden würde. "Ich weiß, daß das passieren wird. Er wird ein vorbildlicher Häftling sein, sich bei den anderen Insassen und den Aufsehern einschmeicheln. Schließlich wird er in eine Anstalt mit gelockertem Vollzug verlegt werden. Und dann wird er fliehen." [Aus einem Artikel von Rider McDowell in der Zeitschrift Image vom 26. Januar 1992]

Für die meisten von uns bringen Angst und Sorgen diverse unangenehme körperliche Empfindungen mit sich, wie zum Beispiel schweißnasse Hände, ein klopfendes Herz, einen trockenen Mund, Anspannung der Muskeln oder ein Schwächegefühl, Zittern und ein "mulmiges" Gefühl in der Magengrube. In der Tat, oft genug beschreiben wir Angst durch die körperlichen Empfindungen, die sie begleiten: "Ich war so entsetzt, daß mir das Herz bis zum Hals schlug"; "Ich wollte etwas sagen, aber mein Mund war wie ausgetrocknet" und so weiter.

Diese körperlichen Empfindungen sind kein Bestandteil dessen, was Psychopathen als Angst erleben. Für sie ist Angst – wie die meisten anderen Gefühle – bruchstückhaft, flach und überwiegend kognitiv geprägt – es fehlt der physiologische Aufruhr oder die "Färbung", die die meisten von uns als ausgesprochen unangenehm empfinden und daher zu vermeiden oder reduzieren versuchen.

Psychopathen im Geschäftsleben

Die Schwächen des Einbrechers sind die Stärken des Finanziers. George Bernard Shaw, im Vorwort zu Major Barbara

Im Juli 1987 erhielt ich als Reaktion auf einen in der New York Times erschienenen Artikel, der meine Arbeit über Psychopathie zusammenfassend beschrieb, einen Leserbrief des New Yorker Staatsanwalts Brian Rosner. Er schrieb, daß er kürzlich im Gerichtsverfahren eines Mannes ausgesagt hätte, der internationaler betrügerischer Bankgeschäfte mit einem Schaden von mehreren Millionen Dollar überführt worden war:

Ihre in dem Artikel zitierte Schilderung hat diesen Angeklagten exakt beschrieben ... Im Betrugsdezernat sind, um ihre Worte aufzugreifen, Winkeladvokaten, betrügerische Ärzte und Geschäftsleute unser täglich Brot. Ich meine, daß Ihre Arbeit uns dabei helfen kann, den Gerichten verständlich zu machen, warum gebildete Männer in dreiteiligen Anzügen Straftaten begehen und wie sie bestraft werden müssen. Zu ihrer Information habe ich einige Unterlagen aus diesem Fall beigefügt. Falls sie jemals Tatsachen benötigt haben, um eine Theorie zu erhärten – hier sind sie.

Dem Brief lag ein Paket mit Unterlagen bei, in dem die Missetaten des 36jährigen John Grambling jr. beschrieben waren, der mit Hilfe eines Spießgesellen nicht nur eine oder zwei, sondern viele Banken auf betrügerische Art dazu gebracht hatte, bedenkenlos und vertrauensvoll Millionenbeträge auszuzahlen, obwohl die beiden keinerlei Sicherheiten zu bieten hatten. Ein Artikel über Gramblings betrügerische Karriere erschien im Wall Street Journal unter der Überschrift: "Es erfordert Phantasie, sich ohne Sicherheiten Millionen zu leihen, aber John Grambling weiß, wie man Banken einwickelt und Vermögenswerte vortäuscht." Der Artikel begann folgendermaßen:

Vor einigen Jahren versuchten zwei aufstrebende Geschäftsleute, 36,5 Millionen Dollar von vier Banken und einer Sparkasse zu stehlen. Ohne jemandem eine Knarre vor die Nase zu halten, sackten sie tatsächlich 23,5 Millionen ein. Kein schlechtes Ergebnis, aber sie wurden erwischt.

Die Masche basierte fast gänzlich auf ihrem Auftreten. Grambling und seinem Kumpan gelang es, eine lange Reihe von Entscheidungsträgern in zahlreichen Kreditinstituten davon zu überzeugen, daß sie vertrauenswürdig seien. Tatsächlich konstruierten die beiden eine beeindruckende Bonität, indem sie in einem Schneeballsystem jeweils einen Kredit mit einem anderen zurückzahlten. Auf der Suche nach einer Erklärung für solche Betrügereien begegnete der Autor des Journal folgenden Reaktionen von Bankern:

    •       "Banken stehen untereinander in starker Konkurrenz für die Vergabe gewinnträchtiger Kredite."
    •       Gramblings "geschliffene Umgangsformen" machten ihn glaubwürdig
    •       Ein zielstrebiger Betrüger "wird Erfolg haben".
    •       Grambling "sollte gezwungen werden, eine Alarmglocke um den Hals zu tragen

Die gerichtlichen Verhandlungsprotokolle und andere der mir zugesandten Unterlagen belegen, daß Grambling seinen Lebensunterhalt bestreitet, indem er Charme, Täuschung und Manipulation einsetzt, um das Vertrauen seiner Opfer zu gewinnen. Wenn er auch in der Lage sein mag, plausible Erklärungen für sein Verhalten zu liefern, so lassen doch die erwähnten Unterlagen und ein kürzlich von Brian Rosner geschriebenes Buch keinen Zweifel daran, daß das dokumentierte Verhalten von John Grambling dem Konzept von Psychopathie entspricht, das in diesem Buch dargestellt wird. Diese Geschichte ist zumindest ein anschauliches moralisches Lehrstück über eine Art von Räubern, deren charmantes Auftreten und unterentwickeltes Gewissen ihnen den Weg ebnen, um Institutionen und Menschen zu schröpfen – was gemeinhin verharmlosend als Wirtschaftskriminalität bezeichnet wird. Sie haben ein charmantes Lächeln und ein vertrauenerweckendes Auftreten, aber niemals – und dafür garantiere ich – tragen sie eine Alarmglocke um den Hals.

Für Psychopathen mit einer unternehmerischen Ader ist der Fall von Grambling – und andere, ähnlich gelagerte Fälle – ein Beispiel dafür, wie man Bildung und Beziehungen einsetzen kann, um Menschen und Institutionen ohne den Einsatz von Gewalt um ihr Geld zu bringen. Im Unterschied zu "normalen" Wirtschaftsverbrechern haben die Täuschung und Manipulation dieser Täter nicht nur das Ziel, Geld zu machen, sondern sie prägen ihre Beziehungen zu allem und jedem, einschließlich Familie, Freunden und Justiz. Häufig schaffen sie es, Gefängnisstrafen zu entgehen, und selbst wenn sie erwischt und verurteilt werden, erhalten sie meist eine milde Strafe und frühzeitige Bewährung – nur um da weiterzumachen, wo sie unterbrochen worden sind.
Trotzdem haben ihre Verbrechen verheerende Folgen für die Gesellschaft. Man bedenke die folgenden, von Staatsanwalt Brian Rosner während des Gerichtsverfahrens gemachten Ausführungen:

  •       Die Straftaten von Grambling sind kalkulierte Verbrechen der Habgier, getrieben von der Lust, Macht über die Leben und Besitztümer anderer Menschen auszuüben. Diese Lust kann man oft bei den bösartigsten Kriminellen beobachten ... Die Taten eines unberechenbar bösen Mannes. [S. 87]
  •       Er hat dieses Land mit zerstörten Karrieren und Hoffnungen übersät. Der finanzielle Schaden läßt sich beziffern; das menschliche Leid und der psychologische Schaden nicht. [S. 86]
  •       Wenn auch seine Mittel vornehm sind, so sind doch seine Motive so grausam wie die eines Straßenschlägers. [S. 83]
    Zusätzlich zum Betrug an Geldinstituten fälschte Grambling auf dem Briefpapier einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft finanzielle Dokumente, mit deren Hilfe er sich Kredite erschlich. Gleichzeitig verführte er den Seniorpartner, einen philanthropischen Unternehmensberater, und einen seiner Kollegen, ihm bei der Einrichtung eines betrügerischen Wohltätigkeitsvereins für alte Menschen zu helfen. Über diese beiden Männer sagte Rosner: "Grambling ist schlichtweg der aalglatteste Betrüger, dem sie jemals begegnet waren."

Ein Charmeur schöpft seine Möglichkeiten stets voll aus und wird sich immer so schändlich benehmen, wie die Welt es ihm gestattet. – Logan Pearsall Smith, Afterthoughts, S. 3.

Seine Verbrechen beschränkten sich nicht auf anonyme Geldinstitute. So fälschte er zum Beispiel die Einkommensteuererklärung seiner Schwägerin und brachte sie dazu, eine Hypothek über 4,5 Millionen Dollar aufzunehmen. Er behielt das Geld und ließ sie für den Kredit haften. Nach seiner Verhaftung sagte sie, man könne sich nicht vorstellen, "wie erleichtert ich war, als ich wußte, daß er hinter Gittern sitzt ... Die kleinen Leute, die er geschädigt hat ... Mein Gott, jetzt kann er niemandem mehr schaden."

Sein Schwiegervater schrieb, daß Grambling für die Fehler, die er gemacht hatte, Reue gezeigt und sich über seine Therapie, seine "hundertprozentige Rehabilitation" und seine Pläne, alles wiedergutzumachen, ausgelassen hätte, "während er bereits dabei war, die nächste Bank zu betrügen." Nachdem er schriftlich Wohlverhalten versprochen hatte, wurde er auf Bewährung freigelassen und beging umgehend weitere Betrügereien in einer "flächendeckenden Verbrechenswelle". Seine Reueschwüre wurden durch sein Verhalten zunichte gemacht.

Und was hatte Grambling zu all dem zu sagen? Eine ganze Menge, wie sich herausstellen sollte. Einige seiner Äußerungen sind entlarvend und daher wert, hier wiedergegeben zu werden als Beispiel einer für Psychopathen typischen Eigenheit: das bedenkenlose Umformen der Realität selbst in dem Wissen, daß die Tatsachen bekannt sind. Die folgenden Zitate sind einem Brief, den er an das Gericht geschrieben hat, um ein mildes Urteil zu erwirken, sowie den Verhandlungsprotokollen entnommen.

  • Durch meine Ausbildung im Finanzwesen bin ich zu einem Finanzarchitekten geworden. Ich bin ein Baumeister. Ich bin kein professioneller Betrüger oder Hochstapler.
  • An keiner meiner Arbeitsstellen vor 1983 bin ich jemals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, weder im Finanzwesen noch auf einem anderen Gebiet.
  • Ich bin ein sehr sensibler Mensch.

Grambling wußte genau, daß seine Aussagen mit den Erkenntnissen des Gerichts nicht in Einklang zu bringen waren. Er war ein Hochstapler, er war vor 1983 mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und allen Zeugenaussagen zufolge war er kein "sensibler Mensch" im landläufigen Sinne. Seine früheren Tricks und Konflikte mit dem Gesetz sind ausführlich dokumentiert. Als Student hatte er in den frühen Siebzigern mehrere Tausend Dollar seiner Burschenschaft unterschlagen. Um einen Skandal zu vermeiden, nahm die Burschenschaft einen Scheck von Gramblings Vater an und verfolgte die Angelegenheit nicht weiter.

An seiner ersten Arbeitsstelle in einer großen Anlagebank beurteilte ihn sein Arbeitgeber als einen "professionellen Dilettanten" und "legte ihm nahe", das Unternehmen zu verlassen. In einem späteren Finanzjob gab er nach außen einen falschen Rang vor und betrog die Firma. Grambling wurde es gestattet, zu gehen; dann machte er sich als Urkundenfälscher und Dieb "selbstständig".

Zum Thema Gefühle sagte Rosner über Gramblings Frau:

Sie hatte Angst um ihre Söhne. Grambling war immer ein schlechter Vater gewesen, gefühllos und nie da. Er hatte seine Söhne über seine Verbrechen angelogen, so wie er jeden anlog, der ihn fragte. Und er hatte seine Frau angelogen, unzählige Male. [S. 362]

Und:

Sie wußte nie, woran sie mit ihrem Mann war: "Es war, als ob ich mit einem Pfadfinder zu Bett gegangen und mit Jack the Ripper wieder aufgewacht bin." Er täuschte sie genauso wie jeden anderen. Sie hat gesagt, sie wünschte sich, einfach nur vergewaltigt worden zu sein, dann wäre es wenigstens vorbei ... Ein Freund, der sich für mitfühlend hielt, sagte zu ihr, er könne nicht verstehen, daß Gramblings Strafe so hoch ausgefallen war, obwohl er doch "nur ein Wirtschaftsdelikt" begangen hatte. Sie hätte den Freund erwürgen können. Immerhin mußte sie jeden Tag mit dem "Wirtschaftsdelikt" leben. [S. 390]

Und Rosner und seine Kollegen kamen anhand eines ausführlichen Berichts über Gramblings familiäre Beziehungen zu dem Schluß, daß sie noch nie "eine umfassendere Analyse über das Wesen eines Wirtschaftsverbrechers gesehen hätten: der ständige Trieb, sich zu bereichern; das Ausnutzen von Menschen zu diesem Zweck; die Preisgabe aller emotionalen und menschlichen Bindungen, abgesehen von Selbstliebe." [S. 361]

Gramblings Fähigkeit, sein Verhalten zu rationalisieren, ist typisch für die Einstellung von Psychopathen gegenüber ihren Opfern. Neben seinem Bedürfnis, von "jedermann gemocht zu werden", seinem beschönigenden Selbstbild eines "Finanzarchitekten" und seiner "Angst, sein Gesicht zu verlieren", hielt er seine Verbrechen für logische Reaktionen auf Frustrationen und Druck, oder eher für die "Schuld des Opfers als seine eigene." Aus Gramblings Sicht "hat jeder, der dumm genug ist, ihm zu vertrauen oder zu glauben, die Konsequenzen verdient", sagt Rosner.

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