Auszüge aus Ashley Montagu's
"Körperkontakt"

Die Bedeutung der Haut für die Entwicklung des Menschen

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Vorwort

Dieses Buch beschäftigt sich mit der Haut als taktilem Organ, das nicht nur körperlich, sondern auch durch Erleben und Reaktion auf das Wachstum und die Entwicklung des gesamten Wesens einwirkt. Es geht mir hier vor allem um den Menschen, und es steht für mich im Mittelpunkt des Interesses, was er als Kind an taktilen Erlebnissen erfährt oder was ihm daran mangelt. Als ich 1944 zum erstenmal über diese Zusammenhänge nachdachte, stand mir sehr wenig an experimentell Erhärtetem zur Verfügung. Heute liegen beträchtliche Forschungsergebnisse vor, Untersuchungen jeder Art, und meine Vorlesung über "The Sensory of the Skin" (in: Texas Reports on Biology and Medicine, Bd. 2, 1953, S. 291-301) ist nicht mehr, wie es damals war, ein vereinzeltes Unterfangen. Das vorliegende Buch stützt sich auf viele Informationsquellen, und ich habe die Hinweise darauf in einem speziellen Abschnitt mit Seiten- und Zeilenangabe zusammengefaßt. Diese Methode erschien mir günstiger als die Anwendung numerierter Fußnoten, die den Text unterbrechen. Wenn es sich allerdings nicht um einfahe Quellenangaben, sondern um weitere Ausführungen, Hinweise und Kommentare handelt, sind sie als Fußnoten unter die Seiten gesetzt, die sich mit ihnen befassen.

Die Haut als Organ, als ausgedehntestes Organ des Körpers, wurde bis vor kurzem sehr stiefmütterlich behandelt. Aber ich untersuche hier nicht das Organ Haut, sondern ich bemühe mich im Gegensatz um eine psychosomatische oder zentrifugale Interpretation, um etwas, das man eine somatopsychische oder zentripetale Betrachtungsweise nennen könnte. Ich interessiere mich, kurz gesagt, dafür, wie taktiles Erleben oder Mangel an taktilem Erleben das Verhalten und die Entwicklung beeinflussen, und komme in diesem Zusammenhang zu dem Begriff "die Seele der Haut".

Die Seele der Haut

Die wesentlichste Sinnesempfindung unseres Körpers ist die Berührung. Sie ist wahrscheinlich die wichtigste Wahrnehmung im Prozeß des Schlafens und Wachens; sie vermittelt uns das Wissen von Tiefe, Struktur und Form; wir fühlen, wir lieben und hassen, sind empfindlich und empfinden durch die Tastkörperchen unserer Haut. (J. Lionel Taylor, The Stages of Human Life, 1921, S. 157)

Die Haut umhüllt uns vollkommen, ist das früheste und sensitivste unserer Organe, unser erstes Medium des Austauschs und unser wirksamster Schutz. Wahrscheinlich ist sie neben dem Gehirn das wichtigste unserer organischen Systeme. Der am unmittelbarsten mit der Haut verbundene Sinn, der Tastsinn, der Ursprung aller Empfindungen wird vom menschlichen Embryo vor allen anderen Sinnen entwickelt. Wenn der Embryo vom Schädel bis zum Gesäß weniger als 2,5 Zentimeter lang und erst acht Wochen alt ist, löst ein leichtes Streicheln der Oberlippe oder Nasenflügel ein ebenso leichtes Zurückweichen des Halses und des Körpers von der Stimulationsquelle aus. Der Embryo hat in diesem Entwicklungsstadium weder Augen noch Ohren. Seine Haut ist hochentwickelt, wenn auch nicht in dem Maß und der Weise, in der sie sich später entwickeln soll. Die noch ungeborene Leibesfrucht führt im Fruchtwasser, geschützt von den weichen Wänden des mütterlichen Uterus, "in der Wiege der Tiefe geschaukelt", das Leben eines Unterwasserwesens. Unter diesen Umständen muß die Haut noch die Widerstandsfähigkeit gegen allzugroße Flüssigkeitsabsorption, gegen die aufweichende, eindringende Wirkung des Fruchtwassers besitzen und außerdem entsprechend auf physikalische, chemische, neurale Änderungen und Temperaturwandlungen reagieren.

Die Haut entsteht aus der äußersten der drei embryonalen Zellschichten, dem Ektoderm. Aus dem Ektoderm wiederum bilden sich die Haare, die Augen, die Sinnesorgane des Geruchs, des Geschmacks, des Sehens, Hörens und der Empfindung – alles also, was die Verbindung mit den außerorganischen Vorgängen herstellt. Das Nervensystem mit seiner wesentlichen Aufgabe, den Organismus über äußere Geschehnisse zu informieren, ist die wichtigste aus dem Ektoderm gebildete Schicht.

Das Wachstum und die Entwicklung der Haut gehen weiter, so lange das Leben dauert, und die Entwicklung ihrer Empfindungsfähigkeit hängt weitgehend davon ab, welche Art von Umgebungseinflüssen auf sie ausgeübt werden. Interessanterweise ist das Relativgewicht der Haut des menschlichen Neugeborenen, genau wie beim Küken oder Meerschweinchen 19,7 Prozent des Gesamtkörpergewichts, beim Erwachsenen noch immer 17,8 Prozent – ein deutlicher Hinweis auf ein Faktum, das augenfällig genug sein sollte: die gleichbleibende Wichtigkeit der Haut im Leben des Organismus.

Es wurde bei anderen Lebewesen festgestellt, daß "die Sensitivität der Haut während des vorgeburtlichen Stadiums sich offensichtlich früher und differenzierter als jede andere entwickelt".

Es ist ein allgemeines Gesetz der embryonalen Entwicklung, daß eine Funktion um so wichtiger ist, je früher sie auftritt. Tatsächlich sind die funktionellen Fähigkeiten der Haut von großer Bedeutung.

Die Hautoberfläche hat eine enorme Zahl von sensorischen Wahrnehmungsorganen, die Empfänger von verschiedenen Reizen – der Hitze, der Kälte, der Berührung, des Schmerzes – sind. Man nimmt an, daß auf 100 Quadratmillimeter etwa 50 solcher Wahrnehmungsorgane kommen. Die Häufigkeit der Tastkörperchen variiert zwischen 7 bis 135 pro Quadratzentimeter. Die Zahl der Sinnesfasern von der Haut zum Rückenmark ist weit über eine halbe Million.

Bei der Geburt muß die Haut viele neue Anpassungen an eine wesentlich kompliziertere Umgebung als die vorgeburtliche vollziehen. Die Atmosphäre bringt jetzt nicht nur Luftbewegungen, sondern Gase, Partikel, Parasiten, Viren, Bakterien, Änderungen des Drucks, der Temperatur, der Feuchtigkeit, des Lichts, der Strahlung und vieles andere an sie heran. Die Haut ist fähig, auf all diese Reize äußerst differenziert zu reagieren. Sie ist das bei weitem größte organische System des Körpers, erstreckt sich beim Neugeborenen über 2500 und beim durchschnittlichen Erwachsenen über 18.000 Quadratzentimeter. Das stellt 16 bis 18 Prozent des Gesamtkörpergewichtes dar. Außerdem hat die Haut vier physiologische Funktionen:

1.       das Innere des Organismus vor mechanischen Verletzungen und Strahlenschäden und vor dem Eindringen fremder Substanzen und Organismen zu schützen;

2.       als Sinnesorgan;

3.       als Temperaturregulator;

4.       als Träger des Stoffwechsels, Fettdepot und Stoffwechselorgan beim Wasser- und Salzmetabolismus der Perspiration zu dienen.

Man könnte annehmen, daß ihre bemerkenswerte Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit, ihre Resistenz gegen Umgebungsänderungen und ihr erstaunliches thermostatisches und taktiles Vermögen, ebenso wie ihre einmalige Tauglichkeit als Barriere gegen mehr oder weniger heftige Angriffe von außen, eindrucksvoll genug wären, um das Interesse der Forschung zu wecken.

Das war aber merkwürdigerweise bis vor kurzem nicht der Fall. Was wir von den Funktionen der Haut wissen, haben wir erst in den vierziger Jahren erfahren. Aber obwohl wir nun eine sehr viel größere Kenntnis der Struktur und physikalischen Funktion der Haut besitzen, ist noch vieles zu untersuchen. Allerdings leidet die Haut heute gewiß nicht mehr an einem Mangel an Interesse, was sie und ihre Funktionen betrifft.

Es ist überraschend, daß die Poesie, die ein so vielfältiges Repositorium menschlichen Fühlens ist, und von der man eine verfeinerte Einsicht in die Funktion der menschlichen Haut erwarten könnte, dergleichen enttäuschend vermissen läßt. Es wurden Gedichte zur Verherrlichung jedes menschlichen Körperteils geschrieben, die Haut aber so vollkommen vergessen, als existiere sie nicht. In der Prosa ist es anders: hier wird die Haut erwähnt. Vielleicht ist ihre bemerkenswerteste Beschreibung die quälende Schilderung Gullivers über das, was die Liliputaner von seiner Haut mit ihren Verfärbungen, Pickeln und anderen Entstellungen dachten.

Daß die Bedeutung des menschlichen Berührungserlebnisses nicht ganz verdrängt wurde, zeigen die vielen Ausdrücke und Wendungen der Umgangssprache, die auf die Hautfunktion weisen. Wir sprechen davon, daß wir Menschen "gegen den Strich gehen", sie "vor den Kopf stoßen", sie "richtig anfassen". Wir sagen, ein bestimmter Mensch habe eine "glückliche" oder "unglückliche Hand", von einem anderen, er habe "the human touch", besitze also die Kunst, allem was er anfasse, etwas Menschliches zu verleihen. Wir kommen in "Berührung" oder "Kontakt" mit anderen. Manche Leute müssen vorsichtig "angefaßt" werden (mit "Samthandschuhen"). Es gibt "dickfellige" Menschen, andere haben eine "dünne Haut".

Gelegentlich geht einem ein Nebenmensch "auf die Nerven" (was etwa dem englischen "to get under ones skin" entspricht). Bestimmte Leute "machen nur einen oberflächlichen Eindruck" auf einen, und Dinge sind entweder "mit Händen zu greifen", "fühlbar" das, was sie sind oder nicht. Es gibt Menschen, die "empfindlich", das heißt: übersensitiv oder leicht reizbar sind. Wie sich etwas "anfühlt" bedeutet uns in mehr als einer Weise etwas; und was wir für einen anderen "empfinden" gleicht in vieler Hinsicht den Empfindungserlebnissen, die uns die Haut vermittelt. Ein tief gefühltes Geschehnis ist "rührend" oder "berührt" uns. Wir sprechen davon, daß bestimmte Leute "taktvoll", andere "taktlos" sind. Sie besitzen also das zarte Empfinden dafür, was sich im Umgang mit ihren Nebenmenschen schickt oder im Augenblick richtig ist. Es ist merkwürdig, daß die Haut, die mehr als alle anderen Organe auf das Bewußtsein des Menschen einwirkt, wenig mehr als die oberflächlichste Aufmerksamkeit erfuhr.

Wir oder die meisten Menschen betrachten unsere Haut als etwas Selbstverständliches, nicht weiter zu Beachtendes, wenn sie nicht gerade brennt, sich schält, einen Ausschlag entwickelt oder irritierend schwitzt. Wenn wir überhaupt an sie denken, ist es im allgemeinen mit dem vagen Empfinden, daß sie unser Inneres erstaunlich gut und säuberlich umschließt: daß sie wasser- und staubdicht ist und wunderbarerweise, bis wir altern, immer exakt sitzt. Wenn wir älter werden, beginnen wir Hauteigenschaften – ihre Festigkeit, Elastizität und strukturelle Beschaffenheit – zu bemerken, die unserer Aufmerksamkeit völlig entgingen, bis wir sie zu verlieren begannen. Im immer längeren Verlauf der Jahre neigen wir dazu, das Altern unserer Haut als einen nur zu offenkundigen Beweis dessen, daß wir älter werden, und eine unangenehme Mahnung an das Vergehen der Zeit zu betrachten. Sie sitzt nicht mehr wie früher, wird locker und schlaff, runzelig, trocken, ledern, fahl, rissig, verliert also in irgendeiner Weise an Schönheit.
Aber das alles hat nur mit der oberflächlichen Betrachtung der Haut zu tun. Wenn wir die Untersuchungsergebnisse einer großen Zahl von Forschern, die Entdeckungen von Physiologen, Anatomen, Psychiatern, Psychologen und anderen Wissenschaftlern betrachten, unsere eigenen Beobachtungen und eigenes Wissen hinzufügen, dann beginnen wir zu verstehen, daß die Haut sehr viel mehr als eine Hülle ist, die das Skelett und die inneren Organe zusammenhält, daß sie nicht nur Bedeckung, sondern selbst ein kompliziertes und faszinierendes Organ ist. Sie ist nicht nur das größte unseres Körpers, ihre vielfältigen Bestandteile sind auch im Gehirn in großem Ausmaß vertreten. Im Bereich der Hirnrinde (Cortex) erhält z.B. Gyrus (= Hirnwindung) postcentralis die Tastreize von der Haut; sie werden gelenkt über die (sensiblen) Spinalganglien, dann zur hinteren Wurzel von Rückenmark und Medulla oblongata, von hier aus zu den venteroposterioren Kernen des Thalamus und schließlich zum Gyrus postcentralis. Die Tastreize verinittelnden Nervenfasern sind im allgemeinen von größerem Querschnitt als die der übrigen Sinne. Die sensomotorischen Areale der Hirnrinde sind beiderseits der Zentralfurche gelegen. Der präzentrale Gyrus (vordere Zentralwindung) ist in vollem Maß sensibel, hingegen der postzentrale (hintere Zentralwindung) ausschließlich motorisch. Horizentrale Bahnen quer durch die Mittelfissur verbinden beide Gyri.

Es ist ein allgemeines neurologisches Gesetz, daß die Größe einer bestimmten Gehirnregion der Vielfalt der Funktionen entspricht, die ihr zufallen (übrigens auch die Fähigkeit eines Muskels oder einer Muskelgruppe). Die Größe eines Organs spielt eine sehr viel geringere Rolle. Das Verhältnis der taktilen Gebiete innerhalb des Gehirns zu anderen weisen deshalb deutlich auf die Wichtigkeit der taktilen Funktionen innerhalb der menschlichen Entwicklung hin. Die Zeichnungen 1 und 2, graphische Darstellungen sensorische und motorische Homunkuli, zeigen, wie sich die entsprechenden taktilen Funktionen auf einer Hemisphäre der Großhirnrinde abzeichnen. Es ist zum Beispiel daraus zu entnehmen, wie stark die Hand, vor allem der Zeigefinger, der Daumen und andererseits auch das Gebiet der Lippen vertreten sind.
Man sollte sich vergegenwärtigen, daß das sensorische Hautsystem das wichtigste aller organischen Systeme ist. Ein Mensch kann leben, wenn er blind und taub ist, weder hören noch schmecken kann, aber ohne die Funktionen der Haut ist er nicht lebensfähig. Die ganze Existenz von Helen Keller, die als Kind erblindete und ertaubte, und deren Denken buchstäblich durch Hautstimulation geschaffen wurde, zeigt uns, wie weitgehend die Haut das Ausfallen anderer Sinnesfähigkeiten kompensieren kann. Das Schmerzempfinden, das die Haut dem Gehirn übermittelt, stellt ein sehr wichtiges, Aufmerksamkeit erregendes Warnsystem dar. Der als kutane Analgie bekannte Zustand, ein Zustand, in dem ein Mensch kein kutanes Schmerzempfinden hat, ist eine schwere Krankheit. Ein Patient mit kutaner Analgie kann schwere Verbrennungen erleiden, ehe er eine Gefährdung bemerkt. Er lebt in akuter Gefahr.

Die ständige Stimulation durch Umwelteinflüsse erhält sowohl den sensorischen als auch den motorischen Tonus. Das Gehirn muß sensorische Rückwirkungen von der Haut aufnehmen, um den empfangenen Informationen entsprechende Anpassungen zu vollziehen. Wenn ein Bein "einschläft", oder empfindungslos wird, macht der sensible Ausfall es sehr schwierig, das Bein zu bewegen, weil die von der Haut, den Muskeln und Gelenken ausgehenden Impulse die postzentrale Gehirnwindung nicht mit adäquater Kraft erreichen. Das Feedback (die Rückwirkung von der Haut zum Gehirn) ist stetig, selbst im Schlaf.

Als Student und später als Lehrer der Anatomie fiel mir immer wieder der Umfang der in Lehrbüchern gewöhnlich grün gedruckten Seiten auf, die die taktilen Gehirnbereiche des Menschen behandeln. Niemand schien dem Umstand Wichtigkeit beizumessen. Erst als ich in den vierziger Jahren Daten zu sammeln begann, die in Verbindung mit dem menschlichen Verhalten standen, fiel mir auf, welch vielfältiges Beweismaterial eine Reihe verschiedener wissenschaftlicher Arbeiten für die Bedeutung der Haut erbrachten. Sie betrafen keineswegs nur die Entwicklung physikalischer Funktionen, sondern auch solche des Verhaltens. Ich hielt im April des Jahres 1952 an der University of Texas Medical School in Galveston eine Vorlesung über das Thema, die später in der Zeitschrift der Medical School veröffentlicht wurde. Die lebhafte Reaktion auf die Vorlesung und den Artikel ermutigte mich, die schon vorliegende Sammlung von Entdeckungen weiterzuführen und in diesem Buch zu veröffentlichen. Ich hoffe, damit etwas Licht auf einen Aspekt des menschlichen Verhaltens zu werfen, der bisher vernachlässigt wurde.

Um welchen Aspekt handelt es sich dabei? Einfach um die Wirkung taktilen Erlebens auf die Entwicklung des Menschen, vor allem um die Entwicklung seines Verhaltens.
Unsere Betrachtung der Haut geht in diesem Buch den umgekehrten Weg, nicht den, den die psychosomatische Medizin so überzeugend nachgewiesen hat: was seelisch und geistig im Menschen geschieht, zeigt sich in verschiedenster Weise an der Haut. Wir wissen das dank der psychosomatischen Betrachtung, und sie trägt auf diese Weise unschätzbar dazu bei, unser Wissen um den Einfluß der Seele auf den Körper zu mehren und zu klären, wie außerordentlich empfindlich die Haut auf nervöse Störungen reagiert, die von innen ausgehen. Wir wollen der Einfachheit wegen in der Diskussion die künstliche Trennung zwischen Leib und Seele beibehalten. Daß schmerzliche Gefühle und bedrückende Gedanken sich kutan in einem Furunkel, Nesselsucht und Schuppenflechte äußern können, daß viele Hautkrankheiten seelischen Ursprung haben, ist als Gedanke nicht mehr so neu, wie damals, als ich vor über vierzig Jahren W. J. O’Donovans bahnbrechendes kleines Buch Dermatogical Neuroses las. Seit 1927, dem Jahr, in dem das Buch veröffentlicht wurde, sind beachtliche Fortschritte auf diesem Kenntnisbereich zu verzeichnen. Vieles hat Maximilian Obermayer in seinem Buch Psychocutaneous Medicine in bewunderswerter Klarheit dargestellt. Man kann die psychosomatische Betrachtung der Haut als die zentrifugale Methode bezeichnen; sie bewegt sich vom Geist zur Hülle ("Integument"), vom Innern zum Äußeren. Wir wollen hier umgekehrt vorgehen, nämlich von der Haut in die Richtung des Geistes, der Seele, des Inneren. In anderen Worten – wir wählen die zentripetale Methode.

Die Frage, die uns in diesem Buch beschäftigt, ist: welchen Einfluß haben die verschiedenen Formen kutaner Erfahrung, die der Organismus vor allem in seiner frühen Lebensspanne macht, auf seine Entwicklung? Wir interessieren uns vor allem für Folgendes:

1.       Welche Hautstimulierungen sind nötig, um eine gesunde physische und funktionelle Entwicklung des Organismus zu sichern?

2.       Wie wirkt der Mangel oder die Unzulänglichkeit spezieller Stimulationen?

Einer der besten Wege herauszufinden, ob ein besonderes Erleben für eine Gattung und die ihr Zugehörigen notwendig oder wichtig ist, ist der zu entscheiden, wie weit es in der Klasse der untersuchten Lebewesen (in diesem Fall der Säugetiere) verbreitet ist. Das phylogenetisch Grundlegende ist meist physiologisch bedeutend, vielleicht auch für andere funktionelle Bereiche wesentlich.

Die wichtigste Frage, die wir zu beantworten suchen, ist die, ob der Mensch in seiner frühesten Entwicklungsphase bestimmte taktile Stimulierungen erfahren muß, um sich gesund zu entwickeln. Wenn es so ist, welcher Art sind dann diese notwendigen Erfahrungen? Um in dieser Hinsicht klarer zu sehen, orientieren wir uns am besten an Beobachtungen, die an anderen Lebewesen gemacht wurden.

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