Auszüge aus Hans-Werner Rückert's
"Schluß mit dem ewigen Aufschieben"

Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen

Wie können Sie es bloß schaffen, Ihre Vorsätze auch umzusetzen? Eine Frage, die auch Sie sich vielleicht schon gestellt haben, denn fast jeder kennt das Phänomen, ein Projekt oder einen Vorsatz auf die lange Bank zu schieben. Wenn Sie mehr über die tiefer liegenden Ursachen erfahren möchten und nach wirksamen Strategien gegen das Aufschieben suchen, finden Sie in diesem Ratgeber fundierte Informationen. Der Diplom-Psychologe Hans-Werner Rückert beantwortet Ihnen unter anderem folgende Fragen:

  •    Welche Formen und Gründe des Aufschiebens gibt es?
  •    Was für ein Aufschieber-Typ sind Sie?
  •    Welche Mechanismen setzen beim Aufschieben ein?
  •    Wie können Sie willentlich gegen Ihr AufschiebeProblem angehen?
  •    Durch welche Techniken können Sie dem Aufschieben entgegenwirken?
Mit Hilfe dieses Ratgebers kann es Ihnen gelingen, die Ursachen Ihres Aufschiebens zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern.

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Vorwort

Wir alle schieben gelegentlich Dinge auf, zu denen wir keine Lust haben oder vor denen wir uns fürchten. Über dieses alltägliche Herausschieben werden Sie sich nicht beunruhigen, es ist kein Problem für Sie. Aufschieben kann sogar Vorteile haben: Last-minute-Flieger reisen zu günstigeren Preisen, und wenn Sie sich jetzt nicht für den Kauf eines neuen Computers entscheiden können, dann profitieren Sie vom Preisverfall.

In diesem Buch geht es um die Art von Aufschieben, die kein Vergnügen ist und kaum einen Gewinn abwirft. Sie geht einher mit Angst und Scham, dem Gefühl, sich nicht kontrollieren zu können, und sie verursacht Leid. Die Betroffenen erleben sich als Aufschieber, die wichtige Projekte auf die lange Bank schieben und Entscheidungenvermeiden. Sie vertagen nicht nur bestimmte Vorhaben und Aufgaben, sondern haben generell das Gefühl, in wichtigen Bereichen ihres Lebens gelähmt zu sein.

Verantwortlich dafür sind innere Einstellungen, Überzeugungen und eingeschliffene Gewohnheiten, die in vielen Lebenssituationen dazu führen, daß Probleme nicht wirklich angepackt werden.

Wenn Sie zu diesen Menschen gehören, dann ist die Preisfrage: Werden Sie dieses Buch jetzt beiseite legen und seine Lektüre zusammen mit vielen anderen noch unerledigten Vorhaben vertagen? Werden Sie sich erst wieder an Neujahr vornehmen, den alten Schlendrian in den kommenden zwölf Monaten zu bekämpfen?

Die Gegenwart ist widerlich, aber dafür, wenn ich an die Zukunft denke, wird alles so gut! Es wird einem so leicht, so unbeengt ums Herz; und in der Ferne geht ein Licht auf, ich sehe Freiheit, ich sehe mich und meine Kinder sich befreien von Müßiggang, von Schnaps, von Gänsebraten mit Sauerkohl, vom Nachmittagsschläfchen und von dieser elenden Tagedieberei ...

So beschrieb am Ende des 19. Jahrhunderts Anton Tschechow in seinem Theaterstück Drei Schwestern das Lebensgefühl seiner unglücklichen Figuren, die als Aufschieber ihre Hoffnungen auf die Zukunft setzten, weil sie nicht mehr die Kraft hatten, in der Gegenwart etwas zu verändern.

Wenn Sie eine Veränderung zum Besseren nicht nur abwarten wollen, dann werden Sie von diesem Buch profitieren. Sie können es einfach nur lesen oder mit ihm arbeiten. Sie werden mehr Verständnis für Ihr Problem bekommen und Ihr Aufschieben leichter akzeptieren. In den meisten Fällen ist ernsthaftes Aufschieben folgendes: ein Versuch, sich vor Risiken zu sichern, indem man das, was gefährlich erscheint, vermeidet und stattdessen etwas anderes macht. Sie erfahren diesem Buch, wann und wie Sie in Ihrer Entwicklung das Aufschieben als Selbstschutz gelernt haben. Allerdings ist der Schutzmechanismus, der Ihnen damals als Kind helfen sollte, längst schon selbst zum Problem geworden. Da Sie anstehende Konflikte nicht ausfechten und wichtige Vorhaben nicht durchziehen, stagnieren Sie in Ihrer Entwicklung. Falls Ihnen dieser Preis zu hoch ist und Sie sich verändern wollen, dann finden Sie hier Unterstützung.

Wenn Sie mit diesem Buch arbeiten, können Sie neues Wissen und neue Fertigkeiten aufbauen. Mit deren Hilfe werden Sie wichtige Vorhaben schneller und erfolgreicher anpacken und vielleicht sogar das generelle Aufschieben überwinden. Sie werden dabei zwar zeitweise die etwas unangenehmen Gefühle ertragen müssen, die Sie jetzt noch mit dem Aufschieben abwehren, aber ich versichere Ihnen, daß es Sie weniger belasten wird, als Sie fürchten. Wenn Sie die vorgeschlagenen Übungen und Strategien anwenden, werden Sie Ihr Selbstvertrauen und Ihre Gelassenheit stärken. Für die Angst, daß die Überwindung des Aufschiebens zu anstrengend für Sie werden könnte (und als jemand, der aufschiebt, müssen Sie so denken!), werden Sie später nur ein müdes Lächeln übrig haben.

Sie brauchen mehr Geduld als bisher, wenn Sie nicht mehr aufschieben wollen. Ihre Geduld können Sie trainieren, indem Sie die Zitate aus dem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust, die Sie im Text finden werden, lesen. Proust schildert elegant die Phänomene des Aufschiebens. Seine Sprache ist zunächst etwas anstrengend, kann aber höchst genußvoll sein, und außerdem, wie gesagt, üben Sie sich in Geduld.

Auf den folgenden Seiten finden Sie eine Kurzdarstellung des Aufschiebeproblems und rezeptartig die Lösungsvorschläge, die sich am meisten bewährt haben. Sie wissen dann Bescheid und können wählen, ob Sie tiefer in die Sache einsteigen wollen. Von dieser Übersicht können Sie zwar Informationen erwarten, neue Einstellungen oder bessere Strategien zur Erledigung Ihrer Projekte bekommen Sie durch die Lektüre der Kurzübersicht aber noch nicht!

Ich habe im Laufe von 20 Jahren als Psychologe in der Beratungsstelle der Freien Universität Berlin Hunderte von Studierenden, die Probleme mit dem Aufschieben von Referaten, Prüfungen und Diplomarbeiten hatten, einzeln und in Gruppen beraten. Als Psychotherapeut in eigener Praxis habe ich Hausfrauen, Hochschullehrer, Ingenieure, Journalisten, Kaufleute, Künstler, Lehrer, Zahnärzte und viele Menschen mit anderen Berufen behandelt, die wichtige Dinge schon ewig vor sich her schoben: Eine Scheidung, eine berufliche Veränderung, eine neue Karriere, das Erledigen ihrer Pflichten, eine ersehnte Reise, ärztliche Untersuchungen und Operationen, das Verfassen eines Buches und so weiter. Oft litten sie schon lange unter den seelischen Problemen, wegen derer sie endlich Hilfe suchten – zu einem Psychotherapeuten zu gehen, läßt sich besonders gut herausschieben. Auch Anja, Beate und Helmut, die Sie durch dieses Buch begleiten, hatten intensive Probleme mit dem Aufschieben. Sie sind wirkliche Personen, aber so verändert, daß sie nicht erkannt werden können. Ich bin ihnen dankbar, daß sie mir erlaubt haben, an ihren Beispielen die Probleme zu veranschaulichen, die das Aufschieben auslösen, aufrechterhalten und aus ihm neu entstehen. Auch die Überwindung des Aufschiebens ist keine Fiktion, sondern hat sich so ereignet, wie beschrieben. Wenn Beate, Helmut und Anja sich verändern konnten, warum sollte es Ihnen nicht auch gelingen?

Auf die Dauer bringt das Aufschieben Sie mit einem seelischen Kolbenfresser zum Stillstand. Aber Sie können Ihren Motor reparieren und wieder in Schwung kommen. Sie brauchen dafür BAR:

Bewußtheit: Wissen über die Entwicklung zum Aufschieber, über die wichtigsten Konflikte hinter dem Aufschieben, über Einstellungen, die das Aufschieben begünstigen und solchen, die ihm entgegenarbeiten;

Aktionen: Handlungen wie beispielsweise die, sich überprüfbare Ziele zu setzen, vernünftige Schritte zu planen und durchzuführen, mit denen Vorhaben erledigt werden, den Umgang mit der Zeit zu verbessern, Techniken anzuwenden, um die eigene Impulsivität und Emotionalität zu kontrollieren und sich selbst zu belohnen;

Rechenschaft: Bilanzierung der eigenen Fortschritte und der erreichten Veränderungen durch das Führen eines Veränderungslogbuchs, in dem Sie Ideen, Impulse und kreative Einfälle während der Überwindung des Aufschiebens sammeln.

In vielen wissenschaftlichen Studien, die auf der Welt durchgeführt wurden, hat sich gezeigt, daß eine Kombination dieser Komponenten, also B+A+R, am effektivsten ist, um das Aufschieben abzustellen. Diese Strategien finden Sie auf den folgenden Seiten. Sie stellen zwar keine Wunderkur zur Überwindung des Aufschiebens dar, bilden aber ein bewährtes Arsenal von psychotherapeutischen Strategien, mit denen Sie auch in Selbsthilfe sehr gute Aussichten haben, sich vom Vermeider zum Macher zu entwickeln. Aber auch wenn Sie nur einige der Tipps aus diesem Buch regelmäßig anwenden, werden Sie Veränderungen zum Besseren und zu größerer Zufriedenheit erreichen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und auch ein wenig Spaß dabei.

Zwei Dinge noch: Der besseren Lesbarkeit wegen habe ich überall im Text die männliche Form verwendet, mit der Sie, liebe Leserin, stets mitgemeint sind. Und ich bedanke mich bei Regine, Peer und Neele für die Geduld, mit der sie es hingenommen haben, daß ich während der Arbeit an diesem Buch so oft meine Beteiligung am Familienleben aufgeschoben habe.

Was heißt Aufschieben?

Aufschieben bedeutet: Sie vermeiden es, sich einer Aufgabe, die erledigt werden muß, konsequent, zeitnah und relativ streßfrei zu widmen. Sie schieben die Angelegenheit vor sich her und erledigen statt dessen andere, weniger wichtige Dinge. Aufschieben geht einher mit Gedanken wie:

  •         Ich warte, bis ich in der richtigen Stimmung bin.
  •         Ich fange morgen an.
  •         Ich muß erst noch all die anderen Sachen erledigen.
  •         Es ist zu anstrengend.
  •         Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
  •         Meine gesundheitlichen Beschwerden werden schon von allein wieder weggehen.
  •         Der Denkende ist niemals der Handelnde.
  •         Ich habe doch noch jede Menge Zeit.
  •         Wieso habe ich auch so viele Aufgaben bekommen? Das ist nicht fair.
  •         Ich arbeite sowieso unter Druck besser, also mache ich es später.
  •         Ich hab einfach keine Lust.

Wie häufig ist Aufschieben?

Bei Umfragen in den USA geben 40 Prozent aller Befragten an, daß ihnen wegen ihres Aufschiebens schon einmal Nachteile entstanden sind, 25 Prozent leiden unter wiederkehrendem Aufschieben, dem sie hilflos gegenüberstehen. Bei Studierenden schätzt man, daß 70 Prozent aufschieben, unter denen ebenfalls 25 Prozent chronische harte Aufschieber sind.

Was weiß man über Menschen, die aufschieben?

Allgemein: Aufschieber kommen häufig zu spät, sind unvorbereitet, schlecht organisiert und haben schlechte Beziehungen zu Arbeitskollegen. Sie verbringen zu viel Zeit mit Projekten, die ohnehin scheitern. Sie behindern sich selbst, vermeiden es, sich Rechenschaft über ihren Arbeitsstil zu geben und versuchen stattdessen, ihr Image zu pflegen. Sie werten Kollegen, die auch Aufschieber sind, schroff ab.

Studierende: Sie schieben am häufigsten die Anfertigung schriftlicher Arbeiten und die Vorbereitung auf Prüfungen vor sich her. Ihr Aufschieben ruft Angst hervor und wirkt sich auf ihre Lebensqualität und auf ihre Noten negativ aus.

Warum schieben Menschen auf?

Allgemein: Aus einem Bedürfnis nach Selbstschutz und um Unlust zu vermeiden.

Spezifischer: Aus Ängsten, insbesondere vor Versagen, aber auch vor Erfolg; aus Trotz und Ärger; aus Perfektionismus; aus Scham, Abhängigkeit und Ohnmacht; aus Minderwertigkeitsgefühlen. Studierende schieben außerdem als Anpassung an das akademische Milieu auf, wo Pünktlichkeit und Sorgfalt häufig keinen hohen Stellenwert haben, sondern als Sekundärtugenden leicht spöttisch betrachtet werden, und weil erfolgreiche Aufgabenerledigung auf den letzten Drücker ein Hochgefühl erzeugt, das mit gut geplanter Arbeit nicht zu bekommen ist.

Welche Mechanismen kennzeichnen das Aufschieben?

Geringe Impulskontrolle und Unachtsamkeit; schlechtes Zeitmanagement; Unterschätzung der Notwendigkeit, in Übereinstimmung mit wichtigen eigenen Zielen und der eigenen Motivation zu sein.

Wie erklärt man das Aufschieben?

  •   Als erlernte schlechte Gewohnheit, die durch Belohnungen verstärkt worden ist, insbesondere durch kurzfristige Spannungserleichterung.
  •   Als Symptom einer tiefer liegenden konfliktbedingten, neurotischen Störung.
  •   Als stabiles Merkmal der Persönlichkeit oder von dauerhaften Persönlichkeitsstörungen.
  •   In diesem Buch: als mißlingender Versuch, sich vor noch Schlimmerem zu schützen.

Was können Sie gegen das Aufschieben tun?

  •   Machen Sie eine Liste von all dem, was Sie zu erledigen haben. Vergessen Sie dabei Ihre Vergnügungen und Ihre Freizeit nicht!
  •   Streichen Sie alle Dinge von der Liste, die Sie ohnehin nie ernsthaft machen wollten.
  •   Legen Sie Ihre eigenen Ziele, Werte und Prioritäten fest. Setzen Sie sich realistische Ziele. Schreiben Sie das alles auf!
  •   Identifizieren Sie Ihre zugrunde liegenden Konflikte wie zum Beispiel Angst, Ärger, Perfektionismus sowie Ihre irrationalen Einstellungen wie die, daß Ihre Aufgaben zu hart seien, daß ein Scheitern eine Katastrophe wäre und so weiter.
  •   Bekämpfen Sie Ihre irrationalen Einstellungen, denken Sie vernünftiger und legen Sie sich realitätsgerechtere Auffassungen zu.
  •   Prüfen Sie, ob Sie trotz Ihrer gegenwärtigen Konflikte und Einstellungen eine Chance haben, Ihre Vorhaben erfolgreich zu bewältigen.
  •   Prüfen Sie, ob Ihre aufgeschobenen Vorhaben genügend mit Ihren Zielen und Werten übereinstimmen. Wenn nicht: Konzentrieren Sie sich nur auf die Ziele, die für Sie bedeutungsvoll sind und geben Sie die anderen auf.
  •   Planen Sie, wie Sie Ihre Ziele in kleinen Schritten und Etappen erreichen können.
  •   Schätzen Sie den Zeitaufwand, bis Sie Ihr Projekt erledigt haben werden, und verdoppeln Sie dann die veranschlagte Zeit.
  •   Legen Sie Belohnungen für Erfolg fest und belohnen Sie sich für jeden Schritt.
  •   Beobachten Sie sich genau und halten Sie alle Schritte und Veränderungen in einem Veränderungslogbuch fest.

Wenn Sie trotz Leidens unter dem Aufschieben keinen dieser Vorschläge umsetzen oder aber feststellen, daß Sie dadurch Ihr Problem nicht genügend bewältigen können, brauchen Sie professionelle Hilfe. Sie können einen Kurs in Zeitmanagementstrategien mitmachen oder ein Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel autogenes Training erlernen. Schließlich steht Ihnen auch noch die Möglichkeit einer Psychotherapie offen. Dabei können Sie entweder am Verhalten ansetzen (Verhaltenstherapie), an Ihren mentalen Strukturen (kognitive Therapie) oder an den emotionalen Konflikten (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Psychoanalyse).

Morgen ist auch noch ein Tag!

Die Sonne flimmert heiß über der südlichen Sierra Madre. Señor Gonzales schaukelt im Schatten seiner Veranda in der Hängematte. Er denkt daran, daß er nach Mexico City fahren müßte, um seine Ernte zu verkaufen, die Sache mit dem Bankkredit zu regeln und Einkäufe zu machen, aber die Hauptstadt ist so weit weg und es ist so heiß. Außerdem steht nicht fest, ob die Züge fahren werden oder nicht, bei den ewigen Streiks. Señor Gonzales seufzt melancholisch. Heute wird er jedenfalls nicht fahren, es ist ohnehin schon zu spät, vielleicht Morgen, mañana, oder irgendwann. Er schiebt seine Reisepläne auf, macht es sich gemütlich und denkt daran, daß es bald Zeit ist für ein Gläschen Tequila. Vielleicht spielt es für ihn keine Rolle, wann er nach Mexico City kommt. Doch auch wenn ihm das wichtig wäre: Er kennt sich und weiß, daß es nichts bringt, sich anzutreiben. Er fügt sich ins Unvermeidliche.

Szenenwechsel: Gerade schiebt Beate, Marketingleiterin in einem Verlag, entnervt ihren Notebook-Computer zur Seite. Ihr fällt nichts ein, aber auch gar nichts. Seit Wochen bemüht sie sich schon, ein Konzept für eine neue Werbekampagne zu schreiben. Sie hofft, bei der Marketingkonferenz in zwei Wochen damit Furore zu machen. Aber es klappt einfach nicht. Heute wird es wohl auch nichts werden, sagt sich Beate, und beschließt, lieber mit der Grafikerin über die Gestaltung der neuen Verlagsprospekte zu sprechen. Das ist eine einfachere Sache. Morgen ist ja auch noch ein Tag! Doch Beate fühlt eine unangenehme Spannung. Abends ist sie regelrecht wütend auf sich. Sie hätte früher anfangen sollen, wirft sie sich vor, überhaupt müsste sie viel mehr Ideen haben. Ob es morgen besser laufen wird?

Auch Beate hat das Aufschieben gewählt. Wer aufschiebt, folgt dem Mañana-Prinzip, in unseren Breiten allerdings zumeist ohne die Gelassenheit des Mexikaners.

Verschiedene Formen des Aufschiebens

Aufschieben kann positiv wirksam werden, wenn Sie aus Erfahrung wissen, daß der inspirierte Moment für Sie eher abends als morgens kommt. Der Schriftsteller Franz Kafka hatte ein Pappschild über seinem Schreibtisch, auf dem stand: ABWARTEN! Abwarten, bis sich ein kreativer Impuls einstellt oder – wie es früher poetisch hieß – die Muse Sie küßt. Problematisch wird es dann, wenn Sie der Muse Ihre kußbereiten Lippen seit Wochen, Monaten oder Jahren entgegenstrecken.

Allgegenwärtiges, harmloses Aufschieben

Wir alle schieben etwas auf: unsere Schränke, Schubläden und Schreibtische aufzuräumen, unsere Dachböden oder Festplatten zu entrümpeln, die Gartenarbeit oder das Schuheputzen. Aufgeschoben werden Dinge, die Angst und Unlust auslösen. Aufgeschobene Dinge erledigen wir auf den letzten Drücker: Das Auto beim TÜV anzumelden oder die Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Milde Formen des Aufschiebens sind unschädlich, sie machen sogar Spaß, wie wir gelernt haben. "Komm essen!", riefen unsere Eltern. "Gleich!", haben wir als Kinder geantwortet, um unser Spiel erst noch zu beenden. Für viele hat sich damit eine aufregende Spannung verknüpft: Gelingt es, den eigenen Willen durchzusetzen, oder gibt es ein Donnerwetter? Wie oft haben wir den Beginn der Hausaufgaben hinausgezögert und erst noch einen Comic durchgeblättert. Ohne es zu ahnen, haben wir uns mit diesen angenehmen Aktivitäten für das Aufschieben belohnt, und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, das nächste Mal wieder ein wenig zu trödeln. Apropos Trödeln: Wie konnte man damit morgens Mama oder Papa auf die Palme bringen! Okay, wenn der Bus uns vor der Nase wegfuhr, war das schon blöd. Aber dann hat Mama uns eben mit dem Auto gebracht, was eine schöne Abwechslung vom ewigen Bus fahren war. Wieder hat sich gezeigt: Aufschieben bringt was!

Tatsächlich kann es gelegentlich sogar ratsam sein, nicht alles sofort zu erledigen. Abwarten und Tee trinken kann Geld sparen helfen und Vorteile bringen: Wenn Sie sich den Computer, den Sie morgen kaufen werden (oder vielleicht übermorgen), gestern schon gekauft hätten, dann hätten Sie für weniger Leistung mehr Geld ausgegeben. Ähnlich kann es Ihnen mit Kleidung ergehen oder mit dem Möbelkauf: Ihre Unentschlossenheit, welches Teil Sie nehmen sollen, kann durch herabgesetzte Preise im Schlußverkauf belohnt werden. Oder aber die Sachen werden ohnehin unmodisch und Sie sind froh, daß Sie nichts gekauft haben.

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