Auszüge aus Bernt Engelmann's
"Die Aufsteiger"

Wie Herrschaftshäuser und Finanzimperien enstanden

Vorsicht! Ein gefährliches Buch, das manche Illusion zerstören wird, etwa das Kindermärchen, daß man/frau allein mit Fleiß, Anstand, Sparsamkeit und etwas Glück zu gigantischem Reichtum kommen und damit eine für alle Zeiten gesicherte Dynastie begründen könne. Hier geht es auch nicht um Lottokönige, um kometenhafte, aber kurzfristige Aufstiege am Erdöl- oder U-Musik-Markt, schon gar nicht um den gewöhnlichen Reichtum heutiger Katzenfutter- oder Supermarkt-Multimillionäre, deren Vermögen ja nur, stapelte man es in druckfrischen Tausendern, allenfalls die bescheidene Höhe deutscher Mittelgebirge erreichen würde. Nein, hier geht es um den ganz großen Reichtum, der sich bis in Himalaya-Gipfelhöhe auftürmen ließe und ebenso beständig ist wie dort das ewige Eis! Für die Anhäufung so gigantischer Vermögen sind Treu’ und Redlichkeit ganz und gar nicht vonnöten, sogar sehr hinderlich. Dazu braucht man/frau kühne Strategien und ein Mindestmaß an Skrupeln!

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Wirklich ganz reizende Leute

Alljährlich, zumeist im Spätherbst, veröffentlicht das amerikanische Wirtschaftsmagazin "Fortune" eine Liste der "Milliardäre des Jahres". Sie ist gestaffelt nach dem – natürlich nur grob geschätzten – Reichtum derjenigen Frauen, Männer oder Familien, von denen die Experten aufgrund ihrer – wie sie versichern: sehr sorgfältigen – Recherchen annehmen, daß sie über mindestens tausend Millionen amerikanische Dollar verfügen, sei es in Form von Bargeld und Goldreserven, sei es in Form von Immobilien, Beteiligungen, Aktienpaketen, Juwelen, Gemäldesammlungen oder sonstigen Besitztümern, die sich jederzeit zu Geld machen ließen.

Die Liste wurde 1988 angeführt von Sultan Hassan al Bolkiah von Brunei. Sein zum britischen Commonwealth gehörender Staat im Norden der Insel Borneo mit nur rund 250.000 Einwohnern ist sehr reich an Erdöl- und Erdgasvorkommen. Von jeder geförderten und exportierten Tankerladung profitiert die Staatskasse, die identisch ist mit der Privatschatulle des Sultans, und dieser konnte für sich, seine beiden Ehefrauen und deren neun Kinder, die – so sie schon laufen können – den Staatsrat und das Kabinett bilden, bislang rund 25 Milliarden US-Dollar auf die hohe Kante legen. Der Sultan treibt einen relativ bescheidenen Aufwand: Er hält sich beispielsweise nicht mehr als zweihundert Polo-Ponys in selbstverständlich vollklimatisierten Ställen, und sein Palast hat lediglich eintausendsiebenhundertachtundachtzig (1788) Gemächer. Setzt man diese Zahlen in Relation zu seinen 25.000 Dollarmillionen, so wird deutlich, daß sich gewöhnliche Dollarmillionäre, wären sie ebenso bescheiden wie der Sultan von Brunei, allenfalls einen Stallhasen halten dürften und sich mit einem Dachkämmerchen als Wohnung begnügen müßten.

Der zweite auf der Milliardärsliste von "Fortune" ist König Fahd ibn Abdul Aziz al Saud von Saudi-Arabien, der auf rund 18 Milliarden US-Dollar Vermögen geschätzt wird, und wir wollen weder König Fahd dessen Zweitrangigkeit unter den Reichsten dieser Erde streitig machen noch die ungefähre Richtigkeit der "Fortune"-Schätzung in Zweifel ziehen.

Doch dann folgt an dritter Stelle die Familie Mars, die mit der Herstellung von Süßigkeiten, aber auch von Hunde- und Katzenfutter-Konserven, insgesamt 12,5 Milliarden Dollar Vermögen angehäuft haben soll, und damit wollen wir uns von der "Fortune"-Liste verabschieden.

Erstens ist die Familie Mars gewiß nicht ganz so reich wie mindestens drei andere in den beiden Amerikas beheimatete Familien, deren Namen jedoch in der Aufzählung gänzlich fehlen; zweitens sind solche Schätzungen ohnehin überaus problematisch, weil die Bewertung von Aktien, Immobilien, Juwelen, Kunstschätzen oder auch Polo-Ponys von der – wohl irrigen Annahme – ausgeht, man könnte sie jederzeit und in nahezu unbegrenzter Menge wieder zu Geld machen und dabei mindestens die Einkaufspreise erzielen. Drittens aber wissen die Multimilliardäre nicht einmal selbst auch nur einigermaßen genau, wie reich sie eigentlich sind, und ihr Bedürfnis, die Öffentlichkeit mit ihrem eigenen lückenhaften Wissen vertraut zu machen, ist minimal. Gerade die von "Fortune" auf den dritten Platz der Weltrangliste gehievte Familie Mars ist äußerst zurückhaltend mit Informationen über ihre Geschäfte und deren Erträge; ihr Nachbar in McLean im Staate Virginia, die amerikanische Geheimdienst-Zentrale CIA, ist vergleichsweise von übersprudelnder Mitteilsamkeit.

Schließlich – und das ist der wichtigste Grund, die "Fortune"-Liste beiseitezulegen – gibt es weit Interessanteres als die exakte Bezifferung der immensen Reichtümer einzelner Zeitgenossen. Die Minderbemittelten – und das sind, vom Multimilliardärsstandpunkt aus betrachtet, so gut wie alle Menschen dieser Erde, ausgenommen ein paar Hundert – wollen nicht mit bloßen Zahlen abgespeist werden, die einesteils ja doch nur auf fragwürdigen Schätzungen beruhen, andernteils so gigantisch sind, daß unser Vorstellungsvermögen damit überfordert ist. Viel reizvoller ist es, etwas über die Lebensumstände der Superreichen zu erfahren. Einfacher ausgedrückt: Was machen sie mit ihrem vielen Geld?

Schon immer haben die schlichten, weder durch hohen Adel noch durch enormen Reichtum ausgezeichneten Bürger und Bürgerinnen lebhaften Anteil genommen am Schicksal und Lebenswandel der Großen und Mächtigen. Aber seit es Massenmedien gibt, die uns Freud und Leid der Monarchen, Multimilliardäre und Superstars hautnah vermitteln, ist unsere Anteilnahme noch weit größer geworden. Wenn beispielsweise die Ex-Kaiserin von Persien, vom Pfauenthron verjagt, verwitwet, heimat- und, so scheint es, nahezu mittellos, von Sorgen gequält wird, weil die von Ayatollahs fanatisierten Perser nun auch noch die letzten, in weiser Voraussicht rechtzeitig ins Ausland geschafften Ersparnisse des Kaiserhauses fordern, dann sind die Qualen der hohen Frau auch für uns spürbar, ja, sie greifen uns ans Herz, als ginge es um unser eigenes Sparbuch.

Auch wenn wir vernehmen, daß die (sonst für ihr Zartgefühl bekannten) italienischen Finanzämter dem Fürsten Don Alessandro Torlonia und sogar seiner Schwester, Donna Anna Maria, Steuernachforderungen von jeweils einigen Millionen (nicht Lire, sondern schon umgerechnet in harte Mark!) präsentieren, dann leiden wir mit diesen wehrlosen Opfern eines habgierigen und offenbar erbarmungslosen Fiskus; ihre Tränen sind auch die unseren ...

Ob es die Shabanu ist oder der arme Nisam von Haiderabad, dem die gefühllose indische Zentralregierung die Staatspension zu streichen versucht, ob es sich um die Apanage des Prinzen Philip Mountbatten handelt, die sehr knapp bemessen zu sein scheint, oder um die berühmte, von Witterungseinflüssen bedrohte Insektensammlung von Lord Victor de Rothschild – immer fühlen wir uns unmittelbar angerührt und beteiligt und dennoch auch wieder ein klein wenig ausgeschlossen, weil uns letzte Geheimnisse eben doch nicht mitgeteilt werden.

Es ist uns natürlich bekannt, daß die Großen, Reichen und Mächtigen dieser Welt fast durchweg – Ausnahmen bestätigen nur die Regel – sehr reizende, wohlerzogene, meist auch warmherzige Mitmenschen sind, die durch Fleiß, Ausdauer und hohe Intelligenz (ihrer selbst oder ihrer tüchtigen Ahnen) zu dem gekommen sind, was ihnen heute gehört: Reichtum und Einfluß sowie unsere Bewunderung. Aber wir möchten dennoch manchmal ein bißchen mehr wissen, was wohl dahintersteckt, wenn – wie deutlich am Bildschirm zu beobachten war – der Heilige Vater von seinem Balkon aus zwei verschleierten, sehr eleganten Damen noch einmal lächelnd seinen besonderen Segen spendet ...; wenn Königin Elisabeth in der Royal Enclosure in Ascot mit dem zartbeschuhten Füßchen aufstampft ...; oder wenn sich an einer kleinen südspanischen Bucht gleich drei Träger hochberühmter Namen – Fürst Bismarck, Fürst Metternich und Baron Rothschild – niedergelassen haben ...

Wer seine Neugierde befriedigen will, muß oft weit zurückgehen und in einer Historie forschen, die denjenigen, deren Ahnen Geschichte gemacht haben, bis heute lebendig geblieben ist. Das kann recht mühsam sein, doch es lohnt sich, wenn man die Zusammenhänge verstehen will. Jeder, auch das mächtigste Herrscherhaus, hat einmal klein angefangen, und wenn man sich mit diesen oft recht seltsamen Anfängen näher beschäftigt, dann werden einem nicht allein gewisse Eigentümlichkeiten begreiflich, die man vorher etwas befremdlich fand, nein, man gewinnt auch jenen, sagen wir: menschlichen Kontakt zu den ganz Großen, Reichen und Mächtigen von heute, denn echte Zuneigung kann nicht ausschließlich Sache des Gefühls sein; man muß auch die kleinen Schwächen all dieser wirklich ganz reizenden Leute kennen, wenn man ihnen den Respekt entgegenbringen soll, den sie zu verdienen scheinen, jedenfalls von uns fordern zu können meinen.

Mustergültige Aufstiege

Es war eine Hochzeit wie aus einem Märchenbuch: Auf dem fahnengeschmückten Marktplatz des kleinen Städtchens ließen schon frühmorgens rotbefrackte Reiter ihre Jagdhörner erschallen; bis gegen Mittag war eine nach Tausenden zählende Menge zusammengeströmt, das Schauspiel zu genießen, dessen Beginn die Fanfaren blau-gelb uniformierter Knappen ankündigten; ein Bataillon Gendarmen in Gala bildete salutierend Spalier, als der Hochzeitszug sich näherte; das Publikum, das vom Brautvater mit ganzen Ochsen am Spieß und vorzüglichem Wein in beliebiger Menge generös bewirtet worden war, schwenkte jubelnd die Hüte.

An der Spitze des Hochzeitszuges schritt ein würdevoller Zeremonienmeister in altertümlicher Hoftracht, mit weißer Halskrause am schwarzsamtenen Wams, Kniehosen, weißen Seidenstrümpfen und Eskarpins mit goldenen Schnallen, in der Rechten als Zeichen seines Amtes einen elfenbeinernen Stab mit goldenem Knauf und Bändern in den Hausfarben Blau und Gelb. Ihm folgten zwei sehr junge Pagen in Galauniform, und dann kamen – in angemessenem Abstand und Tempo – zwei Dutzend prächtige, blumengeschmückte Staatskarossen, die erste geradezu überschüttet mit Orchideen. Die Braut, die darin saß – in einem Hochzeitskleid aus weißer Atlasseide, das ein berühmter Pariser Modeschöpfer eigens für sie entworfen hatte –, trug ein kostbares Diadem aus Brillanten und weißem Nerz.

Indessen war die damals Siebenundzwanzigjährige, die – am 4. März 1961 in dem Städtchen Pauillac bei Bordeaux – auf so wahrhaft fürstliche Weise mit dem gutaussehenden jungen Mann an ihrer Seite Hochzeit feierte, weder die Erbin eines Thrones noch auch nur eine gewöhnliche Prinzessin (obwohl Prinzen, Herzöge, Lords und Grafen in reicher Menge zu ihrer Verwandtschaft zählten und ihrem – nicht zur Hocharistokratie zu rechnenden – Vater mindestens zwei prächtige Schlösser nebst weltberühmten Weinbaudomänen gehörten). Auch der Bräutigam war keineswegs ein Prinz von Geblüt, ja, er zählte nicht einmal zum niederen Adel. Er hatte sogar einen sonst für willkommene Schwiegersöhne sehr begüterter Familien recht seltenen Beruf, nämlich –Schauspieler und Regisseur! Sein Name: Jacques Sereys.

Monsieur Sereys’ Profession konnte übrigens weder seinen neuen Schwiegervater noch dessen Familie stören: Der Brautvater unterhielt selbst recht enge, wenn auch nur nebenberufliche Beziehungen zum Theater und zum Film. Unter dem Pseudonym Philippe Pascal war er als Bühnen- und Drehbuchautor bekanntgeworden. Auch sein Vater hatte bereits – als Andre Pascal – recht erfolgreiche Dramen verfaßt. Und zudem war die Tochter und Enkelin dieser Bühnendichter Pascal, also die Braut, selbst Schauspielerin. Ihr Künstlername, Philippine Pascal, hatte sogar schon auf den Programmzetteln der berühmten Comédie Française gestanden.

Es wäre jedoch völlig verfehlt, nun anzunehmen, daß die Theater- und Filmerfolge dreier Generationen Pascal ausgereicht hätten, auch nur die – auf annähernd eine Million Mark zu schätzenden – Kosten der Hochzeit Philippines zu bestreiten oder gar die erwähnten Schlösser nebst ihren Kunstschätzen und den umliegenden, äußerst wertvollen Weingärten zu erwerben, ganz zu schweigen von dem stattlichen Privatvermögen, der enormen Mitgift und den geradezu gigantischen Erbschaftserwartungen, die die Braut in ihre Ehe mit dem – übrigens gar nicht begüterten – Regisseur und Schauspielerkollegen einbrachte: zusammen mindestens sechshundert Millionen Mark ...!

...

Die erfolgreichsten Senkrechtstarter

Mit jenem hohen, aber letzte Zweifel niemals völlig ausschließenden Grad an Wahrscheinlichkeit, der in so delikaten Fragen wie denen der Blutsverwandtschaft die sonst zu fordernde wissenschaftliche Exaktheit nun einmal ersetzen muß, ist ein Mainzer Bäcker mit Namen Johann Hauck der erste urkundlich nachweisbare Vertreter eines Geschlechts, das rasch der heißen Backstube, des Mehlstaubs und des anstrengenden Teigknetens überdrüssig wurde und nach Höherem strebte, wenn auch nicht im goetheschen Sinne und mit den Mitteln eines um Weisheit bemühten Verstandes und frommen Herzens.

Schon der älteste Sohn des Mainzer Bäckermeisters, von dessen Mutter wir nur wissen, daß sie Ursula hieß, zeigte sich am väterlichen Handwerk uninteressiert. Er wurde im nahen Speyer etwas, das man damals Büttel nannte, ein mit spitzem Stock ausgerüsteter Ordnungshüter. Da er jedoch nicht der Stadtverwaltung diente, sondern einer Institution von hohem Rang (wenn auch schon sehr geringen Ansehens), konnte er sich als etwas Besseres bezeichnen. Mit vollem Titel hieß er Reichskammergerichtspedell Johann Caspar Hauck.

Das Kammergericht, das wie das Reich, in dem es für etwas Gerechtigkeit sorgen sollte, ständig in Geldverlegenheit war, deshalb auch nie die vorgeschriebene Anzahl von Richtern zusammenbringen konnte, und dessen Beamte von dem lebten, was man damals "Sporteln" nannte – Gebühren aller Art, die den Rechtsuchenden und erst recht den im Streit Unterlegenen abverlangt wurden –, war berüchtigt für die Gemächlichkeit, mit der es Prozesse durch die Jahrzehnte hinschleppte. Seine hohen Räte standen im Ruf völliger Weltfremdheit, genüßlich betriebener Haarspalterei und elitärer Arroganz.

Die leeren Kassen des Gerichts sowie die Indolenz und der Dünkel seiner Räte trugen sicherlich dazu bei, daß das höchste Gericht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ziemlich häufig umziehen mußte, im Jahre 1693 ein letztes Mal, nämlich von Speyer nach Wetzlar. Und natürlich verlegte auch der Pedell Hauck seinen Wohnsitz dorthin, vermählte sich bald danach mit einem Mädchen seines Standes, dessen Vornamen, Anna Barbara, überliefert sind, und wurde nach und nach Vater von insgesamt zehn Kindern, von denen der älteste Sohn einmal, wie es am Reichskammergericht üblich war, Amt und Würden seines Erzeugers erben sollte.

Es kam jedoch anders: Im Jahre 1722 raffte eine Seuche, wie sie auch in Mitteleuropa infolge der haarsträubenden hygienischen Verhältnisse noch zu jener Zeit recht häufig vorkam, fast die ganze Wetzlarer Familie Hauck binnen weniger Wochen hinweg. Übrig blieb der knapp siebzehnjährige Sohn Ignatius Marianus, kurz Ignaz genannt, der als der offenbar Zäheste der Sippe nicht nur die Seuche überstand, sondern auch imstande war, sich zu den Verwandten seines Vaters nach Mainz durchzuschlagen und mit deren Unterstützung in der Verwaltung des Kurerzbistums eine Botenstelle zu erlangen.

Bis 1729 hatte sich Ignaz Hauck zum Kanzlisten emporgearbeitet und wäre vermutlich, trotz eifrigsten Federkratzens und Katzbuckelns, zeitlebens auf diesem schlechtbezahlten Posten geblieben, hätte nicht sein hoher Vorgesetzter, der Herr Hofgerichtsassessor und spätere Geheimrat Stubenrauch, ein leidiges Problem gehabt, zu dessen Lösung er einen strebsamen jungen Mann ohne Eltern und Geschwister in ordentlichen, aber – möglichst von dem Herrn Assessor selbst – abhängigen Verhältnissen benötigte. Es handelte sich nämlich darum, ein dem Assessor und seiner Frau anvertrautes Ziehkind, ein Mädchen namens Maria Franziska, unter die Haube zu bringen. Da die Franziska jung, hübsch, adrett und zur Demoiselle erzogen war, wäre dies nicht weiter schwer gewesen, hätte sie nur einen Familiennamen gehabt!

Nun, der Kanzlist Hauck nahm sich des Problems seines hohen Vorgesetzten mit Eifer an. 1736 fand seine Trauung mit der Ziehtochter des Assessors statt – nicht in der Kirche, sondern in der Wohnung des Ehepaars Stubenrauch und vollzogen von einem verständnisvollen Geistlichen, der es unterließ, die Personalien der Braut zu erfragen oder gar ins Kirchenbuch einzutragen, wie es seine selbstverständliche Pflicht gewesen wäre. Bei der Taufe des ersten Kindes, das dem Ehepaar Hauck im Jahre darauf geboren wurde, hat dann – höchst ungewöhnlicherweise – der Pfarrer wiederum darauf verzichtet, im Register den Familiennamen der Mutter zu vermerken. Die Patenschaft übernahm übrigens der inzwischen zum Geheimrat und Lehnsvorsteher beförderte Assessor Stubenrauch, ließ sich jedoch von einem seiner Schreiber beim Taufakt vertreten.

Auch bei acht weiteren Kindern des Ignaz und der Franziska Hauck verzeichnet das Taufregister der zuständigen Mainzer Pfarre von St. Emmeran keinen Geburtsnamen der Mutter, was damit zusammenhängen mag, daß der Herr Geheimrat Stubenrauch dem Kirchenvorstand dieser Pfarre angehörte und seinen Einfluß geltend gemacht hatte.
Indessen war alle Mühe, die man sich damals von weltlicher wie geistlicher Seite her um die Unterdrückung jeder Information über die Herkunft der Maria Franziska, verehelichten Hauck, gegeben hat, völlig umsonst: Einer ihrer Enkel lüftete anno 1807 das Geheimnis in einem Brief an die Gräfin Tina Brühl, einer Dame, die wegen ihrer Beziehungen zu einem anderen Geheimrat, Johann Wolfgang von Goethe, in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen ist. Danach – und nach dem Ergebnis der intensiven Forschungen, die gewissenhafte Genealogen seither betrieben haben – darf es als sicher gelten, daß die Ziehtochter der Familie Stubenrauch einen Standesherrn, den Freiherrn Riedesel zu Eisenbach, zum Vater, hingegen eine, wie man damals sagte, "Dienerin der Venus" zur Mutter hatte, angeblich die Tochter eines Turmwächters. Vielleicht aber ist besagte Dame, wie es einst üblich war, einfach in einem Türmchen ihrem Gewerbe nachgegangen.

Das also war das ganze Geheimnis, das den Stubenrauchs (und wohl auch dem reuigen Baron Riedesel) soviel Kopfzerbrechen gemacht, dem Ignaz Hauck jedoch eine dankbare, zudem sehr wohlerzogene Ehefrau eingetragen hatte, und bald nach der Hochzeit auch die erste Beförderung, der dann noch weitere folgten, so daß er es schließlich zum kurmainzischen Regierungssekretär und Protokollführer brachte, ferner mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine für die Haucks sehr beträchtliche, nur vom Standpunkt des anonymen Spenders aus bescheidene Mitgift, denn die Freiherren Riedesel zu Eisenbach waren schon damals – und sind mit etwa 13.000 Hektar Grundbesitz, etlichen schönen Gütern und Schlössern, zwei Brauereien, einer "Sinalco"-Abfüllung sowie allerlei in der "Sämmtliche Riedesel Freiherren zu Eisenbach Industriebetriebe OHG" zusammengefaßten Unternehmen noch heute – beileibe keine armen Ritter.

Der älteste Sohn des kurmainzischen Regierungssekretärs Hauck und seiner illegitimen, aber karrierefördernden Franziska, der 1737 geborene Johann Friedrich Michael Hauck, der eigentlich studieren und zum kurerzbischöflich mainzischen Geheimrat hätte aufsteigen sollen, enttäuschte seine Eltern zunächst sehr: Er wurde nämlich gemeiner Soldat, erst in sardinischen, dann in französischen Diensten, nahm aller Wahrscheinlichkeit nach auch am Dritten Schlesischen Krieg gegen den Preußenkönig Friedrich II. teil (als dessen Gesandter sein Onkel, ein Freiherr Riedesel zu Eisenbach, später eine Zeitlang am Wiener Hof war), brachte es in all den Jahren nur zum Korporal und wäre sicherlich noch eines Tages auf irgendeinem Schlachtfeld für Seine Allerchristlichste Majestät König Ludwig XV. von Frankreich und die Interessen des Hauses Bourbon elend verreckt, hätte er nicht einen einflußreichen Gönner gefunden, dessen Schützling er wurde: den jungen, bei Übernahme des Kommandos über das Régiment d’Anhalt, in dem der Gefreite Hauck diente, gerade zwanzigjährigen Oberst der Infanterie Hans Moritz Reichsgrafen von Brühl.

Dessen Vater, Heinrich (erst seit 1737 Reichsgraf) von Brühl, war vom Pagen einer sächsischen Prinzessin zum Steuereinnehmer, Geheimrat, Chef der Finanzverwaltung und schießlich zum allmächtigen Premierminister des Kurfürsten von Sachsen, der zugleich König von Polen war, unter Anwendung von Methoden aufgestiegen, an denen schon damals kleinliche Gemüter Anstoß nahmen. Er hatte für unerhörten Glanz des Hofes und rigoroseste Steuereintreibung gesorgt, höchst willkürliche administrative Justiz geübt und, bei starker Vernachlässigung der Armee wie der Verwaltung, antipreußische Politik betrieben. Von dem Luxus, mit dem er sich selbst umgab, zeugen in Dresden noch heute die Britischen Gärten und die Brühlsche Terrasse.

Als der "Alte Fritz" im Siebenjährigen Krieg Sachsen besetzte, ließ er die Schlösser und Güter des Grafen Brühl plündern und niederbrennen. Brühl selbst konnte nach Polen flüchten und wurde von seinem Todfeind, dem Preußenkönig, der "affreusesten Corruption" verdächtigt – übrigens völlig zu Recht, denn wie sich später herausstellte, war es dem Grafen gelungen, während seiner Amtszeit nicht nur die sächsische Staatsschuld auf fast fünfzig Millionen Taler anwachsen zu lassen, sondern auch für sich selbst fünf Millionen Taler abzuzweigen. (Von dem unterschlagenen Geld konnten nach seinem Tode nur noch etwa 1,5 Millionen Taler gefunden und konfisziert werden.) Unter diesen Umständen hatten es die Söhne des Grafen vorgezogen, in den Dienst fremder Herren zu treten, und so war der zwanzigjährige Graf Hans Moritz zum Régiment d’Anhalt gekommen.

Der dort dienende, knapp dreißigjährige Gefreite Hauck wurde dem neuen Oberst als Bursche zugeteilt, und es gelang ihm, sich dem jungen Grafen Brühl unentbehrlich zu machen. Als der Graf im Frühjahr 1770 zum Régiment d’Alsace versetzt wurde, nahm er seinen treuen Burschen mit.

Im Jahr darauf heiratete Graf Brühl die (später von Goethe verehrte und mit einigen schönen Gedichten bedachte) Kapitänstochter Tina Schleyerweber, quittierte den Dienst beim Régiment d’Alsace und kehrte nach Sachsen zurück, wo ihm durch Aussonderung aus dem größtenteils beschlagnahmten väterlichen Vermögen das Gut Zschepplin zugefallen war. Und weil er sich an "seinen Hauck" so gewöhnt hatte, daß er ihn nicht mehr missen mochte, forderte er ihn auf, ebenfalls den Soldatenrock auszuziehen und ihn als getreues Faktotum – mit dem Titel eines Sekretärs – nach Sachsen zu begleiten, was sich Hauck nicht zweimal sagen ließ.

Es stellte sich dann heraus, daß das Zscheppliner Herrenhaus erst wiederaufgebaut und hergerichtet werden mußte – die friderizianischen Soldaten hatten den Befehl ihres Königs, allen Brühlschen Besitz gründlich zu plündern und zu zerstören, getreulich ausgeführt –, und so zog Graf Hans Moritz Brühl mit seiner jungen Frau zunächst zu seinem ältesten Bruder, dem Grafen Aloys Friedrich, dem ein riesiger, mehr als zwanzigtausend Hektar umfassender Besitz in der Lausitz gehörte. Im Frühjahr 1773, als der Wiederaufbau von Zschepplin beendet war, schickten Graf Hans Moritz und Gräfin Tina ihre Dienerschaft voraus, das Herrenhaus zu säubern und einzurichten, und Hauck übernahm es, diese Arbeiten zu überwachen. Er kümmerte sich um alles, besonders aber um die hübsche Kammerjungfer Maria, und als die Herrschaft im Herbst 1773 in Zschepplin Einzug hielt, da war besagte Maria keine Jungfer mehr, sondern im vierten Monat schwanger.

Nun, es gab eine eilige und stille Hochzeit; die fünf Monate später geborene Tochter wurde auf die Vornamen der gräflichen Herrin, Christiane Friederike, getauft, und alles, was Graf Brühl seinem Sekretär als dessen Dienste und auch – nach damaligen Gepflogenheiten – Gerichtsherr abverlangte, war die von dem (katholischen) Hauck feierlich beschworene Verpflichtung, die kleine Tina und die weiteren "aus dieser Ehe kommenden Kinder alle in der evangelisch-lutherischen Religion getreulich zu erziehen".
Das ist insofern für die Beurteilung des Hauckschen Charakters wie auch desjenigen seiner jungen Frau, die übrigens mit vollem Namen Maria Salome Schweppenhäuser hieß und eine evangelische Pfarrerstochter war, von einigem Belang, weil nur wenige Jahre später, als sich daraus für sie einige Vorteile ergaben, Mutter, Tochter und zwei weitere bis dahin geborene Hauck-Kinder römisch-katholisch wurden.

Im Jahre 1778 verschaffte Graf Brühl seinem Sekretär Hauck, der zuletzt dem kleinen Sohn seines Dienstherrn etwas Lesen und Schreiben beigebracht hatte, eine Anstellung als Steuereinnehmer auf den großen Gütern seines älteren Bruders, des (übrigens katholischen) Grafen Aloys Friedrich Brühl. Und als dieser 1782 einer Aufforderung seines Freundes, des polnischen Wahlkönigs Stanislaus II. August Poniatowski (dessen späterer Konsul und Generalkommissar in Rom Giovanni Torlonia wurde), Folge leistete und nach Warschau übersiedelte, nahm er seinen Steuereinnehmer Hauck samt Familie dorthin mit.

König Stanislaus II. August, der der erste in einer langen Reihe von sogenannten Günstlingen, das heißt: offiziellen Geliebten der Großfürstin und späteren Zarin Katharina II., einer geborenen Prinzessin von Anhalt-Zerbst, gewesen und auf deren Betreiben hin zum König von Polen gewählt worden war, regierte mehr schlecht als recht ein seit der ersten Teilung des Landes zwischen Rußland, Österreich und Preußen um ein Gebiet mit mehr als fünf Millionen Einwohnern verkleinertes Reich. Da sich deshalb sein Geldbedarf aber keineswegs verringert hatte, benötigte er dringend tüchtige Beamte, die willens und imstande waren, aus dem restlichen Königreich soviel an neuen Abgaben herauszupressen, daß der durch die Teilung von 1772 bewirkte Verlust an Steuerzahlern voll ausgeglichen würde. Am liebsten waren ihm Ausländer, denen Land und Leute gleichgültig waren.

So hatte der König seinen Freund, den Grafen Aloys Friedrich Brühl, nach Warschau gerufen und ihn zum Kommissar für die polnische Hauptstadt ernannt, und deshalb war auch der gräfliche Steuereinnehmer Hauck in Warschau willkommen gewesen und sogleich mit einem guten Posten in der Finanzverwaltung betraut worden, nachdem er – das mußte im streng katholischen Polen nun einmal sein – seine Frau und seine inzwischen auf vier Köpfe angewachsene Kinderschar entgegen seinem Gelöbnis hatte zum römischen Glauben übertreten lassen.

Graf Brühl hielt es sieben Jahre in Warschau aus und kehrte im Jahre 1789, zur Zeit des Beginns der großen Revolution im fernen Frankreich, wieder zurück auf seine Güter in der Lausitz. Hauck aber blieb mit seiner Familie in Warschau. Er erlebte die zweite Teilung Polens im Jahre 1793 und auch die dritte von 1796, bei der von dem einst so mächtigen Königreich überhaupt nichts mehr übrigblieb, Warschau preußisch wurde und König Stanislaus II. August sich – mit zweihunderttausend Golddukaten Rente – nach Grodno abschieben ließ. Er sah auch noch, wie Napoleon kurz vor Weihnachten 1806 in Warschau einritt und vom Volk als Befreier bejubelt wurde. Zweieinhalb Jahre später, im Sommer 1810, drei Jahre nach der Gründung des Großherzogtums Warschau, mit dem Napoleon zur Enttäuschung der Polen den König von Sachsen, seinen getreuen Vasallen, belohnt hatte, starb Johann Friedrich Michael Hauck, dreiundsiebzig Jahre alt, in seinem gutbürgerlichen Warschauer Haus, ohne zu ahnen, wie weit es sein ältester Sohn, erst recht dessen Nachkommen, in den nächsten Jahrzehnten bringen würden.

Dieser als zweites Kind des Ehepaares Hauck 1775 noch auf einem gräflich Brühlschen Gut geborene, nach dem damaligen Dienstherrn Hans Moritz getaufte ältere Sohn – der einzige, der für den weiteren Aufstieg der Familie von Belang ist – war 1794 in die Armee des Führers der polnischen Aufständischen, Kościuszko, eingetreten, hatte dessen furchtbare Niederlage und auch das Gemetzel miterlebt, das russische Kosaken dann unter der Bevölkerung Warschaus anrichteten, und war als der glühende polnische Patriot, der er zu sein schien, Anfang 1797 in jene berühmte Legion eingetreten, die unter Bonaparte in Oberitalien gegen die Österreicher kämpfte, unter Berthier das päpstliche Rom besetzte und zum Dank für alle Opfer, die sie Frankreich gebracht hatte, schließlich zur Bekämpfung eines Sklavenaufstandes nach Haiti geschickt wurde, wo sie elend zugrunde ging.

Hans Moritz Hauck war unter den wenigen Glücklichen, die nach Polen zurückkehren konnten. Dort trat er in die Armee des Großherzogtums Warschau ein, wurde 1809 Kommandant von Zamose, und 1813 zeichnete er sich bei der Verteidigung der Festung gegen die Russen durch soviel Energie und Härte aus, daß ihn die polnischen Patrioten als Helden feierten. Indessen sah der – bis dahin schon zum Oberst avancierte – Hauck zu dieser Zeit schon recht deutlich, daß Napoleons Stern verblich sein Untergang und damit auch der des von ihm gegen die Russen errichteten Großherzogtums Warschau nur noch eine Frage von Wochen war. Und so tat er das, was ein Mann, dem es vornehmlich um die eigene Karriere geht, in solchen Fällen tut, doch was ihm seine polnischen Kameraden, die ihn als einen der Ihren angesehen hatten, niemals verziehen: Er trat ins Lager der mächtigen Feinde, der Russen, über!

Dieser Parteiwechsel fand natürlich seinen Lohn: 1816 ernannte Zar Alexander I. den Obristen Hauck zum kaiserlich russischen Generalquartiermeister im annektierten Polen. Nach zehnjähriger Bewährung auf diesem exponierten Posten – es gab zahlreiche polnische Aufstände zu unterdrücken, zumal nach dem Tode des Zaren Alexander im Jahre 1825 – wurde der General Hauck in den erblichen russischen Adelsstand erhoben, zugleich zum Kriegsminister in Warschau sowie zum kaiserlich-russischen Senator ernannt. Und weitere drei Jahre später, 1829, machte ein Ukas des neuen Zaren Nikolaus I. den Kriegsminister von Hauck zum Grafen Hauke.

Doch die Freude darüber im – nunmehr gräflichen – Hause Hauke war von kurzer Dauer. Im Revolutionsjahr 1830 kam es auch in Warschau zu einem Aufstand, bei dem die militärischen Führer der russischen Besatzung von polnischen Soldaten niedergemacht wurden. Unter den Toten befand sich auch der kaiserlich russische General der Artillerie, Senator und Kriegsminister im Königreich Polen, Hans Moritz Graf von Hauke. Zu den trauernden Hinterbliebenen zählten des Kriegsministers greise Mutter, die einstige gräflich Britische Kammerzofe und Witwe des königlich polnischen Steuereinnehmers Hauck, die erst drei Jahre später hochbetagt das Zeitliche segnete; des ermordeten Ministers gerade dreißigjährige Ehefrau Sophie, geborene Lafontaine, die er 1807 – sehr gegen den Willen seines Vaters und, wie er es in einem Brief an die Gräfin Tina Brühl zum Ausdruck brachte, unter Berufung auf die aus einem Freudentürmchen stammende Großmutter – geheiratet hatte, sowie die jüngste Tochter aus dieser Ehe, Julie, die beim Tode ihres Vaters gerade fünf Jahre alt.

Julies Mutter, die vom alten Hauck als seinem tüchtigen Sohne unebenbürtig beanstandete Gräfin Sophie, geborene Lafontaine, die übrigens wenige Monate nach der Ermordung ihres Gatten starb, hatte – trotz ihres französischen Namens – einen aus Württemberg stammenden, ziemlich dunklen Ehrenmann zum Vater, der zunächst Feldscher in österreichischen, dann wahrscheinlich in polnischen Diensten gewesen war, sich später in St. Petersburg teils als Konditor, teils als französischer Geheimagent betätigt, den Rußlandfeldzug im Heere Napoleons mitgemacht und sein bewegtes Leben 1812 in Mohilew als Gefangener des Zaren beendet hatte; seine Frau, die Mutter der nachmaligen Gräfin Sophie von Hauke, aber entstammte mit großer Wahrscheinlichkeit der berühmten jüdischen Buchdruckerfamilie Adelkind, war jedoch in Ungarn aufgewachsen und katholisch erzogen worden, denn ihr Vater war vom Glauben seiner Väter abgefallen und hatte übrigens bei der Taufe den Familiennamen Kornely angenommen.

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