Auszüge aus Manfred Zach's
"Die manipulierte Öffentlichkeit"

Politik und Medien im Beziehungsdickicht

Manfred Zach wurde 1947 in Bad Grund (Harz) geboren. Nach dem Abitur in Speyer arbeitete er zunächst als freier Mitarbeiter für verschiedene südwestdeutsche Zeitungen und für den Südwestfunk Mainz. Sein Jurastudium in Heidelberg schloß er 1972 mit dem Ersten und 1974 mit dem Zweiten juristischen Staatsexamen ab. Nach kurzer Tätigkeit als Justitiar im Regierungspräsidium Stuttgart wurde Zach 1975 vom damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Dr. Filbinger als Pressereferent ins Staatsministerium berufen. Unter Filbingers Nachfolger Lothar Späth übernahm er zusätzlich die Aufgaben eines Grundsatzreferenten und wirkte an verschiedenen Publikationen Späths mit. 1986 wurde Zach zum Leiter der Abteilung Grundsatz und Politische Planung im Stuttgarter Staatsministerium bestellt. Ende 1987 ernannte ihn Ministerpräsident Späth zum Sprecher der baden-württembergischen Landesregierung. Dieses Amt übte er bis zu Späths Rücktritt Anfang 1991 aus. Heute ist Zach als Ministerialdirigent Leiter der Verwaltungsabteilung und Personalchef im baden-württembergischen Sozialministerium. Er veröffentlichte in den letzten Jahren eine Reihe von europa- und technologiepolitischen Beiträgen sowie Aufsätze zum Verhältnis von Politik, Verwaltung und Medien.

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Vorwort

Wie Politik und Medien aufeinander einwirken, bleibt der Öffentlichkeit weithin verborgen. Der Bürger als Leser, Hörer oder Zuschauer ist nur das letzte Glied in einer langen, verschlungenen Kommunikationskette. Auf welche Weise die anschwellende Informationsflut zustande kommt, weiß er in der Regel nicht.

In einer Demokratie ist das unbefriedigend. "Demokratie ist die Staatsform, die am meisten auf Kommunikation, auf ein Höchstmaß an Öffentlichkeit und Vielfalt der Meinungen und Konkurrenz der Ideen angewiesen ist", heißt es im 1984 verabschiedeten "Programm der CDU/CSU für eine freiheitliche Informationspolitik". Alle demokratischen Parteien werden das unterschreiben können.

Die Wirklichkeit allerdings sieht oftmals anders aus. Sie ist geprägt von einem politisch-medialen Beziehungsdickicht, in dem getrickst und gekungelt, gelockt und gedroht wird. Politiker und Journalisten agieren auf der öffentlichen Meinungsbühne nach Spielregeln und Ritualen, in die das Publikum keinen Einblick hat. Es fühlt sich informiert und wird doch, häufiger als es glaubt, manipuliert.

Einige der Mechanismen transparent zu machen, mit denen Beeinflussungen erzeugt und Machtpotentiale ausgespielt werden, ist ein Anliegen dieses Buches. Der Hauptzweck freilich ist ein anderer: den Leser in die Lage zu versetzen, im Nachrichtenstrom, der ihn unablässig umspült, eine etwas unabhängigere und kritischere Position einnehmen zu können als zuvor. Wer über Zusammenhänge Bescheid weiß, urteilt sicherer – auch wenn noch genügend Unentdecktes bleibt, das durch die unterirdischen Informationskanäle staatlicher Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fließt.

Eine Vielzahl von Journalisten hat mich bei meinen Recherchen mit Erfahrungsberichten und offenen Meinungsäußerungen unterstützt. Ihnen gilt mein besonderer Dank. Ihrem Wunsch, nicht namentlich genannt zu werden, bin ich selbstverständlich nachgekommen. Auch manche beispielhaft genannten Fälle wurden, soweit sie nicht allgemein bekannt sind, anonymisiert. Das Prinzip, nicht der Pranger soll interessieren.

Millionen für E. R.

Hunderte von Lehrern, die zwischen 1975 und 1978 in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg übernommen worden sind, müßten einem Stuttgarter Journalisten eigentlich ein Denkmal setzen. Ihm haben sie es nämlich zu verdanken, daß sie als wohlbestallte Beamte beruhigt ihrer Pension entgegenblicken können. Nur wissen sie das nicht. Und es käme ihnen auch nicht in den Sinn, ausgerechnet in E. R., dem – inzwischen verstorbenen – landespolitischen Redakteur der Stuttgarter Zeitung, den Urheber ihrer beruflichen Karriere zu suchen. Andere, bedeutendere Zeitgenossen sind für solche Ereignisse zuständig: Personalchefs in den Oberschulämtern und im Kultusministerium, Präsidenten und Minister letztlich.

Alles richtig und doch falsch. Denn die damals jedes Jahr zu Tausenden aus den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen kommenden "Lehramtsanwärter" hätten zum Teil gar nicht mehr eingestellt werden sollen. Die Schülerzahlen waren rückläufig, die Verschuldung des Landes stieg rasant, das Mißtrauen der alleinregierenden CDU gegen die akademische Achtundsechziger-Generation, die jetzt in den Staatsdienst drängte, war groß. Andere Bundesländer hatten bereits einen Numerus Clausus für angehende Lehrer eingeführt. Nur die Besten kamen noch zum Zuge.

Wäre da nicht E. R. gewesen, der wort- und schreibgewaltige Stuttgarter Redakteur. Der hatte sich das Wohlergehen von Jungpädagogen zum persönlichen Steckenpferd gemacht. Ihm selbst war der Lehrberuf, den er ursprünglich angestrebt hatte, versagt geblieben. Die Nachgeborenen sollten es besser haben.

Also entwarf eru, wie sein Redaktionskürzel lautete, vor jedem neuen Einstellungstermin flammende Szenarien einer drohenden Bildungs- und Beschäftigungskatastrophe, falls nicht auch der letzte Prüfling, der gerade noch durchs Examen gerutscht war, als Lebenszeitbeamter übernommen würde. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft lieferte freudig die passenden Begleitkommentare.

E. R. schrieb nicht vergebens. In der Stuttgarter Staatskanzlei sorgten seine Attacken jedesmal für bildungspolitische Aktionsschübe. Schließlich war die Stuttgarter Zeitung das Flaggschiff der südwestdeutschen Presse, und E. R. galt als einer der profiliertesten Vertreter seiner Zunft – ein Meinungsführer, an dem sich andere Journalisten orientierten.

Vor allem aber: Ministerpräsident Filbinger legte großen Wert darauf, trotz seiner betont konservativen Politik gerade bei liberalen Blättern gut abzuschneiden. Es war ein Stück Haßliebe im Spiel, die ihn mit dem kritischen Journalismus verband. So beugte sich der Regierungschef über Jahre, gegen den Rat vieler Fachleute und ungeachtet der Warnungen seines Finanzministers, dem Druck einer Zeitung. In Wahlkampfbroschüren und auf Parteiveranstaltungen wurde die "bundesweit vorbildliche" Lehrer-Schülerrelation, das statistische Zahlenverhältnis von Paukern und Pennälern, als eines der Markenzeichen des "Musterländles" gefeiert.

Der Preis für diese Großzügigkeit wurde freilich verschwiegen. Geht man davon aus, daß jeder Beamte den Staat insgesamt rund drei Millionen Mark an Bezügen und Versorgungsleistungen kostet, kommen einige hundert Millionen zusammen, die das Buhlen um den journalistischen Goodwill eines einzelnen verschlungen hat. Und nicht nur das: Die Hochschul-Absolventen der achtziger Jahre, die trotz qualifizierterer Abschlüsse nicht mehr zum Zuge kamen, zahlten mit.

Aber wer rechnet schon so, wenn es um Machterhalt geht? Was bedeutet Geld gegen Gunst, was wiegen Schicksale gegen Schlagzeilen?

Im Beziehungsdickicht zwischen Politik und Medien wird mit Tricks und Manipulationen gearbeitet, finden Inszenierungen und Rituale statt, verwischen sich die Grenzlinien bis zur Unkenntlichkeit.

Die Akteure stehen zwar in getrennten Lagern, sie haben unterschiedliche Aufgaben, sie mißtrauen sich. Doch sie kommen nicht voneinander los, weil sie einander brauchen, und sei es nur, um sich bestätigt zu fühlen. Kampf und Kumpanei können wechseln, die Umklammerung bleibt.

Nur in einem Punkt decken sich die Interessen fugenlos: Nach außen hin muß alles geordnet erscheinen. Niemand soll etwas merken. Die Banalität des Alltags macht Politik und Medien zu Komplizen.

"System Kontakt"

Will ein Politiker eine Pressekonferenz abhalten, muß seine Pressestelle mit dem Vorsitzenden der jeweiligen Landespressekonferenz (in Bonn der Bundespressekonferenz) den Termin abstimmen und ihm die Themen, die behandelt werden sollen, mitteilen. Denn nicht der VIP, sondern die Journalistenvereinigung fungiert rechtlich als Veranstalter von Pressekonferenzen. Daraus – und weil die offiziell zur Sprache kommenden Sachgebiete Journalisten selten vom Stuhl reißen – resultiert die Übung, eine allgemeine Fragerunde an den Anfang (zuweilen auch ans Ende) von Pressekonferenzen zu stellen. Journalisten wollen nicht das Gefühl haben, nur als Verlautbarungsempfänger einbestellt zu werden.

Politiker, die noch nicht lange im Amt sind, fürchten diese Fragerunden außerordentlich. Das Briefing dafür – Was könnte drankommen? Wie ist der Sachstand? Was darf nach außen gesagt werden, was nicht? – nimmt oft mehr Zeit in Anspruch als die übrige Vorbereitung und ähnelt der Nervosität von Pennälern vor Klassenarbeiten.
Auch Spickzettel und Vorsager gibt es – fürsorgliche Verwaltungsvermerke ("Sollte der Herr Minister gefragt werden, warum mit dem Bau der Querspange immer noch nicht begonnen wurde, so könnte folgendes geantwortet werden ...") und Referenten mit dicken Aktentaschen, die an der Wand aufgereiht sitzen und bei der kleinsten Unsicherheit ihrem Chef mit schnell hingekitzelten Notizen und wichtigtuerischen Einflüsterungen zur Seite springen.

Routiniertere Amtsträger verbitten sich solche peinlich wirkenden Hilfestellungen und nutzen die Fragerunde stattdessen, um ihre Schlagfertigkeit oder auch nur die Fähigkeit, auf konkrete Fragen ausweichende Antworten geben zu können, unter Beweis zu stellen. "Sie können mich fragen, was Sie wollen," sagte Walter Scheel einmal, "ich werde trotzdem immer auf die FDP zu sprechen kommen."

Nicht selten wird sogar kräftig nachgeholfen, damit ein bestimmtes Thema aufs Tapet kommt. Soll eine politische Pointe lanciert oder einem Gegner scheinbar spontan ans Schienbein getreten werden, bestellt sich die Pressestelle bei einem Journalisten, mit dem sie "gut kann", eine entsprechende Frage für die nächste Pressekonferenz. "Auf Anfrage" äußert der Politiker dann, was er dringend loswerden will – und weiß, daß er dem Ballwerfer demnächst ebenfalls eine Gefälligkeit schuldig sein wird.

Viele solcher "auf Anfrage" erfolgten Zeitungsmeldungen sind von den Betroffenen selbst initiiert. Auch als Test, welches Interesse an einem Thema besteht oder was Journalisten bereits über einen bestimmten, öffentlich noch nicht abgehandelten Vorgang wissen, eignen sich gesteuerte Fragerunden. Versierte Pressestellen kennen ihre Pappenheimer, die dafür zu gewinnen sind – sei es aus Profilierungsbedürfnis oder weil sie dafür andere Informationen haben wollen, an die sie im Rahmen eines gegenseitigen Geschäfts leichter heranzukommen hoffen. Und manchmal genügt es auch schon, einen der ewig auf O(= Original)-Ton-Jagd pirschenden Privatfunkreporter anzuspitzen.

Als Folge solcher Machenschaften, zu denen Journalisten die Hand reichen, ist das Instrument offener Fragerunden kontinuierlich entwertet worden. Wer über eine "Geschichte" mehr weiß als die Kollegen oder nicht in den Verdacht der Handlangerei geraten will, schweigt lieber.

Die Tendenz, Pressekonferenzen nur noch als Verlautbarungstermine anzusehen, wird dadurch gefördert – zur Freude jener Politiker, deren Medienverständnis sich darin erschöpft, Journalisten für Sprechblasenverstärker zu halten.

Redaktionsbesuche, Wochenendtermine und nachrichtenarme Ferienzeiten eignen sich ebenfalls gut dafür, Ansichten, die außer dem Urheber kaum jemand für wichtig halten mag, in die Öffentlichkeit zu tragen. Insbesondere kleinere Zeitungen entwickeln eine eigene Art Beflissenheit, wenn sie einen Minister leibhaftig in ihren Redaktionsräumen begrüßen oder ein "Exklusivinterview" am Rande einer Veranstaltung ihres Einzugsgebiets vermelden können.

Für Pressereferenten ist es ein leichtes, im Vorfeld solcher Ereignisse bei der Themensuche nachzuhelfen: "Fragt ihn doch auch mal nach folgendem ..." oder "Der Minister beschäftigt sich zur Zeit intensiv mit ...". Der Politiker wird sich freuen und versprechen, wiederzukommen.

"Kurz vor Wahlen wird der Wunsch von Landespolitikern nach Redaktionsbesuchen zur echten Landplage", seufzt dagegen der Büroleiter einer überregionalen Zeitung."Dann drängelt alles nach Terminen, und man muß eine klare Regelung treffen, zum Beispiel: Von jeder Partei kommt einer ins Haus und damit Schluß." Verständlich ist der Andrang schon, denn zu keiner Zeit ist ein Politiker so vollgestopft mit Leistungsbilanzen und Erfolgsmeldungen wie am Ende einer Legislaturperiode, und zu keiner Zeit ist sein Bedürfnis nach Öffentlichkeit stärker.

Handelt es sich bei Pressekonferenzen, Pressemitteilungen, Redaktionsbesuchen und "echten" Fragerunden noch um eine vergleichsweise transparente Form von Informationsvermittlung, werden bei den sogenannten Hintergrundgesprächen zwar Spuren gelegt, aber keine Visitenkarten hinterlassen. Politiker schlüpfen in die Rolle nachrichtendienlicher V-Leute, Journalisten betätigen sich als verdeckte Ermittler. Hintergrundgespräche sind deshalb zwar üblich, aber nicht unumstritten. "Wenn ein Politiker etwas zu sagen hat, soll er das offen tun", findet ein Korrespondent. "Alles andere ist Ängstlichkeit oder seelische Grausamkeit gegenüber Journalisten."
Auch der Ressortchef einer Tageszeitung meint: "Alles zu erfahren, ist auch nicht immer schön. Möglicherweise strickt man gerade an einer Geschichte, die man mit viel Mühe recherchiert hat, und dann erfahren die Kollegen im Hintergrund dasselbe. Du selbst kannst die Sache dann nicht mehr bringen, weil das nach Verletzung der Vertraulichkeit aussieht, und nach einer gewissen Zeit ist der Hintergrund sowieso für alle frei."

Die Regeln von Hintergrundgesprächen sind streng. Was "unter zwei mitgeteilt wird, darf ohne Quellenangabe zitiert werden, "unter drei" bleiben Information und Informant geschützt. Durchbricht ein Journalist die Sperre, kann er von künftigen Hintergrundgesprächen ausgeschlossen werden.

Als der frühere Ministerpräsident Lothar Späth in solch einer Runde andeutete, seine Pläne für eine Fusion des Südwestfunks und des Süddeutschen Rundfunks wegen des massiven Widerstands aller Beteiligten begraben zu müssen, trug ein Rundfunkreporter diese Neuigkeit umgehend nach außen. Er wurde daraufhin von der Landespressekonferenz, die sich zu einem offiziellen Entschuldigungsschreiben veranlaßt sah, durch Vorstandsbeschluß gerügt. Das Beispiel zeigt ein typisches journalistisches Dilemma des Hintergrunds: Ist eine Nachricht "heiß", grenzt die Forderung, sie nicht verwerten zu dürfen, tatsächlich an seelische Grausamkeit. Handelt es sich aber nur um aufwendig verpackte Alltäglichkeiten, fragen sich die eingeladenen Medienvertreter, was die Geheimniskrämerei eigentlich soll.

Von Späths Nachfolger Erwin Teufel etwa heißt es in Journalistenkreisen: "Er redet im Hintergrund nicht anders als bei einer Pressekonferenz". Das ehrt ihn zweifellos – führt aber dazu, daß Hintergrundgespräche mit Teufel nicht unbedingt als Nervenkitzel gelten.

Auch aus einem anderen Grund sind Einladungen zu Gesprächen off the record bei vielen Journalisten nicht annähernd so beliebt, wie Politiker und Pressestellen glauben. Die Gefahr von Mißverständnissen ist groß, das Gefühl, instrumentalisiert zu werden, unterschwellig immer vorhanden. Wenn ein Politiker beispielsweise bemerkt: "Was ich jetzt sage, können Sie ruhig bringen!", dann kann es Journalisten wie Autofahrern ergehen, die nicht genau wissen, ob das Tempolimit auf der Autobahn noch gültig oder schon wieder aufgehoben ist.

So kam ein dpa-Korrespondent 1989 in eine peinliche Situation, als er aus einem längeren Gespräch mit dem damaligen Bundesinnenminister Schäuble zitierte, der am Anfang den pauschalen Hinweis "Was ich sage, kann alles verwendet werden" gegeben hatte. Irgendwann später war Schäuble aber zum Informations-Topos "drei" gewechselt, ohne daß der Korrespondent es bemerkt hatte. Der setzte dann mit großer Freude die Meldung "Schäuble erneuert Vorwurf der Volksverhetzung an SPD" ab – eine Anschuldigung, die CDU-Generalsekretär Geißler im Zusammenhang mit dem Streit um die Gesundheitsreform erhoben und Helmut Kohl gerade erst bedauernd zurückgenommen hatte. Schäuble unterstützte zwar Geißlers Haltung in der Sache und wollte das im Hintergrund auch nicht verschweigen, konnte aber andererseits seinem Kanzler nicht öffentlich in den Rücken fallen. Durch das Versehen der Agentur passierte genau dieses.

Die Ursache der meisten Mißhelligkeiten, die im Zusammenhang mit Hintergrundgesprächen entstehen, sind verborgene taktische oder persönliche Winkelzüge, die Politiker mit dieser diffusen Form von Informationsweitergabe verbinden. Wenn Journalisten unter dem Vorwand besonderer Offenheit in Wahrheit als nützliche Idioten mißbraucht werden, reagieren sie, falls sie es bemerken, entsprechend sauer.

Der Südwestfunk-Redakteur Martin Born, der Ende 1990 die Späth-Affäre ins Rollen brachte, schildert in seinem Buch Die Maultaschen-Connection (Göttingen, 1992), wie er zusammen mit anderen Journalisten 1982 von Späths damaligem Pressesprecher Kleinert unvermutet zu einem vertraulichen Pressegespräch eingeladen worden war, bei dem Späth vor "einer verblüfften Journalistenrunde" seine Vermögensverhältnisse ausbreitete.

Anlaß war der gerade erfolgte Rücktritt des CDU-Landtagspräsidenten Lothar Gaa wegen geschäftlicher Verbindungen zu einem Baukonzern, die er entgegen den Offenlegungsrichtlinien nicht im Landtagshandbuch angegeben hatte. Als Gerüchte auftauchten, auch Späth sei in die Geschäfte Gaas verwickelt, lud sein Pressesprecher eiligst zum Hintergrundgespräch.

Born: "Späth stellte in großer Offenheit dar, daß er zwar an einer Firma, der ›System Kontakt‹ in Bad Friedrichshall, ebenso wie der Landtagspräsident beteiligt gewesen sei. Doch habe er seine Beteiligung abgegeben, sie werde treuhänderisch von seinem Steuerberater Roland Scheuer verwaltet. Der Anteil betrage rund eine halbe Million Mark. Alle Journalisten vergaßen zu fragen, ob dieser Vorgang nur wenige Stunden alt war ... Der Reporter im Studio 10 (Martin Born, d.A.) war unzufrieden, weil er der Meinung war, er hätte eigentlich das Bibliotheksgespräch des Ministerpräsidenten überprüfen und fragen sollen, was veröffentlicht werden dürfe. Doch er hatte dem Ministerpräsidenten Späth alles geglaubt und hatte das Thema nicht gesehen."

Journalisten nennen das: ein größeres Thema durch ein kleineres "totmachen". Eine drohende Enthüllung soll durch freiwillig preisgegebene Teilwahrheiten unterlaufen oder doch begrenzt werden. Hintergrundgespräche bieten sich dafür besonders an, weil man den Recherche-Eifer einzelner ins Leere laufen lassen kann, wenn alle "vertraulich" auf denselben Informationsstand gebracht werden.

Derartige Tricks verfangen zwar häufig, doch sie können sich auch zum Bumerang entwickeln. Der Eindruck, geleimt worden zu sein, stachelt manche Journalisten erst recht an. Die Spätfolgen zeigen sich bisweilen erst nach Jahren – wenn bei passender Gelegenheit alte Rechnungen beglichen werden und der Politiker dann meistens draufzahlt.
Natürlich gibt es auch legitime Motive, Informationen nicht gleich auf dem offenen Markt auszubreiten. Im Vorfeld schwieriger Entscheidungen können Sachzwänge und Zusammenhänge erläutert, bei unpopulären Maßnahmen kann das Wie und Warum zum besseren Verständnis eingehend begründet werden. Manchmal sind private und wirtschaftliche Interessen Dritter berührt, die durch öffentliche Erörterung Schaden nehmen würden.

Öfter aber herrscht eigennütziges politisches Kalkül vor. Themen sollen nur mal "angerissen" werden, um die Resonanz zu erkunden. Fährten, die zum politischen Gegner führen, werden gelegt, um Reaktionen in Gang zu setzen, die man mit offenen Karten nicht erzeugen kann oder will. Dann gerät der Hinter- zum Untergrund, das Gespräch zur Soufflage, mit der das Geschehen auf der Bühne heimlich gesteuert wird. Nichtöffentlichkeit heißt dann Öffentlichkeit mit anderen Mitteln, Informationen verwandeln sich in Intrigen.
Und manchmal geht es einfach auch nur schief. Ein hübsches – nichtpolitisches – Beispiel bietet die Pressearbeit eines großen deutschen Automobilkonzerns. Er lud eine Gruppe handverlesener Journalisten zu einem vertraulichen Gespräch ein, um ihnen die betrübliche Tatsache nahezubringen, daß im Ostgeschäft bei einigen Generalvertretungen gravierende Unregelmäßigkeiten aufgetreten waren. Ziel der Aktion war es, das peinliche Faktum in Form kleiner Meldungen nach außen sickern zu lassen und damit einer breiten, skandalgeschwängerten Berichterstattung vorzubeugen. Doch das "Totmachen" des großen Themas gelang nicht. Die Öffentlichkeitsarbeiter hatten, ihrem Hang zur Perfektion folgend, nur Journalisten eingeladen, die ihnen ganz besonders zuverlässig erschienen. Und die wurden ihrem Ruf auch gerecht: Sie nahmen den Hintergrund ernst und schwiegen wie ein Grab. Kein Wort, keine Zeile drang nach außen.

Wenig später platzte die Bombe aufgrund anderer Recherchen und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen mit lautem Knall.

Täter und Opfer

Wer ist Täter, wer ist Opfer in dem komplizierten Beziehungsspiel? Wer darf sich als Gewinner fühlen, wer steht auf der Verliererseite? Nach dem bisher Gesagten erscheint es schwer, ein eindeutiges Urteil zu fällen.

Zwar verleiht die Türhüterfunktion an der Schwelle zur Wort- und Bildverbreitung Journalisten eine große Selektionsmacht. Besonders Neuankömmlinge auf dem Presseparkett und Politiker aus den hinteren Reihen bekommen sie zu spüren. Auch das agenda-setting, die Möglichkeit, Themen zu besetzen oder in ihrer Rangfolge zu verändern, beeinflußt die politische Praxis erheblich.

Auf der anderen Seite wächst das Arsenal medienpolitischer Steuerungsinstrumente mit den Ämtern und Apparaten, die jemand besitzt. Ist die Bühne erst einmal erklommen und die Statistenphase überwunden, kann die öffentliche Beachtung bis zu einem gewissen Grad planvoll herbeigeführt werden. Professionelle Pressearbeit und Parteienmacht lassen Journalisten dann manchmal eher als Manipulierte denn als Medienmachiavellis erscheinen.

Versucht man, Wirkungen und Rückwirkungen etwas genauer zu analysieren, so fallen die nachstehend beschriebenen Entwicklungen besonders ins Auge.
Zwischen der Aufmerksamkeit für die Top-Prominenz und der Beachtung, die der politischen "middle-class" geschenkt wird, klafft eine immer größere Lücke. Dies ist eine Folge der Personalisierungsstrategien der Medien.

Politik wird an immer weniger Personen festgemacht, die dafür einen immer größeren Anteil an dem – insgesamt schrumpfenden – Seiten- und Bildkontingent erhalten, das Zeitungen und Fernsehen für politische Themen zur Verfügung stellen. Dem Fernsehen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Wer mit gewisser Regelmäßigkeit in den TV-Hauptnachrichten erscheint, wer um Interviews gebeten und zu Talkshows eingeladen wird, gilt als "Politikstar" (im Talkshow-Jargon: als "dicke Nase"). Dies färbt dann auch auf die Printmedien ab: Die Schlagzeilen über den Betreffenden werden größer, seine Aussagen rücken auf prominentere Plätze vor.

Wie hart der Wettbewerb selbst in der Spitzengruppe ist, zeigt die Konkurrenz zwischen Rudolf Scharping (SPD) und Joschka Fischer (Grüne). Obwohl zwei Oppositionsparteien von politischem Gewicht im Bundestag vertreten sind, akzeptieren die elektronischen Medien letztlich nur einen Exponenten als "Chef-Oppositionsführer". Dabei hat sich der wesentlich medienbegabtere Fraktionschef der Grünen gegenüber dem Sachpolitikertyp Scharping klar durchgesetzt und das parteipolitische Kräfteverhältnis medienpolitisch auf den Kopf gestellt. Nach einigen politischen Schnitzern Scharpings übernahmen die Zeitungen und politischen Magazine die vom TV-Journalismus vorgezeichnete Linie und begannen, Scharping in Grund und Boden zu schreiben. Gleichzeitig wurde der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) als mediengefälligere Alternative zu Scharping aufgebaut.

Auch die Bedeutung, die dem Kompetenzbereich eines Politikers beigemessen wird, hängt oft mit seiner TV-Skalierung zusammen. Seit beispielsweise das Bonner Gesundheitsressort in Minister Seehofer einen von den Medien als interessant eingestuften Chef hat, erfreut sich die Gesundheitspolitik weit größerer journalistischer Beachtung als früher. Demgegenüber hat die Arbeitsmarktpolitik des lange Zeit als Medienliebling geltenden Bundesarbeitsministers Blüm an publizistischer Zugkraft verloren.

Wer nicht zum exklusiven Kreis der Bonner Medienprominenz zählt, hat es schwer, sich bundesweit Gehör zu verschaffen. Selbst die meisten Ministerpräsidenten finden außerhalb ihrer Landesprogramme kaum noch Zugang zum Fernsehen. Zwar verfügen sie über eine starke Stellung auf dem regionalen Zeitungsmarkt. Aber die Segmentierung der Politik entsprechend dem Medienprofil ihrer Akteure läßt sich damit nicht aufhalten.

Der medienpolitische Einfluß der "Spitzengruppe" nimmt zu, im übrigen ist er eher rückläufig.

Nur wenige Spitzenpolitiker sind in der Lage, ihre Macht direkt in die Personal- und Programmentscheidungen eines Senders oder einer Zeitung einfließen zu lassen. Die meisten müssen sich dazu der Gremien bedienen oder versuchen, durch pressepolitische Maßnahmen ans Ziel zu kommen.

Zu den härtesten und erfolgreichsten Intervenienten zählt zweifellos Bundeskanzler Kohl, der personalpolitische Vorgänge bei Schlüsselmedien gern zur Chefsache macht. "Er mischt sich in Personalentscheidungen großer Medienkonzerne ein und bestimmt im übrigen selbstherrlich, wann und zu welchem Thema er das Wort an sein Volk richtet" (Gunther Hartwig in der Südwestpresse vom 22.07.1995). In Bonn werden Kohl eine ganze Reihe personeller medienpolitischer Weichenstellungen nachgesagt.
So soll die Ablösung des Bonner ZDF-Studioleiters Wolfgang Herles, der wiederholt durch kritische Berichte und Buchveröffentlichungen aufgefallen war, von Kohl mit initiiert worden sein, ebenso die Bestimmung seines Nachfolgers Klaus-Peter Sigloch (mittlerweile ZDF-Studio Washington). Kanzler-Kritik habe es auch bei der Neubesetzung der ARD-Studioleitung gegeben, als Ernst Dieter Lueg für den zum WDR-Intendanten berufenen Friedrich Nowottny nachrückte.

Der Berufung des früheren Chefredakteurs der Stuttgarter Zeitung, Thomas Löffelholz, zum neuen Herausgeber der Welt sei, kolportieren Bonner Journalisten, ein Gespräch Kohls mit dem Springer-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Richter vorausgegangen, in dem Kohl Vorbehalte gegen Löffelholz angemeldet habe – allerdings vergeblich. Als Kohls medienpolitischer "Männerfreund" Leo Kirch in seiner Eigenschaft als Springer-Großaktionär im August 1995 ultimativ die Abberufung des liberalen Löffelholz verlangte, weil der einen positiven Welt-Kommentar zum umstrittenen "Kruzifix"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugelassen hatte, vermuteten deshalb nicht wenige Journalisten hinter der Kirch-Attacke auch Helmut Kohls Handschrift. Daß der Kanzler der ARD lange Zeit kein Sommer-Interview in seinem Feriendomizil am Wolfgangsee gewährte, wie es andere Sender von ihm erhielten, hatte nach diesen Informationen ebenfalls mit Personen zu tun. Kohl habe die von der ARD dafür vorgesehenen, SPD-nahen Journalisten Fritz Pleitgen und Ernst Dieter Lueg als Interviewpartner nicht akzeptiert, heißt es. Erst als die ARD sich beugte und die zum Unionslager zählenden Journalisten Sigmund Gottlieb (Bayerischer Rundfunk) und Wolfgang Kenntemich (Mitteldeutscher Rundfunk) anbot, habe der Kanzler sein Plazet gegeben.

Chefsache sind selbstverständlich auch die Intendantenposten. So hätten der Bundeskanzler und der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel bei der Wahl des früheren ZDF-Redakteurs Peter Voss zum Intendanten des Südwestfunks "kräftig positiv mitgemischt", sagt ein Bonner Korrespondent.

Politiker aus dem zweiten und dritten Glied haben dagegen nicht das Gewicht, um sich derart direkte Einmischungen erlauben zu können. Bei ihnen überwiegt häufig das Gefühl, den Medien ausgeliefert zu sein bzw. sich deren Wohlwollen durch Anpassung an die Spielregeln der "Mediokratie" erkaufen zu müssen. Und die Zunahme des Medienangebots bei gleichzeitiger Abnahme politischer quality press-Produkte treibt den Aufwand, um publizistisch noch wahrgenommen zu werden, stetig in die Höhe.
In immer größerem Umfang treten Inszenierungen und Rituale an die Stelle von Sachpolitik. Politisches Marketing bestimmt viele Entscheidungsabläufe.

Die meisten Politiker haben inzwischen das "Medienfenster" fest im Kopf. Sie kalkulieren die öffentliche Wirkung ihrer Aktionen von Anfang an mit ein. Nicht selten erschöpft sich der Sinn ihres Auftritts auch schon darin.

Im Sommer 1995 weihten in Stuttgart der Bundesverkehrsminister, der Landesverkehrsminister und der örtliche Regierungspräsident ein "intelligentes" Verkehrsleitsystem für eine stark befahrene Bundesstraße ein. Sie taten das vor den Augen und Ohren der Regionalpresse und im (der Öffentlichkeit zunächst verschwiegenen) Wissen, daß die Anlage noch gar nicht funktionierte. Erst Wochen später ging sie in Betrieb. Das hielt die Politiker jedoch keineswegs davon ab, Lobesreden zu schwingen und sich feiern und fotografieren zu lassen.

Kurze Zeit danach ging ein Bild durch südwestdeutsche Zeitungen, das den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel beim Frühstücken mit Wohnsitzlosen zeigte. Wohlgelaunt lachte der Regierungschef, der nicht einmal zu diesem Anlaß auf seine Krawatte hatte verzichten wollen, in die Kamera des hinzubestellten Fotografen. Die beiden bärtigen, ärmlich gekleideten "Berber" dagegen, denen er die Ehre gab, blickten betreten zu Boden. – Das eben ist der Pferdefuß bei PR-Gruppenbildern dieser Art: Manchmal gerät die Mimik zur zentralen Aussage.

Amerikanische Kongreßabgeordnete lassen sich schminken, wenn sie wissen, daß ihre Rede vom Fernsehen aufgezeichnet wird. Für die gefürchteten Zehn-Sekunden-Statements (sogenannte sound bites), die der ungeduldige amerikanische TV-Journalismus Politikern als Beantwortungszeitraum höchstens zugesteht, machen sie sich mithilfe von Rhetorikspezialisten fit. ...

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