Auszüge aus Wilhelm Reich's
"Menschen im Staat"

Den Kindern der Zukunft

Das Buch "Menschen im Staat" folgt einem Manuskript von 1937, das 1944/45 durch weitere Materialien und Anmerkungen ergänzt wurde. Vor der ersten englischsprachigen Veröffentlichung 1953 fügte Reich, als "Stiller Beobachter", weitere Anmerkungen hinzu. Diese (manche von ihnen mit "SB" bezeichnet, andere nicht) sind überall im Text in eckige Klammen gesetzt oder folgen auf die Jahreszahl "1952"; durch geschweifte Klammern gekennzeichnet sind Textteile, die Reich im deutschen Manuskript gestrichen hat. Die Rolle des Stillen Beobachters erklärt Reich selbst in dieser einleitenden Bemerkung.
Der Stille Beobachter (SB) in diesem autobiographischen Band betrachtet die Ereignisse rückblickend von den Jahren 1950-52 aus, d. h. von der Zeit aus, in der das Oranurexperiment lief. Dieses Experiment, das die Existenz der primordialen kosmischen Orgonenergie auf praktische und zudem sozial eindringliche Weise nachwies, erledigte ein für allemal die Nörgeleien, Verdächtigungen und Entstellungen, die Feinde der Orgonomie in der norwegischen Kampagne (1934-38) und ein paar psychoanalytische Rufmörder (1934-47) verbreitet haben. Der Stille Beobachter beurteilt nicht nur diese Feinde objektiv, er bezieht auch den Entdecker der Orgonenergie, Wilhelm Reich (WR), in seine schonungslose Kritik mit ein. Sowohl die Irrtümer und dummen Fehler als auch die positiven Erfahrungen und Fortschritte der Jahre 1927 bis 1937 sind eine wichtige Lektion für jeden, der vorhat, mit der menschlichen Natur weiterhin auf politische statt auf wissenschaftliche Weise umzugehen. Nur auf sachbezogene und nicht auf politische Weise wird man schließlich mit der sexuellen Revolution unserer Tage fertigwerden und die emotionelle Pest (EP) besiegen.

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Der stille Beobachter

Der Stille Beobachter weiß sehr wohl, daß die Entdeckung der primordialen kosmischen Orgonenergie alles schäbige und clevere Politisieren und jedes Denken in Begriffen wie dem der Klasse oder des Unbewußten sinnlos gemacht und hinter sich gelassen hat. Es steht außer Zweifel, daß diese Entdeckung der Menschheit in ihrem Kampf gegen die emotionelle Pest, die ihre größten und besten Anstrengungen stets zunichte macht, zur rechten Zeit ein effektives theoretisches und praktisches Instrumentarium zur Verfügung stellen wird. Dennoch scheint es auf tragische Weise wahr zu sein, daß noch auf Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinaus der Politiker und der bloße Ideologe die öffentliche Szene beherrschen werden; sie werden weiterhin versuchen, die menschliche Natur durch Ideen, Programme, Reden, Versprechungen, Illusionen, Taktiererei und alle möglichen politischen Tricks zu verändern, jedoch keinen einzigen praktischen Schritt tun, um andere Verhältnisse zu schaffen und die natürlichen Gesetze des Lebens wieder zur Geltung zu bringen.

Die folgende Bilanz der Erfahrungen WRs in sozialistischen und psychoanalytischen Bewegungen wird hier vorgelegt, um künftige Irrtümer und unnötige Fehler vermeiden zu helfen. Es bleibt zu hoffen, daß auch der professionelle intellektuelle Heckenschütze, ob in der kommunistischen Partei oder nicht, vor dem Suchen und Leiden der Menschen noch so viel Achtung hat, daß er seinen Hinterhalt "im Gebüsch" verläßt und die Ungeschütztheit, mit der dieses historische Material "auf der Lichtung" erscheint, nicht mißbraucht.

Zur Einführung

Dieses Buch setzt sich aus verschiedenen Niederschriften in den Jahren zwischen 1927 und 1945 [1952: "1945" bezieht sich hier nur auf einen 1945 gefaßten Plan, alles historische Material bis zu diesem Jahr zu veröffentlichen. Als Folge anderer Aufgaben wurde nur die Zeit von 1927 bis 1939 tatsächlich konsequent beschrieben. Andere Perioden sind in gesonderten Schriften behandelt worden.] zusammen. Ich lege hier weder ein Kompendium der sexualökonomischen Soziologie noch eine Schrift vor, die anläßlich eines bestimmten Ereignisses verfaßt worden wäre. Die Entstehung des vorliegenden Buches gibt die allmähliche Reifung von Einsichten wieder, die im Verlaufe von fast zwei Jahrzehnten sich stückweise meldeten, um schließlich zu einem Gesamtbilde zu verschmelzen. Wer selbst in unerforschten Gebieten gearbeitet hat, begreift, daß es nicht ein vorgesetztes Ziel, sondern der Weg des Suchens selbst ist, der sich im Endergebnis widerspiegelt.

Man wird fragen, weshalb ich dies betone. Der Grund ist einfach: Ein naturwissenschaftliches Denkergebnis bezeugt seine Unvoreingenommenheit, wenn es soziale Erlebnisse darstellt, die zu verschiedenen Zeiten erworben wurden und den Weg des Irrens und Findens widerspiegeln. Ich schrieb dieses Buch nicht von einer vorgefaßten theoretischen oder emotionell begründeten Meinung her. Ich schrieb es nicht als Ergebnis eines willkürlichen Denkprozesses. Ich schrieb es auch nicht, weil ich mir irgendein Bild von einer besseren sozialen Organisation zurechtgemacht hatte. Ich habe die Einsichten, die in diesem Buche zusammengefaßt sind, erlebt und gesammelt, wie etwa ein Siedler in unbewohnter Wildnis seine Beobachtungen und Erfahrungen sammeln muß, wenn er überleben will.

Ich war ursprünglich Kliniker, der nur an Naturwissenschaften und Naturphilosophie interessiert war, und nicht Soziologe oder gar Politiker. Es war der spontane Gang der naturwissenschaftlichen Orgonomie, der mich im Beginne, etwa 1919, auf das Gebiet der individuellen und sozialen Sexualökonomie führte. Die Sexualökonomie war Vorläuferin der Entdeckung des Orgons, der kosmischen Lebensenergie.

Rückblickend von 1945 aus muß ich sagen, daß die Entdeckung des Orgons durch mich ohne die Erlebnisse, die in diesem Buche geschildert sind, ausgeblieben wäre. Sie verdankt ihre Existenz den Hindernissen, die der irrationale Bau der menschlichen Gesellschaft und die charakterliche Struktur der Menschentiere des 20. Jahrhunderts ihr in den Weg geworfen haben. Der Zwang, diese Hindernisse als biopathische Lebensäußerungen und nicht als zufällige Schicksalsschläge zu erkennen, und die Mittel zu finden, sie zu überwinden, rüstete mich mit den Methoden der Orgonforschung aus. Ich ahnte von der Existenz des Orgons ebensowenig wie irgendein Psychoanalytiker, der sich mit Triebpsychologie, oder irgendein Physiker oder Biologe, der sich mit Erdmagnetismus oder mit der Kernteilung beschäftigt. Wie ich oft hervorhob, war nicht die Entdeckung des Orgons, sondern im Gegenteil seine Nichtentdeckung im Zeitraume von etwa 2500 Jahren eine Leistung, allerdings eine Verdrängungsleistung. Zwei Jahrzehnte dauernde klinische Beschäftigung mit der menschlichen Neigung zur Verdrängung lebenswichtiger Prozesse stellte mir die Frage nach den Ursachen des menschlichen Irrationalismus entgegen. Aus welchem Grunde, so lautete die Frage, wehrt sich der Mensch gegen nichts so sehr wie gegen die Erkenntnis seines eigenen Wesens, seiner biologischen Herkunft und Konstitution? Von der biologischen Entartung des Menschentiers, die seine persönliche und soziale Existenz seit Jahrtausenden chronisch und in periodischen Katastrophen gefährdet, wußte ich nichts.

Mit dieser Frage war ein Zweifel an der Rationalität des menschlichen Denkprozesses in mich geraten, der nie mehr locker ließ. Als noch Frieden herrschte, hatte der Zweifel wenig Nahrung. Die Neurosen, die Freud in naturwissenschaftlicher Weise, wenn auch nur psychologisch, verstehen gelehrt hatte, erschienen mir, wie allen anderen, als Erkrankungen ansonsten gesunder Organismen. Wenn irgendwer vor 1927 behauptet hätte, daß so viele soziale Institutionen der Gesellschaft des Menschentiers seit Tausenden von Jahren im wesentlichen irrational, also biopathisch waren, wäre ich einer seiner strengsten Gegner gewesen. Mittlerweile hat die soziale Entwicklung überall auf dieser Erde, ausgehend von Europa, die Tatsache, daß der Mensch und seine Gesellschaft im streng psychiatrischen Sinne des Wortes geisteskrank sind, zu einem Gemeinplatz gemacht. Ich hatte das Glück, oder wenn man so will, das Unglück, diese Tatsache nicht wie die meisten erst um 1942, sondern schon 1927 empfunden und mit ihrer Erforschung begonnen zu haben. Der erste Zusammenstoß mit der menschlichen Irrationalität war ein Riesenschock. Daß ich ihm standhielt, ohne geisteskrank zu werden, ist unbegreiflich. Man bedenke, daß dieses Erlebnis mich inmitten einer behaglichen Angepaßtheit an das übliche Denken antraf. Ich geriet, ohne zu ahnen, womit ich es zu tun hatte, in die sogenannte "Wurstmaschine", also in einen Zustand, der in den letzten zehn Jahren jedem neu hinzukommenden Sexualökonomen und Vegetotherapeuten wohl vertraut ist. Der Zustand läßt sich am besten wie folgt beschreiben: Wie mit einem Schlage erkennt man die naturwissenschaftliche Nichtigkeit, die biologische Sinnlosigkeit und die soziale Schädlichkeit von Anschauungen und Einrichtungen, die bis zu diesem Zeitpunkt ganz natürlich und selbstverständlich erschienen. Es ist eine Art Weltuntergangserlebnis, wie man es beim Schizophrenen in seiner pathologischen Form so oft antrifft. Ich möchte sogar vermuten, daß die schizophrene Form der Geisteskrankheit regelmäßig mit einer erhellenden Einsicht in den Irrationalismus des sozialen und politischen Geschehens, der Erziehung der Kleinkinder in erster Linie, einhergeht. Was wir echten "kulturellen Fortschritt" nennen, ist nichts anderes als das Ergebnis solcher Einsichten. Pestalozzi, Rousseau, Voltaire, Nietzsche und viele andere waren ihre Repräsentanten. Der Unterschied zwischen dem Erlebnis des Schizophrenen und den Einsichten kräftiger Neuschöpfer ist der, daß sich umstürzende Einsichten in langen Zeiträumen, oft über Jahrhunderte, praktisch entfalten. In sozialen Revolutionen, wie etwa der amerikanischen von 1776, der französischen von 1789 und der russischen von 1917, überschwemmen solche rationalen Einsichten das Lebensempfinden von Millionenmassen. Mit der Zeit werden die "radikalen Wahrheiten" ebensolche Selbstverständlichkeiten, wie es die irrationalen Anschauungen und Institutionen vorher gewesen waren. Die Entscheidung darüber, ob rationale Einsichten zur individuellen Geisteskrankheit oder zur rationalen Umgestaltung der sozialen Verhältnisse führen, hängt von vielen Umständen ab: beim Individuum vor allem von seiner sexuellen Befriedigungsfähigkeit und der Geordnetheit seines Denkens; im großen Maßstabe der Menschenmasse hängt die Entscheidung vom Zusammenfallen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse mit sozialen Notwendigkeiten ab. Es ist wohlbekannt: Eine korrekte Einsicht kann in einem Individuum verfrüht auftauchen, ehe der soziale Prozeß denselben Standpunkt erreicht hat. Die Geschichte der Naturwissenschaften und der Kulturentwicklung ist voll von Beispielen, die diese Behauptung als richtig erweisen.

Die Achse, um die sich dieses Buch dreht, ist die Behinderung der Funktionen einfacher und natürlicher Lebensprozesse durch den sozialen Irrationalismus, der, von biopathischen Menschentieren erzeugt, sich in der Menschenmasse charakterlich, d. h. biophysikalisch, verankert und derart soziale Bedeutung erhält. Nicht die rationale Einrichtung des sozialen Lebens, sondern – umgekehrt – die Aufrechterhaltung des politischen Irrationalismus stellt eine Riesenleistung dar. [Sie ist wahrhaft ein teuflisches Problem.] Die biologische Energie, die ein Leben lang in einer Biopathie irrational verausgabt wird, würde, rational gelenkt, Riesenrätsel der menschlichen Existenz lösen. Dieser Behauptung kann sich niemand entziehen, der als Biopsychiater tätig ist. Der Traum von einem besseren sozialen Dasein bleibt nur deshalb ein Traum, weil Denken und Sinne der Menschentiere für das Einfache und Naheliegende gesperrt sind. {Dieser Grundpunkt des arbeitsdemokratischen Lebensprozesses} Diese Tatsache wurde spontan durch die Ereignisse klar.

Ich habe den sozialen Irrationalismus in Mitteleuropa jahrelang selbst mitgemacht. Ich habe ihn später persönlich in meiner Eigenschaft als Arzt und Naturforscher von anderen erlitten. Ich war jahrelang politischer Mensch [d.h. ein stark an sozialen Fragen interessierter Mensch] und Arbeitender zugleich, ohne die Unvereinbarkeit von Arbeit und Politik zu gewahren. Der Politiker in mir ging unter, der arbeitende Arzt, Naturforscher und Soziologe blieb nicht nur bestehen, sondern er überstand vielmehr, bis jetzt, das soziale Chaos. Ich hatte Gelegenheit, viele politische Katastrophen aus der Nähe zu verfolgen. Einige davon erlebte ich am eigenen Leib: den Untergang der österreichischen Monarchie; die Rätediktatur in Ungarn; die Rätediktatur in München; den Untergang der österreichischen Sozialdemokratie und der österreichischen Republik; die Entstehung und den Untergang der deutschen Republik; ich erlebte die ungarische, österreichische und deutsche Emigration; dann folgten der Reihe nach der Untergang der Tschechoslowakei, der Untergang Polens, Hollands, Belgiens, Dänemarks, Norwegens, Frankreichs; mit all diesen Ländern verknüpften mich persönliche und sachliche Beziehungen. Aus all diesem politischen Ruin ragte unter anderen eine Tatsache eminent hervor: Überschritt ein Politiker einmal die Grenzen seines Landes, so wurde er unbrauchbar und konnte sozial nicht mehr Fuß fassen. Überschritt dagegen ein arbeitender Mensch die Grenzen seines Heimatlandes, so faßte er in jedem beliebigen anderen Lande früher oder später, sofern er nicht von Politikern gehindert wurde, sachlich und materiell wieder Fuß. Diese eine Tatsache enthält eine riesenhafte Wahrheit. Die Politik ist ihrem Wesen nach auf nationale Grenzen beschränkt. Die Arbeit ist ihrem Wesen nach international und frei vom Zwange irgendwelcher Grenzen. Wir werden diesen Tatbestand in seiner vollen sozialen Tragweite erst am Schluß dieses Buches ermessen können.

Es gibt derzeit eine Reihe menschlicher Gruppierungen in Europa und anderwärts, die meine soziologischen Schriften aus den Jahren zwischen 1927 und 1938 zur Grundlage ihrer sozialen Neuorientierung gemacht haben. Es ist unerläßlich, schon hier Klarheit über meinen Standpunkt zu schaffen: Ich trage noch immer voll die Verantwortung für jede naturwissenschaftliche, ärztliche oder sozialpädagogische Behauptung aus jenen Jahren, sofern nicht spätere Arbeiten Korrekturen einfügten oder noch einfügen werden. Das Lehrgebäude der {personellen und sozialen} Sexualökonomie steht, wesentlich unverändert und durch die scharfen sozialen Ereignisse erprobt, auf festem Grunde. Die Orgonforschung ab etwa 1934 hat diesem Lehrgebäude, das kein fertiges System ist, die experimentelle Verwurzelung gesichert. Die Sexualökonomie ist heute ein anerkannter Zweig naturwissenschaftlicher Forschung.

Von den alten politischen Begriffen dagegen, die man in meinen frühen soziologischen Schriften findet, besteht keiner mehr zu Recht. Sie gingen mitsamt den Organisationen, unter deren Einfluß sie in meine Schriften gelangt waren, zugrunde. Man findet eine ausführliche Korrektur der sozialen Begriffe meiner politischen Psychologie im Vorwort zur dritten Auflage der "Massenpsychologie des Faschismus" (1946 engl.).

Die Ausscheidung der politischen Parteibegriffe ist kein Rückschritt zu akademischer, sozial uninteressierter Naturwissenschaft, sondern ganz im Gegenteil ein Riesenschritt vorwärts aus dem Gebiete des politischen Irrationalismus heraus in die rationale Gedankenwelt der natürlichen Arbeitsdemokratie. Ich weiß nicht und kann nicht wissen, wer von den alten Freunden und Mitarbeitern den gleichen Prozeß mitgemacht hat oder wer noch mit alten politischen Begriffen operiert. Wer meine kleineren, meist illegal erschienenen Aufsätze zwischen 1936 und 1940 kennt, weiß auch über den Prozeß der Loslösung von der Politik Bescheid. Ich möchte daher jede Verantwortung für Versuche ablehnen, die meine früheren parteilichen Bindungen von vor mehr als vierzehn Jahren parteipolitisch ausbeuten wollten. Ich müßte sofort öffentlich protestieren, wenn irgendwer meinen Namen oder meine Arbeiten zur Unterstützung sozialistischer, kommunistischer, parlamentarischer oder irgendeiner anderen Art Machtpolitik ausbeuten wollte. Ich hatte nie etwas und habe jetzt nichts mit Machtpolitik zu tun.

Doch die Gefahr solcher Ausbeutung ist gering. Sie könnte nur durch Verzerrung meiner Arbeitsergebnisse durchgeführt werden. Erfahrungsgemäß verhalten sich übliche Parteipolitik und Orgonbiophysik wie Feuer und Wasser zueinander.

Weder bin ich noch war ich jemals in Machtpolitik verwickelt. Ich schloß mich 1927 den sozialistischen und kommunistischen Kultur- und Gesundheitsorganisationen an, um durch Massenpsychologie die rein ökonomistische Vorstellung der Gesellschaft, wie sie in der sozialistischen Theorie enthalten war, zu ergänzen. Formal war ich zwischen 1927 und 1932 Sozialist und Kommunist. Aber faktisch war ich es nie und wurde auch von den Parteibürokraten nie als ein solcher angesehen. Ich glaubte niemals, daß Sozialisten und Kommunisten wirklich emotionelle Probleme des Menschen lösen könnten. Dementsprechend hatte ich nie eine Parteifunktion inne. Ich war mir ihrer trockenen ökonomistischen Orientierung wohl bewußt, und ich wollte ihnen helfen, da sie die Rolle der "Fortschrittlichen" im Europa der 20er Jahre spielten. Zwar konnte mich die Politik nie betrügen, aber es dauerte lange, bis ich "soziale" von "politischen" Prozessen unterscheiden konnte. Ich hatte eine hohe Meinung von Karl Marx als einem Wirtschaftstheoretiker des 19. Jahrhunderts. Heute jedoch betrachte ich seine Theorie als weit überholt durch die Entdeckung der kosmischen Lebensenergie. Ich glaube, daß von der Marx‘schen Theorie nur der lebendige Charakter der menschlichen Produktivkraft bestehen bleiben wird. Dies ist ein Aspekt seiner Arbeit, der völlig vernachlässigt und schon vor langer Zeit vergessen wurde in den sozialistischen und kommunistischen Bewegungen, die Opfer mechanistischer Wirtschaftstheorie und mystischer Massenpsychologie wurden – ein Fehler, den man nicht so dauerhaft begeht, ohne seinen Platz im Buch der Geschichte zu verlieren.

Und schließlich wurde nicht die Spur einer Unterscheidung gemacht zwischen einer wissenschaftlichen Sicht der Gesellschaft und den bestialischen, stumpfsinnigen, verächtlichen Grausamkeiten, die von Biopathen, die durch Intrigen an die Macht zu kommen wußten, am arbeitenden Volk verübt wurden. Einen Duncker, Kautsky oder Engels mit kriminellen Mördern des Moskauer Schlages in einen Topf zu werfen ist das sicherste Zeichen eines degenerierten, wissenschaftlich inkompetenten und konfusen Denkens. Wenn heute jemand behauptet, den Kommunismus zu bekämpfen, muß er beweisen, daß er mehr darüber weiß, als daß dort Köpfe rollen.

[1952: Es ist unmöglich, die Lebensfunktionen zu meistern, wenn man sie nicht voll lebt. Kein Bergmann kann Kohle abbauen, ohne ins Bergwerk zu gehen. Kein Ingenieur kann eine Brücke über eine Schlucht bauen, ohne einen Absturz zu riskieren. Kein Arzt kann eine ansteckende Krankheit heilen ohne das Risiko, sich selbst anzustecken. Einer, der nie verheiratet war, weiß nichts über die Ehe, und keine Person, die nicht ein Kind geboren oder zumindest praktisch bei einer Geburt geholfen hat, weiß darüber Bescheid. Das ist der Sinn der Arbeitsdemokratie. Als Malinowski sich entschloß, alte Kulturen zu studieren, ging er auf die Trobriandinseln, wo er mit den Menschen in ihren Hütten lebte und ihr Leben und Lieben teilte. Auf diese Weise entdeckte er den Funktionalismus in der Ethnologie. Um funktional zu denken, muß man funktional leben.

Ähnlich mußte ich, als ich mich entschloß, in der vorbeugenden Mentalhygiene (heute "Sozialpsychiatrie" genannt) zu arbeiten, zu den Menschen gehen, wo auch immer sie lebten, liebten, haßten, litten und in eine unsichere Zukunft träumten – und ich tat das freudig, ja begeistert. In jener Zeit waren in Europa die sogenannten unteren Klassen unter sozialistischer und kommunistischer Führung organisiert. Es gab vier bis fünf Millionen kommunistische und sieben Millionen sozialistische Wähler allein in Deutschland, und diese zwölf Millionen linken Stimmen waren bedeutend unter den etwa dreißig Millionen Stimmen in Deutschland. Man muß dies miterlebt haben, um zu wissen, was "Linke" sind; man kann unmöglich Europa von Amerika aus beurteilen ohne diese Erfahrung. Es ist auch wesentlich, zu wissen, daß in den späten zwanziger Jahren die Orientierung der kommunistischen Parteien in Deutschland und Österreich im wesentlichen demokratisch war. Sie waren noch keine Beute der roten Faschisten geworden, was in den dreißiger Jahren geschah.

Das war also meine Feldarbeit in Sozialpsychiatrie, und es hat nicht lange gedauert, bis ich die bösartige Macht der emotionellen Pest des Menschen zu spüren bekam. Bald darauf wurde mir klar, daß ich der erste Arzt und Psychiater war, der die emotionelle Pest im sozialen Bereich entdeckt und sich selbst in einen tödlichen Kampf verstrickt hatte mit der schlimmsten Seuche, die jemals die Menschheit heimgesucht hat, ein Kampf, der bis zum heutigen Tage andauert. Diese Erkenntnis war eine wesentliche Vorbedingung, um die Fähigkeit und den Willen zum Lernen aufzubringen, das unabdingbar war, um zu überleben.]

Die Erfassung des natürlichen arbeitsdemokratischen Lebensprozesses der Gesellschaft verbietet politische Tätigkeiten im alten Sinne. Wir vertreten sachliche Prozesse und keine Ideologien. Der ernste Arbeiter haftet an seiner Aufgabe unter allen Umständen, und er vertritt sie so tapfer wie möglich. Das gilt für jeden lebensnotwendigen Arbeitsprozeß. Wir teilen der Welt mit, wie wir unsere Arbeit organisieren. Die Teilnehmer an allen anderen Arbeitsprozessen haben ebenso wie wir die Verantwortung, was aus dieser menschlichen Gesellschaft wird. Wir können weder dem Bergbau noch der Lebensmittelindustrie vorschreiben, wie sie ihre spezielle Arbeit arbeitsdemokratisch organisieren sollen. Wir haben die Prophylaxe des Krebses und anderer Biopathien, also das sexualökonomische Prinzip in der Kleinkindererziehung und die Nutzbarmachung der kosmischen Lebensenergie des Orgons, zu organisieren. Wir leisten mit unseren psychiatrischen und biophysikalischen Kenntnissen Pionierarbeit und legen Grundprinzipien des Lebensprozesses klar.

Wir können auf Grund alter, zahlreicher Erfahrungen sicher sein, daß sich uns bei jedem entscheidenden Schritt sozialhygienischer Art dieser oder jener machtvolle Politikant in den Weg stellen wird. Hierzu ist zu sagen: Wir haben viele Jahre, geduldig und unterstützt durch den praktischen Erfolg unserer Bemühungen, versucht, mit verantwortlichen Politikern jeder Schattierung zu kooperieren. Wir haben nur Schwierigkeiten erlebt, und wir hatten Gefahren und Diffamierungen zu überwinden, die regelmäßig von Politikern herkamen. Jede Katastrophe, die die Sexualökonomie in ihrer Entwicklung zu bewältigen hatte, wurde von Politikern herbeigeführt: von kommunistischen Politikern, psychoanalytischen Organisationspolitikern, ärztlichen Organisationspolitikern, christlichen Regierungspolitikern, faschistischen Staatspolitikern, diktatorischen Polizeipolitikern und anderen Politikern. Die Vertreter der Sexualökonomie haben bewiesen, daß sie bereit sind zu kooperieren. Die Politiker haben bewiesen, daß sie Feinde sind, nicht so sehr aus persönlichen wie aus prinzipiellen Motiven ihrer Existenz. Es liegt also an den Politikern, wenn die Vertreter der Sexualökonomie, der politischen Psychologie und der Orgonbiophysik keinerlei Rücksicht mehr nehmen. Indem wir für die Durchführung unserer sozialen Aufgaben sind, sind wir automatisch, ob wir es wollen oder nicht, gegen Politik jeder Art.

Unser sozialer Standpunkt ist in diesem Buche, wie in anderen Schriften, klar und unmißverständlich dargelegt. Wir wollen, daß die Welt der Parteipolitik diesen Standpunkt kenne. Niemand soll sich später darauf berufen können, daß er "es nicht gewußt" hätte. Die Erfahrungen dieser letzten zwölf furchtbaren Jahre haben uns gelehrt: Der Politiker benützt gerne die Früchte anderer Leute ehrlicher Arbeit, um Stimmen einzufangen. Hat er genügend Stimmen eingefangen und derart soziale Macht gewonnen, so wirft er die Sache, die ihm zur Macht verhalf, über Bord, gesinnungs- und skrupellos. Es ist seinem Wesen eigen, daß er, nachdem er sich fremdes Arbeitsgut angeeignet hat, die Arbeitenden durch Diffamierung oder durch Exekutionssquader beseitigt. Es bedarf nicht langer Überlegung, daß ein Lenin, ein Engels etc. 1930 in Rußland nicht überlebt hätten, und ebensowenig hätte ein amerikanischer Freud überlebt, wenn ein amerikanischer Hitler mit seinen Entdeckungen die Macht erobert hätte. Diese Dinge sind heute Banalitäten.

Wir kennen die Politiker Europas, Amerikas oder Asiens von 1960 oder 1984 nicht. Unsere Haltung ist vom Erlebnis des Politikantentums zwischen 1914 und 1944 bestimmt. Es ist das Prinzip jeder Art Politik, Naturwissenschaften zu gefährden, wenn die Versprechungen der Politiker praktisch durchgeführt werden. Es ist nicht dieser oder jener Arbeitende, den der Machthaber auszuschalten bestrebt ist, sondern das Regierungsprinzip der Arbeit. Sie wollen Arbeit ausbeuten, aber sie wollen ihr nicht das Recht der sozialen Lenkung überlassen.
Diese Feststellungen sind nicht persönlich gerichtet, da wir ja die Politiker der kommenden Jahrzehnte nicht kennen. Ich stehe aber nicht an, vor ihnen zu warnen. Offene Feindschaft ist besser als hinterhältige Freundschaft.

Wir sind gegen irrationale Überfälle durch Politikante heute besser gerüstet als vor Jahren. Auch die Zeit ist mit uns, und nicht mehr gegen uns. Zwar schlugen die Überfälle der emotionellen Pest auf die Sexualökonomie gewöhnlich wie ein Bumerang zurück, aber sie kosteten viel Arbeitsmühe und Geld; sie gefährdeten immer wieder unser Leben. Es ist daher unerläßlich, das irrationale Wesen der Politik unausgesetzt zu entlarven, so daß es wohl definiert und gedruckt vorliegt, wenn ein emotionell Pestkranker sich wieder einmal durch Tatsachen provoziert fühlen sollte. Freilich, gegen Schüsse aus dem Hinterhalt kann man sich nicht wehren. Vielleicht genügt es den Politikern, von Mord abzusehen, wenn wir ihnen versichern, daß wir mit ihnen nicht um die Macht konkurrieren wollen; daß wir ihnen das Gebiet der Volksverführung völlig überlassen und uns auf unsere Arbeit am verunglückten Menschen beschränken. Erschießungen würden übrigens nichts nützen. Sie würden nur Märtyrer schaffen; das Forschen, Helfen, Streben würde nur tausendfach wiederkommen. Ich hoffe, das ist klar genug gesagt.

...

Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral in die natürlich freie Urgesellschaft

In Berlin fand sich sofort der Anschluß meiner Arbeit an die große soziale Freiheitsbewegung. Wenn man mit einer schwer lastenden Antwort auf eine entscheidende soziale Frage herumläuft, bedeutet die Möglichkeit rascher Einordnung viel. Vor allem Schutz der seelischen Apparatur, die das Problem kraft besonderer Lebenserfahrungen faßte, formulierte und beantwortete. Je tiefer und umfassender ein Problem liegt, desto inniger verwebt es sich mit der Geschichte seines Vertreters. Desto größer seine Verantwortung, seine Struktur keine allzugroßen irrationalen Böcke schießen zu lassen. Das wichtigste Barometer des Wirklichkeitsgehalts einer Idee ist die Reaktion der Umwelt. Mag sie nun positiv oder negativ sein. Findet die richtige Idee nicht die geeignete Form der Äußerung, so ist sie ein Zeichen von Geisteskrankheit, oder sie führt dazu. Ich meine hier geisteskrank im korrekten Sinne: Erfühlung eines Grundproblems des lebendigen Lebens ohne die Fähigkeit, sich ihm zu entziehen, es durchzusetzen oder zumindest rational zu verankern. Ich kannte meine persönliche Gleichung, die mich von innen her bedrohte, sehr gut. Mich beunruhigte nicht die Verdächtigung der Geisteskrankheit. Mir fehlte die Gewißheit, daß ich praktischen Erfolg in entsprechendem Maße haben und derart Opfer einer alten, in der Kindheit erworbenen Unsicherheit werden könnte, jenes sexuellen Schuldgefühls, das die Welt verödet.

Da ich das unverrückbare Empfinden hatte, korrekt zu sehen und richtig zu denken, doch gleichzeitig im Sinne der üblichen Auffassung nicht "eingeordnet" war, mußte ich Bestätigungen für die Richtigkeit meiner Einstellung im Leben draußen suchen. Zuerst war es die Psychoanalyse, die diese Bestätigung zu bringen schien. Es zeigte sich, daß sie sie zum Teil brachte, jedoch die Verantwortung nicht tragen wollte. Damit mußte ich mich also abfinden. Dann war es die kommunistische Partei, die mir recht geben sollte. Sie vertrat ein Programm, das alle Voraussetzungen und auch einige Elemente dessen enthielt, was ich auf anderer Basis erarbeitet hatte. So erklärt es sich, daß ich nicht von Anbeginn selbständig und frei von organisatorischen Bindungen auftrat, sondern meine Sache im Namen der Psychoanalyse und des Marxismus vertrat. Die Marxisten schlossen sich, als es ernst wurde, in dieser Frage reaktionären Richtungen an. Die reaktionäre Welt schreibt aus agitatorischen Interessen sowohl der Psychoanalyse wie dem Marxismus Ideen zu, die diese weder sachlich noch organisatorisch-politisch akzeptieren oder gar vertreten.

So wie der Einbau der Sexualökonomie in die psychoanalytische und die marxistische Bewegung der erste wichtige Schritt war, so wurde zwischen 1934 und 1938 die komplette Loslösung von beiden Bewegungen der zweite, entscheidendere Schritt. Sein Ergebnis war eine Auffassung über die Beziehung der Masse zum Staat, die die besten Elemente der beiden Mutterbewegungen übernimmt, doch darüber hinaus aus der sexualökonomischen Lebensforschung eine Erkenntnis einführt, die die Antwort auf das Problem der faschistischen Bewegung enthält.

Das Problem "Masse und Staat" läßt sich gemäß seiner Entwicklung in vier große Fragengruppen teilen:

1.  Die Führung des ethnologischen Beweises für die Korrektheit der Sexualökonomie an Hand der von Malinowski erforschten Gesellschaft der Trobriander.

2.  Die Entwicklung der sexualpolitischen (im Gegensatz zur sexualreformerischen) Bewegung in Deutschland zur heutigen unabhängigen und international in Organisation begriffenen SEXPOL.

3.  Die Bestätigung meiner soziologischen und sexualpolitischen Anschauung durch die neuen Probleme, die der deutsche Faschismus und der russische Stalinismus aufwarfen, ohne bei den alten Bewegungen eine Antwort zu finden. Schließlich

4.  die Erfassung der natürlichen Organisation der Arbeit als {der bereits vorhandenen, doch unbewußten} Grundlage einer Kulturbewegung, in deren Zentrum die praktische und gesellschaftlich gesicherte Bejahung des sexuellen Lebensglücks der Masse steht.

Neben den Forschungsergebnissen und Argumenten, die die Sexualökonomie für sich sprechen lassen kann, wiegt viel die Art, wie sie sich ergaben. Diese Art beweist nämlich, daß nichts ausgedacht oder ausgeklügelt werden konnte. Daß es sich also um kein "neues System politischer Psychologie" handelte, das in meinem Kopfe entstand. Wenn sich dumpfe Ahnungen oder verworrene Gedanken plötzlich durch dieses oder jenes Ereignis bestätigten, an ihm reiften, neue Ausblicke sich ergaben, die wieder Bestätigung fanden, da wurde die Theorie erst lebendig. Zum Beispiel, als völlig unerwartet der Ethnologe Malinowski ohne Ahnung meiner Anschauungen das Material brachte, das lückenlos hineinpaßte. Oder als meine Ahnung von 1929, daß die russische Sexualrevolution ein zum Tode verurteilter erster Versuch war, sich 1935 durch den kompletten Rückzug in Gesetzgebung und Ideologie bestätigte. So als ich beim ersten Anblick reichsdeutscher SA-Formationen fühlte, daß sie die gestohlene deutsche Revolution in reaktionärem Gedankenkreise vertraten. So meine Gewißheit 1930, daß die Schlacht für die deutsche und österreichische Arbeiterbewegung bestimmt verloren war, weil sie die massenpsychologischen Methoden des Gegners nicht traf. Die politische Reaktion beherrscht die Masse der arbeitenden und zur Anspruchslosigkeit erzogenen Menschen mit Hilfe der Lebensverneinung. Die sozialistische Bewegung vertrat nicht etwa die Lebensbejahung für die Masse, sondern bloß einige grundlegende wirtschaftliche Voraussetzungen. Es gab keine organisierte Stelle, die den sexuellen Kern der Lebensbejahung zu vertreten wagte. Da die einfache Menschenmasse nur die Sehnsucht nach Lebensglück kennt, sich aber für seine Voraussetzungen nicht interessiert, mußte die politische Reaktion überall siegen.

Sie siegte mittels einer Ideologie, die den Bestand der Gesellschaft, Zivilisation und Kultur unbedingt vom Verzicht auf sexuelles Lebensglück abhängig machte. Ich hatte den klinischen Beweis für das Gegenteil längst gefaßt. Da sich die politische Reaktion auf die chaotischen und barbarischen Zustände der Wilden berief, bedeutete das ethnologische Material Malinowskis einen Riesentriumph meiner wissenschaftlichen Position. Daraus ging unzweifelhaft hervor, daß die Kultur, von der die spießigen Schwärmer bloß träumen, nicht nur in keinem Gegensatz zu sexueller Freiheit steht, sondern sie vielmehr voraussetzt.

Im November 1930 bekam ich "Das Geschlechtsleben der Wilden" von Malinowski in englischer Ausgabe zur Besprechung. Es bildete eine logische Fortsetzung seiner früheren Publikationen "Crime and Custom in Savage Society" und "Sex and Repression". Bachofen hatte das "freie Geschlechtsleben" und das Mutterrecht aus klassischen Mythen erschlossen. Morgan hatte aus der "Urgesellschaft" der Irokesen, wo er Jahrzehnte seines Lebens verbracht hatte, an Hand der Verwandtschaftsklassen gefolgert, daß in Urzeiten Bruder und Schwester die natürlichen Gatten waren. Der Inzest also, weit entfernt davon, etwas Widernatürliches zu sein, war die Grundlage der ersten menschlichen Organisation. Das Mutterrecht war nach Ablösung des naturrechtlichen Zustandes der menschlichen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Darauf hatte dann Engels in seinem berühmten Werke "Der Ursprung der Familie" seine Staatstheorie aufgebaut. Faßte man nun die theoretische Linie von Bachofen über Morgan und Engels zu Malinowski zusammen, ergab sich ein einheitliches Bild der Entwicklung der Menschheit. Malinowski war es gelungen, die Verhältnisse einer noch zum großen Teil mutterrechtlich organisierten Gesellschaft aktuell zu erforschen und mithin die Rückschlüsse seiner Vorgänger zu bestätigen. Freilich ohne sich dessen bewußt zu sein. Um so größer ist der Wert seiner Tatsachenmeldungen. Sie zeigen unwiderlegbar, daß Gemeineigentum, Mutterrecht, Mangel einer festen Familienorganisation, sexuelle Freiheit der Kinder und Jugendlichen, Offenheit und Freimut der Charakterstrukturen ebenso zusammengehören wie Privateigentum, Vaterrecht, Askese für Kinder und Jugendliche, Versklavung der Frau, strenge Familie und Ehe, charakterliche Panzerung der Menschen und – Sexualperversionen und seelische Erkrankungen, die nie fehlenden Symptome gesellschaftlicher Sexualunterdrückung.

Ich studierte zunächst die englische Ausgabe, besorgte mir dann eine deutsche und las sie zweimal gründlich. Die meisten Schilderungen waren mir vertraut. Ich kannte die Atmosphäre, die Malinowski beschrieb, aus manchen Jugendgruppen sehr gut. Längst hatte ich durch alle moralischen Verurteilungen in den Missionsberichten und kultiviert eingestellten Ethnologendarstellungen hindurch gefühlt: die einfache, selbstverständliche Art des sexuellen Seins; seine natürliche Sittlichkeit; die Tiefe des natürlichen sexuellen Erlebens, die eine Zote gleichzeitig auch nur zu denken unmöglich macht. Doch ich spürte einen Widerspruch in Malinowskis Darstellung, den ich zunächst nicht anzugeben wußte. Mitten in die Gesellschaft der Trobriander, die natürlichen Gesetzen gehorchte, schob sich wie ein Keil eine moralisch-asketische Forderung. Und soweit diese Forderung sich verwirklichte, herrschte eine sexuelle und moralistische Misere, die sich in nichts von unseren kapitalistischen Zuständen unterschied. In diesem gesellschaftlichen Sektor herrschten andere Gesetze und Ideologien als in der übrigen freien Gesellschaft. Sie konnten unter dem Begriff der "moralistischen Regulierung" im Gegensatz zur "sexualökonomischen Selbststeuerung" zusammengefaßt werden. Die beiden so entgegengesetzten Prinzipien in einer gesellschaftlichen Organisation! Das mußte einen sehr wichtigen Grund haben. Bei der Durcharbeitung des Materials enthüllte sich Schritt um Schritt und Zug um Zug die geschichtliche Entwicklung des moralistischen Zwanges von heute aus der natürlichen Sexualorganisation, deren Spuren ich tief vergraben in den neurotischen Strukturen der modernen Menschen gefunden hatte. Die Struktur des "genitalen Charakters", die sich bei gelingender Charakteranalyse ergibt, und die Durchschnittsstruktur des Trobrianders im noch freien gesellschaftlichen Sektor decken sich lückenlos. So sehr, daß ich lange mißtrauisch war und fürchtete, einem Kunstprodukt des Denkens zum Opfer gefallen zu sein. Die letzten Zweifel verloren sich erst, als Róheim, der ein scharfer Gegner von Malinowski und mir war, gegen seinen Willen und ahnungslos Bestätigungen meiner Anschauung aus einem anderen ethnologischen Gebiet brachte. Die Sexualunterdrückung der Kinder und Jugendlichen ist sozialökonomischen Ursprungs, also historisch geworden und nicht biologisch gegeben. Kulturbildung bei freier Sexualität der Kinder und Jugendlichen ist möglich.

An Malinowskis Material fielen drei sonderbare Tatbestände auf: Die Forderung der sexuellen Enthaltsamkeit für eine bestimmte Gruppe von Kindern und Jugendlichen, das komplizierte, scheinbar sinnlose Heiratssystem zwischen den Clans des Stammes und der Ritus des Heiratsguts.

Diejenigen Kinder, die zu einer bestimmten ehelichen Verbindung verpflichtet waren, unterlagen einem strengen Verbot, sich sexuell zu betätigen. Die kindliche Askese sollte sie ehefähig machen. Sexuell frei lebende Kinder sind unfähig, sich den Forderungen der strengen lebenslänglichen Einehe im patriarchalischen Sinne zu fügen. Denselben Tatbestand hatten mir statistische Untersuchungen von Barasch in der Sowjetunion enthüllt: Je früher Jugendliche zum Geschlechtsakt kommen, desto kürzer dauert die eheliche Gemeinschaft später.

War so der Zusammenhang zwischen der Askeseforderung und der dauer-monogamen Eheinstitution klinisch, statistisch und ethnologisch gesichert, mußte man weiter nach der wirtschaftlichen Funktion des Ganzen fragen. Aus dem Verhältnis der bürgerlichen Ideologie zum natürlichen Geschlechtsleben ließen sich ja Sicherungen wirtschaftlicher Interessen leicht erschließen. Hatte mir doch die Lähmung der Willens- und Entschlußkraft durch dauernde Niederhaltung der körperlichen Erregungen in der Masse der Bevölkerung die eigentliche Funktion längst verraten. Doch der Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Interessen der Nutznießer dieser seelischen Lähmung der Menschen war noch verhüllt. Kein Kapitalist ahnt, weshalb er für die "Volkssittlichkeit" eintritt. Ebensowenig die Sittenpolizei, die Priesterschaft oder die Staatsanwaltschaft. Die Sexualideologie hat Eigengesetzlichkeit angenommen, hat sich verselbständigt und wurde, losgelöst vom Ursprung, eine materielle Kraft. Überdies halten die Menschen selbst sie infolge der organischen Lustangst fest und reproduzieren sie unaufhörlich. Kurz, im heutigen gesellschaftlichen Getriebe läßt sich die wirtschaftliche Funktion der Askeseforderung nicht unmittelbar fassen. Um so erfreulicher war es, daß die keimenden wirtschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse bei den urkommunistischen Trobriandern die gesuchte Beziehung unmittelbar darboten.

Die Trobriander unterschieden moralisch zwischen "guten" und "schlechten" Ehen. Als "gut" galt die Ehe zwischen den Töchtern der Schwestern und den Söhnen der Brüder, die sogenannte "Kreuz-Vetter-Basen-Heirat", als "schlecht" größeren oder minderen Grades jede andere Eheschließung. Woher stammte diese Wertung? Sie paßte so schlecht zum allgemeinen seelischen Verhalten der Trobriander und machte ein Stück des fremdartigen Keils aus. Das folgende Schema veranschaulicht das Gesagte.

...

Der Weg zur Biogenese

Seit meiner Übersiedlung von Malmö in Schweden nach Oslo in Norwegen im Spätherbst 1934 schwebte meine Arbeit zwischen Himmel und Hölle. Der Anspruch auf mindestens zwei Nobelpreise wurde von zahlreichen Freunden und Bewunderern meiner Arbeit ebenso vertreten wie die Notwendigkeit meiner Ausweisung, polizeilichen Untersuchung und Überwachung seitens meiner Feinde. Und Feinde gab es in Überzahl: Neurologen, die Sexualität haßten, Gerichtspsychiater, die an die Vererblichkeit von "kriminellem Geschlechtsverkehr in der Pubertät" glaubten, faschistische Polizeibeamte, die "Fremde" haßten, usw. Der Irrationalismus im sozialen Leben des 20. Jahrhunderts der "Kultur und Zivilisation" hat im Kampf des gepanzerten Lebens gegen die Entdeckung der biologischen Energie (und damit der Biogenese) riesenhafte, im Rückblick von heute (1946) unwahrscheinliche Dimensionen angenommen. Freunde und fernstehende Beobachter priesen die Entdeckung der Bione als die größte Tat der Wissenschaft in Jahrhunderten. Der norwegische Polizeichef Konstad [ein Faschist, der später als Nazikollaborateur hingerichtet wurde] hielt mich für den gefährlichsten Feind von Ruhe und Ordnung. Die Entdeckung der Bione und des Krebsprozesses spielte sich sozusagen zwischen Tür und Angel, in den kurzen Pausen zwischen Übersiedelungen und Neueinrichtungen, ab. Der Impuls des Lebendigen muß Riesenkräfte entwickelt haben, wenn ich befähigt war, die Zeit zwischen etwa 1934 und 1944 durchzuhalten. Die Schilderung dieser Zeit ist aus mehreren Gründen gebieterisch gefordert.

Der Kampf um die Biogenese enthüllt das Rätsel, weshalb es der Wissenschaft bis dahin nicht gelungen war, dem Lebendigen auf die Spur zu kommen. Er zeigt die furchtbaren Wirkungen der emotionellen Pest im Getriebe des menschlichen Seins. Er ist ferner geeignet, eine Fülle von falschen Gerüchten außer Funktion zu setzen, die über mich in jener Zeit in Umlauf kamen und von den Feinden des ungepanzerten Lebens lebhaft verbreitet und ausgenützt wurden. Er zeigt den Stand des ungepanzerten Lebens in unserer Staatsordnung, den "Menschen im Staat" in seiner besten wie in seiner gemeinsten Funktion.

Ich habe die Zusammenfassung und Niederschrift der berühmt gewordenen "norwegischen Pressekampagne" gegen meine Arbeit jahrelang aufgeschoben. Wenn ich an meinen Bionpräparaten arbeitete, die Orgonenergie beobachtete, die Zusammenhänge der Lebensfunktionen oder die Stellung des Lebendigen in der nichtlebenden Natur erriet, durchdachte, ordnete, dann erschien die so lärmende "Kampagne" als völlig lächerlich. Sie war durch die ihr folgenden Ereignisse, wie die Entdeckung des Geheimnisses der Krebszelle (1938-1939), die Entdeckung des atmosphärischen Orgons und der Temperaturdifferenz am Orgonakkumulator 1940, der Heilwirkungen des Orgonakkumulators auf Blut und Gewebe, eindeutig beantwortet. Diejenigen, die in der Kampagne gegen meine Forschung irrational aufgetreten waren, standen nun in wenig rühmlichem Lichte da. Auf ihre Argumente von 1937 einzugehen hätte bedeutet, auf Sperlinge mit Kanonen zu schießen. Es lag mir auch nicht viel daran, völlig unbekannte Namen in die Wissenschaftsgeschichte einzutragen. Der wütende Kampf gegen meine Person, der sich aller Arten von Beleidigung, Verdächtigung, Verfemung bedient hatte, war von mir zwar sehr schmerzlich erlebt worden, aber es war nichts davon zu erwarten, Invektiven [Beleidigungen] mit Invektiven zu beantworten. Obgleich ich 1937 keine Ahnung von den großen Ereignissen hatte, die sich später in meiner Arbeit einstellten, war ich mir doch meiner Riesenverantwortung bewußt. Ich gehöre nicht zu denen, die Milde und Ergebenheit als Größe vorheucheln. Ich kann schimpfen wie jeder andere. Ich gestehe, daß ich oft Lust verspürte, den einen oder anderen Vertreter der Scheinwissenschaften zu züchtigen, wenn er es gar zu bunt trieb. Ich bin also kein milder Heiliger. Doch mich hielt ein merkwürdes Empfinden von jeder Einmischung in diese Art "wissenschaftlicher Debatte" ab, ein Empfinden, das ich erst viele Jahre später, als Hunderte von Beobachtungen und Experimenten meine ersten Ahnungen bestätigt hatten, staunend als die Grundstimmung des an gepanzerten Lebendigen erkannte.

Das Lebendige steht den boshaften Abirrungen des Lebens, den Handlungen der gepanzerten Menschentiere, gleichgültig oder verständnislos, fremd und manchmal mitleidsvoll gegenüber. Ich habe diese Grundhaltung des Lebendigen gegenüber den Verzerrungen und Monstrositäten des Lebens an kleinen gesunden Kindern beobachtet: Ein vierjähriger Junge spielte vergnügt auf der Straße. Ein paar Kinder vom Typus des lärmenden und boxenden Großmauls kamen heran und forderten den Jungen auf, ihnen ein Glas Wasser zu bringen. Er tat es willig. Als er ihnen das Wasser reichte, gossen sie es ihm mit Geschrei ins Gesicht, ohne daß er ihnen den geringsten Grund dazu gegeben hätte. [Einige der Kinder lachten boshaft, andere standen verlegen dabei, ohne etwas zu sagen. Keiner, weder ein Kind noch einer der vielen Erwachsenen, die der Szene beiwohnten, griff ein.] Der Junge stand still da und ging dann mit Tränen in den Augen verständnislos davon. Ich sah denselben Jungen eines Tages, als er von einem anderen offensichtlich nervösen und sadistischen Jungen sinnlos belästigt wurde, böse werden. Er warf den Quäler zu Boden, verprügelte ihn herzhaft und ging ruhig davon. [Das sanfte Leben hatte seine unangebrachte Toleranz und Gutmütigkeit endgültig aufgegeben; es hatte zu kämpfen begonnen. Eines Tages, früher oder später, werden alle sanften und gutmütigen Jungen an allen Orten anfangen, die bösartigen, feigen "großen Jungen" so fürchterlich zu verprügeln, daß sie heulend davonlaufen.] {Ich erlebte es oft an meinem eigenen, gesunden Jungen, daß er verständnislos oder gleichgültig blieb, wenn ich, aus irgendeinem Grund nervös geworden, ihn scharf mahnte, stille zu sein. Er pflegte mich dann erstaunt, mit weiten Augen, anzusehen, und dann zu lachen.}

Zur Zeit der Kampagne war ich Gast in fremdem Lande. Ich war zwar als Universitätslehrer eingeladen worden; doch die falsche Sympathie, die mit Neid und Angst vor Konkurrenz gemischt war, lauerte stets hinter dem Worte "Flüchtling", das wie ein Stempel jedem Nicht-Eingeborenen aufgedrückt wurde. Die Kampagne verschärfte diese peinliche Situation. Ich war tatsächlich aus Deutschland vor den Faschisten nach Skandinavien geflüchtet; ich bemühte mich, mein Gastland so wenig wie möglich zu belästigen. Ich hielt in Norwegen im Verlauf von fünf Jahren Aufenthalt nur zwei Vorträge vor Universitätsstudenten. Ich schrieb nicht in den Zeitungen, obgleich ich dazu aufgefordert wurde. Ich begründete keine Zeitschrift in der norwegischen Landessprache, sondern beschränkte mich freiwillig auf eine deutsche Zeitschrift, die in Skandinavien selbst kaum gelesen wurde, da die wenigsten deutsch lesen konnten. Ich arbeitete still in meinem Laboratorium, ließ mir aber nicht das Recht absprechen, meine engeren Schüler zu Seminaren und kleinen Vorträgen im Privatkreise einzuladen. Man lebte ja schließlich in einem demokratischen Lande mit einer sozialistischen Arbeiterparteiregierung an der Spitze.

Zur Zeit der Zeitungskampagne betonte ich meinen Freunden gegenüber meine Zurückgezogenheit. Ein Freund, der Dichter Arnulf Øeverland, sagte dazu: "Ich habe eine so laute Stille noch nie erlebt." Dieser Satz traf die Sache genau. Hätte ich mich mit harmlosen Alltäglichkeiten unter die Menge gemischt, so wäre nichts passiert. Es war gerade meine Stille, die meine Gegner reizte, laut Lärm zu schlagen. Dort, wo das gepanzerte Leben die Tribüne des sozialen Verkehrs beherrscht, findet man am Grunde aller Tätigkeit

1.  eine Überfülle von Worten und Begriffen, die einzig den Zweck haben, von den einfachen Grundprinzipien des Lebens abzulenken;

2.  einen überspannten Enthusiasmus, wo gepanzerte Lebewesen auf die einfachen Daseinsgesetze des ungepanzerten Lebens stoßen;

3.  komplette Unfähigkeit des gepanzerten Lebens, zur praktischen Betätigung der einfachen Lebensgesetze vorzustoßen; daher Enttäuschung und haßerfüllte Verfolgung von allem, das auch nur entfernt an ungepanzertes Leben erinnert.

In diesen drei typischen Verhaltensweisen erschöpft sich der Inhalt des Begriffs der emotionellen Pest. Es wird sich zeigen, daß die natürlichen, so einfachen Lebensgesetze ohne soziale Anerkennung und Schutz sind; daß Wahrheit eine Freibeute jeder Art biopathischer Lebensanschauung ist; daß die Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts weder ein Interesse an noch ein Verständnis für die Funktion des ungepanzerten Lebens hat. Diese pathologischen Mechanismen des menschlichen Lebens habe ich nicht erdacht, sondern zunächst als eines ihrer vielen Opfer staunend erlebt. Es war die Verantwortung für meine große Entdeckung, die mich zwang, die verborgenen und verschlungenen Pfade aufzufinden, auf denen das biopathische Menschentier sein eigenes Leben und Wohlbefinden umschleicht und zu töten versucht.

Ich habe früher bereits geschildert, in welcher Weise sich der Kampf gegen meine Arbeit am Lebendigen in Deutschland, Dänemark und Schweden auswirkte. Er konnte seitens der Gegner des Lebendigen stets unter dem Mantel politischer Schlagworte geführt werden. Denn meine Arbeit fiel unglücklicherweise in eine Zeit, in der der "politische Flüchtling" im Zentrum des Interesses aller Polizeiämter dieser Welt stand. Und es hieße einem Staatsbeamten zuviel zuzumuten, den politischen Flüchtling von der Frage der Biogenese abzutrennen, wenn selbst ein Professor der Krebspathologie diese Unterscheidung nicht treffen konnte.

Zwischen dem Herbst 1934 und dem Beginn des Jahres 1937, also etwa drei Jahre lang, hatte meine Arbeit die nötige Ruhe, sich zu entwickeln.

Die große Kampagne gegen die Biontheorie setzte im Mai 1937 ein. Ihr gingen Plänkeleien von geringer allgemeiner Bedeutung voraus, an denen ich die kommenden Gefahren hätte ablesen können, wenn ich nicht allzu naiv an meinem Glauben an die Objektivität wissenschaftlicher Kreise festgehalten hätte. Daß die mechanistische Wissenschaft selbst in denktechnischer Hinsicht ein Kind der mechanistischen Zivilisation ist, wußte ich zwar theoretisch, doch ich kannte ihre Praxis nicht.

Gesunde Kinder, in denen das Leben frei funktioniert, entdecken und üben neue Lebensfunktionen spielerisch. Indem das Kind seine Sprechorgane spielerisch bewegt, lernt es Worte formen, Worte, die zunächst nichts besagen, falsche Worte, keine Worte im Sinne strenger akademischer Sprachkunde, aber doch Laute, aus denen unter dem Einfluß der Umgebung sich allmählich die "korrekten" Worte ergeben. Neugeborene Kinder sind bis etwa zum Ende des zweiten Lebensjahres die größten wissenschaftlichen Entdecker. Sie bringen nichts als eine lebhafte biologische Energie mit. Die Handhabung eines Löffels oder eines Stuhls, das Öffnen oder Schließen von Türen, die Auswahl der Nahrung, das Streicheln, Kosen und Spielen sind inhaltlich nicht vererbt. Dieselben Kinder würden, in einem anderen Kulturmilieu aufgezogen, andere Inhalte für ihre Betätigungen entwickeln. Kinder sind also die größten Naturforscher. Und die großen Naturforscher sind zunächst Kinder, die neue Wissensgebiete spielerisch erobern, genau wie Kleinkinder ihre neue Welt erobern. Man denke an Leeuwenhoek, Faraday, Edison und andere.

Auch die bionöse Natur aller gequollenen und lebenden Materie wurde spielerisch erobert. Wer mir an den einsamen Abenden zugesehen hätte, als ich die Bione "entdeckte", hätte nur den Kopf geschüttelt, und kein "ernster Wissenschaftler" hätte dem die geringste Beachtung geschenkt. Die praktischen Effekte des kosmischen Orgons auf Gewebe, Wachstum bei Tieren und Pflanzen, auf biopathische Fäulnis des Krebses etc. von heute (1946) sind die Ergebnisse der biologischen "Spielereien" von 1935. Ich spielte wie folgt:

Im Laufe des Jahres 1935 bestätigte sich am Oszillographen die Hypothese, die ich auf Grund meiner sexualökonomischen Untersuchungen aufgestellt hatte, daß die Lebensfunktion bestimmt ist durch einen Viertakt in der Folge von mechanischer SpannungLadungEntladungmechanischer Entspannung. Diese Anordnung von mechanischen und bioelektrischen Funktionen gab es im nichtlebenden Bereiche nicht. Der Zugang zum Problem der Biogenese war, wenn er richtig war, im Zusammenhange mit dieser Lebensformel zu suchen. Die Findung eines solchen Zuganges zur Biogenese würde natürlich die Richtigkeit meiner Sexualitäts- und Lebensformel bestätigen. Ergäbe sich ein solcher Zugang nicht, so könnte die Formel noch immer richtig sein, doch bliebe sie unfruchtbar, zumindest für einige Zeit.
Ich besaß 1935 nur einen Oszillographen, den ich in meinem kleinen Studierzimmer von 15 Fuß Seitenlänge im Quadrat mitten in einem Haufen von Büchern und Manuskripten aufgestellt hatte. Ich erwähne diese Details nicht aus Sensationssucht, sondern um den Gegensatz solcher Anfänge großer wissenschaftlicher Entwicklungen mit der Pracht der staatlichen Paläste und Denkmäler der Politiker ins schärfste Licht zu setzen. Ich war nicht der erste Entdecker, der in solcher Weise zu arbeiten gezwungen war, während die Drohnen des sozialen Lebens über Milliarden verfügen. Ich bin ergeben dem Lebendigen und ehrlicher Arbeit gegenüber, aber ich fühle mich nach 28 Jahren harter, gefahrvoller Arbeit am menschlichen Organismus nicht verpflichtet, mich vor sozialem Unsinn zu verbeugen.

Im Verlaufe des Winters 1934/35 hatte ich aus meinem Verdienst als Lehrer der Biopsychiatrie fast 3000 norwegische Kronen für den Bau des Oszillographen ausgegeben. Es tat nicht weh, denn ich liebte die Arbeit und hatte keine großen Ansprüche im persönlichen Leben. Ich verdiente in meiner prominenten Stellung genug, um mich und meine Kinder zu erhalten und mir überdies einen derartigen Luxus wie einen Oszillographen zu leisten. Doch nun brauchte ich ein Mikroskop. Eine Schülerin, die Ärztin Dr. Lotte Liebeck, die nach Oslo gekommen war, um bei mir zu studieren, hatte die bioelektrischen Experimente als Versuchsobjekt mitgemacht, und da sie sehr interessiert war, erbot sie sich, mir ein Mikroskop zu schenken. So gelangte ich Ende 1935 in den Besitz eines prächtigen binokularen Leitz-Forschungsmikroskops und einer primitiven Vorrichtung zum Mikrophotographieren. Als ich das Mikroskop erhielt, hatte ich erst alte, vergessene Kenntnisse aufzufrischen, die ich als Medizinstudent in Wien vor 16 Jahren erworben hatte. Das Mikroskop verfügte über eine normale und übliche Vergrößerung bis etwa l500fach. Am selben Tage, als das Mikroskop ankam, ging ich daran, meine Hypothese zu kontrollieren. {Ich erinnere mich noch des Abends, an dem ich allein in meiner Wohnung saß und heftig nachgrübelte, wie ich den Versuch anstellen sollte.} Während ich noch recht hoffnungslos mit dem Mikroskop herumspielte, indem ich alle erreichbaren Stoffe unter das Objektiv brachte, fuhr mir durch den Kopf, daß der Organismus sich von organischer Substanz ernährt, also von einer Substanz, die früher einmal gelebt hat. Wenn der lebende Organismus weitere Lebensenergie aus der Nahrung bezieht, die einmal selbst lebendig war, so müßte es, meinte ich, nun sicherer werdend, einen Zusammenhang geben. Die Nahrung enthielt "chemische Stoffe", die der Organismus aufnahm und seinen Körpersäften einverleibte. Dies war ein chemischer, stofflicher Prozeß, über den die Wissenschaft bereits alles erfahren hatte. Die Chemie der Nahrungsstoffe konnte mikroskopisch nicht beobachtet werden, das wußte ich. Doch wie kam es, fragte ich mich, daß die Nahrungsstoffe durch die Darmwand in die Säftebahn des lebenden Organismus geraten? In welcher Weise geschieht dies? An das Rätsel der Osmose vom Darminhalt durch die Darmwand, das die Physiologie nicht gelöst hatte, dachte ich damals noch nicht. Hätte der menschliche Geist beim spielerischen Experimentieren alle Probleme der Naturwissenschaften stets gegenwärtig, so wäre manches viel einfacher zu lösen.

Das einfachste wäre, so dachte ich mir, Nahrungsstoffe verschiedener Art mikroskopisch zu beobachten. Ich hatte zum Glück keine biochemische Einrichtung, um die Nahrungsstoffe fein säuberlich nach Fetten, Kohlehydraten und Proteinen gesondert zu studieren. Ich sage: zum Glück. Wäre ich "streng wissenschaftlich" und nicht naiv spielerisch vorgegangen, so hätte ich die bionöse Natur aller gequollenen Materie wohl nie entdeckt. Das Fett hätte nichts verraten, da es nur aus Fettkügelchen besteht, der Zucker hätte sich molekular aufgelöst, und Muskelgewebe hätte keine Bione gezeigt, ebensowenig Eiweiß. Ich handelte mit nicht allzuviel Überlegung, doch gequält von der Grundfrage nach der Beziehung des Nahrungsstoffes zum Organismus – "verrückt".

Ich warf Fleisch, Kartoffeln, Gemüse aller Art, Milch und Eier in einen Topf, den ich mit Wasser füllte, kochte das eine halbe Stunde lang, entnahm eine Probe und eilte damit ans Mikroskop. Was ich sah, schien ebenso verrückt wie mein Unternehmen. Ich ging an das Mikroskop mit der Erwartung heran, daß ich die verschiedenen Substanzen würde klar unterscheiden können. Der Zufall, den man sonst Schicksal nennt, half meinem Unternehmen um Meilen voran. Das Präparat enthielt nichts als Bläschen, verschiedener Größe zwar, aber doch Bläschen desselben Grundtypus. Daneben gab es noch große Blasen und Formen, die ich als Stärkekörner erkannte. Der Mischmasch, den ich gebraut hatte, war also eine wesentlich einheitliche Masse. Die einzelnen Bläschen leuchteten blau bis blaugrün. Diese Erscheinung tat ich zunächst mit der "Erklärung" ab, daß es sich um Lichtrefraktion handelte, genau so, wie es noch heute strenge Naturforscher zu tun pflegen, wenn sie das Blau oder Blaugrün der biologischen Kolloide wegerklären. Mein erster orgonphysikalischer Schluß lautete korrekt: organische Stoffe zerfallen beim Kochen, also Quellen, in einheitliche Bläschen. Ich war den "Bionen" auf die Spur gekommen.

Ich stellte die größte Vergrößerung ein, 1500 x. Es war deutlich eine Bewegtheit im Inhalt der Bläschen zu sehen, doch nicht stark genug, um Schlüsse zu gestatten. Ich fragte bei Leitz an, wie stark seine stärksten Objektive wären. Die Antwort lautete 150 x. Ich bestellte sie sofort. Zusammen mit einem 16 x Okular oder gar einem 25 x konnte die Vergrößerung in die Nähe von 5000 x Vergrößerung gebracht werden. Ich war mir klar darüber, daß man über 2000 x keine Strukturen mehr aufzulösen vermag. Doch mir lag nicht an Sichtung von feiner Struktur, sondern an Sichtung von Bewegtheit im Inneren der Bione. Obgleich ich diesen Unterschied zwischen Struktur und Bewegung in der Beurteilung mikroskopischer Objekte mehrere Male in Publikationen betonte, konnte ich noch 1945 als Einwand hören, daß ich von Mikroskopie nichts verstünde, denn ich wüßte nicht, daß es eine Grenze für die mikroskopische Beobachtung mit Hilfe der Lichtenergie gäbe. Vorurteile sitzen wie Läuse in einem Pelz fest, und je größer die Ignoranz, desto größer die Arroganz. Einzig und allein auf tote Strukturen getöteten Gewebes eingestellt, geht es einem Mechanisten nicht auf, daß es auch Bewegung gibt und daß eine feine Bewegung in einem Teilchen bei 2000 x Vergrößerung noch nicht, aber bei 3000 x schon merkbar werden kann.

Ich verdanke die Entdeckung der biologischen Energie und mit ihr der kosmischen Orgonenergie dieser Unterscheidung von Struktur und Bewegung, einer Unterscheidung, die dem mechanistischen Denken fremd und "unwissenschaftlich" erscheint. Die innere Bewegtheit, die ich in meinen Bionen entdeckte, löste nämlich auch die Frage der "Brownschen Bewegung". Brown hatte im vorigen Jahrhundert beobachtet, daß feinste Tuschepartikel sich von Stelle zu Stelle bewegen. Er selbst hatte diese Bewegungen völlig korrekt für Zeichen von Lebenskräften angesehen. Doch die mechanistischen Physiker bemächtigten sich bald der Sache, töteten den so fruchtbaren Gedanken Browns und verwandelten die Qualität des Lebendigen darin in eine tote Maschinerie. Die Bewegtheit der feinsten Partikel, so lautete ihr Argument, war bedingt durch den "Anstoß der Moleküle der Flüssigkeit". Damit hatten sie einen Riesenfund für Jahrzehnte erschlagen. Ihre feinen Berechnungen konnten daran nichts ändern. Ich begriff erst in den 40er Jahren, daß bei diesem Vorgehen der Physiker der Mechanismus der Destruktivität gepanzerten Lebens beteiligt war und daß ihr Verhalten dem allgemeinen Ausweichen vor allem, was einen auch nur an Orgonenergie erinnern könnte, zuzuschreiben war.

An meinen Bionen war die innere und nicht die äußere lokale Bewegtheit wichtig. Der "Anstoß der Moleküle" vermochte aber die innere Bewegtheit, wie Vibrieren, Expansion, Kontraktion, Zucken etc. nicht zu erklären. So wie das rein stoffliche Denken die mechanistischen Forscher in der Beobachtung unter 1500 x festgehalten hatte, so verrammelte die mechanistische Stoßtheorie das Tor zur inneren Bewegtheit quellender Materie und damit zur Bioenergie.

Ich habe andernorts die Entwicklung der Protisten aus Bionen und der Bione aus Materie und freier Orgonenergie so ausführlich geschildert, daß ich mich hier kurz fassen kann. Es war logisch, daß ich immer mehr und sehr verschiedene Stoffe in meinem Gebräu zusammentat und kochte. Es gab am Ende nichts als bläulich schimmernde, innerlich bewegte Bläschen. Ich ging nun daran, verschiedene Stoffe in Wasser bei Zimmertemperatur langsam quellen zu lassen. Das Auftreten der Bione erfolgte nun viel langsamer, in Tagen oder Wochen, je nach der Härte der Substanz. Aber bionöser Zerfall blieb nie aus, gleichgültig, welche Materie ich vornahm und quellen ließ. Langsam wurde klar, daß die innere Bewegtheit einer Energie zuzuschreiben war, die beim Quellen oder Kochen aus der geformten Materie frei wurde. Ich nannte die Bione daher auch "Energiebläschen". [Der Begriff "Orgon" existierte noch nicht.] Die innere Bewegtheit war eine Arbeitsleistung, und Arbeit ist ohne Energie nicht denkbar. Ich vermied es absichtlich, bestimmen zu wollen, welche Art von Energie ich vor mir hatte. Das hatte Zeit. Nur die sorgfältige Beobachtung konnte weitere Aufklärung bringen.
Das Aufquellen von Moos- und Grasfasern enthüllte die Entwicklung der Protisten aus Bionen, daß heißt, die natürliche Organisation der Biogenese. Daran ließ Beobachtung und Mikrophotographie keinen Zweifel. Um sicher zu gehen, wandte ich mich an das botanische Institut in Oslo, um Amöbenkulturen zu bekommen. Der Assistent des Instituts war sehr freundlich und sagte, das einfachste wäre, Aufgüsse von Gras zu machen. Ich fragte ihn, im Augenblicke völlig naiv und unbewußt, das heißt ohne Nebenabsicht, wie die Protisten in den Aufguß kämen. "Aus der Luft natürlich", sagte er überrascht mit einem staunenden Blick. "Und wie kommen sie in die Luft?" fragte ich. "Das wissen wir nicht." Er verriet mir nicht, daß noch niemand Protisten aus der Luft gezüchtet hatte. So trat die Aufgabe vor mich hin, eine Fülle von Luftinfektionspräparaten herzustellen, um mich zu überzeugen, daß es keine Protistenkeime in der Luft gibt.

[Während der folgenden Jahre versuchte ich mehrere hundert Male, Protisten aus der Luft zu züchten – ohne Erfolg. Damit ist den Theoretikern der "Luftinfektion" die Aufgabe gestellt, ihre Behauptung zu beweisen, daß Protisten aus "Luftkeimen" entstehen.

Heute muß jeder, der am Orgoninstitut orgonbiophysikalische und biogenetische Studien betreibt, vor der Zulassung zu höheren Kursen den Beweis zu erbringen versuchen, daß Protisten, Krebszellen, Plasmaflocken, Bione, T-Bazillen, "Zysten" usw. durch "Luftinfektion" erzeugt werden können. Erst wenn er durch reichliches Freiluft-Experimentieren davon überzeugt ist, daß es so etwas wie Protisten in der Luft nicht gibt, wird er in der Lage sein, den vielerlei Einflüssen, denen er aus dem sozialen Umfeld ausgesetzt ist, zu widerstehen, seine Ängste vor "Verunreinigungen" aufzugeben und die Natur einfach so zu erforschen, wie sie funktioniert. Erst dann wird er auch in der Lage sein, mit Sachverstand zu beurteilen, wann tatsächlich eine Luftinfektion vorliegt. In solchen Fällen wird er darauf achten, daß die Sterilisation vollständig ist. Er wird jedenfalls nicht mehr jede mikroskopische Beobachtung, die die Biogenese klar demonstriert, als "bloße Luftinfektion" mißdeuten. Hat er sich die tatsächlichen Möglichkeiten der Luftinfektion nicht gründlich klargemacht, sind mehr oder weniger verwickelten Ausweichmanövern keine Grenzen gesetzt. Diese Tendenz zum Ausweichen muß, im Studenten der Biologie wie im Professor, völlig überwunden sein, um nicht im Sumpf der "Luftkeim"-Doktrinen zu versinken.

Das Problem ist komplizierter im Falle der Fäulnisbakterien (fusiformis, subtilis etc.). Man kann solche Bakterien aus der Luft gewinnen, was jedoch nicht einfach ist. Und ist es gelungen, drängt sich logischerweise die Frage auf: Wie kommen Bakterien in die Luft? Diese unvermeidliche Frage provoziert statt einer sachlichen Antwort irrationale Reaktionen. Niemand hat bisher eine Antwort auch nur zu geben versucht. Die Orgonomie bietet folgende Erklärung. Die "Teilchen" des Luftstaubes stammen von den verschiedenen Arten zerfallener organischer Materie. Fäulnisbakterien aus der Luft erhält man, wie bei jedem zerfallenden Bionpräparat, durch Hydratation und Zerfall der Staubbione.

Der Luftkeimtheoretiker lehnt es schlichtweg ab, dieses Argument zu überprüfen, und mancher sucht stattdessen seine Zuflucht bei der Verleumdung. Diese Frage wird von jetzt an jedoch jeden ernsthaften Biologen bedrängen. Er kann nicht mehr an ihr vorbei.

All das hat mit der "Urzeugung" überhaupt nichts zu tun. Im übrigen ist die Theorie, daß Leben aus nichtlebender Materie entspringt, niemals widerlegt worden. Weder Pasteur noch sonstwer hat dies gesagt. Pasteur hat sich in seinem Streit mit Bastian verhalten wie jener Mann, der gegen allen Augenschein von einem konkreten, lebendigen, trabenden Pferd behauptete, es sei überhaupt nicht lebendig, und der, als der Besitzer des Pferdes auf dessen Lebendigkeit insistierte, eine Axt nahm, in den Schädel des Pferdes schlug und triumphierte: "Nun ist es doch für jedermann ersichtlich, daß dieses Pferd tot ist." Eine analoge Funktion hat das Sterilisieren von lebender Materie bei der Erforschung der Biogenese. Zum Glück hat die orgonomische Biologie diesen Bann gebrochen. Bione entstehen aus vollständig steriler Materie durch Quellen, im Experiment XX auch nach dem Gefrieren gelben Bionwassers. Es kann Monate oder Jahre dauern, bis in sterilen Präparaten Protisten erscheinen, aber sie erscheinen. Der spontane Zerfall lebenden Gewebes in Bione und anschließend in Fäulnisbakterien kann im Mikroskop beobachtet und experimentell reproduziert werden. Dieser Prozeß vollzieht sich permanent überall in der Natur, auch im Verlauf vieler Krankheiten. Die Ratlosigkeit der fehlerhaften bakteriologischen Theorie angesichtes von Krankheiten wie Krebs wird früher oder später auch zur Niederlage der Anhänger der Luftkeimtheorie führen. Nie gesehene Luftkeime können auf Dauer nicht gegen klar sichtbare bionöse Prozesse bestehen. Es fragt sich nur, wieviele Menschenleben es noch kosten wird, bis dieser unglaublichen Art des Umgangs mit wissenschaftlichen Dingen ein Ende gesetzt wird.]

Ich hatte zu der Zeit Respekt vor der [mechanistischen] Naturwissenschaft und ihren Vertretern. Es waren anständige, arbeitsame Männer und Frauen, die ihre Untersuchungen sorgfältig anstellten. Es war den folgenden Jahren vorbehalten, mich von einem gefährlichen Irrtum zu befreien, einem Irrtum, an dem ich nicht ohne irrationale Begründung festhielt. Ich wußte, daß ich mit dem Problem der Biogenese zusammengestoßen war. Ich wußte, daß dieses Problem das Grundproblem nicht nur aller biologischen Wissenschaften, sondern der Naturwissenschaft überhaupt ist. Mir war klar, daß trotz meiner gründlichen naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schulung von mehr als anderthalb Jahrzehnten ich für dieses Problem nicht gut genug ausgerüstet war. Es war zuviel, viel zuviel für einen Menschen, selbst einen meiner Arbeitsfähigkeit und Erfahrung. Ich wußte damals noch nicht, daß ich Angst vor dem Problem hatte. Ich mußte die Kooperation der etablierten naturwissenschaftlichen Zweige erlangen, wenn ich durchkommen wollte. Auf allen Seiten traten immer gehäufter Erscheinungen auf, die ich nicht begriff. Ich wußte nicht, daß die Mechanisten ebenfalls keine Ahnung von der Natur oder sogar der Existenz dieser Erscheinungen hatten. Davon sollte ich mich erst in einer gefährlichen Weise überzeugen.

Ich möchte aus der Fülle dieser gewaltigen neuen Tatsachen nur eine hervorheben und den Leser an ihr orientieren. Die Erscheinung, die ich wähle, führte später zur Aufhellung der unbekannten Anfänge der Krebserkrankung. Wie die Forscher der Orgonbiophysik wissen, konnte die Krebsgeschwulst auf die allgemeine Krebsschrumpfungsbiopathie und diese auf eine Fäulnisneigung des Blutes und der Gewebe zurückgeführt werden. Die Fäulnisneigung selbst wurzelte, wie sorgfältige klinische Untersuchungen ergaben, auf einer scharfen Herabsetzung der Pulsationsfunktionen und mit ihnen der Energiewechselvorgänge im Organismus. Der Schlüssel zum Problem der Krebserkrankung war also das Problem der Fäulnis oder, "wissenschaftlicher" ausgedrückt, die Natur der mortalen Degeneration und Putrifikation [Verfaulung] lebender Gewebe. Ich ahnte zu der Zeit, als ich mit meinen Bionen zusammenstieß, nichts davon, daß die Fäulnis für die gesamte Medizin, Bakteriologie, Biologie und Biophysik "zu banal" und "unwissenschaftlich" war, um sich damit zu beschäftigen.

Fäulnis ist ein allgemeiner Naturprozeß. Alles Leben schwingt sich mehr oder weniger hoch auf, um am Ende in den Tod und mit dem Tod in faulige Zersetzung der Gewebe abzusinken. In der Natur gibt es keine Sterilisation und keine "Luftinfektion". Der mechanistische Biologe und Bakteriologe empfindet sich nicht als Naturforscher, wenn er nicht fein säuberlich alles erst wegsterilisiert hat. Indem nun diese Naturforscher alle "Luftinfektion" und Fäulnismöglichkeit aus ihren Präparaten ausschalten, fein säuberlich, gewissenhaft, mit der strengsten Präzision des mechanistischen Zeitalters, entgeht ihnen die größte Entdeckung der Biologie, die einfache Tatsache nämlich, daß der Krebsprozeß im Grunde auf verfrühte Fäulnis des Blutes und der Gewebe beruht, daß er also ein Sterben bei lebendigem Leibe ist. Es war die "Luftkeimtheorie", starr mechanisch angewendet, und der Satz omnis cellula ex cellula, der die Krebsforschung und alle biogenetische Forschung im strengen Sinne des Wortes sterilisiert hatte. Wir werden bald sehen, welche Riesenrolle der banale Fäulnisstab (proteus und fusiformis subtilis) nicht nur in der Krebsforschung, sondern auch in der Kampagne des gepanzerten Lebens gegen das ungepanzerte Lebendige, der mechanistischen Wissenschaft gegen den orgonomischen Funktionalismus, spielt.

Ich hatte zunächst völlig unsteril gearbeitet. Ich bediente mich keiner Sterilisation, sondern beobachtete die Gewebe in ihrem natürlichen Zustand, ungekocht und gekocht. Heute ist mir klar, daß ich nie auf das Krebsproblem gestoßen wäre, hätte ich mich ausschließlich an die Beobachtung sterilerPräparate gehalten, wie es das Gesetz strenger Biologie fordert. Ich sah in meinen Präparaten Fäulnisstäbe auftreten. Bei starker Vergrößerung konnte man deutlich den Zerfall der Gewebe in Bläschen und später unmittelbar in lange Stabformen verfolgen. [Dieser Prozeß ist gefilmt worden. Wenn meine Gegner sich doch nur einmal die Mühe machen würden, ins Mikroskop zu schauen, könnten sie die Bildung von Fäulnisbakterien klar und eindeutig erkennen.] Die Beobachtung war nicht zu bezweifeln. Sie stieß mit einem Schlage einen Haufen falscher Vorstellungen der mechanistischen Biologie um. Um mich von der Richtigkeit experimentell zu überzeugen, sterilisierte ich Eiweißnährstoff, hielt ihn steril und fand, daß auch bei den strengsten Vorsichtsmaßnahmen unter bestimmten inneren Bedingungen eine Selbstzersetzung des Proteins auftrat und damit Fäulnisbakterien. Ich bestrich frische Eier mit Lack und Teer, doch die Eier faulten früher oder später. Alle Stoffe, die ich sterilisiert hatte, degenerierten aus inneren und nicht aus äußeren Gründen früher oder später. Ich stellte ein steriles Gemisch aus Stoffen her, das seither berühmt gewordene Präparat 6 c. [Mitteilung an die Französische Akademie der Wissenschaften 1937.] Die Fäulnisstäbe traten binnen weniger Minuten auf. Ich glühte Kohle, tat sie in Quellungsflüssigkeit, und nach fünf Minuten konnte ich bewegte kurze Organismen, die späteren T-Bazillen, feststellen und mit Gram färben. An der inneren Herkunft der Fäulnis war also nicht zu zweifeln. Doch es war völlig unklar, welchen energetischen Kräften man sie zuschreiben sollte.

Nun beging ich meinen ersten "taktischen" Fehltritt. Ich gab dem Drängen Dr. Odd Havrevolds nach und bat das Bakteriologische Institut in Oslo um eine Diagnose der Mikroorganismen. Ich muß den Leser bitten zu begreifen, weshalb ich diesen Schritt als schweren Fehler ansehe. Ich hatte meine bakteriologischen Grundkenntnisse, aber ich war kein spezialisierter Bakteriologe. Das Erscheinen von biologisch färbbaren Mikroorganismen wenige Minuten nach Herstellung eines Bionpräparats schloß natürlich die sogenannte Luftinfektion aus. Denn die Entwicklung einer Infektion im Präparat erfordert doch mindestens 24 Stunden bis zum Auftreten der Mikroorganismen. Das wußte ich. Doch ich konnte selbst die Frage nicht entscheiden, ob die Mikroorganismen, die ich erzielte, mit bekannten Formen identisch waren oder ob sie grundsätzlich neue Formen darstellten. Hätte ich damals über ein wohlausgerüstetes Laboratorium verfügt und vor allem über genügend Geldmittel, so hätte ich einen Bakteriologen angestellt, um die notwendigen Spezialtests durchzuführen. Doch ich hatte das Geld nicht. Ich wollte warten und den Kontakt mit der offiziellen Beamtenwissenschaft vermeiden. Dem lagen bereits einige böse Erfahrungen zugrunde, die ich nun kurz schildern möchte.

Als ich in den letzten Monaten des Jahres 1936 Bione aus dem Präparat 6 c erzielte, ersuchte ich Freunde in Kopenhagen, an das biologische Institut heranzutreten und dessen Leiter, Albert Fischer, zu ersuchen, mir seine mikrophotographische Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, um durch Zeitraffung die Entwicklung der Bione aus der quellenden Materie zu studieren. Fischer war freundlich eingestellt. Ich reiste nach Kopenhagen und demonstrierte das Experiment 6 c. Kurz bevor ich damit ansetzte, entfuhr Fischer eine höhnische Bemerkung, die die Grundhaltung der klassischen Biologie in Miniatur darstellte. Er fragte, ob ich wohl eine Paste brauen wollte. Ich war daran, den Raum zu verlassen, gab aber seiner beruhigenden Entschuldigung nach und setzte das Experiment fort. Die Stoffe wurden gemischt, und dann wurde das Präparat gekocht. Am Mikroskop gab es Schwierigkeiten. Fischers Mikroskop verfügte über nur 1500 x Vergrößerung. Damit konnten die Gebilde selbst, aber nicht deren innere Bewegungen gesehen werden. Dies erforderte mindestens 2000 x. Fischer wurde nervös und brachte das Argument der Grenze der Nützlichkeit einer Vergrößerung. Ich entgegnete, daß es auf Bewegung und nicht auf Auflösung von Strukturen ankäme. [Die fehlende Unterscheidung zwischen dem Funktionellen (Bewegung) und dem Mechanistisch-Statischen (Struktur) beeinträchtigte jahrelang alle Diskussionen über starke Vergrößerung in der Mikroskopie.] Ein Assistent Fischers schlug eine Giemsafärbung vor, die sofort durchgeführt wurde und positiv reagierende Gebilde nachwies. Der Eindruck dieser Demonstration war eindeutig stark. Doch das Vorurteil der "Keimtheorie" war zu stark, wie sich in der Folge herausstellte.

Ich fuhr nach Oslo zurück und bat Dr. Leunbach [einen dänischen Arzt und frühen Freund der Orgonomie], die Verbindung mit Fischer aufrechtzuerhalten. Bald kam ein Brief von Leunbach mit der Mitteilung, daß Fischer sehr sonderbar reagiert hätte. Er hätte mir "Kritiklosigkeit" und "Phantasterei" vorgeworfen. Ich hätte unsinnig große Vergrößerungen verlangt. Ich hätte behauptet, Spindelbildungen und Teilungen beobachtet zu haben. Alle Bewegungen wären Flüssigkeitsbewegungen gewesen. Es handelte sich um die "alten Märchen" aus der Zeit vor Pasteur. Ich vermenge unerlaubterweise Psychologie und Biologie.

Ich berichtigte in einem Schreiben an Leunbach am 9. Januar 1937 alle Behauptungen Fischers, um falschen Gerüchten vorzubeugen. Doch ich hielt in einer sträflich naiven Weise an meinem Zutrauen zur Objektivität der Naturforscher fest. Ich hätte besser getan, brüsk und abweisend aufzutreten. Fischer hatte einfach klare Tatsachen wegzudisputieren versucht. Die Giemsafärbung hat er verleugnet, das Auftreten der Kokken und Stäbe einige Minuten nach Herstellung des Präparats nicht beachtet, und dann ist er in die Lächerlichmachung des Ganzen geflüchtet. Ich ahnte leider nicht, wie neu, revolutionär und umfassend mein Versuch war.

Die Angst des mechanistischen Naturforschers vor dem Lebendigen erlebte ich bei einer Demonstration des Kohlebionversuchs vor dem norwegischen Krebspathologen Leif Kreyberg. Diese Demonstration war der unmittelbare Anlaß zur Wendung Kreybergs von Kooperation zu haßerfüllter Feindschaft. Kreyberg brachte mir wieder ein Krebspräparat. Ich fragte ihn, ob er die Krebszellen bei großer Vergrößerung sehen wolle. Dies wollte er, da er über solche Vergrößerung selbst nicht verfügte. Ich stellte Krebszellen bei 4000 x ein. Er sah durchs Mikroskop und erkannte die Gebilde nicht als Krebszellen. Ich hatte eine Spindelform eingestellt, die sich langsam ruckartig im Felde fortbewegte.

Er wollte meine Kohlebione sehen. Ich glühte ein frisches Kohlestaubpräparat, tat es in eine Quellösung, entnahm einige Minuten später eine kleine Probe und stellte eine 3000 x Vergrößerung ein. Die Bione waren stark bewegt, kontraktil und blauschimmernd. [Diese Kennzeichen sind heute denen, die bereits Kohlebione beobachtet haben, wohlbekannt.] Kreyberg sah ins Mikroskop und erschrak sichtbar. "Ich möchte Ihre Bouillon sehen", sagte er. Er war also der Auffassung, daß es sich um eine infizierte Lösung handelte. Ich war sehr erstaunt, denn er hatte die klare Lösung gesehen, und überdies ist ein Kohlebion mit keinem bekannten Infektionsstaub oder Bläschen zu verwechseln. Doch ich gab seinem Ansuchen nach und stellte bei derselben Vergrößerung einen Tropfen aus der Lösung ein. Es gab natürlich nichts zu sehen. Kreyberg ging sichtlich erschüttert davon. Vorher ersuchte er mich noch um eine Kohlebionkultur zum Studium zu Hause. Ich zögerte ein wenig, da ich ahnte, daß er damit nichts werde anzufangen wissen, doch ich gab ihm ein wenig von der Kultur auf Agar. Seine Beurteilung dieser reinen Kultur demonstrierte klar den Verbalismus der Bakteriologie. In seiner späteren Kampagne gegen mich behauptete er, daß die Bionkultur "nur Staphylokokken" enthalten habe. "Nur Staphylokokken!" Kreyberg hatte also die Neuigkeit von bewegten Krebszellen bei 3000 x und den Vorfall mit den Kohlebionen unterschlagen. Er erwähnte dies mit keinem Wort, ein Vorgehen, unerhört für einen Menschen, der sich "objektiv" und "wissenschaftlich" nennt. Er hatte ferner unterlassen mitzuteilen, daß die Staphylokokken eine "Reinkultur" darstellten. Luftinfektionen sind in den meisten Fällen gemischte Kulturen. Er hatte ferner nicht gewußt, daß im Prozeß der Tötung, Fixierung und Färbung von Bionen alle Unterschiede verschwinden und nur kreisrunde, in der Tat den Staphylokokken ähnliche blaugefärbte Kugeln zurückbleiben. Kreyberg demonstrierte seine Unwissenheit, die er in typischer Weise mir zuschrieb, indem er glaubte, ein Gebilde zu begreifen, wenn er es mit einem Namen benannte. [Er verstand nicht, daß das Wort "Staphylokokken" nichts über den Ursprung des Gebildes aussagt.] Diesen Grundfehler hatte er mit der gesamten mechanistischen Forschung gemeinsam. Daß man Bläschen aus Materie sich unter dem Mikroskop formen sehen kann, verschwieg er dem Publikum, obwohl ich es publiziert hatte. Kurz, dieser Mann entpuppte sich als ein frecher Neurotiker, der seine eigene Unwissenschaftlichkeit und Neigung zur Intrige verbarg, indem er mich des Scharlatanismus bezichtigte. Er hatte furchtbare Angst, daß ich tatsächlich recht haben könnte. [In seinen späteren Bemühungen, mich zu diskreditieren, griff er sogar zu handfesten Lügen.] Rätselhaft ist nicht sein Verhalten, sondern das des Publikums, einige meiner engen Freunde eingeschlossen, die diesem Manne nur deshalb Autorität zuschrieben, weil er ein Beamter eines öffentlichen Krebshospitals war. [In solchen Händen liegt das Schicksal Tausender Krebskranker.]

Trotz dieser beiden Erfahrungen am Ende des Jahres 1936 stimmte ich Havrevold zu, dem Bakteriologen Thjötta Bionpräparate zur Bestimmung der Gebilde einzuschicken. [Anstatt sich auf eine einfache Identifizierung der Organismen in dem Präparat zu beschränken, mißbrauchte er diese Gelegenheit zugunsten der Luftkeimtheorie. Ungebeten und unbefugt gab er eine öffentliche Erklärung heraus, in der es hieß, daß er "Reichs Versuche überprüft" und "nichts außer einfachen Bazillen" gefunden habe. Seine Aussagen hatten mit unserem Auftrag, die Organismen zu identifizieren, nicht das Geringste zu tun.] Ich sandte ihm ein ungekochtes Bionpräparat 6 a, in dem die Stäbe wenige Minuten nach Herstellung der Mischung aufgetreten waren. Seine mündliche Auskunft an Havrevold lautete, daß es sich um Subtilis und Proteus handelte, also um einfache Stäbe, wie sie bei der Fäulnis sich vorfinden. Von der Riesenbedeutung dieser "einfachen Fäulnisstäbe" für das gesamte Krebsproblem hatte ich zu der Zeit, wie gesagt, noch nicht die geringste Ahnung. Ich folgte bloß der Entwicklung der Erscheinungen und versuchte in einer sträflich harmlosen Weise, Hilfe seitens der "Spezialisten" zu erhalten. Auch von der Todesangst des gepanzerten Lebens vor der Lebensenergie, dem Orgon, wußte ich nichts. Denn von "Orgonenergie" war noch nichts begriffen.
Die sogenannte Luftinfektion des unsterilen Bionpräparats 6 stellte sich als der Schlüssel zum Krebsproblem heraus. Lassen sie mich deshalb kurz die Argumente zusammenfassen, durch die die theoretische Position meiner Gegner ungültig wird; sie wurden in meinem Buch, "Die Entdeckung des Orgons, Band 2: Der Krebs" ausgearbeitet.

1.  Krebs ist ein langwieriger Zerfallsprozeß im Organismus infolge bioenergetischer Schrumpfung des Lebenssystems. Im Verlauf dieser Degeneration und Zersetzung lebenden Proteins entwickeln sich Fäulnisbakterien, die langsam weiter zu T-Bazillen degenerieren. Diese können im Gewebe und im Blut eines jeden Krebspatienten gefunden und daraus kultiviert werden. Die Krebszelle ist selbst ein Protist, der sich im tierischen Gewebe ebenso bildet wie andere Protisten aus dem Zerfall pflanzlichen Gewebes.

2.  Weder Krebszellen noch irgendwelche anderen Protisten lassen sich "in der Luft" nachweisen. Jeder Versuch in meinem Laboratorium, Protisten aus der Luft zu gewinnen, ist fehlgeschlagen, und es gibt auch in der Literatur der klassischen Biologie keinen Beweis, daß Protisten tatsächlich in der Luft gefunden worden sind. Diese Behauptung ist eine reine Erfindung voreingenommener Wissenschaftler und dient nur dazu, eine überholte Sicht des Lebendigen aufrechtzuerhalten, die, im Hinblick sowohl auf den Ursprung als auch auf die Funktion, Organisches scharf von Anorganischem unterscheidet. Die Orgonomie hat durch mikroskopische Beobachtungen und Experimente bewiesen, daß das primordiale Leben sich, mehrere Phasen durchlaufend, aus Bionen, d. h. Energiebläschen, entwickelt. Ein Gegenbeweis ist bisher nicht erbracht worden. Es konnten noch keine Protisten oder Krebszellen aus der Luft nachgewiesen werden. Die Pflicht des Gegenbeweises liegt nun klar bei den Luftkeimtheoretikern. Wenn sie ihre Position aufrechterhalten wollen, müssen sie beweisen, daß Krebszellen und Protisten in der Luft existieren. Falls sie dies nicht können, muß man logischerweise annehmen, daß Krebszellen irgendwie innerhalb des Organismus entstehen. Genau an diesem Punkt nun betritt ein bösartiger Irrationalismus das Feld, wenn über orgonomische Beobachtungen gestritten wird. Solange die Gegner der Orgonomie sich jedoch weigern, ins Mikroskop zu schauen, können ihre Einwände nicht ernst genommen werden.

Man sollte diese Gegner daran erinnern, daß wir nicht mehr am Anfang der bakteriologischen Ära stehen, sondern eher vor ihrem Ende. Die Theorie der Luftinfektion hat ihre Brauchbarkeit weitgehend eingebüßt und ist zu einem Hemmschuh für das Verständnis und die Heilung von Erkrankungen wie Krebs, Bluthochdruck, Gelenkrheumatismus usw. geworden. Wir stehen heute völlig neuen Problemen gegenüber, die um die natürliche Funktion der endogenen Infektion und Fäulnis gruppiert sind. Diese krankhaften Erscheinungen sind nicht mehr auf eine parasitische Ursache zurückzuführen; sie sind bioenergetische und emotionelle, d. h. funktionelle Störungen. Wir stehen also in Medizin und Biologie am Beginn einer neuen Ära. Die Leitbegriffe der neuen Entwicklungen werden dementsprechend die (noch näher zu erforschenden) Funktionen der konkreten, meßbaren, lenkbaren, sichtbaren Lebensenergie, der Orgonenergie, sein.

Die 1940 gelungene Entdeckung einer Energie in der Atmosphäre, die die spezifischen Eigenschaften des Lebens (Pulsation, orgonomisches Potential, permanent höheres Wärmepotential u. a.) aufweist, stützte nicht nur die mikroskopischen Phänomene in den Bionen, sondern machte auch all dem engstirnigen und bornierten Gerede von nie gesehenen und nie bewiesenen "Luftkeimen" als Ursprung des primordialen Lebens (Amöben, Trichomonaden, Kolpidien usw.) ein Ende. Sie beseitigte damit eine leere Phrase, die über Jahrzehnte hinweg die Sicht auf harte Tatsachen vernebelt und jeden Schritt zu einem Verständnis der Biogenese blockiert hat. 1945 zeigte das Experiment XX, wie plasmatische Materie aus sterilem, autoklaviertem und gefrorenem Bionwasser entsteht. Damit war klar, daß alles organische Leben aus Orgonenergie hervorgeht, die Wasser absorbiert und sich zu Bionen konzentriert hat und innerhalb flexibler Membranen weiterhin pulsiert. Leben kommt tatsächlich "aus der Luft und aus der Erde", aber nicht in Form von nie gesehenen Luftkeimen, sondern als kosmische Lebensenergie.

Ich weiß nicht, in welchem Licht ich der Welt erscheine; aber in meinen Augen scheine ich nur wie ein Junge gewesen zu sein, der am Strand spielt und sich damit unterhält, hier und da einen glatteren Kieselstein oder eine hübschere Muschel als gewöhnlich zu finden, während das große Meer der Wahrheit unentdeckt vor mir lag.
Isaac Newton

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