Auszüge aus Michael Moore's
"Volle Deckung, Mr. Bush"

Dude, where's my country?

Uns reicht's, George! »George W. Bush noch weitere vier Jahre? Ich ertrage ihn keine vier Minuten länger!« Zum Präsidentschaftswahlkampf meldet sich der Mann zu Wort, der seit »Stupid White Men« als der schärfste und wirkungsvollste Bush-Kritiker gilt: Michael Moore. Mit bissigem Witz stellt er genau jene Fragen, denen Bush & Co. immer ausweichen - nach den Verbindungen zwischen den Familien Bush und bin Laden etwa, nach den wahren Hintergründen des Kampfes gegen den Terrorismus oder warum Bushs Steuerpolitik nur den Reichen zugute kommt. Und er läßt Gott selbst zu Wort kommen, auf den sich Bush immer beruft, und klarstellen, daß Er diesen Kerl jedenfalls nicht zum Präsidenten gemacht hat ...

Seit »Stupid White Men« ist klar: Der schärfste Kritiker von George W. Bush heißt Michael Moore. Und deshalb meldet sich»Amerikas letzter Rebell« auch zum aktuellen Wahlkampf mit einer politischen Breitseite gegen den »selbsternannten Präsidenten und seine Freunde«. Er geht dabei gewohnt hart zur Sache und läßt natürlich nichts aus, was Bush, Rumsfeld, Rice & Co. gerne vergessen würden: Die Rolle des Öls beim Kampf gegen die »Achse des Bösen« beispielsweise oder die hinterhältige Frage, warum eigentlich nur die Reichen von der Steuerpolitik profitieren. In seiner unvergleichlichen Mischung aus Satire und bitterem Ernst nominiert Michael Moore Gegenkandidaten (wie Oprah Winfrey oder Wesley Clark), verrät, was Gott von George W. Bush hält und sammelt »Mike's Miliz« zum Sturm auf das Weiße Haus.

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Vorwort zur deutschen Ausgabe

Seid gegrüßt, meine deutschen Freunde, stolze Überreste des alten Europa und Anführer der Koalition der Unwilligen!

Was zum Teufel ist los mit euch? Habt ihr nicht mehr gewußt, daß ihr gehorchen müßt, wenn die einzige Supermacht der Welt einen Befehl bellt? Wir bellen, ihr springt – das ist die Regel. Hat Mr. Bush euch nicht hoch genug bestochen, damit ihr mitmacht und die Bevölkerung des Irak bombardiert? Habt ihr nicht gewußt, daß Saddam der Übeltäter Massenvernichtungswaffen besaß? GROSSE Waffen! OH JA! Grausige Waffen! Er… er… er konnte sich unsichtbar machen, und er besaß geheime magische Kräfte, wie daß er, äh, daß er sich in eine Motte verwandeln konnte! Und, und… fliegen konnte er auch! Ich habe gesehen, wie er auf dem Empire State Building landete, und er sah so grimmig drein, als wollte er uns alle töten! Echt!

Millionen von uns versuchen hier in den USA mit aller Macht zu verhindern, daß das Bush-Regime rund um den Erdball noch mehr Unheil anrichtet. Für uns ist es dringend notwendig, daß ihr Deutschen Bush Widerstand leistet, und ihr sollt wissen, daß wir diesen Widerstand geradezu verzweifelt begrüßen. Es schadet uns sehr, daß Leute wie Tony Blair unsere Anstrengungen sabotieren. Aber zum Glück haben in Frankreich und Deutschland und zahlreichen anderen Ländern einige der größten Antikriegsdemonstrationen aller Zeiten stattgefunden. Ich kann dazu nur sagen: Danke, danke und nochmals danke.

Als ich kürzlich nach Übersee reiste, kamen viele Leute auf mich zu und dankten mir, weil ich »der einzige vernünftige Amerikaner« sei. Dieses Kompliment entspricht schlichtweg nicht der Realität. Ich kann euch versichern, daß nicht das ganze Amerika verrückt geworden ist. Bitte vergeßt niemals die folgende Wahrheit: Die Mehrheit der Amerikaner stimmte NICHT für George W. Bush. Es ist nicht der Wille des amerikanischen Volkes, daß er im Weißen Haus sein Amt ausübt. Im Gegensatz zu einem weitverbreiteten Irrglauben ist eine Mehrheit der Amerikaner ziemlich fortschrittlich – ihr würdet es »linksliberal« nennen –, aber sie hat keine engagierten liberalen Führer. Wenn sich das (hoffentlich bald) ändert, bessert sich die Lage.

Ich schreibe euch, damit ihr wißt, daß ich keineswegs allein bin, sondern mitten in einer neuen amerikanischen Mehrheit stehe. Viele Millionen amerikanischer Bürger denken wie ich, oder ich denke wie sie. Ihr erfahrt bloß nichts von ihnen, jedenfalls bestimmt nicht aus der Presse. Aber sie sind da draußen und ihre Wut brodelt dicht unter der Oberfläche. Deshalb mache ich weiter meinen Job und versuche, das eine oder andere Loch zu bohren, damit die Wut sich in einem Geysir demokratischen Handelns entladen kann.

Ich kann gut verstehen, daß Deutschland und der Rest der Welt über das Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgeflippt sind. Recht hatten sie! Der Haufen, der bei uns regiert, fühlt sich an kein Gesetz gebunden. Ihr braucht euch nur zu fragen, wozu diese Gauner noch fähig sind, wenn sie schon die Wahl gefälscht haben. So viel kann ich euch sagen: Sie haben keine Hemmungen, alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stellt, besonders wenn sie unterwegs sind, um noch mehr Geld zu machen. Und sie bestrafen euch, auch als alte Verbündete, wenn ihr nicht mit gebeugtem Knie und gesenktem Kopf am Wegrand steht und ruhig zuseht, wie sie zum nächsten Regimewechsel marschieren (vorzugsweise in einem Land, das ein paar profitversprechende Ölfelder hat).

All dies wird natürlich zu ihrem – und unserem – Untergang führen. Ich glaube, eine knappe Mehrheit der Amerikaner spürt das tief unten in ihren Bäuchen. Sie sind nur völlig verwirrt, und zwar nicht zuletzt, weil sie unter einer aufgezwungenen Unwissenheit leiden. Die Grundlage für diese Unwissenheit wird schon in der Schule gelegt, denn in unseren Schulen lernen sie fast nichts über den Rest der Welt. Und sie werden auch ihr ganzes Erwachsenenleben lang unwissend gehalten, weil die Medien kaum noch über das Ausland berichten, es sei denn die Nachrichten haben etwas mit den USA zu tun. Daß wir nichts über euch wissen, solltet ihr an uns am meisten fürchten. Die
meisten von uns finden euch nicht einmal auf der Landkarte. Laut einer kürzlich erschienenen Studie finden 85 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 25 den Irak nicht auf der Weltkarte. Ich meine, die erste Vorschrift des Völkerrechts sollte lauten: Ein Volk, das seinen Feind nicht einmal auf dem Globus findet, darf ihn auch nicht bombardieren.

Sollte ein derart unwissendes Volk die Welt führen? Wie ist es überhaupt dazu gekommen? 82 Prozent von uns haben nicht einmal einen Paß! Nur eine Handvoll kann eine andere Sprache als Englisch (und auch das sprechen wir nicht besonders gut). George W. sieht den Rest der Welt jetzt zum ersten Mal – weil er muß, weil das Reisen bei einem Präsidenten verdammt nochmal zum Job gehört.

Vermutlich bekamen wir die Verantwortung für die Welt, weil wir die größten Kanonen haben. Komisch, das funktioniert anscheinend immer. Wir haben den Kalten Krieg gewonnen, weil unser Gegner die Flagge gestrichen hat. Die Sowjetunion beschloß dank Mr. Gorbatschow, den Kampf aufzugeben, weil sie sich mit einem System stranguliert hatte, das einfach nicht funktionierte. Das Regime in Ostdeutschland ging zu Ende, weil die Leute auf die Straße gingen und gegen eine Mauer hämmerten. Wow, das muß man sich mal vorstellen, ein Regimewechsel, ohne daß ein einziger Schuß abgefeuert wird! Dasselbe passierte in Südafrika – niemand mußte das Land bombardieren, um es zu befreien. Tatsächlich gibt es etwa zwei Dutzend Länder, die – grob gerechnet – im letzten Jahrzehnt befreit wurden, einerseits durch den Druck der Weltöffentlichkeit, vor allem jedoch, weil ihre Bevölkerung durch einen gewaltlosen Aufstand die Macht ergriffen hat.

Aber wir Amerikaner kriegen ja keine Nachrichten aus Gebieten, die jenseits von Brooklyn oder Malibu liegen. Vermutlich haben wir gar nicht erfahren, wie ein richtiger Regimewechsel vor sich geht. Deshalb war es vor dem Irakkrieg auch so einfach, uns schaufelweise Sand in die Augen zu streuen (meine Lieblingsschaufel war, daß der 11. September mit Saddam Hussein in Verbindung gebracht wurde), und die meisten von uns ließen sich blenden.

Okay, das ist verständlich. Wir wußten es nicht besser, und ich bin sicher, den meisten von euch ist klar, daß wir ein wirklich leichtgläubiger Haufen sind. Wir gehen das Leben ziemlich offen und großzügig und unkompliziert an. Wenn ihr uns um Hilfe bittet, kommen wir euch zu Hilfe. Und wenn ihr uns sagt, daß Esel fliegen können, glauben wir es (wenn ihr es im Fernsehen sagt). So sind wir nun mal, und ihr habt bestimmt schon festgestellt, daß das eine bezaubernde Eigenschaft von uns ist. Na los, gebt's schon zu, das ist doch der Grund, warum ihr uns so gern habt. Und unseren Unternehmungsgeist nicht zu vergessen! Wir haben die nächste große Erfindung schon
gemacht, bevor es 12.00 Uhr mittags schlägt. Wir haben Drive! Und Ehrgeiz! Und Selbstvertrauen! Klar, wir haben seit sechs Jahren keinen Tag mehr frei gehabt, aber was soll's! Wer braucht schon Schlaf! Wir müssen eine Welt regieren!

Das erklärt vermutlich, warum wir uns so verhalten haben, wie wir uns verhalten haben. Aber jetzt kommt meine Frage an euch: Welche Entschuldigung habt ihr? Warum habt ihr euren Regierungen im Lauf der Jahre gestattet, immer mehr von dem sozialen Netz wegzuschnippeln, das ihr uns vorausgehabt habt? Ihr Deutschen habt doch immer gesagt: »Wir sind füreinander verantwortlich.«

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