Auszüge aus Viktor Farkas's
"Schatten der Macht"

Bedrohen geheime Langzeitpläne unsere Zukunft?

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Vorwort: Plädoyer für Verschwörungstheorien

Schaut uns doch nur an. Alles läuft rückwärts, alles steht Kopf. Ärzte zerstören die Gesundheit, Rechtsanwälte zerstören die Gerechtigkeit, Universitäten zerstören Wissen, Regierungen zerstören die Freiheit, die großen Medien zerstören Information, und Religionen zerstören Spiritualität. Michael Ellner

Immer mehr Zeitgenossen teilen heute das Gefühl einer sich beschleunigenden negativen Entwicklung sowie die Überzeugung, daß dabei nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Die aktuellen Ereignisse lassen mehr und mehr von ihnen zu der Ansicht kommen, daß geheime "Dunkelmächte", wie Verschwörungstheoretiker sie zu nennen pflegen, schon seit langem dabei sind, die Welt nach ihren Vorstellungen umzugestalten, und daß dieser Prozeß in seine Endphase einzutreten scheint.

Was uns heute immer vehementer als große Freiheit schmackhaft gemacht werden soll, Millionen aber schon im Hals stecken geblieben ist, erweist sich für Kritische als die totale Verschmelzung von Politik und Big Business, Krieg und Öl, Rüstung und Geschäft, Großforschung und Großbürokratie, Massenproduktion und Massenkonsum, Tierelend und Menschenausbeutung, Massenunterhaltung und Massenmanipulation. Nur noch Naivlinge – oder Mitverschwörer, wie man oft hören kann – schwafeln angesichts der globalen Netzwerke des Finanzkapitals und der Riesenkonzerne frohgemut vom "freien Wettbewerb". Geplagte Konsumenten merken hingegen schon lange, daß es keinen Wettbewerb gibt, wo Monopole herrschen, so nach dem Motto: "Du kaufst nicht bei mir? Dann kauf beim Nachbarn. Der gehört ebenfalls zu meinem Konzern. Warte nur ein Weilchen, dann gehört mir ohnedies alles – und du auch …"

Obwohl die Konzentration von immer mehr Macht in immer weniger Händen, die Auflösung der Nationalstaaten und die Degradierung der Politiker zu Statisten und Ausführungsgehilfen nicht beim Namen genannt, sondern unter dem Schlagwort "Globalisierung" sogar bejubelt wird, kann die Existenz einer übernationalen Machtelite wohl kaum geleugnet werden, die im Verhältnis zur Weltbevölkerung weitaus kleiner ist als jede herrschende Klasse früher, dafür aber ungleich mächtiger als alle Königshäuser oder Dynastien der Geschichte es je waren. Der Politik bleibt anscheinend außer Katzbuckeln kein Spielraum, wie manche Zyniker behaupten.

Ein ständig dichter werdendes Gestrüpp an eng verknüpften Seilschaften jenseits aller demokratischen Spielregeln, das Papst Johannes Paul II. als "Struktur der Sünde" bezeichnete, hat nach viel geäußerter Ansicht zu einer ungeheuren Macht von jenen geführt, die nach Meinung von Verschwörungsfreunden schon seit langer Zeit auf ein Ziel hinarbeiten: One World (der Mächtigen). Selbst wenn man weniger dramatische Gedankengänge verfolgt, so kann man dem gelegentlich geäußerten Gedanken einen gewissen Reiz nicht absprechen, die konsequente Verunglimpfung jeglichen Verschwörungsdenkens sei ihrerseits eine Verschwörung. Eine "Verschwörung", die sich in einer seltsam einheitlichen öffentlichen Meinung manifestiert, gleichzeitig aber vitale Themen absolut ausklammert – seien es die Ungereimtheiten des 11. September oder die realen Bedrohungen durch Bevölkerungsexplosion, Wirtschaftswachstum und systematische Vernichtung der Okosphäre. Die Zahl derer, die hinter unserer sogenannten Realität, ganz besonders aber hinter der immer schamloser werdenden Wirklichkeitssimulation durch eine fast schon völlig gleichgeschaltete politische Kaste und Medienlandschaft, geheime Drahtzieher und Interessen vermuten, wächst proportional zu den immer intensiveren Bemühungen, dem Bürger ein X für ein U vorzumachen.
Es ist eine verbreitete, jedoch falsche Vorstellung, Verschwörungstheoretiker wären Nichtswisser, die sich aus unzusammenhängenden Versatzstücken ein simples Weltbild basteln, fernab der komplexen Realität. Das Gegenteil ist der Fall. Verschwörungstheoretiker sind meist Informationssüchtige. Sie verbringen viel Zeit damit, Zeitungen und Zeitschriften, Gesetzestexte – und natürlich die Bibel – nach verborgenen oder verschlüsselten Informationsbrocken zu durchsuchen, die sie in ihr Puzzle einfügen können. Seit der Einführung des Internet ist diese Suche viel produktiver und auch unterhaltsamer geworden.

Man kann den Einfluß des Internet auf die Welt der Verschwörungsszenarien kaum überschätzen. Wenn es eine Aktivität gibt, für die das Internet wie geschaffen ist, dann ist es die Aussaat von Gerüchten und Theorien. Die elektronischen Newsgroups, Pinboards oder Chatrooms,die sich mit Verschwörungen befassen, gehören zu den lebhaftesten im Netz. Sie erhalten täglich Mitteilungen aus zahllosen Quellen rund um die Welt. Die Schnelligkeit der Verbreitung des Materials, die Leichtigkeit des Informationsaustausches, die Unmöglichkeit, das Internet wirksam zu kontrollieren – all das bietet ideale Möglichkeiten für die Lieferanten und Konsumenten von Verschwörungstheorien. Darüber hinaus wird immer öfter die Meinung laut, das Internet wäre in Zeiten der politischen Korrektheit, der zunehmenden Verfolgung von "Verhetzern", "Rassisten" und "Sexisten", der steigenden Zahl von Gesinnungsgesetzen und von ruinösen Anti-Diskriminieriingsprozessen die einzige tatsächliche Demokratieplattform; letzte Bastion freier Meinungsäußerung, wie grotesk diese manchmal auch sein mag. Dr. Stephen O’Leary, ein Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität von Südkalifornien, sieht eine enge Analogie zwischen den ersten Computer-Netzwerken und der ersten Generation von Druckwerken. In beiden Fällen erwies sich das plötzliche Auftauchen eines neuen Mediums, das vollkommen unabhängig von staatlicher Kontrolle war, als ein Gottesgeschenk für diejenigen, die Ansichten veröffentlichen wollten, die der Staat zu unterdrücken wünschte. In unseren Tagen könnte dazu beispielsweise eine allzu heftige Kritik am absurden Dogma vom ewigen Wirtschaftswachstum zählen.

Wen wundert’s, wenn viele instinktiv erkennen, daß es kein ewiges Wachstum (weder der Wirtschaft noch der Menschheit) geben kann,und daraus schlußfolgern, irgendwer würde der Welt ein "Chaosprogramm" aufzwingen. Der nächste, in sich logische Schritt ist da nicht weit: Wenn es so ist, daß geheime Mächte die Menschheit auf einen Kurs zwingen, der unweigerlich in den Abgrund führt, dann muß eine verborgene und absolut düstere Absicht dahinterstecken. Verschwörungsfreunde wissen auch welche: Weltherrschaft der "Dunkelmächte" durch und nach einem von ihnen inszenierten Weltbürgerkrieg. Anders ausgedrückt: Die Apokalypse ist nah und soll – nach dem Willen ihrer Verursacher – eine Überraschung für uns sein.

Der Gedanke an eine "große Verschwörung" ist nicht neu, auch wenn er sich heute dank des Internet mit Lichtgeschwindigkeit zu verbreiten scheint. Die Geschichte kennt eine aufeinanderfolgende Kette von Verschwörungstheorien mit jeweils wechselnden "Schurken". Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war es die Geheimgesellschaft der Illuminaten, in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts waren es die Freimaurer, um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Katholiken und gegen Ende des 19. Jahrhunderts die internationalen Goldspekulanten. In einem Manifest der Populisten von 1895 heißt es: "Jeder Schachzug des Verrats, jeder Winkelzug der Staatskunst, jedes Manöver, das den geheimen Kabalen des internationalen Goldrings bekannt ist, sie alle werden benutzt, um dem Wohlstand des Volkes und der finanziellen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit unseres Landes einen Schlag zu versetzen." Für den "internationalen Goldring" könne man genausogut die Freimaurer (die ohnedies für alles herhalten müssen), den Vatikan oder auch die Wall Street einsetzen.

Das gegenwärtige "Angebot" an "Dunkelmächten" ist mehr als reichlich. Es umfaßt Bilderberger, Illuminaten, Freimaurer und andere Logenbrüder, Goldene Dämmerer, Vril-Anhänger, Mitglieder der Mont-Pelerin-Gesellschaft, Trilaterale, Thulebündler, Rosenkreuzer, Templer, Hermetiker, Theosophen, Ordensmannen der Strikten Observanz, Funktionäre des "Committee on the Present Danger" (C. P. D.), Odd Fellows, Gralsgefährten und noch eine Reihe anderer Kandidaten, die aufzuzählen den Rest des Buches in Anspruch nehmen würde. Die Auswahl der bevorzugten Drahtzieher oder das Hinzufügen neuer steht dem Leser frei.

Daß Verschwörungstheoretiker meist scheel betrachtet werden, hat damit zu tun, daß viele von ihnen in der Tat Wirrköpfe oder Radikalisten sind. Dessen ungeachtet sage ich es ganz ehrlich: In diesem Buch wird über Verschwörungstheorien geschrieben. Damit sollen keine neuen Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt werden, davon gibt es nämlich schon genug, um selbst den verwöhntesten Paranoiker zufrieden zu stellen. Vielmehr soll so etwas wie ein "vernünftiges Verschwörungsdenken" als skeptische Wissenschaft salonfähig gemacht werden. Denn ohne angemessene Verschwörungstheorien läßt sich unsere hochgradig komplexe, zutiefst verkommene und laufend konspirativer werdende Welt nicht verstehen, davon sind heute immer mehr Mitmenschen überzeugt – und zwar nicht nur solche mit einer kleineren oder größeren Macke. Man braucht nur mit "den Leuten" zu reden und bekommt selbst von nüchternen und seriösen Naturen Heftiges zu hören. Viele sind mittlerweile der festen Ansicht, die sogenannte "Politische Korrektheit", die Milde gegenüber Verbrechern oder der Niedergang der Bildungssysteme – um ein paar oft gehörte Beispiele zu nennen – wären keine natürlichen Vorgänge. All das könnte niemals aus sich heraus entstanden sein, sondern würde den widerstrebenden Normalbürgern von "irgendwem" aufgezwungen. Damit würden solche Entwicklungen alle Voraussetzungen einer Verschwörung erfüllen. Solche Thesen sind kein Grund zurückzuzucken. Verschwörungen waren und sind ebenso ein Teil unserer Wirklichkeit wie die wachsende Zahl derer, die ihnen auf die Schliche zu kommen trachten.

Die Gefahr, sich durch die Kakophonie der Verschwörungstheorien den Kopf zudröhnen und sich hysterisch machen zu lassen, liegt auf der Hand. Rationale Verschwörungstheoretiker empfehlen daher die Anwendung kühler Logik, um wieder festen Boden unter den schwankenden Füßen zu bekommen. Zum Beispiel die elementare Frage "Cui bono?, Wem nützt es?" Oder die simple Schlußfolgerung "Wer Chaos erzeugt, will Kontrolle ausüben." Bereits die Einsicht "hier will mir nur jemand Angst machen!" reicht ihrer Meinung nach oft, um die Angst zu beseitigen. Ist der Horror erst einmal entzaubert, so argumentieren sie, eröffnet sich dem kritischen Zeitgenossen der Blick hinter die Kulissen, und damit auf die Manipulationen, Tricks und Täuschungen, durch die anonyme Strippenzieher dafür sorgen wollen, daß jedermann vor Angst schlottert und glücklich ist, wenn irgendwer bereit ist, die Führung zu übernehmen. Eine Führung, gegen die die meisten Einwohner der Wohlstandsländer insgeheim nicht wirklich etwas zu haben scheinen. Und damit letztlich auch nichts gegen die immer wieder an die Wand gemalte Weltherrschaft von jenen, die vielleicht bereits seit langem darauf energisch hinarbeiten.

Da manche ernsthaft vermuten, die USA seien von Haus aus langfristig als "Instrument zur Weltbeherrschung" und als "neues Rom" konzipiert worden, wofür ihrer Ansicht nach bereits die Gründungsinstitutionen wie der "Senat" oder das "Capitol" deutlich Zeugnis ablegen (von den mittlerweile hinlänglich bekannten Symbolen und Sprüchen auf der Ein-Dollar-Note ganz zu schweigen), rücken die Vereinigten Staaten von Amerika fast zwangsläufig ins Rampenlicht meiner und von mir im vorliegenden Buch wiedergegebener Überlegungen. Tatsache ist jedenfalls: das "The Land of The Free" hat von Anfang an sein Territorium aggressiv vergrößert, im 20. Jahrhundert unzählige Kriege vom Zaun gebrochen und Interventionen durchgeführt und beansprucht im einundzwanzigsten Jahrhundert die globale Hegemonie. Nach dem 11. September 2001 sogar ganz unverhohlen, über welches Ereignis deshalb in einem Kapitel des ersten Teils auch ein paar Worte gesagt werden.

Manches, von dem Sie in diesem Buch lesen, kann Ihnen klar machen, daß Vorgänge, die Ihnen auf den ersten Blick als jüngste Entwicklung erscheinen, in Wirklichkeit schon vor langer Zeit zielgerichtet in die Wege geleitet wurden. Das gilt in großem Maße für die aktuellen und unmittelbar zu erwartenden Ereignisse auf der Weltbühne, die deshalb von mir gründlich durchleuchtet werden. Anderes wird Sie schockieren und denken lassen, daß solches einfach nicht möglich sein kann. Das behaupte ich auch gar nicht, wohl aber die Quellen, die ich zur Diskussion mit den Lesern herangezogen habe.

Meine Empfehlung an Sie, lieber Leser ist: Bilden Sie selbst eine Meinung jenseits von Schönfärbereien und Verzerrungen – unbeeinflußt von schwachen Theorien oder starken Worten.

Die gar nicht so neue "Neue Weltordnung"

Wir werden zu einer Weltregierung kommen, ob die Menschen es wollen oder nicht – durch Unterwerfung oder durch Übereinkunft. James Warburg

Endzeit ... "Dunkelmächte" ... Neue Weltordnung ...

Daß "Endzeitängste" an der Tagesordnung sind, dürfte wohl niemand bezweifeln. Wie manche Soziologen meinen, schlägt sich der allgemeine Glaube, daß die Menschheit den kritischsten Augenblick ihrer Geschichte erreicht hat, in einem schrankenlosen Materialismus nieder, der fast schon zu einer Religion geworden ist. Von Sorgen um den Arbeitsplatz geplagt, wälzen sich die Zivilisationsbürger im Hedonismus, schwören auf Sex, Unterhaltung und Verantwortungslosigkeit. Ideale, Wertvorstellungen und Visionen wurden abgeschafft – aber durch nichts ersetzt. Selbstverwirklicher machen sich in Scharen auf, um sich selbst zu suchen, obgleich es sich bei vielen von ihnen überhaupt nicht lohnt, daß sie sich finden. Jugendliche werden Satanisten. Kranke werfen sich in die Arme von Wunderheilern, und Großunternehmen treffen Entscheidungen nach dem Ratschlag ihres Firmenastrologen. Orientierungslosigkeit, "Mega-Frust" und die Gier nach immer extremeren "Kicks" kennzeichnen den Westen. Die sogenannte "Lebensqualität" in den reichen Ländern, von der die Politiker immer schwärmen, ist im Grunde bedrückend und nimmt zudem rapide ab. Verwirrung herrscht allenthalben. Manche blicken vertrauensvoll in die Vergangenheit, denn die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war, so lautet ein Sprichwort. Andere konzentrieren sich auf ihre persönlichen Interessen, jagen Vergnügungen nach, oder ziehen es vor, einfach nicht über die Realität nachzudenken. Ein derartiger Eskapismus erfordert heute aufgrund der doch nicht zu ignorierenden Fakten allerdings Kraft und Konsequenz.

Historiker und Soziologen sind der Meinung, Angst mache sich in der Gesellschaft immer dann breit, wenn sie von außen bedroht werde oder im Niedergang begriffen sei. Manche sind überzeugt, daß heute beides der Fall ist. Daran ändert auch nichts die hektisch ausufernde "Spaßgesellschaft", deren Vertreter durch die ausgefallensten Events, selbstmörderische Freizeitvergnügungen oder mittels an Schwerarbeit grenzender Sexualexzesse die grenzenlose Leere und panische Angst vor dem Morgen vergessen wollen, die sie insgeheim umtreiben. Das ist an sich kein neues Phänomen.

Von Alexander dem Großen bis zum Untergang des Römischen Reiches fühlten sich Menschen von der Vorstellung ihrer Auslöschung im Tode so sehr bedroht, daß sie ihre Zuflucht im Glauben an die unsterblichen Helden des Altertums suchten. Am Ende des Mittelalters kreisten die Angstvorstellungen um Schuld und um den "göttlichen Zorn", der Hölle und Verdammnis brachte. Durch Pilgerfahrten, Verehrung von Reliquien, Teilnahme an Messen und übersteigerte Buße sollte diese Furcht gelindert werden. Die Wurzeln der Angst waren damals wie heute gesellschaftlicher Art. Nachdem in unseren Tagen so ziemlich alle tradierten Werte und Ideale als unzeitgemäß, wenn nicht gar als faschistoid gebrandmarkt und durch "Fun and Games" ersetzt wurden, greift neben der realen Angst vor den absehbaren Menschheitskatastrophen die Angst vor Leere und Sinnlosigkeit um sich.

Was Soziologen und Psychologen besonders beschäftigt, ist die Wechselbeziehung von individueller und kollektiver Angst. Die erstere ist potentiell in jedem Menschen vorhanden. Zur allgemeinen Angst wird sie, wenn die gewohnten Strukturen von Sinn, Macht, Glauben und Ordnung zerfallen. Das ist fast das Gleiche, was Historiker und Sozialwissenschaftler über den apokalyptischen und millenaristischen (Endzeit-)Glauben sagen: daß er blüht, wenn soziale oder geistige Strukturen zusammenbrechen und die Menschen die Orientierung verlieren. Er ist eine Reaktion auf Veränderung, besonders aber auf die Schnelligkeit der Veränderung, die für viele das Ende einer Epoche signalisiert.

Schon Oswald Spengler beschrieb in seinem zweibändigen erschreckend aktuellen Werk Der Untergang des Abendlandes (das wie ein unmittelbarer Vorläufer zu Pat Buchanans Bestseller von 2002 The Death of the West wirkt) ein "zweites Wikingertum", das: "um sich greift, nachdem die hohe Geschichte sich schlafen gelegt hat. Mitten im Lande liegen die alten Weltstädte, leere Gehäuse einer erloschenen Seele, in die sich geschichtslose Menschheit langsam einnistet." Klingt das nach einem Werk, von dem der erste Teil im Ersten Weltkrieg entstanden ist (1917) und der zweite kurz danach (1922), oder nicht vielmehr nach einem Report von heute?

In der Tat werden seit den 1980er Jahren Teile vieler Großstädte – auch im Westen – laufend zu einer Art von exterritorialen Zonen, in denen Drogenbarone und Banden die einzige Autorität verkörpern. Nationalität wird durch Tribalismus (Stammesstrukturen) ersetzt. Für manche Historiker sind dort die Bedingungen des 15. Jahrhunderts mit seinen Raubrittern und konkurrierenden Bünden wieder eingekehrt. Migration in noch nie dagewesenem Maße führt selbst in entlegensten Winkeln der Welt zu engem Kontakt zwischen den verschiedenen Kulturen und damit zu Spannungen aller Art, nicht zuletzt durch kulturelle Verschiedenheit, auch wenn das nicht gerne zugegeben wird. Damit sind Konflikte wahrscheinlicher geworden als in der Vergangenheit. Zu viele Menschen, zu wenig Platz und vor allem zu wenig Wasser.

Krieg und Frieden ändern ihre Natur. Schon Anfang der 1990er Jahre prophezeite der Militärhistoriker Martin van Creveld, Autor des Buches The Transformation of War (Die Verwandlung des Krieges), der Krieg würde wieder zu einem früheren Muster zurückkehren, welches den Konflikten zwischen Staaten vorausgegangen ist. Die Dreiteilung der Gesellschaft in Regierung, Armee und Gesellschaft existiert nämlich nicht mehr, wie schon der Bosnienkonflikt auf deutliche Weise gezeigt hat. Der Unterschied zwischen Krieg, Terrorbekämpfung, Interventionismus und – was besonders wichtig ist – Kriminalität verwischt sich zusehends.

Hier setzen die Verschwörungstheoretiker an und behaupten: "Genau das ist es, was 'Dunkelmächte' seit Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten planen: Chaos!" Da es selbst Paranoikern an den Kragen gehen kann, sollte man an die Wand gemalte Teufel nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Ein erschreckend wirklichkeitsnahes Beispiel ist etwa ein Essay von Robert D. Kaplan, der 1994 unter dem Titel The Coming Anarchy in der berühmten Zeitschrift Atlantic Monthly erschienen ist. Er entwirft ein Gemälde des 21. Jahrhunderts, das fast zu schrecklich zum Ansehen ist. Nicht zuletzt, weil es beinahe schon vertraut erscheint. Kaplan beschreibt die Fahrt in einer jener klimatisierten Großraumlimousinen, in denen die gebildete Mittelklasse der Zukunft durch eine Mondlandschaft reist, wo die Mehrheit der Bevölkerung dann leben wird. Es wird gefährlich sein, den Wagen zu verlassen. Das Draußen wird nämlich ein heruntergewirtschafteter, ökologisch verwüsteter und übervölkerter Planet voll "Skinhead-Kosaken" und "Ecstasy-Kriegern" sein, die – aufgewachsen unter dem Einfluß des schlimmsten Abfalls der westlichen Popkultur und angetrieben von uralten Stammesfeindschaften – sich um winzige Stücke ausgelaugten Ackerbodens streiten werden. Und das in Guerillakriegen, die über Kontinente hinweg toben.

Nach der Lektüre dieses Essays, der auf Kaplans ausgedehnten Erfahrungen im Mittleren Osten und in Westafrika beruht, fällt es schwer, die Überzeugung des Autors nicht zu teilen, daß der Nationalstaat am Zusammenbrechen ist, der sich über Jahrhunderte im Westen herausgebildet hat, um seine Bevölkerung vor genau den Entwicklungen zu schützen, die derzeit im Gange sind und die durchaus in Kaplans Szenario münden können. All das nicht zuletzt mit eifriger Unterstützung der eigenen Regierungen, die nichts dabei finden, mit Steuergeld finanzierte Infrastrukturen an ausländische Konzerne zu verscherbeln, die dann damit entsprechend "wirtschaften" (man denke an die fast schon täglichen Massenentlassungen, an die Zustände der privatisierten British Railway oder an die Unerschwinglichkeit von Wasser oder Strom, dort wo derartige Güter privat gemanagt werden). In allen hochentwickelten Staaten vernichten Globalisierung, Privatisierung, Freß-Kapitalismus und Automatisierung die Arbeitsplätze der lokalen Facharbeiter und zerstören ihre Selbstachtung, ganz zu schweigen von der Befindlichkeit der "Unterklasse", die überhaupt nicht auf Arbeitsplätze vermittelbar ist.

Der Eindruck, am Rande eines allgemeinen Chaos zu leben, ist zum Lebensgefühl der 1990er Jahre geworden. Der Kontrast zwischen optimistischen und pessimistischen Szenarien weist seit dem letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts eine nie gekannte Größe und Schärfe auf. Keine nationale Politik, die für die meisten ohnedies am Gängelband der Wirtschaft und der Hochfinanz hängt, ist mehr in der Lage, den verlorenen Status quo wieder herzustellen oder Stabilität auf irgendeiner Ebene zu garantieren.

Nur noch Computerenthusiasten glauben, die Entstehung einer isolationistischen "virtuellen Gemeinschaft" würde es ihnen ermöglichen, das anbrandende Chaos auszuschließen, in etwa so, wie es die mittelalterlichen Mönche in ihren Klöstern getan haben. Der kleine Unterschied besteht allerdings darin, daß die Klöster autonom, also selbsterhaltend waren, was man von einer Computergesellschaft nicht sagen kann, in der jeder vor dem Bildschirm hockt und keiner Getreide anbaut oder auch nur löchrig werdende Dächer repariert. Von den ungeheuren und komplexen praktischen,um nicht zu sagen handwerklichen Leistungen einmal ganz abgesehen, die notwendig sind, um eine "virtuelle Gesellschaft" mit Lebenssaft zu versorgen.

Wenn wir auf das vergangene zwanzigste Jahrhundert zurückblicken, sind wir durch die anscheinend immer rascher und drastischer ablaufenden Veränderungen auf der ganzen Welt frappiert und verunsichert. Diese subjektive Beobachtung bricht bei vielen den Widerstand gegenüber Verschwörungstheorien. Daran ändert selbst die Tatsache nichts, daß Hunderte Millionen Menschen einen materiellen Wohlstand genießen, der in der Geschichte ohne Beispiel ist. Trotzdem hat fast niemand Vertrauen in die Zukunft. Im Gegenteil, es scheint, als sei die individuelle Angst kollektiv geworden. Gerade in den reichen Industrieländern verzeichnen Psychiater und Psychologen einen ungeheuren Zulauf von Gestörten aller Art (in den anderen Ländern kann man sich eine solche Therapie ohnedies nicht leisten).

Ein Gefühl von Angst und Entwurzelung macht sich im angebrochenen ersten Jahrhundert des dritten Jahrtausends allenthalben breit und ruft nach neuen Strukturen, die in der Lage sind, diesen Gefühlen Rechnung zu tragen. Solche Strukturen sind in der Tat im Entstehen. Sie haben allerdings keine Ähnlichkeit mit den harmonischen lokalen Gemeinschaften, von denen die meisten Multikulturisten und andere Schwarmgeister träumten. Statt dessen werden die neuen Gemeinschaften von der gemeinsamen Loyalität gegenüber der Religion, dem Stamm, dem Clan, der Volkszugehörigkeit zusammengeschmiedet. Und sie reichen in ihren Größenverhältnissen von winzigen Kommunen bis zu landesweiten Theokratien. Parallel mit den wachsenden Bedrohungsszenarien verbreitet sich nämlich religiöser Fanatismus jeglicher Ausprägung, Hand in Hand mit dem Anwachsen der New-Age-Bewegung.

Bei der Unterhaltung mit immer mehr Leuten erkennt man ein tiefsitzendes Bedürfnis, dem heranrollenden Horror etwas entgegenzusetzen, der in den kommenden Jahren noch ganz andere Dimensionen annehmen dürfte. Befördert wird dieser Wunsch von der menschlichen Natur, die sich nach einer Schlacht mit einem Feind, nach der Bestrafung der Bösen und nach einer ewigen Belohnung für die Gerechten sehnt. Die Einteilung der Welt in Gute und Böse, in Erlöste und Verdammte, schreitet seit einiger Zeit im "aufgeklärten Westen" fast noch schneller voran als in jenen Teilen der Welt, die man herablassend als "fundamentalistisch" bezeichnet. Christliche Fanatiker, die Ärzte vor Abtreibungskliniken erschießen, unterscheiden sich wohl kaum sehr von den Kreuzfahrern vergangener Tage oder von den Ausrufern des Jihad (Heiligen Krieges) in unserer Zeit. Der islamische wie der christliche Fundamentalismus, wie auch andere Bewegungen, profitieren enorm von der Fragmentierung der herkömmlichen Gesellschaften, weil sie etwas bieten, was politische Ideologien nicht mehr vermögen: Sie können die Menschen davon überzeugen, daß die Welt doch noch auf wunderbare Weise verändert werden kann.

Die Utopisten schwärmen von einem "Goldenen Zeitalter", das nach einer "Reinigung der Erde" eintreten wird. Weniger poetisch ausgedrückt: Nach ungeheuren Katastrophen, die Mensch und Tier an den Rand des Abgrundes befördern werden – vielleicht sogar darüber hinaus. Damit stoßen sie in dasselbe Horn wie die Apokalyptiker,zu denen viele Realisten zunehmend werden, weil sie kommende Greuel für unabwendbar halten. Gemeinsam haben zahlreiche Vertreter beider Fraktionen die Vorstellung, der unaufhaltsame Marsch ins globale Chaos sei keine naturgegebene Entwicklung, sondern eine schon lange ausgemachte Sache. Aber von wem ausgemacht? Und zu welchem Endziel?

Esoteriker und Vertreter des New Age sprechen bevorzugt von "Dunkelmächten", Verschwörungstheoretiker von "unsichtbaren Drahtziehern" oder Ähnlichem. Meinen tun sie im Prinzip dasselbe: Eine unbekannte Macht wäre seit Jahrhunderten dabei, die Völker zu entwurzeln, durchzumischen und zu orientierungslosen Einzelindividuen zu machen, die nur noch von einer einzigen Triebfeder beherrscht werden: Egoismus.Damit wären sie so einfach zu berechnen wie Gasmoleküle und zu lenken wie eine Hammelherde. Der Etablierung einer Weltregierung, "Neuen Ordnung" oder wie immer man ein solches Einweltsystem nennen will, stünde nichts mehr im Wege.

Ein untrügliches Zeichen für die immer schneller werdende Machtübernahme durch Agenten einer "Neuen Weltordnung" ist für viele die Tatsache, daß irreversible kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen dabei sind, uralte religiöse Monopole zu brechen und Bewährtes durch "Zeitgemäßes" zu ersetzen, das der Mehrzahl der Bürger zutiefst zuwider ist, während gleichzeitig die Globalisierung Beschäftigungsstrukturen und Lebenszusammenhänge zerstört. Diese Vorstellung findet laufend mehr Anhänger, seit Präsident George Bush sen. nach dem Kollaps der UdSSR am 11. September 1990 (nicht 2001) vor großem Publikum die Floskel "Neue Weltordnung" gebraucht hat. Bezeichnend für die Stimmung in den USA (und in der Welt) ist beispielsweise das Buch des christlichen Fundamentalisten Pat Robertson mit dem Titel The New World Order. Darin liest man unter anderem:

Kann es sein, daß der Ausdruck "die neue Weltordnung" für den inneren Kreis einer Geheimgesellschaft etwas völlig anderes bedeutet als für einen normalen Menschen? Es ist in der Tat möglich, daß Menschen guten Willens, die aufrichtig eine größere Gemeinschaft von Nationen wollen, die miteinander im Frieden leben, in Wirklichkeit, ohne es zu wissen, eine Mission ausführen, die von einer eng geknüpften Kabale ausgeht, deren Ziel nichts Geringeres ist, als eine neue Ordnung für das Menschengeschlecht unter der Herrschaft Luzifers und seiner Anhänger.

Diese etwas bombastischen Formulierungen könnten durchaus so etwas wie einen neuen Zeitgeist widerspiegeln.

Dieselbe Technologie, die seit einiger Zeit das soziale Gewebe aufzulösen droht, erlaubt es paradoxerweise vielen Menschen, ihre Zuflucht in Verschwörungsphantasien zu suchen. Damit gemeint ist in erster Linie die Computertechnologie, durch die selbst die abstrusesten Gedankenkonstruktionen mit rasender Geschwindigkeit verbreitet werden können. Mit dem Internet ist es kinderleicht, durch das kultische Milieu zu "surfen", immer neue Theorien kennenzulernen und dabei die künstliche Intimität zu erleben, die so wichtig für die Aufrechterhaltung unangepaßter Überzeugungen ist. Obwohl sich Verschwörungsgläubige von der Welt zurückziehen oder sich heftig gegen sie wenden, bilden sie bereits einen merkbaren gesellschaftlichen Faktor. Manche, die das Ohr der Öffentlichkeit suchen und oft auch finden, verstehen es sehr gut, ihren Vorstellungen von einer "Bankiersverschwörung" oder von einem "Krieg der Regierenden gegen das eigene Volk" Glaubwürdigkeit zu verleihen. Nicht zuletzt weil viele Zeitgenossen in ihrem tiefsten Inneren ohnedies genau das vermuten, es lediglich nicht zu artikulieren wagen. Man läuft bei ihnen sozusagen offene Türen ein.

...

Orwell war Optimist

Das Modell

Wer heute eine vernünftige faschistische Diktatur schaffen wollte, würde dafür wohl das amerikanische Modell wählen. Noam Chomsky

Sie werden mir sicher zustimmen, daß die folgenden Worte der modernen Verschwörungs- oder Anti-Globalisierungsliteratur entnommen sein könnten, oder nicht?
Ich erblicke eine Menge einander ähnlicher und gleichgestellter Menschen, die sich rastlos im Kreise drehen, um sich kleine und gewöhnliche Vergnügungen zu verschaffen, die ihr Gemüt ausfüllen. Jeder steht in seiner Vereinzelung dem Schicksal aller anderen fremd gegenüber. Über diesen erhebt sich eine gewaltige, bevormundende Macht, die allein dafür sorgt, ihre Genüsse zu sichern und ihr Schicksal zu überwachen. Sie ist unumschränkt, ins einzelne gehend, regelmäßig, vorsorglich und mild. Sie wäre der väterlichen Gewalt gleich, wenn sie wie diese das Ziel verfolgte, die Menschen auf das reife Alter vorzubereiten; statt dessen aber sucht sie bloß, sie unwiderruflich im Zustand der Kindheit festzuhalten. Auf diese Weise macht sie den Gebrauch des freien Willens mit jedem Tag wertloser und seltener; sie beschränkt die Betätigung des Willens auf einen kleinen Raum, und schließlich entzieht sie jedem Bürger sogar die Verfügung über sich selbst.

Die Gleichheit hat die Menschen auf dies alles vorbereitet: sie macht sie geneigt, es zu ertragen und oft sogar als Wohltat anzusehen. Nachdem der Souverän auf diese Weise den einen nach dem anderen in seine mächtigen Hände genommen und nach seinem Gutdünken zurechtgeknetet hat, breitet er seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes aus. Er bedeckt ihre Oberfläche mit einem Netz verwickelter, äußerst genauer und einheitlicher kleiner Vorschriften, die die ursprünglichsten Geister und kräftigsten Seelen nicht zu durchbrechen vermögen, um sich über die Menge hinauszuschwingen; er bricht ihren Willen nicht, aber er weicht ihn auf und beugt und lenkt ihn; er zwingt selten zu einem Tun, aber er wendet sich fortwährend dagegen, daß man etwas tue; er zerstört nicht, er hindert, daß etwas entstehe; er tyrannisiert nicht, er hemmt, er drückt nieder, er zermürbt, er löscht aus, er stumpft ab.

Während der Arbeiter seinen Verstand mehr und mehr auf die Beschäftigung mit einem einzigen Gegenstand beschränkt, läßt der Industrieherr täglich seine Blicke über ein umfassenderes Ganzes schweifen, und sein Geist erweitert sich im selben Verhältnis, wie der des anderen einschrumpft. Der eine gleicht immer mehr dem Verwalter eines umfassenden Reiches und der andere einem Vieh.

Diese unangenehm aktuellen Worte stammen aus dem neunzehnten Jahrhundert, und zwar von Alexis de Tocqueville (1805-1859), einem französischen Adeligen, der 1831 die USA bereiste, um dort die Entwicklung einer freien bürgerlichen Gesellschaft zu studieren, während sein Heimatland von Revolution und Restauration zerrissen wurde. Die meisten von uns werden den amüsanten Film mit Gene Kelly Ein Amerikaner in Paris kennen. Als weit weniger amüsant, sondern als düster-prophetisch empfinden viele, was dieser Franzose in Amerika erleben und von dort berichten sollte.

Sein 1835 erschienenes Werk Über die Demokratie in Amerika lobt zwar die Institutionen und Sitten der Neuen Welt, ist aber gleichzeitig auch eine düstere Prophetie – besonders für einen Zeitgenossen von heute. Für den französischen Aristokraten stand schon damals fest, daß hinter der scheinbar so idealen Verfassung und Lebensweise der Vereinigten Staaten ein neuer Despotismus lauere, der alle bekannten Despotismen übertreffe. Die Fürsten hätten mit unverhüllter Gewalt geherrscht, schreibt Tocqueville. Dagegen würden die demokratischen Republiken auf die Malträtierung des Körpers verzichten, um der Psyche Gewalt anzutun. In den Augen der Mehrheit würde dadurch der Despotismus seiner widerlichen Erscheinung und seines erniedrigenden Wesens entkleidet. Für eine Minderheit würde die neue Tyrannei, die ohne den Umweg der Folter auf den Geist losgeht, um so drückender. Für Tocqueville gab es "kein Land, in dem im allgemeinen weniger geistige Unabhängigkeit und weniger wahre Freiheit herrscht als in Amerika". Zitat:

Unter der unumschränkten Alleinherrschaft schlug der Despotismus in roher Weise den Körper, um die Seele zu treffen; und die Seele, die diesen Schlägen entwich, schwang sich glorreich über ihn hinaus. In den demokratischen Republiken jedoch geht die Tyrannei nicht so vor; sie übergeht den Körper und zielt gleich auf die Seele. Der Herrscher sagt nicht mehr: entweder du denkst wie ich oder du bist des Todes; er sagt: du bist frei, nicht so zu denken wie ich; du behältst dein Leben, deinen Besitz, alles; aber von dem Tag an bist du unter uns ein Fremdling. Du behältst deine Vorrechte in der bürgerlichen Gesellschaft, aber sie nützen dir nichts mehr; denn bewirbst du dich um die Stimme deiner Mitbürger, so werden sie dir diese nicht geben, und begehrst du bloß ihre Achtung, so werden sie tun, als ob sie dir auch diese verweigerten. Du bleibst unter den Menschen, aber du büßest deine Ansprüche auf Menschlichkeit ein. Näherst du dich deinen Mitmenschen, werden sie dich wie ein unreines Wesen fliehen; und selbst jene, die an deine Unschuld glauben, werden dich verlassen, denn auch sie würden gemieden. Ziehe hin in Frieden, ich lasse dir das Leben, es wird aber für dich schlimmer sein als der Tod.

Und im 13. Kapitel seines Werkes geht er der Frage nach, "weshalb die Amerikaner inmitten ihres Wohlstandes so ruhelos sind". Die Antwort, die er gibt, ist erschreckend, denn so geht es mittlerweile auch im Europa unserer Tage zu:

Der Amerikaner hängt so an den Gütern dieser Welt, als sei er gewiß, nicht sterben zu müssen. Zugleich habe er es so eilig, alle ihm greifbaren Güter zu erfassen, als befürchte er jeden Augenblick zu sterben, bevor er sich ihrer erfreut habe. Die Amerikaner wirkten ernst und sogar in ihren Vergnügungen meist traurig. Er habe den Eindruck, daß meist eine Wolke ihre Züge überschatte. Hauptursache dieser verborgenen Unruhe sei "die Vorliebe für die materiellen Genüsse". Da der Genuß das Endziel sei, müsse das Mittel zu seiner Erreichung schnell und bequem sein, um nicht die Mühe des Erringens größer als den Genuß werden zu lassen.

Die hochgejubelte Gleichheit stellte schon für den Amerika-Reisenden des Jahres 1831 in Wirklichkeit das Mittel dar, mit dem eine neue Aristokratie in Gestalt der Unternehmer und Finanztycoone daran ging, eine nie zuvor dagewesene Unfreiheit für eine wachsende Masse neuer Heloten, wie die Staatssklaven im alten Sparta hießen, in Gestalt der Arbeiter, Bauern und anderer unzähliger Abhängiger zu etablieren. Dazu bedarf es auf lange Sicht allerdings gründlicher Vorarbeiten. Zuerst einmal muß man dafür sorgen, jedermann überall und jederzeit unter Kontrolle zu haben. Wenn man den unterschiedlichsten Quellen glauben will, soll das bereits seit Jahrzehnten in die Wege geleitet werden.

Der Staat hört mit

Wenn uns die Freiheit frei zu sprechen genommen ist, können wir, stumpf und schweigend wie Schafe, zur Schlachtbank geführt werden. George Washington

Als in den 1970er Jahren im Zuge des RAF-Terrors das Abhören von Telefongesprächen vom deutschen Bundesverfassungsgericht erlaubt wurde, war die Befürchtung groß, das Grundgesetz würde durch solch eine einschneidende Maßnahme ausgehebelt werden. Darum verweigerten drei der acht Richter ihre Zustimmung. In der Zwischenzeit haben sich alle an eine mögliche Telefonkontrolle gewöhnt, so daß sich wenig gerührt hat, als Anfang 1998 das Grundgesetz geändert wurde, um den großen Lauschangriff zu ermöglichen.

Meldungen besagen, daß es einer Genehmigung durch die Regulierungsbehörde bedürfen soll, bevor ein Unternehmen eine interne Telefonanlage in Betrieb nehmen kann. Sie soll nur erteilt werden, wenn die technischen Voraussetzungen zum Abhören gegeben sind. Es wird angeprangert, daß die Unternehmen damit den Aufbau eines Überwachungsnetzes sogar mit eigenen Mitteln finanzieren müssen. Um Abhören von Telefoneinrichtungen zu ermöglichen, gibt es eine spezielle Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKUV), durch die Unternehmen und Organisationen gezwungen werden sollen, ihre Telefonanlage den Fahndern jederzeit zugänglich zu machen.

Nach Angaben des Bundesdatenschutzbeauftragten stieg die Zahl der Telefon-Lauschangriffe 1998 auf einen Höchststand von 9802, mehr als doppelt so viele wie 1995. Das ist weltweite Spitze. Zusätzlich sollte 1999 die gesetzliche Regelung zur Speicherung von Verbindungsdaten von 80 Tagen auf bis zu drei Jahre ausgedehnt werden. Verbindungen können also über lange Zeiträume nachvollzogen werden. Unterstützend soll das Bundesverfassungsgericht beschlossen haben, daß der Bundesnachrichtendienst (BND) den internationalen Fernmeldeverkehr weiterhin mit elektronischen Mittel abhören darf. Darüber hinaus hat sich die Europäische Union schon 1998 darauf geeinigt, daß die Netzbetreiber alle Verschlüsselungsmöglichkeiten für Telefone, aber auch Paßwörter für das Internet, offenlegen müssen. Die Maßnahmen sollen nicht nur auf Deutschland beschränkt sein, sondern weltweit vorangetrieben werden. Das Wachstum des Internet und des E-Commerce hat zu einer gewaltigen Zunahme an Daten geführt, die sich sammeln und auswerten lassen.

Für den Präsidenten des Verbandes Deutscher Sicherheitsunternehmensberater steht fest, daß ein weltweiter Wirtschaftskrieg tobt. Durch den zunehmend verschärften internationalen Konkurrenzdruck kommen die Staaten auch untereinander in Konflikte, bei denen die Bandagen immer härter zu werden scheinen. Spionage und Diebstahl können sogar unter "Freunden" zu normalen und sogar legalen Mitteln werden, wenn sie es nicht schon sind. Viele befürchten, daß "man" dazu übergehen wird – oder bereits dabei ist –, alles zu tun, um sich wissenschaftliche und wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Das Instrumentarium ist nach Expertenmeinung bereits vorhanden und wird nach Ansicht Besorgter auch genützt.

"Echelon"

Das dem Europa-Parlament zugeordnete Amt zur Bewertung von Technikfolgen legte im März 2000 einen Bericht vor, wonach kein Telefonat, kein Fax, egal ob über Festnetz oder mobil, und keine E-Mail, vor dem Abhören durch den amerikanischen Geheimdienst National Security Agency (NSA) sicher sein soll. Hier soll vor allem das globale Überwachungssystem "Echelon" eine wichtige Rolle spielen, mit dem Amerikaner, Australier, Neuseeländer, Kanadier und Engländer rund um die Uhr die weltweite Telekommunikation belauschen können.

Die historischen Wurzeln von "Echelon" liegen in dem 1947 geschlossenen, geheimen Übereinkommen zwischen USA, England, Australien, Neuseeland und Kanada, mit dem Ziel, auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges bei globalen COMINT-Operationen zusammenzuarbeiten. Unter COMINT (Communications Intelligence) versteht die NSA alle technischen und nachrichtendienstlichen Informationen hinsichtlich ausländischer Kommunikation, die nicht nur an den beabsichtigten Empfänger weitergeleitet werden, sondern auch an Dritte. Der frühere NSA-Agent Wayne Madsen meinte, die NSA hätte schon 1985 die hundertprozentige Abhörbarkeit jeder Kommunikation zu ihrem Hauptziel erklärt.

Aus der COMINT-Zusammenarbeit sollen die mittlerweile bekannten Abhöreinrichtungen des "Echelon"-Systems entstanden sein, die heute ein globales Netzwerk bilden. Essoll in der Lage sein, jeden Tag über drei Milliarden Telefongespräche, Faxe und Internetverbindungen auf Schlüsselwörter zu kontrollieren, Tendenz angeblich steigend.

Nach Auskunft eines früheren Direktors der NSA verarbeitete das System schon 1992 zwei Millionen Nachrichten pro Stunde. Gespräche, Faxe oder E-Mails können nicht nur stichprobenartig überprüft, sondern total überwacht werden. Hochentwickelte Sprecher-Erkennungsprogramme sind in der Lage, Zielpersonen mit Hilfe von einprogrammierten "Stimmabdrücken" (Voiceprints) bei Telefongesprächen automatisch zu identifizieren und aufzuzeichnen. Das Verstellen der Stimme nutzt nichts mehr, da die heutigen Programme jede Stimme zu einhundert Prozent identifizieren können.

Um dieses Abhörsystem, dessen Existenz erst im März 2000 von den Regierungen der EU zugegeben wurde, zu betreiben, sind nur wenige Beschäftigte erforderlich. Im Gegensatz zu früher ist es heute nicht mehr notwendig, daß Menschen die Gespräche mithören und auswerten. Diese Arbeit wird nun vollautomatisch von hochentwickelten Computem erledigt. Kritiker beklagen besonders, daß sich "Echelon"-Anlagen ganz offiziell in Ländern wie Deutschland befinden, die angeblich damit ausspioniert werden. (Dieses Arrangement wird von manchen als modernes Trojanisches Pferd bezeichnet, wobei die heutigen "Trojaner" im Gegensatz zu den antiken Bewohnern Trojas sehr wohl wissen dürften, was sich in dem "Geschenk" befindet, das sie in ihre Grenzen geholt haben.)

Zu "Echelon" einiges aus öffentlich zugänglichen Informationen: In den USA werden die in Fort Meade empfangenen Daten über das Geheimdienstnetzwerk INELINK mit den anderen amerikanischen Geheimdiensten wie CIA, DIA usw. ausgetauscht. Die Abhöreinrichtungen sollen auf Satelliten-, Mobil- und Richtfunkstrecken, Unterseekabel sowie auf Festnetzleitungen spezialisiert sein. Im Detail:

1.       Abhöreinrichtungen, die die Intelsat- und Inmarsat-Satelliten überwachen. Diese Satelliten werden von vielen Telekommunikationsunternehmen zur transkontinentalen Übertragung von Telefonaten, E-Mails und Faxen genutzt.

2.       Abhöreinrichtungen, die die nationalen/regionalen Kommunikationssatelliten überwachen. Über diese Satelliten (keine Intelsat-Satelliten) verlaufen kontinentale Kommunikationsübertragungen.

3.       Abhöreinrichtungen, die die kontinentalen Anschlußstellen der Unterseekabel überwachen. Über diese Anschlußstellen wird ein weiterer Teil transkontinentaler Kommunikation übertragen. Das können Mikrowellenradio- und Hochfrequenz-Radio-Empfangstürme sein oder Kabelverbindungen nationaler Telekommunikationsunternehmen als Bestandteile nationaler Telekommunikationsnetzwerke.

4.       U-Boote und Tiefseetaucheinrichtungen, mit deren Hilfe Langzeitrekorder oder Signalverstärker an die Unterseekabel angeschlossen werden.

5.Neben den Bodenstationen und Bodenabfangantennen sollen die Geheimdienste selbst Satelliten unterhalten, die je nach Typ für COMINT-Operationen zum Abfangen abgestrahlter Mikro- und Radiowellen benutzt werden.

Aufgrund der Vielseitigkeit der "Echelon"-Anlagen soll es völlig nebensächlich sein, auf welchem Wege der Kommunikationsaustausch stattfindet, da alle Anlagen über "Echelon" zu einem großen integrierten System verknüpft werden. Mit Hilfe des KI (Künstliche Intelligenz)-Analyseprogramms MEMEX sollen Informationskanäle nach relevanten Schlüsselwörtern (Keywords) durchgeseannt werden, um potentielle Operationsziele der NSA und verbündeter Geheimdienste zu "markieren". Ausgewertet werden sollen Daten in unterschiedlichen Zentralen, unterteilt in folgende Überwachungsbereiche: Deutschland und Europa, Afrika und Westrußland, Lateinamerika, Karibik und Hauptauswertung Welt, Nordrußland, Nordeuropa, Kanada und Nordamerika, Südostasien, Südwestpazifik und östlicher indischer Ozean sowie eine eigene Sektion für den Südpazifik.

Intensive Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den USA mit dem Ziel, den grenzüberschreitenden Telefon- und Internetverkehr gezielt zu kontrollieren, lassen viele unheilvoll vermuten, wohin die Reise gehen könnte: in eine total überwache Welt. Die "Alte Welt" ist ebenfalls voll auf Kurs, wie es vielen Warnern heute scheint. Neue "biometrische" EU-Pässe werden bereits mit Hochdruck entwickelt, auf denen die einmaligen Körperdaten jedes EU-Bürgers gespeichert werden sollen, wie da sind: Aufbau des Gesichts, besonders von Nase und Backen, Charakteristika der Iris, Struktur der Hand und eine Palette weiterer biometrischer Informationen. Wie man Medien entnehmen kann, kommt es auf "Wunsch" (auf Befehl, sagen manche) der USA zur Entwicklung besagter Pässe. Und bereits seit einiger Zeit gibt es auf unserem Kontinent einen europäischen "Echelon"-Ableger.

"Enfopol"

Dabei soll es sich nach kritischen Stimmen um ein breitangelegtes, paneuropäisches "Überwachungs- und Abhörkomplott" handeln, basierend auf einer geheimen Arbeitsgruppe aus FBI und den Geheimdiensten aller europäischen Länder namens ILETS (International Law Enforcement Telecommunications Seminar). ILETS soll eine US-dominierte Expertengruppe aus dem Sicherheits- und Strafverfolgungsbereich sein, in der es weder Vertreter der Industrie noch Berater von Bürgerrechts- und Datenschutzanwälten gibt. Während der letzten Jahre soll ILETS im Alleingang Regierungen und Standardisierungs-Organisationen gezwungen haben, die "Anforderungen" von ILETS zum Bestandteil von Gesetzen, Netzwerken und Kommunikationssystemen zu machen. Die Aktivitäten dieser Gruppe wurden bisher noch in keinem Parlament vorgetragen, weder einem nationalen Parlament noch dem Europa-Parlament und auch nicht dem US-Kongreß.
"Enfopol" soll drei grundsätzliche Ziele anpeilen:

1.       Die Umsetzung von Überwachungs- und Abhöranforderungen der Geheimdienste in internationale technische Standards und Normen der beiden großen Standardisierungsorganisationen ITU (International Telecommunications Union) und ISO (International Standards Organisation).

2.       Die Umsetzung dieser Normen in technische Überwachungs- und Abhörschnittstellen aktueller und zukünftiger Telekommunikationstechnologie (das umfaßt Telekommunikationsanlagen, Telefone, Netzwerke, Mobiltelefone, Handys und den gesamten Internetverkehr), die es jedem Geheimdienst ermöglichen sollen, jederzeit in Echtzeit jeden Kommunikationsverkehr abzuhören.

3.       Europäische Adaption des amerikanischen "Communications Assistance for Law Enforeement Act"-Gesetzes (CALELA): die Umsetzung der oberen Punkte in eine einheitliche, paneuropäisch-transatlantische Gesetzgebung mit nationalen Ablegern wie beispielsweise die deutsche Telekornmunikations-Überwachungsverordnung.
Seine Ergänzung im osteuropäischen Raum könnte dieses System im russischen "System of efficient research measures"-Projekt SORM-2 finden, das vorsehen soll, daß der russische Geheimdienst FSB jederzeit ohne behördliche Genehmigungspflicht Daten über Standleitungen abrufen kann, die alle Provider einzurichten haben. In Rußland hat übrigens das FBI ebenso wie in Ungarn ein Büro eröffnet. Man soll die Russen auch beraten haben, ein solches System einzuführen.

Das alles ist vielleicht nur Zukunftsmusik, da die klammheimliche Einführung von "Enfopol" nicht ganz geklappt haben dürfte. Wie kolportiert wird, soll die Vorbereitung, Planung und Durchführung von 1992 bis 1999 vorgesehen gewesen sein, und das möglichst abseits der nationalen Parlamente und fernab von jeder Öffentlichkeit. Das hat jedoch offensichtlich nicht ganz so wie geplant funktioniert, denn einiges wurde darüber 1998 im Online-Magazin Telepolis veröffentlicht, in dem auch die Ungereimtheiten des 11. September 2001 ausführlich diskutiert worden sind und noch diskutiert werden. Aufgrund der daraufhin aufgekommenen Proteste sollen die umstrittensten Maßnahmen aus dem Abkommen entfernt und in geheimen Ausführungsvorschriften versteckt worden sein.

Daß US-amerikanische Wünsche langsam aber sicher auch in Europa exekutiert werden, zeigt für manche beispielsweise die Tatsache, daß sich die deutsche Lufthansa nach Meldungen im Frühjahr 2003 aus freien Stücken und ohne gesetzlichen Zwang bereiterklärt hatte, dem US-Gesetz für Flugreisen in die USA zu entsprechen. Das bedeutet den "gläsernen Passagier" bei der Lufthansa, da über das Buchungssystem "Amadeus" nicht nur Flugbuchungsdaten, sondern auch Mietwagen-, Hotel- und Bahnreservierungen neben der Kreditkartennummer und deren Gültigkeit gespeichert werden. Außerdem hält das Buchungssystem Telefonnummern der Kunden und deren Essenswünsche fest. Lufthansa-Gäste, die dem Zugriff bei der Buchung nicht zustimmen, sollen keinen Flug bekommen. Ab Mai 2003 werden bei der Einreise in die USA willkürlich Fingerabdrücke genommen, Fotos und biometrische Vermessungen angefertigt. Und ab Oktober 2004 soll man das freieste Land der Erde nur noch betreten dürfen, wenn man einen der bereits erwähnten "biometrischen EU-Pässe" vorweisen kann …

Nicht wenige befürchten, daß es allen Widerständen zum Trotz zu einer Realisierung der "Enfopol"-Pläne in neuen Gewändern kommen wird, da man ihrer Ansieht nach ein solches Projekt nicht jahrelang in zahllosen Treffen und durch immer wieder aktualisierte Gesetzestexte vorbereitet, um dann alles aufgrund einiger Proteste zu begraben. Wie es hier auch immer weitergehen mag, eines ist vielen klar: schon jetzt hat "Big Brother" für fast jeden Staatsbürger ein offenes Ohr.

Bahn frei zum Lauschangriff

Die heutige Wohlstandsgesellschaft bietet dem modernen Zeitgenossen die unterschiedlichsten technischen Annehmlichkeiten. Manche davon weisen allerdings "Fähigkeiten" auf, auf die man verzichten könnte: Moderne ISDN-Telefone lassen sich mit speziellen Codes aktivieren, so daß die Räume, in denen sie stehen, mit dem eingebauten Mikrofon überwacht werden. Jeder Computer am Netz macht es möglich, daß Fremde über die in ihm eingebauten Mikrofone oder sogar über den Lautsprecher die Gespräche im Raum jederzeit belauschen können. Schnurlose Telefone können problemlos auf größere Distanzen belauscht werden, selbst wenn sie eine Abhörsicherung besitzen. Handy-Benutzer tragen freiwillig und unbewußt ständig ein Abhörgerät mit sich herum, da Mobiltelefone jederzeit von außen unbemerkt aktiviert und so die Gespräche im weiten Umkreis mitgehört werden können. Zusätzlich läßt sich mit dem Handy jederzeit der genaue Standort des Nutzers erfassen – und das bis auf wenige Meter genau.

Fachleute äußern die Ansicht, alles sei noch weit "orwellscher" als von Bürgerrechtlern vermutet, da ihrer Meinung nach die bekanntgegebenen Methoden in der Regel zehn Jahre hinter dem Stand liegen, der jeweils tatsächlich technisch möglich ist. Der Überwachungsstaat ist ihrer Ansicht nach schon weiter fortgeschritten, als man es sich träumen läßt: Technikverweigerer und andere Widerspenstige dürften von jenen Satelliten in erdnaher Umlaufbahn erfaßt werden, von denen die Mär geht, sie könnten jeden gewünschten Punkt zu jeder Zeit gezielt abhören. Nicht zu vernachlässigen wären auch die "guten alten" konventionellen Abhörmöglichkeiten, die natürlich mit neuester Technik aufgemotzt sind. Mit Richtmikrofonen lassen sich sogar auf viele Kilometer Entfernung Gespräche gezielt verfolgen. Lasergeräte können die Schwingungen einer Fensterscheibe erfassen und die Signale wieder in Sprache umwandeln. Die neueste Errungenschaft sollen "echte" Wanzen (bugs) sein. Eine mit einer Abhörwanze verbundene Kakerlake macht es sich in einem Raum gemütlich. Das Insekt kann sodann von jedem Ort auf der Welt aus durch das Telefon aktiviert werden.
Gleiches gilt für das digitale Fernsehen. Da der Anschluß normalerweise über einen Decoder erfolgt, der eine "black box" ist, kann auf diesem Wege ein Lauschangriff bei jedem einzelnen Benutzer erfolgen. Eine kolportiere Aussage des australischen Medienzars Robert Murdoch sagt wohl alles in luzider Kürze:

Wir werden durch es (das digitale Fernsehen) nicht nur erfahren, wer unsere Kinder sind, sondern auch was sie kaufen, was sie sich ansehen, was sie lesen und was sie sich wünsehen.

Der Präsident des Verbandes Deutscher Sicherheitsuntemehmensberater soll laut der Zeitung Die Welt vom 3. August 2000 auf die Frage, warum die Staaten nichts gegen die Abhöraktionen unternehmen, gemeint haben, daß Politiker und Geheimdienste von betroffenen Nationen insgeheim hofften, an den Daten teilhaben zu können.

Niemand wird wohl mit absoluter Sicherheit sagen können, ob all diese mehr als effizienten Schnüffeleinrichtungen "nur" zur Wirtschafts-Spionage benutzt werden, oder ob nicht die Privatbürger damit weltweit kontrolliert werden sollen. Es ist für manche durchaus denkbar, daß die herrschende Schicht herausfinden will, wo kritische Personen zu finden sind, um diese im Fall einer Krise gezielt festnehmen zu können, bevor sie eine Gefahr für das System darstellen. Mit Lauschen allein muß es aber noch lange nicht getan sein …

Der Staat sieht alles

Die Überwachung beschränkt sich heute keineswegs mehr nur auf Telefone oder elektronische Kommunikationsmittel. Mit der Parole, Verbrechen verhindern zu wollen, fordern immer mehr Politiker die konsequente Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen, wogegen Datenschützer und andere Sturm laufen, weil sie die persönliche Freiheit bedroht sehen. Sie verweisen auf die Forderung der CDU vom März 2000, in ganz Deutschland die Straßen und Plätze mit Video-Kameras zu überwachen, um "Kriminalitätspunkte zu entschärfen". Gleichzeitig sollten die Ausnahmeregelungen beim großen Lauschangriff zu Gunsten von Ärzten, Anwälten, Steuerberatern und Journalisten wieder abgeschafft werden, da sonst "abhörfreie Räume" entstehen würden, in die sich die organisierte Kriminalität zurückziehen könnte. Zusätzlich wurde der Spähangriff, also die Wohnungsüberwachung mit Kameras, gefordert. Außerdem müßten in ganz Deutschland verdachtunabhängige Kontrollen erlaubt werden, wie man unter anderem der Süddeutschen Zeitung bereits im Jahr 2000 entnehmen konnte.

Der Einsatz Hunderttausender computerunterstützter Kameras, die Gesichter biometrisch identifizieren und Personen damit gezielt verfolgen können, würde nach Ansicht von Kritikern zu einer "Industrialisierung der Überwachung" führen. Ganze Stadtteile Londons werden bereits heute schon von "intelligenten Kameras" kontrolliert, die auffälliges Verhalten einzelner Personen registrierten. Schon 1998 stellte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel fest, daß ein Bewohner von New York statistisch zwanzigmal pro Tag auf einem Überwachungsband festgehalten wird.

In Großbritannien überwachen jetzt schon mindestens 1,5 Millionen "Closed-Circuit Television Systems"(CCTV)-Kameras Straßen, Bürogebäude, Schulen, Einkaufszentren und Landstraßen. Damit ist Großbritannien eine der am meisten überwachten Nationen auf unserem Planeten, und die Regierung gibt nochmals umgerechnet 115 Millionen Euro für noch mehr Systeme aus. Doch anstatt daß die Verbrechensrate durch diese Kameras reduziert würde, steigt sie im ganzen Land an. United Press International (UPI) meldete im März 2002, eine von der britischen Regierung in Auftrag gegebene und vom Schottischen Zentrum für Kriminologie durchgeführte dreijährige Studie hätte gezeigt, daß "Spion"-Kameras keine oder nur wenig Wirkung auf die Verbrechensrate haben. Installiert werden sie dennoch allerorten.

Immer kleinere Geräte lassen sich immer leichter verbergen, monierte die Süddeutsche Zeitung schon 1999. Ein Jahr früher hatte sie bereits auf ein neues Computerprogramm mit dem originellen Namen "Phantomas" hingewiesen, das anscheinend nach dem berühmten Meisterverbrecher benannt wurde. Es soll jede Person, die von einer Kamera erfaßt wurde, genau identifizieren können. Verkleidungen mit Perücke, Brille oder Bart können das System in keinster Weise täuschen. Es kann jedes Gesicht erkennen und sofort die staatlichen Organe alarmieren, daß eine gesuchte Person gesichtet wurde.

Nicht einmal in der Wohnung kann man sich unbeobachtet fühlen, selbst wenn dort keine Kameras installiert wurden. Laut Süddeutscher Zeitung und anderer Medien soll es nämlich Satelliten geben, welche die Menschen auch in geschlossenen Räumen anhand ihrer Körperwärme erkennen können.

Nach einer Meldung der Zeitung Die Welt vom März 2000 sollen neben der ständigen Videokontrolle seit 1998 in Deutschland Projekte im Laufen sein, mit denen jedes Haus fotografisch erfaßt wird. Dabei fährt ein technisch ausgerüsteter Transporter durch die Straßen, aus dem heraus eine automatische Kamera die Häuser von verschiedenen Seiten fotografiert. Wie schnell diese Aufnahmen im Kasten sind, zeigt ein Beispiel, über das Der Spiegel 1998 berichtete: Um alle Häuser von Hannover zu erfassen, benötigte die damit beauftragte Firma gerade einmal 48 Kameras und 120 Stunden Zeit. Als offizielle Begründung für das Projekt wird angegeben, die Daten sollten Feuerwehr und Krankenwagen zur besseren Orientierung dienen. Der Haus- und Grundbesitzerverband nannte diese Argumentation wenig stichhaltig und forderte ein Verbot.

Selbst die Überwachung der Bevölkerung mit Hubsehraubern wird zunehmend verstärkt. Dabei kann jede Person, auch in völliger Dunkelheit, durch Wärmebildkameras ausgemacht werden. Es ist geplant, so die Süddeutsche Zeitung in einem Bericht aus dem Jahr 1998, die Daten gleich per Funk in die Zentrale zu übertragen, wo sie ausgewertet werden.

Viele glauben nicht, daß noch eine Bremse gezogen werden kann. Sie sind mißtrauisch und vermuten, daß diese Entwicklung voll im Gang und in Teilbereichen bereits abgeschlossen ist. Ihrer Ansicht nach könnten etwa die Fotoaufnahmen nach dem von ihnen erwarteten wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch dazu dienen, Polizeitruppen die Erstürmung von Wohnungen zu erleichtern, in denen systemkritische Bürger vermutet werden. Durch die permanente Kontrolle aller Straßen und Plätze dürfte mißliebigen Personen eine Flucht oder ein Untertauchen innerhalb des Landes nicht mehr möglich sein. Ein Entkommen ins Ausland ebenfalls nicht. Wozu auch, denn dort würde lediglich ein Überwachungsstaat mit anderem Namen auf den Flüchtigen warten!

Totale Kontrolle

Wer die aktuellen Geschehnisse mit wachen oder gar mißtrauischen Augen beobachtet, muß nicht zwangläufig ein Paranoiker sein, kann aber durchaus zu einem solchen werden. Nicht zuletzt durch die steigende Anzahl von Kassandrarufen aus den unterschiedlichsten Quellen mit dem gemeinsamen Tenor, die Freiheit sei in Gefahr, weil die Machthaber möglichst jeden Bürger unter ständiger Kontrolle halten wollen. Diese Bestrebungen sollen, neben ihrem Langzeitaspekt einer globalen Weltordnung (Weltkontrolle), auch deswegen im Gang sein, weil sich die wirtschaftlichen und damit die soziologisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in den nächsten Jahren dramatisch verschlechtern werden. Nach häufig geäußerten Vermutungen plant die herrschende Kaste offensichtlich die Kontrolle der Bürger durch lückenlose Überwachung, damit sie selbst dann nicht aus dem Sattel gehoben werden kann, wenn die Gürtel drastisch enger geschnallt werden müssen.

Desillusionierte äußern die Üerzeugung, daß es bei vielen Maßnahmen, die in den letzten Jahren im "freien Westen" gang und gäbe geworden sind, in erster Linie um die Stützung des Zinskapitalismus geht. Sie verweisen auf die Forderung des US-amerikanischen Finanzministers, die USA müßten grundsätzlich bei Krisen eine stark interventionistische Rolle spielen. Der Kapitalismus nach amerikanischem Vorbild sollte überall das langfristige Ziel sein.

Immer öfter wird unverhohlen gefordert, die Souveränität von Staaten aufzuheben, beziehungsweise gar nicht erst anzuerkennen. An Stelle des internationalen Völkerrechtes, das bisher dafür sorgte, daß Starke nicht mit windigen Vorwänden über Schwache herfallen konnten, solle der völlig nebulöse, in alle Richtungen auszulegende "Schutz der menschlichen Würde und des menschlichen Lebens" treten. Die Behauptung, Interventionen wären schon allein deshalb legitim, weil in der NATO ausschließlich demokratische Rechtsstaaten vertreten sind, scheint vielen der ultimate Freibrief für Gewaltaktionen aller Art zu sein. In letzter Konsequenz bedeutet diese neue Doktrin nämlich nicht mehr und nicht weniger, als daß jeder Staatenverbund, der sich selbst "demokratisch" nennt, rechtmäßig jeden anderen Staat angreifen darf, weil dort angeblich oder tatsächlich Minderheiten diskriminiert werden. Doch damit nicht genug: Zunehmend werden Pläne ausgearbeitet, militärische Einheiten für den Einsatz im Inland bereitzustellen.

Für viele ist das der erste Schritt zu einem in letzter Konsequenz globalen Polizei- und Gewaltstaat mit anonymen Herrschern (wir wissen, wie sie genannt werden), in dem die Grundrechte mit Füßen getreten werden. Ein Demonstrations- oder Protestrecht könnte es in Zukunft nicht mehr geben. Da der schrankenlose Handel in Europa Vorrang hat, könnten dagegen gerichtete Unmutsäußerungen möglicherweise auch militärisch aufgelöst werden. Wer an Demonstrationen teilnimmt, kann heute innerhalb kurzer Zeit identifiziert werden.

Eigentlich müßte es für den Überwachungsstaat mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln eine Kleinigkeit sein, eine organisierte Terrorbande auszuheben. Da dies jedoch nicht der Fall ist, lassen viele das Argument der Verbrechensbekämpfung nicht gelten. Sie halten es für lächerlich, wegen eines winzigen Prozentsatzes krimineller Elemente ein ganzes Volk überwachen zu wollen. Ihrer Meinung nach stehen dahinter andere Interessen. Daß die beschriebenen Maßnahmen am wenigsten zur Verbrechensbekämpfung dienen, zeigen die erfolglosen Ermittlungen gegen die Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF): Trotz eines Mitarbeiterstabs von Hunderten Beamten und großem Aufwand konnte nie besonders viel über die Organisation der RAF ermittelt werden. Keiner der Anschläge seit 1985 konnte auch nur ansatzweise aufgeklärt werden. Wegen der mangelhaften Ergebnisse konzentrierten sich die Fahnder vor allem auf die Bekennerschreiben, analysierten die Papiersorte und interessierten sich für die Orthographie und Grammatikfehler.

Nicht nur darum sehen viele den Zweck der von mir genannten Maßnahmen in der Kontrolle der Bevölkerung. Aus den heute schon bekannten Fakten wird für sie deutlich, daß der Überwachungsstaat keineswegs eine Gefahr in der fernen Zukunft darstellt, sondern bereits zügig ausgebaut wird. Seit Mitte der 1990er Jahre wird offiziell zugegeben, daß jeder Quadratmeter der Erdoberfläche von mehreren Satelliten beobachtet wird.

Wie schon betont, gibt es kein Zurück mehr, wenn der totale Überwachungsstaat erst einmal etabliert ist. Und man kann wohl auch sicher sein, daß die vorhandenen Mittel im Krisenfall konsequent genutzt werden. Um die dafür erforderlichen Maßnahmen zu "verkaufen", werden Überwachungsmaßnahmen und Einschränkungen der Bürgerrechte nicht selten mit hohen Zielen begründet, primär mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder des Terrors. Das Überwachungsnetz wurde in der Vergangenheit langsam und unauffällig Schritt für Schritt geschaffen. Im Namen der Verbrechensbekämpfung werden private E-Mails, Faxe und Telefongespräche abgehört und aufgezeichnet. Im Namen der Verbrechensbekämpfung werden Betreiber von Fernmeldeanlagen durch neue Gesetze gezwungen, auf eigene Kosten Apparaturen einzubauen, die das Bespitzeln erlauben. Nach dem 11. September 2001 konnten die Maßnahmen offener durchgezogen und radikal verschärft werden. Durch die technischen Möglichkeiten kann der Überwachungsstaat heute alle Bürger rund um die Uhr kontrollieren. In Zukunft soll das Netz noch viel engmaschiger werden.
George Orwell stellte sich 1948 – als er seinen Roman "1984" zu schreiben begann – vor, die ständige Überwachung der Bürger würde durch ein dichtes Netz von Teleschirmen erfolgen, die sowohl Bildschirm als auch Kamera sind. Der Überwachungsstaat, den George Orwell für 1984 voraussagte, ist heute vielerorts zum Standard geworden. Mehr noch: die Realität hat Orwell längst überholt. Kameras und Satelliten, Richtantennen und Sonden, allgegenwärtige Belauscher und Beobachter lassen die Welt von "1984" für viele als einen idyllischen Ort mit zahllosen Schlupflöchern und sicheren Plätzen erscheinen. Mittlerweile sollen nämlich bereits Methoden zum Einsatz kommen, die an Science Fiction erinnern, aber weit utopischer sind als alle Visionen von George Orwell.

So kann man beispielsweise Fachpublikationen entnehmen, die supergeheime National Security Agency (NSA) und andere Organisationen wären jetzt schon in der Lage, jedermann durch seine individuellen Gehirnwellen zu lokalisieren, die noch einmaliger sind als der persönliche Fingerabdruck. Basieren soll diese Methode auf den in Japan entwickelten "Remote Touch"-TV-Geräten, die sich durch einen gedanklichen Befehl bedienen lassen. Eine Technik, die schon in den 1970er Jahren beim berühmten Delpasse-Experiment eingesetzt wurde, über das ich in meinem Buch Neueunerklärliche Phänomene aus dem Michaels-Verlag ausführlich berichte.

Obwohl sich am Horizont bereits die Konturen eines weitreichenden, multinationalen Registrier- und Überwachungssystems ausmachen lassen, sind viele Zeitgenossen der Annahme, daß niemand sich davor fürchten müßte, der nichts auf dem Kerbholz hat. Ein gefährlicher Trugschluß, denn wer sagt denn, daß der Begriff "Kriminalität" immer so gefaßt sein wird, wie wir ihn verstehen? Heute schon kann ein unbescholtener Bürger, der keinerlei kriminelle Handlung gesetzt hat, aufgrund einer unüberlegten Aussage für Jahre hinter Gittern landen. George Orwell nannte dergleichen "Gedankenverbrechen". Besorgte Bürger nennen es "Gesinnungsterror", wenn Meinungen bestraft werden und strafbare Tatbestände ohne klares Tatbild existieren. Sie murmeln hinter vorgehaltener Hand sogar gelegentlich etwas von Diktatur, wenn ein dummer Schwätzer zu einer höheren Strafe verurteilt wird als ein Mörder. Wer definiert – so wird gefragt –, was als verhetzerisch, rassistisch, sexistisch oder staatsfeindlich gilt, und was nicht? Was ist, wenn einmal Gesetze beschlossen werden, die vorschreiben, daß jeder die Hälfte seines Besitzes an den überschuldeten Staat abgeben muß? Dann ist jeder staatsfeindlich und damit kriminell, der nicht bereit ist, für die Bedienung der Schulden als Bettler zu leben. Wer weiß, vielleicht wird einmal allgemeine Zwangsarbeit eingeführt, um die Verzinsung der Schulden sicherzustellen. Damit wäre jeder ein Verbrecher, der sich weigert, für fremde Schulden zu schuften. Um das alles unter Kotrolle zu bekommen und zu halten, ist es nach Meinung vieler offenbar notwendig, den Bürger immer und überall unter Kontrolle zu haben, damit er nicht aus der Reihe tanzen kann, wenn es an sein Eingemachtes geht.

Nicht nur nach Meinung von Paranoikern und Verschwörungsfetischisten arbeitet der Überwachungsstaat mit Volldampf daran, eine transportable Informationsquelle zu entwickeln und ihr Mitführen dem Bürger bindend vorzuschreiben. Dieser kleine Universalschnüffler müßte logischerweise alle Funktionen in einem Plastikkärtchen vereinigen, wie da sind: Ausweis, Zahlungsmittel/Kreditkarte, medizinische Daten, Vorstrafen, persönliche Merkmale, usw. usf. In den USA wird genau diese sogenannte "smart card" bereits seit einiger Zeit in den Medien beworben. Die EU-Kommission fördert mit Nachdruck ein Projekt zur Entwicklung eines Personalausweises auf Chipkarte. Als Vorstufe für eine europaweite Identitätskarte soll die sogenannte "Fasme-Karte" unter anderem den Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel innerhalb Europas festhalten. Der Ausweisinhaber soll sich nach den Plänen der Entwickler per Fingerabdruck identifizieren. Im Februar 2000 meldete "Die Welt", daß in Finnland alle herkömmlichen Identifikationsmittel mit größter Geschwindigkeit gegen Chipkarten ausgetauscht werden. In Großbritannien will die Regierung bis 2008 alle Transaktionen auf elektronischem Wege abwickeln. Dann kann sich wohl niemand mehr einer einheitlichen Kontrollkarte verschließen. Für Besorgte ist damit die internationale Überwachung so gut wie sichergestellt.

Ihrer Meinung nach könnte sich nach voller Einführung dieses Systems folgendes Alptraum-Zukunftsszenario entfalten: Im Krisenfall werden überall Kontrollpunkte aufgestellt, bei denen jeder seine Karte in einen Automaten schieben muß, um weiteren Durchgang zu erlangen. Wer keine Karte hat oder wessen Karte gesperrt wurde, kann ausgesondert und festgenommen werden. Im Gefängnis geht es ihm vielleicht sogar besser als draußen, denn ohne funktionierende Karte ist er von jeglicher Bedarfsversorgung ausgeschlossen, die man zum Überleben braucht. Einfacher gesagt: Er existiert nicht. Wie schnell man zu existieren authören kann, zeigte der Film "Das Netz" so anschaulich, daß er eine Fernsehrserie nach sich gezogen hat.

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