Auszüge aus Urie Bronfenbrenner's
"Die Ökologie der menschlichen Entwicklung"

Natürliche und geplante Experimente

Angesichts der brennenden sozialen Probleme setzt sich der weltweit bekannte amerikanische Wissenschaftler dafür ein, daß Sozialforschung künftig in enger Beziehung zur sozialpolitischen Praxis vorangetrieben werde. Ein zentrales Thema sind die äußeren Bedingungen, unter denen Kinder heute heranwachsen. Der Autor versucht, alltägliche Lebenswelten systematisch zu beschreiben. Er führt beispielhaft vor, wie Ergebnisse experimenteller Forschung mit Daten aus natürlichen Umwelten zu einer Gesamtschau der menschlichen Entwicklung verknüpft werden können.

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Einleitung des Herausgebers der deutschen Ausgabe

Daß sich der Mensch in aktiver Auseinandersetzung mit seiner alltäglichen Umwelt entwickelt, ist eine Einsicht, die ob ihrer Selbstverständlichkeit in der sozialwissenschaftlichen Arbeit bis vor kurzem kaum mehr Anlaß zu Erörterungen bot. Hier setzt Urie Bronfenbrenner mit seiner "Ökologie der menschlichen Entwicklung" ein. Als Ergebnis jahrzehntelangen Forschens, Beratens und Nachdenkens legt er die Grundzüge einer neuen Theorie vor und zieht damit gleichzeitig eine Bilanz seines bisherigen wissenschaftlichen Arbeitens.

Das Besondere an Bronfenbrenners Werk liegt zunächst – wie bei vielen Arbeiten, die sich für den Fortgang der Forschung als fruchtbar erwiesen haben – in der Leistung der Integration unterschiedlicher Ansätze und Einsichten. Das gilt zum einen im Hinblick auf die verschiedenen Richtungen innerhalb Bronfenbrenners eigener Disziplin: Er ist auf dem Boden der Entwicklungspsychologie ebenso offen für Lewins Feldtheorie wie für die Überlegungen der Autoren psychoanalytischer Ausrichtung, für Lerntheorien ebenso wie für phänomenologische Perspektiven. Weiterhin gilt dies für die integrative Verknüpfung der unterschiedlichen Disziplinen: Bronfenbrenner ist als Psychologe mit der biologischen, der anthropologischen und der soziologischen Literatur vertraut. Kennzeichnend dafür ist seine Verwendung des Begriffes "Ökologie". Er stützt sich dabei nicht nur auf die biologische Verwendung im Sinne der Lebensnische, sondern auch auf die im ursprünglichen Begriff oikos enthaltene Bedeutung von Haus. Damit wird deutlich, daß mit "Ökologie" eine vom Menschen selbst gestaltete und gestaltbare Umwelt gemeint ist.

Vor diesem Hintergrund heben sich zwei Anliegen Bronfenbrenners deutlich ab. Er will zeigen, daß die experimentellen und die naturalistischen Methoden der Beobachtung miteinander verknüpft werden können, und er bemüht sich, Theorie und Praxis, Sozialwissenschaft und Sozialpolitik aufeinander zu beziehen.

Für beide Anliegen ist Urie Bronfenbrenner in besonderem Maße ausgewiesen. Er bemüht sich, sie in seinem Wirken ständig in die Tat umzusetzen. Sie bilden gewissermaßen die Leitmotive seiner Arbeiten. Man findet sie in der Anlage seiner eigenen Projekte, wo sie sich seit den ersten frühen Untersuchungen über Eltern-Kind-Beziehungen (1961) bis zu den gegenwärtig laufenden Forschungen herausgebildet haben, eine Entwicklung, die u.a. in den Kapiteln des Sammelbandes Ökologische Sozialisationsforschung (1976) dokumentiert wird. Zugleich ist Urie Bronfenbrenner seit vielen Jahren und unermüdlich in sozialpolitischen Gremien tätig, so jüngstens im Rahmen der großangelegten "White House Conference on the Family" und in der Familienberichtskommission des Staates Massachussets.

Kennzeichnend für die Wertschätzung, die Urie Bronfenbrenners Mitwirkung in solchen Gremien, aber auch im Kreis der Wissenschaftler entgegengebracht wird, sind die Worte, mit denen ihm der Gouverneur des Staates Massachussets das erste Exemplar des Familienberichts überreicht hat: "Dear Urie – you have been a superb contributor to this most important effort." Man kann darin nicht nur die Hochachtung für seinen wissenschaftlichen Beitrag erkennen, sondern die persönliche Sympathie, die ihm ob seiner Ausstrahlung stets entgegengebracht wird. Das vorab in seinen Vorträgen beeindruckende persönliche Charisma trägt zu dieser doppelten Anerkennung bei.

Wer um die Möglichkeiten weiß, die Urie Bronfenbrenner für unmittelbares Wirken offenstehen, überdies das hohe Maß der Beanspruchung in Rechnung stellt, das in unserer Zeit der Alltag eines populären Wissenschaftlers in den Vereinigten Staaten mit sich bringt und schließlich an seine vielfältigen internationalen Kontakte denkt, ist beeindruckt von der Leistung, die sich Urie Bronfenbrenner mit der Niederschrift der "Ökologie menschlicher Entwicklung" abverlangt hat. Das Buch ist der konsequente und sozusagen selbstverständliche Ausdruck seines wissenschaftlichen Engagements. Wie schon in der mittlerweile berühmten Analyse über Specialization und social class through time and space (1958), der Evaluation von Programmen kompensatorischer Erziehung (1974) und derjenigen der Literatur über Anlage und Umwelt (1976) hat sich Urie Bronfenbrenner unvoreingenommen und gründlich, diesmal aber viel umfassender, mit den Forschungen anderer Wissenschaftler befaßt. Er hat ihre Vorgehensweisen und Befunde sorgfältig mit denjenigen eigener Arbeiten verknüpft und in einen theoretischen Bezugsrahmen einzuordnen versucht, der in den Grundzügen schon Anfang der siebziger Jahre skizziert worden ist und sich seither – und zuletzt mit großem Effort – zu einer kohärenten Theorie entwickelte.

Dieser Prozeß war mit der amerikanischen Publikation, erschienen im Sommer 1979, nicht abgeschlossen, sondern setzte sich in den Arbeiten an der deutschen Ausgabe fort. Urie Bronfenbrenner übernahm es persönlich, eine gewisse Straffung des Textes vorzunehmen, die u.a. wegen der hohen Kosten angemessen und verantwortbar schien. Sie betrifft die Darstellung einzelner Forschungsergebnisse sowie einige wenige Stellen, die sich ausschließlich auf die amerikanischen Verhältnisse beziehen. Besonderen Anteil nahm er an den Problemen, welche die Übersetzung der Definitionen, Propositionen und Hypothesen sowie einzelner von ihm eingeführter Termini bot, denen sich die Übersetzerin, Frau Agnes von Cranach (Bern), mit großer Gewissenhaftigkeit widmete. Vieles schien zu Beginn, wegen kulturell bedingter Unterschiede, kaum angemessen übersetzbar. Gemeinsame Diskussionen mit dem Autor, an denen sich auch Frau Adelheit Stein (Konstanz) beteiligte, waren für alle hilfreich und erhellend, und die Arbeiten an der deutschen Ausgabe nahmen streckenweise – wie Urie Bronfenbrenner dies ausdrückte – den Charakter eines ökologischen Experiments an. Zur Erleichterung der Übersicht über die Entscheidungen, die in bezug auf die Fachausdrücke getroffen wurden, ist ein Glossar zusammengestellt worden. Doch die Aufgabe bestand auch darin, die Verständlichkeit und die Farbigkeit der Sprache beizubehalten, die Urie Bronfenbrenners Schriften überall dort auszeichnen, wo von Kindern, von Müttern und Vätern, von Heimen und Schulen – kurz: vom Alltag – die Rede ist.

Der Prozeß der Forschung und der Theoriebildung ist aber auch mit der deutschen Ausgabe nicht abgeschlossen. Denn das Buch ist – der wissenschaftlichen und persönlichen Haltung des Autors entsprechend – auf Offenheit angelegt. Es weist eine Reihe leicht erkennbarer Bezüge zu aktuellen und immer wiederkehrenden Fragestellungen der Sozialwissenschaften auf, und die vertiefte Beschäftigung eröffnet Einsichten, die in ihrem Ausmaß noch nicht abgeschätzt werden können. Es kann darum sehr wohl sein, daß das Buch sich in einigen Jahren als ein Schlüsselwerk für eine neue Richtung der Sozialwissenschaften erweisen wird, deren besondere Herausforderung möglicherweise in der doppelten Bedeutung des Paradigmas "Ökologie der menschlichen Entwicklung" liegt, bezieht diese sich doch gleichermaßen auf das Individuum und die menschliche Spezies insgesamt.

Vorwort

Wenn man ein Buch dieser Art schreibt, wird einem sehr klar bewußt, daß die Wissenschaft wirklich eine Gemeinschaft der Wissenschaftler ist. Wir stehen auf den Schultern der Giganten und halten den weiten Horizont für unseren eigenen. In diesem Fall sind die Giganten Kurt Lewin, George Herbert Mead, William I. und Dorothy S. Thomas, Edward C. Tolman, Lew Wygotski, Kurt Goldstein, Otto Rank, Jean Piaget und Ronald A. Fisher. Von ihnen lernte ich vor allem aus ihren Büchern. Andere belehrten mich unter großen Mühen, oft gegen gewisse Widerstände meinerseits; das gilt vor allem für meine ersten Lehrer im Psychologiestudium, Frank S. Freeman, Robert M. Ogden und Walter Fenno Dearborn. Lauriston Sharp führte mich in die Kulturanthropologie ein, Robert Ulich in die Philosophie und Harry C. Carver in die mathematische Statistik und Versuchsplanung.

Der Keim der hier entwickelten ökologisch orientierten Vorstellungen aber wurde lange zuvor, ehe ich ins College eintrat, gelegt. Ich hatte das Glück, auf dem Gelände einer staatlichen Anstalt für "Schwachsinnige" aufzuwachsen (wie man diese Menschen damals nannte), wo mein Vater als Neuropathologe arbeitete. Neben seinem medizinischen Grad hatte er das Doktorat als Zoologe erworben, und sein Herz gehörte der Naturbeobachtung. Das Anstaltsgelände bot seinem Beobachterauge reichlich biologisches und soziales Terrain: üppigstes Pflanzen- und Tierleben auf über dreitausend Morgen Ackerland und bewaldeten Hügeln, in moosigen Wäldern und stinkenden Sümpfen. Die Anstalt war in jenen Tagen eine aktive und lebendige Gemeinde; die Patienten verbrachten den Großteil ihrer Zeit außerhalb der Stationen, nicht nur in den Unterrichtsräumen, sondern auch bei Arbeiten auf den Feldern und in den Werkstätten. Da gab es Kühe, Pferde, Schweine, Schafe und Federvieh, es gab eine Schmiede und Zimmereien, eine Bäckerei und ein Vorratshaus, von dem die Waren in Pferdewagen geliefert wurden, die von Anstaltsinsassen gefahren wurden. Alle diese Tätigkeiten sind mittlerweile als unfreiwillige Dienstleistungen von Amtes wegen abgeschafft worden.

Das war die Welt meiner Kindheit. Mein Vater nahm mich auf unzählige Spaziergänge mit, von seinem Labor durch die Stationen, in die Werkstätten und über die Äcker (dort sah und sprach er seine Patienten am liebsten) und noch öfter in die nahen Wälder und Hügel hinter dem Stacheldrahtzaun. Immer und überall lenkte er meine Aufmerksamkeit auf das Naturgeschehen, lehrte er mich die funktionelle gegenseitige Abhängigkeit der Organismen und ihrer Umgebung sehen.

Besonders lebhaft erinnere ich mich, wie unglücklich er war, wenn die New Yorker Behörden unserer Anstalt irrtümlich – oder vielleicht aus purer Verzweiflung – völlig normale Kinder zuwiesen. Ehe er die für ihre Entlassung nötigen amtlichen Schritte erledigen konnte, würde es zu spät sein. Nach ein paar Wochen als einer von achtzig Insassen in einem Haus mit zwei Hausmüttern erzielte ein solches Kind bei dem für das Entlassungsverfahren obligaten Intelligenztest Werte, die es als geistesschwach auswiesen: Das bedeutete lebenslangen Aufenthalt in der Anstalt. Zwar gab es einen Weg aus der Anstalt für diese Kinder, aber den konnten sie erst nehmen, wenn sie älter waren. Zu den Arbeitsplätzen für erwachsene weibliche Insassen gehörten die Hausstände der Angestellten und Ärzte, wo sie bei der Hausarbeit, beim Kochen und bei der Betreuung der Kinder halfen. Auf diese Weise wurden Hilda und Anna und viele nach ihnen zu wirklichen Mitgliedern unserer Familie und zu wichtigen Figuren meiner Kindheit. Aber sie blieben nie lange. Gerade wenn sie durch die hausfraulichen Unterweisungen meiner Mutter und durch ihre eigene alltäglich entwickelte Initiative unentbehrlich geworden waren, pflegte mein Vater ihre Entlassung zu betreiben, denn nun waren sie in der Lage, die beim allentscheidenden Stanford-Binet geforderte Minimalleistung zu übertreffen.

Doch erst nach langer Zeit wirkten sich diese konkreten Erfahrungen auf bewußtes Nachdenken über eine Ökologie der menschlichen Entwicklung aus. Es begann während eines informellen, aber intensiven einjährigen wöchentlichen Fakultätsseminars vor dreißig Jahren. Meine Kollegen und ich hatten – recht ehrgeizig – versucht, für Theorie und Forschung über menschliche Entwicklung neue Horizonte abzustecken. Zu dieser Gruppe gehörten auch Robert B. McLeod, Alexander Leighton und Robin Williams. Diese drei brachten die intellektuellen Grundfesten eines jungen Forschers ins Wanken, der fest an die wissenschaftliche Strenge des Labors und psychometrischer Methoden glaubte. Sie öffneten mir die Augen für den machtvollen Einfluß von Phänomenologie und sozialem Kontext. Mein Wissen über diesen letzteren vermehrte sich im Verlauf dreier Jahrzehnte der Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Edward Devereux. Für Lektionen über die Eleganz Fisherscher Versuchsplanung und ihre Anwendbarkeit in der Ökologie werde ich den beiden Charles R. Hendersons, Vater und Sohn, immer Dank wissen.

Zwei Erfahrungskreise verliehen den neuen Perspektiven, die ich im Fakultätsseminar gewonnen hatte, Form und Substanz. Zum ersten gehörten Felduntersuchungen in kulturellem Kontext. Zunächst war ich wenig beeindruckt, denn ich hatte in unbewußtem Selbstschutz Arbeit in vertrautem sozialen Terrain gewählt – in einer kleinen ländlichen Gemeinde im Staat New York. Doch dann überredete mich mein Seminarkollege Alexander Leighton, einen Sommer lang an den Anfängen seiner klassisch gewordenen Untersuchung der Auswirkungen kommunaler Faktoren auf psychische Gesundheit teilzunehmen. So begann ich unter seiner Anleitung an der französischen Küste von Nova Scotia meine Karriere transkultureller Forschung, die ich in West- und Osteuropa, in der Sowjetunion, Israel und anderswo fortsetzte und zu der auch ein kurzer, aber aufrüttelnder Besuch in der Volksrepublik China gehört.

Die Erfahrungen in diesen Gesellschaften machten zweifach tiefen Eindruck auf mich, der im vorliegenden Buch wiedergegeben ist. Erstens wurde mir sehr klar bewußt, welche Erholungskraft und elastische Widerstandsfähigkeit, welche Vielseitigkeit und Möglichkeiten der Art Homo sapiens aus ihrer Fähigkeit entstehen, sich den Lebensräumen, in denen sie lebt und wächst, anzupassen und dort auszuhalten, vor allem aber aus der Fähigkeit, Lebensräume zu schaffen. In verschiedenen Kontexten gesehen, wurde die menschliche Natur, die ich vordem als Hauptwort im Singular zu denken pflegte, zum Plural und pluralistisch; die verschiedenen Umgebungen nämlich bewirken nicht nur von Gesellschaft zu Gesellschaft, sondern auch innerhalb einer Gesellschaft erkennbare Unterschiede der Talente und Temperamente, der menschlichen Beziehungen und vor allem der Art und Weise, auf die eine Kultur oder Subkultur ihre nächste Generation heranzieht. Der Prozeß, durch den menschliche Wesen zu Menschen gemacht werden, variiert ebenso klar nach Zeit und Ort wie sein Produkt. Aus historischer wie aus transkultureller Perspektive gesehen, lassen diese Verschiedenheiten an die Möglichkeit bislang unerprobter Ökologien mit noch unbekannten Potentialen menschlicher Wesensart denken, in der sich Macht und Mitleid vielleicht weiser ergänzen, als bis jetzt zu beobachten war.

Auch dieser letzte Ausblick, der als ein Produkt unbegründeten Idealismus erscheinen mag, geht von transkulturellen Realitäten aus. Als zweite Lektion lernte ich aus der Arbeit in anderen Gesellschaften, daß die Sozialpolitik die Macht hat, das Wohlergehen und die Entwicklung von Menschen zu beeinflussen, indem sie ihre Lebensumstände festlegt. Diese Erkenntnis hatte zur Folge, daß ich mich während der letzten fünfzehn Jahre sehr für Bestrebungen in meinem eigenen Land einsetzte, Maßnahmen, die das Leben von Kindern und Familien beeinflussen könnten, zu verändern, weiterzuentwickeln und in die Tat umzusetzen. Die Beteiligung am Planungskomitee von Head Start, an zwei Expertengremien des Präsidenten und anderen wissenschaftlichen Beratergruppen auf nationalen, bundesstaatlichen und lokalen Ebenen, das Eintreten für Politiker und Regierungsbeamte der Legislative und die Zusammenarbeit mit ihnen ließen mich zu einer nicht erwarteten Schlußfolgerung kommen: Es ist wesentlich für den Fortschritt der wissenschaftlichen Erforschung der menschlichen Entwicklung, daß die Wissenschaftler sich mit Sozialpolitik befassen.

Diese entstehenden Ideen, was immer ihr Wert sein mag, sind nicht mehr das Produkt meiner eigenen Anstrengungen als das der geduldigen und ausdauernden Bemühungen meiner Kollegen, meine Augen für die Realitäten der Welt, in der sie leben und arbeiten, zu öffnen. Zu den geduldigsten und ausdauerndsten während der transkulturellen Forschungsarbeiten gehörten Gerold Becker, Lydia Bozhovich, Zvi El-Peleg und Familie, Hsieh Ch’i-kang, Sophie Kav-Venaki, Kurt Lüscher und seine Familie, Richard und Gertrud Meili, Janusz Reykowski, Ruth Sharabany, Ron Shouval und seine Familie, Sandor Komlosi und Familie, Igor Kon, Alexej Leontjew, Hartmut von Hentig und Alexandet W. Zaporozhets.

Auf den Gebieten, auf denen Entwicklungsforschung und Sozialpolitik sich treffen, waren Birch Bayh, Orville G. Brim, John Brademas, Robert Cooke, David Goslin, Nicolas Hobbs, Sidney Johnson, Alfred Kahn, Mary Keyserling, Walter F. Mondale, Evelyn Moore, Albert Quie, Julius Richmond, John Scales, Sargent und Eunice Shriver, Jule Sugarman, Harold Watts, Sheldon White und Edward Ziegler meine wichtigsten Mitarbeiter und Mentoren.

Dieses Buch entstand als Teil eines wissenschaftlichen Unternehmens, das ich, von einer Anzahl gleichgesinnter Kollegen beraten und von der Foundation of Child Development materiell unterstützt, vor mehreren Jahren begann. Es trug den Namen Program on the Ecology of Human Development und hatte das Ziel, Theorie, fortgeschrittene Ausbildung und Forschung in den Umwelten, in denen Menschen wirklich leben und wachsen, weiterzuentwickeln. Die Arbeit an diesem Buch begann während meiner Zeit als Belding-Stipendiat der Stiftung.

Ich möchte besonders zum Ausdruck bringen, wie sehr ich mich dem Präsidenten der Stiftung, Orville G. Brim, und der Programm-Bearbeiterin Heidi Sigal für ihre Ermutigung, ihre klugen Ratschläge und für ihre tätige Hilfe in allen Belangen des EHD-Programms einschließlich des Konzepts und der Vorbereitungsarbeiten für dieses Buch zu Dank verpflichtet fühle. Auch stehe ich, intellektuell wie persönlich, tief in der Dankesschuld der Berater des Programms – Sarane Boocock, Michael Cole, Glen Elder, William Kessen, Melvin Kohn, Eleanor Maccoby und Sheldon White. In unzähligen Briefen, Gesprächen und Telefongesprächen teilten sie Reaktionen und Ideen mit, die ich allmählich assimilierte. Ich erbitte ihre Vergebung für alle Fälle, in denen ich ihre Beteiligung unwissentlich unerwähnt ließ oder, noch schlimmer, ihren Ideen nicht gerecht wurde.

Auch hatte ich das Glück, daß viele Kollegen und Studenten in Cornell und andernorts großzügigerweise bereit waren, Entwürfe der verschiedenen Partien des Manuskripts zu lesen und zu kritisieren, wie Henry Alker, Irwin Altman, Jay Belsky, John Clausen, Moncrieff Cochran, Michael Cole, William Cross, Glen Elder, James Garbarino, Herbert Ginsburg, Stephen Hamilton, Melvin Kohn, Barbara Koslowski, Michael Lamb, Tom Lucas, Barbara Lust und ihre Studenten, Kurt Lüscher, Eleanor Maccoby, Maureen Mahoney, Rudolf Moos, David Olds, Henry Ricciuti, Morris Stambler, Eric Wanner, John Weisz, Sheldon White und eine meiner scharfsinnigsten Kritikerinnen, Liese Bronfenbrenner.

Zwei von ihnen, Michael Cole und Eric Wanner, arbeiteten außerdem als spezieller und als allgemeiner Herausgeber dieses Buches. Ihre Initiative, ihre Ermutigungen und Ratschläge verbesserten das Produkt und linderten die beständigen Leiden eines Autors. Besondere Anerkennung gebührt den anonymen Bearbeitern der einzelnen Kapitel und des ganzen Textes, vor allem Harriet Moss für ihre durchdachte editorische Bearbeitung des fertigen Manuskripts. Auch meinem gelehrten Freund und Nachbarn Geoffrey Bruun, der nie die Quelle oder den Inhalt eines Zitats vergißt, schulde ich Dank.

Meine Gefühle der Verpflichtung und der Dankbarkeit gelten jedoch nicht nur diesen einzelnen Menschen. Eine der Hauptthesen dieses Buches ist, daß menschliche Fähigkeiten und ihre Verwirklichung in entscheidendem Ausmaß vom größeren sozialen und institutionellen Kontext der individuellen Tätigkeit abhängig sind. Dieses Prinzip trifft besonders auf den vorliegenden Fall zu. Die Cornell University, als eine Land-Grant-Universität zur Hälfte durch Stiftung und zur Hälfte durch den Staat New York finanziert, hat seit ihrer Gründung eine Tradition der Freiheit und Verantwortlichkeit gepflegt und ihren Fakultäten durch die Aufnahme nicht traditioneller Disziplinen zu der Erkenntnis verholfen, daß die Sozialwissenschaften, wenn sie ihre eigenen Ziele erreichen wollen, die Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen kennen und auf sie eingehen müssen. Noch deutlicher tritt dieses Doppelthema in der Arbeit des New York State College of Human Ecology unter der kreativen Führung der drei aufeinanderfolgenden Deans David C. Knapp, Jean Failing und Jerome Ziegler hervor.

Zu allergrößtem Dank schließlich bin ich Joyce Brainard verpflichtet, die mit der einsatzfreudigen Hilfe von Mary Alexander, Stephen Kaufmann, Mary Miller und Kay Riddell endlose Überarbeitungen des Manuskripts sorgfältig, kompetent und mit Hingabe ausführte.

Die im zehnten Kapitel enthaltene Kurzdarstellung der Forschungsarbeiten Ogbus hat Stephen Hamilton für einen gemeinsam verfaßten Kongreßbeitrag geschrieben. In verschiedenen Kapiteln findet sich neu bearbeitetes Material aus früheren Veröffentlichungen in Child Development, im American Psychologist, im Journal of Social Issues und und in der Zeitschrift für Soziologie.

Die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe verschafft mir die Gelegenheit, meine tiefe Dankbarkeit gegenüber meinem Kollegen und Freund Professor Kurt Lüscher auszudrücken. Dieses Buch widerspiegelt nicht nur – wie zuvor der Band über "Ökologische Sozialisationsforschung" – seine Hingabe und seine hervorragenden Fähigkeiten als Herausgeber, sondern auch die Herausforderung und die wissenschaftliche Redlichkeit seiner theoretischen Ideen in einer nunmehr über fünfzehnjährigen Zusammenarbeit und Freundschaft.

Ziel und Perspektive

In diesem Buch biete ich eine theoretische Perspektive für die Erforschung menschlicher Entwicklung an. Ausgangspunkt ist ein bestimmtes Verständnis der in Entwicklung begriffenen Person und ihrer Umwelt, insbesondere der allmählich entstehenden Wechselwirkung zwischen beiden; ich definiere Entwicklung hier als dauerhafte Veränderung der Art und Weise, wie die Person die Umwelt wahrnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt. Darum beginne ich mit einer Erläuterung des hier vorgeschlagenen Umweltbegriffs, den ich lieber durch einige konkrete Beispiele vorstellen möchte als durch formale Exposition.

Wir stellen uns die Umwelt als einen Satz ineinandergeschachtelter Strukturen vor und zuinnerst, auf der ersten Ebene, den unmittelbaren Lebensbereich, der die sich entwickelnde Person umgibt: die Familie, das Klassenzimmer oder, für Forschungszwecke, das Labor oder der Versuchsraum. Soweit scheint das Terrain bekannt – obwohl es auch hier mehr Dinge gibt, als manche Schulweisheit sich träumen läßt. Mit dem Schritt zur nächsten Ebene aber müssen wir den ausgetretenen Pfad verlassen und uns nicht mehr lediglich mit diesen verschiedenen Lebensbereichen, sondern auch mit den Beziehungen zwischen ihnen befassen. Ich werde das Argument vertreten, daß diese Verbindungen zwischen Lebensbereichen die Entwicklung ebenso entscheidend beeinflussen können wie Ereignisse in einem bestimmten Lebensbereich. Die Fähigkeit eines Kindes, das Lesen zu erlernen, kann von Existenz und Art der Beziehung zwischen Schule und Elternhaus ebenso abhängig sein wie von der Lehrmethode.

Der Schritt zur dritten Ebene führt uns noch weiter vom gewohnten Weg ab zur Hypothese, daß die Entwicklung einer Person tiefgreifend von Ereignissen in Lebensbereichen beeinflußt wird, in denen sie gar nicht anwesend ist – ich werde Daten diskutieren, die vermuten lassen, daß in modernen Industriegesellschaften die Berufsbedingungen der Eltern mit zu den stärksten Einflüssen auf die frühkindliche Entwicklung gehören.

Schließlich gibt es eine auffallende Erscheinung, die den Lebensbereichen auf allen drei Ebenen der oben skizzierten ökologisch verstandenen Umwelt gemeinsam ist: Lebensbereiche einer bestimmten Art – wie häusliche Umgebung, Straßen, Büro – sind einander innerhalb einer Kultur oder Subkultur im allgemeinen sehr ähnlich, während sie sich von Kultur zu Kultur deutlich voneinander unterscheiden, als gebe es in jeder Gesellschaft oder Subkultur so etwas wie Konstruktionsanweisungen für ihre Organisation. Diese Konstruktionsanweisungen können überdies abgeändert werden, was zu merklichen Strukturveränderungen der Lebensbereiche der Gesellschaft und zu entsprechenden Folgen für Verhalten und Entwicklung führen kann. Es gibt Forschungsergebnisse, nach denen organisatorische Veränderungen in Entbindungsstationen, die die Beziehungen zwischen Müttern und Neugeborenen beeinflussen, noch nach fünf Jahren erkennbare Auswirkungen hatten. Eine andere Untersuchung zeigte, daß sich eine ernste ökonomische Krise in einer Gesellschaft unterschiedlich auf die weitere lebenslange Entwicklung ihrer Kinder auswirkte – ob günstig oder ungünstig, hing vom Alter der Kinder zur Zeit der finanziellen Härten für ihre Familien ab.

Derart weitreichende Entwicklungseinflüsse können jedoch nur aufgedeckt werden, wenn man zu ihrer Untersuchung ein theoretisches Modell einsetzt, das ihre Beobachtung ermöglicht. Da Entdeckungen dieser Art für Wissenschaft wie für Politik von großer Tragweite sein können, ist doppelt wichtig, daß dieses theoretische Modell methodologisch streng gefaßt ist, Validitätskontrollen vorsieht und auch den Ausgangshypothesen widersprechende Ergebnisse zuläßt. Ich möchte in diesem Buch versuchen, die Grundparameter eines theoretischen Modells zu definieren, das diesen sachlichen und methodologischen Anforderungen genügt. Außerdem möchte ich zeigen, wie dieses Modell wissenschaftlich genutzt werden kann, um die Aussage der Ergebnisse früherer Untersuchungen zu erweitern und um neue Fragestellungen und Versuchsplanungen zu formulieren.

Die in diesem Schema vorgeschlagene Umweltvorstellung unterscheidet sich nicht nur in ihrem Bezugsrahmen, sondern auch in Inhalt und Struktur von früheren Formulierungen. Der ökologische Ansatz will eine in der sozialwissenschaftlichen Literatur häufig eingenommene, in der Forschungspraxis dagegen nur selten eingehaltene Position ernst nehmen und in Operationen umsetzen: die von Soziologen und Psychologen gleichermaßen vertretene These nämlich, daß die Umwelt für Verhalten und Entwicklung bedeutsam ist, wie sie wahrgenommen wird, und nicht, wie sie in der "objektiven" Realität sein könnte. Anhand dieses Prinzips werde ich zeigen, welche Schwächen und welche Stärken Labor und Versuchsraum als Kontext für die Erfassung von Entwicklungsveränderungen haben. Es gibt Befunde dafür, daß sich Kinder wie Erwachsene im Labor konsistent anders verhalten als in ihren realen Lebensbereichen, und eben diese Unterschiede spiegeln die unterschiedliche Bedeutung dieser beiden Lebensbereiche für die Beteiligten, durch deren soziale Herkunft und Erfahrung sie zum Teil bedingt ist.

Auch die Strukturen der verschiedenen Arten von Lebensbereichen werden analysiert. Hier weicht unser Ansatz weiterhin von konventionellen Forschungsvorstellungen ab, weil Umwelten nicht nach linearen Variablen unterschieden, sondern als Systeme analysiert werden. Eine der Grundeinheiten der Analyse auf innerster Ebene ist die Dyade, das Zweipersonen-System. In der entwicklungspsychologischen Literatur wird zwar häufig erwähnt, daß Dyaden durch reziproke Beziehungen charakterisierte Strukturen sind, wir werden jedoch sehen, daß dieses Prinzip in der Praxis oft vernachlässigt wird. Es entspricht der traditionsgemäß auf eine Person konzentrierten Einstellung in der Laborforschung, daß immer nur Daten über eine einzige Person erhoben werden, über die Mutter oder über das Kind, aber selten über beide gleichzeitig. Wo dies geschieht, entsteht ein Bild voll neuer und dynamischer Möglichkeiten. Wenn zum Beispiel ein Partner einer Dyade einen Entwicklungsprozeß durchmacht, scheint das nach den vorliegenden Daten über Dyaden auch für den anderen zuzutreffen. Die Erkenntnis dieser Beziehung eröffnet neue Einsichten über Entwicklungsveränderungen – nicht nur der Kinder, sondern auch ihrer erwachsenen Betreuer und Erzieher, ihrer Mütter, Väter, Großeltern und Lehrer. Die gleichen Überlegungen gelten für Dyaden von Mann und Frau, Bruder und Schwester, Vorgesetztem und Mitarbeiter, Arbeitskollegen und so weiter.

Zudem erfaßt ein systemtheoretisches Modell der unmittelbaren Situation auch die umgebenden sogenannten N+2-Systeme, Triaden, Tetraden und größere zwischenmenschliche Strukturen, denen es gleiche Bedeutung für die Entwicklung zuschreibt. Verschiedene Befunde sprechen dafür, daß das Vermögen der Dyade, menschlicher Entwicklung als förderlicher Kontext zu dienen, ganz entscheidend von der Anwesenheit dritter Personen abhängig ist, von Ehepartnern, Verwandten, Freunden. Wenn solche Dritte fehlen oder eher störende als fördernde Rollen einnehmen, bricht der Entwicklungsprozeß, als System betrachtet, zusammen.
Dasselbe triadische Prinzip gilt für die Beziehungen zwischen Lebensbereichen: Wir nehmen an, daß die Kapazität eines Lebensbereichs wie Elternhaus, Schüle oder Arbeitsplatz, als günstiger Entwicklungskontext zu wirken, von Vorhandensein und Art der sozialen Verbindungen zwischen den Lebensbereichen abhängt, also von gemeinsamer Beteiligung, Kommunikation und dem Ausmaß an Information über andere Lebensbereiche. Dieses Prinzip verleiht vielen Fragen Bedeutung: Tritt ein junger Mensch allein in eine neue Situation wie Schule, Ferienlager oder Hochschule ein oder in Begleitung Erwachsener oder vertrauter Kameraden? Verfügt er, verfügt seine Familie überhaupt über Informationen oder Erfahrungen über diesen neuen Lebensbereich, ehe der Eintritt erfolgt? Und wie beeinflussen solche Vorkenntnisse Verhalten und Entwicklung im neuen Lebensbereich?

Solche Fragen zeigen sehr deutlich, welche Bedeutung für den Entwicklungsverlauf solchen ökologischen Übergängen, d.h. Veränderungen der Rolle oder des Lebensbereichs, zukommt; sie zeigen auch, wie wenig die Forschung dieses Potential bisher genutzt hat. Auch die Ankunft eines kleinen Bruders oder einer kleinen Schwester, der Eintritt in Kindergarten oder Schule, Versetzung und Abschlußprüfung, Stellenantritt, Heirat, Kinderkriegen, Stellenwechsel, Umzug und Pensionierung sind ökologische Übergänge.

Die Bedeutung ökologischer Übergänge für die Entwicklung entsteht daraus, daß sie fast immer eine Veränderung der Rolle mit sich bringen, also der mit einer bestimmten Gesellschaftsstellung verbundenen Verhaltenserwartungen. Wie wir sehen werden, haben Rollen ganz unglaublichen Einfluß darauf, wie eine Person behandelt wird, wie sie selbst handelt, was sie tut und damit auch, was sie denkt und fühlt. Das Prinzip gilt nicht nur für die sich entwickelnde Person selbst, sondern auch für die anderen Personen in ihrer Lebenswelt.

Die Umweltereignisse, die sich am unmittelbarsten und folgenreichsten auf die Entwicklung einer Person auswirken, sind Aktivitäten, die andere mit ihr oder in ihrer Anwesenheit aufnehmen. Die aktive Beteiligung an dem, was andere tun, allein, daß dies in ihrer Gegenwart geschieht, veranlaßt die Person, von sich aus ähnliche Aktivitäten aufzunehmen. Ein dreijähriges Kind lernt mit größerer Wahrscheinlichkeit sprechen, wenn andere in seiner Umgebung, und vor allem direkt zu ihm, sprechen. Und sobald das Kind begonnen hat, von selbst zu sprechen, haben wir den Beweis, daß eine Entwicklung stattgefunden, daß nämlich das Kind eine molare Tätigkeit neu erworben hat (wie sie im Unterschied zu molekularem Verhalten, das augenblicksgebunden und intentionslos ist, im folgenden genannt werden soll, vgl. S. 60 f.). Die molaren Tätigkeiten, mit denen eine Person sich befaßt, konstituieren sowohl die inneren Mechanismen wie die äußeren Manifestationen ihres psychischen Wachstums.
Die Reihe ineinandergeschachtelter ökologischer Strukturen und ihre Bedeutung für die Entwicklung läßt sich am gleichen Beispiel zeigen: Wir können von der Hypothese ausgehen, daß ein Kind mit größerer Wahrscheinlichkeit in einem Lebensbereich sprechen lernt, in dem die Erwachsenen durch ihre Rollen gehalten sind, mit Kindern zu reden oder andere dazu zu ermutigen oder ihnen die Möglichkeit dazu zu verschaffen (indem etwa der Vater Hausarbeit tut, damit die Mutter dem Kind vorlesen kann).

Ob die Eltern ihre Aufgabe, Kinder aufzuziehen, zufriedenstellend ausüben können, hängt jedoch auch von Rollenanforderungen, Belastungen und Hilfen ab, die von anderen Lebensbereichen ausgehen. Wie Eltern ihre eigene elterliche Leistungsfähigkeit beurteilen und was sie über ihr Kind denken, steht in Beziehung zu äußeren Faktoren wie Flexibilität ihrer Arbeitszeit, guten Kinderpflegeeinrichtungen, der Anwesenheit von Freunden oder Nachbarn, die in kleineren oder größeren Notfällen aushelfen können, der Qualität des Gesundheits- und Sozialwesens, der Ungefährlichkeit des Wohngebiets und so weiter. Die Verfügbarkeit solcher günstigen Lebensbereiche wiederum ist eine Funktion ihrer Existenz und Häufigkeit in einer bestimmten Kultur oder Subkultur. Diese Häufigkeit schließlich kann durch gezielte sozialpolitische Maßnahmen erhöht werden, die weitere dem Familienleben förderliche Lebensbereiche und Gesellschaftsrollen schaffen.

Eine theoretische Vorstellung der Umwelt, die außer dem Verhalten der Individuen auch funktionale Systeme (die modifiziert und erweitert werden können) in und zwischen Lebensbereichen einbezieht, hebt sich kraß von den üblichen Forschungsmodellen ab. In der Regel arbeiten diese etablierten Modelle mit einer wissenschaftlichen Optik, die den Forscher nicht erkennen läßt, welche Schwierigkeiten und welche Möglichkeiten die Umwelt für seine Arbeit bedeutet, und ihm auch die sehr bemerkenswerte menschliche Fähigkeit verbirgt, konstruktiv auf ein verfügbares, ökologisch angemessenes Milieu zu reagieren. Infolgedessen werden menschliche Kapazitäten und Kräfte oft unterschätzt.

Die Struktur der Umwelt läßt sich auch in abstrakten Begriffen darstellen. Wie gesagt: Aus ökologischer Perspektive umfaßt die Umwelt mehr als die augenblickliche, direkt auf die sich entwickelnde Person einwirkende Situation mit Objekten, auf die sie reagiert, und Leuten, mit denen sie interagiert. Ebenso wichtig erscheinen uns die Verbindungen zwischen anderen im Lebensbereich anwesenden Personen, die Art dieser Verbindungen und der Einfluß, den sie über direkte Kontaktpersonen auf die sich entwickelnde Person ausüben. Die Gesamtheit aller dieser Wechselbeziehungen nennen wir das Mikrosystem.

Das Prinzip der wechselseitigen Verbundenheit gilt nicht nur innerhalb von Lebensbereichen, ebenso zwingend und folgenreich gilt es für die Verbindungen zwischen ihnen. Wichtig sind sowohl die Verbindungen zwischen den Bereichen, an denen die in Entwicklung begriffene Person wirklich beteiligt ist, wie die zwischen jenen, in die sie vielleicht nie eintritt, in denen jedoch Ereignisse stattfinden, die beeinflussen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschieht. Die ersten bilden, was ich das Mesosystem, die zweiten, was ich das Exosystem nennen werde.

Den Komplex ineinandergeschachtelter, vielfältig zusammenhängender Systeme schließlich betrachten wir als das sichtbare Ergebnis von überwölbenden, einer bestimmten Kultur oder Subkultur gemeinsamen ideologischen und organisatorischen Mustern sozialer Institutionen. Diese generalisierten Muster nenne ich die Makrosysteme. Innerhalb einer bestimmten Gesellschaft oder sozialen Gruppe also neigen Struktur und Substanz der individuellen Mikro-, Meso- und Exosysteme zur Ähnlichkeit, als wären sie nach einem Prototyp konstruiert; sie funktionieren auch ähnlich. Die konstituierenden Systeme verschiedener sozialer Gruppen dagegen können sich deutlich voneinander unterscheiden. Daher kann man durch Analyse und Vergleich der für verschiedene soziale Schichten, für ethnische oder religiöse Gruppen oder für ganze Gesellschaften charakteristischen Mikro-, Meso- und Exosysteme die ökologischen Eigenschaften größerer sozialer Kontexte als Umwelten menschlicher Entwicklung systematisch beschreiben und unterscheiden.

Die meisten Elemente dieser Theorie sind in Verhaltens- und Sozialwissenschaften gebräuchliche Begriffe: molare Tätigkeit, Dyade, Rolle, Lebensbereich, soziales Netzwerk, Institution, Subkultur, Kultur. Neu an unserer Umweltvorstellung ist die Art und Weise, wie diese Einheiten zueinander und zum Entwicklungsverlauf in Beziehung gesetzt werden.

Kurz: Was hier vorgeschlagen wird, ist, soweit es die Außenwelt betrifft, eine Theorie der Umweltkontexte und ihrer Auswirkungen auf die Kräfte, die das psychische Wachstum unmittelbar beeinflussen.

Ein ökologischer Ansatz zur Erforschung der menschlichen Entwicklung verlangt außerdem, daß wir überdenken, welche Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis, insbesondere zwischen Wissenschaft und sozialpolitischer Anwendung, wir für richtig halten. Nach (zumindest unter Sozialwissenschaftlern) herkömmlichem Standpunkt sollte Sozialpolitik auf wissenschaftliche Erkenntnis aufbauen, wo immer das möglich ist. Die Gedankengänge, die ich in diesem Buch entwickle, führen zur Gegenthese: Um wirkliche Fortschritte in der Erforschung der menschlichen Entwicklung erzielen zu können, braucht die Wissenschaft die praktische Sozialpolitik noch nötiger als die Sozialpolitik die Wissenschaft. Was wir anstreben müssen, ist nicht nur eine komplementäre Beziehung zwischen Wissenschaft und Sozialpolitik, sondern ihre funktionale Integration. Kenntnis und Analyse sozialpolitischer Theorie und Praxis sind für den Erfolg der Entwicklungsforschung wesentlich, weil sie die wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf jene Aspekte der engeren und weiteren Umwelt lenken, die die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Person am entscheidendsten beeinflussen. Auch können diese Kenntnisse und Analysen ideologische Annahmen aufdecken, die der Formulierung von wissenschaftlichen Fragestellungen und Forschungsplanungen zugrunde liegen und sie manchmal kräftig einengen – und mit ihnen den Bereich möglicher Erkenntnis.

"Funktionale Integration" heißt natürlich nicht, daß Wissenschaft und Sozialpolitik vermengt werden dürfen. Gerade bei der Untersuchung der Auswirkungen sozialpolitischer Maßnahmen ist wesentlich, daß wir klar unterscheiden können, welche Interpretationen ausschließlich empirisch begründet sind und welche auch ideologische Neigungen und Überzeugungen wiedergeben.

Die Forderung nach einer reziproken Beziehung zwischen Wissenschaft und Sozialpolitik folgt aus unserem theoretischen Modell, das die Ebene des Makrosystems mit seinen für eine bestimmte Kultur oder Subkultur charakteristischen Mustern von Ideologie und Institutionsstruktur einbezieht. Soziale Maßnahmen sind Teil des Makrosystems, das die spezifischen Eigenschaften der Exo-, Meso- und Mikrosysteme bestimmt, die auf ihren Ebenen Verhalten und Entwicklung steuern.
Die Vorstellung der Umwelt als Satz jeweils im nächsten enthaltener Bereiche geht vor allem in ihren formalen Aspekten auf die Theorien Kurt Lewins (1935, 1936, 1941, 1948) zurück. Man kann dieses Buch als einen Versuch ansehen, Lewins genialer Vorstellung der topologischen Territorien psychologische und soziologische Substanz zu geben.

Auch die Entwicklungsvorstellung der hier vorgeschlagenen Theorie ist neu. Die Betonung liegt nicht auf den traditionellen psychischen Prozessen der Wahrnehmung, der Motivation, des Denkens und des Lernens, sondern auf ihrem Inhalt: Was wird wahrgenommen, gewünscht, gefürchtet, bedacht oder als Wissen erworben, und wie verändert sich das Wesen dieses psychologischen Materials durch den Einfluß der Umwelt auf die Person, die ihr ausgesetzt ist und sich mit ihr auseinandersetzt? Wir definieren Entwicklung als die Entfaltung der Vorstellung der Person über ihre Umwelt und ihr Verhältnis zu dieser, als ihre wachsende Fähigkeit, die Eigenschaften ihrer Umwelt zu entdecken, zu erhalten oder zu ändern. Auch in dieser Formulierung zeigt sich der Einfluß Lewins, vor allem seine Betonung einer engen, wechselseitigen Verbindung und Isomorphie der Strukturen von Person und Situation (1935, S. 206–209).

Die hier vorgeschlagene Konzeption stützt sich auch auf die Ideen Piagets, wie sie in seinem Buch Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde (1973) dargelegt werden. Doch gilt unser Interesse nicht nur, wie bei Piaget, dem im wesentlichen "aus dem Kontext genommenen" Organismus, sondern der Entstehung der wahrgenommenen Realität, wie sie sich im Bewußtsein des Kindes im Zug seiner aktiven Beteiligung an seiner physikalischen und sozialen Umwelt entwickelt. Dem Säugling werden zunächst nur Ereignisse in seiner unmittelbaren Umgebung – die ich das Mikrosystem genannt habe – bewußt, und selbst in diesem nächstliegenden Bereich richtet sich seine Aufmerksamkeit und seine erwachende Aktivität zuerst nur auf Ereignisse, Personen und Objekte, die in direkter Beziehung zu ihm stehen. Beziehungen zwischen Ereignissen und Personen im Lebensbereich, mit denen er nicht von Anfang an in aktiver Beteiligung verbunden ist, rufen seine Aufmerksamkeit oder gar eine Reaktion erst viel später hervor. Zu Anfang ist die Bewußtheit des Säuglings immer auf einen einzigen Lebensbereich beschränkt, auf den nämlich, den er gerade einnimmt. Zur Entwicklung, wie ich sie sehe, gehört nicht nur, daß das Kind die Kontinuität von Personen in verschiedenen Lebensbereichen begreift, wie Piagets Begriff der Wahrnehmungskonstanz besagt, sondern auch, daß es allmählich Beziehungen zwischen den Ereignissen in diesen Lebensbereichen zu erkennen beginnt. Mit anderen Worten: Das Kind beginnt die Existenz des Mesosystems zu begreifen und einen Sinn für es zu entwickeln. Die Verbindung dieser Erkenntnis möglicher Beziehungen zwischen den Lebensbereichen und der Fähigkeit, gesprochene und geschriebene Sprache zu verstehen, befähigt das Kind, Auftreten und Wesen von Ereignissen zu begreifen, die in Lebensbereichen stattfinden, in die es noch gar nicht eingetreten ist, zum Beispiel in der Schule, oder auch in Bereichen, in die es vielleicht nie eintreten wird, wie am Arbeitsplatz der Eltern, in einem anderen Land oder in der Phantasiewelt anderer Leute, wie sie in Geschichten, Filmen oder Theaterstücken geschildert wird.

Das Kind wird überdies fähig (wie Piaget betonte), sich eine eigene Welt zu schaffen und vorzustellen; auch sie spiegelt sein psychisches Wachstum. Aus ökologischer Perspektive hat diese Phantasiewelt Struktur und Entwicklungsrichtung, denn auch die Expansion des kindlichen Vorstellungsbereichs vollzieht sich kontinuierlich von der Mikro- zur Meso-, Exo- und sogar Makro-Ebene.

Die Entwicklung der Phantasiewelt des Kindes macht deutlich, daß seine entstehenden Empfindungen und Aktivitäten nicht nur wiedergeben, was es aufnimmt, sondern auch kreative, aktive Züge haben. Die sich entfaltende phänomenale Welt des Kindes ist nicht lediglich eine Reproduktion, sie ist, um Piagets sehr treffenden Terminus zu verwenden, eine "Konstruktion der Realität". Anfangs kann das kleine Kind – Lewin wie Piaget haben darauf hingewiesen – subjektive und objektive Umweltaspekte nicht immer unterscheiden und daher Frustration erleben oder sogar körperlich Schaden nehmen, wenn es das physikalisch Unmögliche versucht. Nach und nach aber kann es seine Phantasie den Grenzen der objektiven Realität immer besser anpassen, sogar die Umwelt umformen und seinen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Wünschen besser vereinbar machen. Aus ökologischer Perspektive ist gerade diese wachsende Fähigkeit, die Realität nach menschlichen Erfordernissen und Bestrebungen umzubilden, Ausdruck von Entwicklung auf ihrem höchsten Niveau.

Nun gibt es keine Forschungsmethode, die die entstehende Konstruktion der Realität eines Kindes unmittelbarer Beobachtung zugänglich macht; man kann sie nur aus Aktivitätsmustern erschließen, wie sie in verbalem und nichtverbalem Verhalten Ausdruck finden, vor allem in den Tätigkeiten, Rollen und Beziehungen, die die sich entwickelnde Person aufnimmt. Diese drei Faktoren nenne ich die Elemente des Mikrosystems.

In summa: Dieses Buch bemüht sich um theoretische Integration, um ein einheitliches, doch sehr differenziertes begriffliches Schema, nach dem Strukturen und Prozesse in der unmittelbaren und weiteren Umwelt, die Gang und Inhalt der lebenslangen menschlichen Entwicklung formen, beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Diese Bemühung um Integration muß meiner Ansicht nach der erste Schritt einer Erforschung der menschlichen Entwicklung in ihren menschlichen Kontexten sein.
Vom Anfang bis zum Ende dieses Buches werden theoretische Überlegungen in Form von Definitionen von Grundbegriffen vorgelegt, als Propositionen, die die Axiome der Theorie bilden, und als Hypothesen über Prozesse und Beziehungen, die empirisch untersucht werden können.

Einige der Hypothesen, die ich vorschlagen werde, sind rein deduktiv und folgen logisch aus den definierten Begriffen und aufgestellten Behauptungen, doch ihre große Mehrzahl ergibt sich aus der Anwendung des vorgeschlagenen theoretischen Bezugsrahmens auf konkrete empirische Untersuchungen. Ich habe mich also keineswegs auf rein theoretische Ausführungen beschränkt. Ich habe mich durchwegs bemüht, Ideen in operationale Begriffe umzusetzen. Erstens versuchte ich – dies schien eine gute Strategie –, Untersuchungen ausfindig zu machen, die die fraglichen Punkte beweisen oder aber vernachlässigen; im letzteren Fall wird erläutert, was übersehen wurde.

Zweitens zeige ich an schon veröffentlichten oder mitgeteilten Untersuchungen, wie ihre Ergebnisse durch die Anwendung der Begriffe und Behauptungen der hier vorgeschlagenen Theorie an Aussagekraft gewinnen können. Und drittens habe ich, wenn ich keine passenden Untersuchungen finden konnte, hypothetische erdacht, die meines Wissens nie unternommen wurden, aber unternommen werden könnten. Die zitierten Arbeiten stammen aus verschiedenen Disziplinen und repräsentieren eine ganze Reihe theoretischer Richtungen. Ich habe mich auch bemüht, Untersuchungen zu wählen, die in verschiedenartigen Lebensbereichen (Wohnungen, Krankenhäusern, Tageshorten, Kindergärten, Schulen, Ferienlagern, Büros, Fabriken) ausgeführt wurden oder mit ihnen befaßt sind und auf diese Weise größere soziale Kontexte (wie soziale Schichten, ethnische oder religiöse Gruppen, ganze Gesellschaften) und die verschiedensten Altersstufen von der frühesten Kindheit an vergleichen. Leider war diese Suche nach Befunden, die für die Spektren von Ökologie und Lebensalter repräsentativ sind, nur teilweise erfolgreich. Wenn überhaupt, wurden ökologisch orientierte Entwicklungsuntersuchungen in echten Lebensbereichen meist mit Kleinkindern oder Vorschulkindern zu Hause oder im Hort durchgeführt. Brauchbare Forschungsarbeiten über Kinder im Schulalter, Jugendliche oder Erwachsene sind rar und haben nicht viel miteinander zu tun. Auf diese wenigen werde ich in den folgenden Kapiteln allzuoft verweisen müssen.

Ein Buch mit den genannten Zielen – das sei ohne weiteres zugegeben – befaßt sich mit einem weiten Bereich; allumfassend ist es nicht. Ich habe nicht die Absicht, allgemeine Fragen der Entwicklungspsychologie abzuhandeln, d.h., die lebenslange Entwicklung kognitiver, emotionaler und sozialer Prozesse zu beschreiben. Auch Sozialisationsmechanismen wie Bestärkung und Vorbild, ein weiteres Hauptanliegen zeitgenössischer Entwicklungsforschung, werden nicht weiter diskutiert. Diese Unterlassungen sind nicht Ausdruck mangelnden Interesses an diesen Themen – im Gegenteil: Ich schrieb dieses Buch in der Überzeugung, daß das wissenschaftliche Verständnis der physiologischen, psychischen und sozialen Entwicklungsprozesse nur durch die Erforschung dieser Vorgänge in der realen engeren oder weiteren Umwelt, in der die Menschen leben, verbessert werden kann. Unumgängliche Voraussetzung für diese Aufgabe ist die Konstruktion eines theoretischen Schemas zur systematischen Beschreibung und Analyse dieser sozialen Kontexte, der Verbindungen zwischen ihnen und der Vorgänge, durch die diese Strukturen den Gang der Entwicklung direkt oder indirekt beeinflussen können.

So habe ich die übliche Gliederung der Themen der Entwicklungsforschung nach Altersgruppen (Kindheit, Jugend und so weiter) oder nach klassischen psychologischen Prozessen (Wahrnehmung, Lernen, Motivation und so weiter) vermieden. Die Abschnitte dieses Buches entsprechen dem theoretischen Rahmen, den ich für eine Ökologie der menschlichen Entwicklung vorgeschlagen habe: Die auf die Definitionen der Grundbegriffe folgenden Kapitel befassen sich mit den Elementen des Mikrosystems (Kapitel 3 bis 5), ihrem Zusammenwirken und ihrer Arbeitsweise in spezifischen Lebensbereichen (Kapitel 6 bis 8) und mit Strukturen und Arbeitsweise von Systemen höherer Ordnung auf der Ebene der Meso-, Exo- und Makrosysteme (Kapitel 9 bis 11).

Eine Frage liegt nahe: Worin unterscheidet sich eine Ökologie der menschlichen Entwicklung von der Sozialpsychologie einerseits und der Soziologie und Anthropologie andererseits? Generell ergibt sich die Antwort daraus, daß das vorliegende Forschungsunternehmen auf das Phänomen Entwicklung im Kontext konzentriert ist. Die eben genannten Disziplinen der Sozialwissenschaften sind erstens alle erheblich umfassender, zweitens ist keine von ihnen vordringlich auf das Phänomen Entwicklung gerichtet. Beschreibt man die Ökologie der menschlichen Entwicklung als deren Sozialpsychologie, Soziologie oder Anthropologie, so engt man ihr Anliegen ein und übersieht die sehr entscheidende Bedeutung biologischer Faktoren wie physischer Merkmale und vor allem genetischer Gegebenheiten für das psychische Wachstum. Auch meine Darstellung wird diesen biologischen Einflüssen nicht gerecht – weil das einfach nicht zufriedenstellend möglich ist, ehe ein adäquater theoretischer Rahmen für die Analyse der Umwelt die Voraussetzungen für eine genaue Darstellung des Zusammenwirkens biologischer und sozialer Kräfte schafft.

Das Interesse an der fortschreitenden Anpassung zwischen dem wachsenden menschlichen Organismus und seiner unmittelbaren Umwelt und an der Art und Weise, wie diese Beziehungen durch Kräfte vermittelt werden, die von entfernteren Regionen des physikalischen und sozialen Milieus ausgehen, ist für die ökologisch orientierte Entwicklungsforschung richtungweisend; diese Interessenrichtung unterscheidet sie am schärfsten von den üblichen Ansätzen in diesem Forschungsbereich. Im Bereich der Ökologie menschlicher Entwicklung treffen sich die Disziplinen der biologischen, psychologischen und sozialen Wissenschaften in ihrem Interesse an der Entwicklung des Individuums in der Gesellschaft.

Der Hauptzweck der in den späteren Kapiteln folgenden eingehenden Diskussion empirischer Untersuchungen ist weder die erschöpfende Analyse von Methode oder Inhalt bestimmter Arbeiten noch eine definitive Beurteilung der Gültigkeit ihrer Ergebnisse oder ihrer Interpretation. Wo solche Angaben gemacht werden, sollen sie illustrieren, wie ein ökologisches Modell in der Entwicklungsforschung praktisch anwendbar und wissenschaftlich nützlich sein und zu entscheidenden Ergebnissen verhelfen kann. Gute und nicht ganz so gute Seiten der zitierten Arbeiten, die in einer umfassenderen Besprechung Anerkennung oder Kritik verdienten, bleiben unerwähnt, wenn sie für die diskutierte ökologische Fragestellung nicht von Belang sind.

Auch mag den Leser erstaunen, daß viele der zitierten Arbeiten den in diesem Buch erarbeiteten Prinzipien nicht genügen, sie sogar verletzen – selbst jene, die sie illustrieren sollen. Das liegt am Stand unseres Forschungsgebiets. Ich habe die besten Beispiele ausgewählt, die ich finden konnte, doch befriedigen die meisten nur zum Teil. Nach strengen methodischen Grundsätzen durchgeführte Untersuchungen über menschliche Entwicklung, die auf der abhängigen wie der unabhängigen Seite der ökologischen Gleichung ökologisch valide Verfahren einsetzen und gleichzeitig die Einflüsse größerer sozialer Kontexte berücksichtigen, sind noch eher die Ausnahme als die Regel. Im besten Fall finden wir zwei oder drei wichtige Kriterien erfüllt, andere, ebenso wichtige ökologische Forderungen dagegen vernachlässigt. Am häufigsten kommen Anordnungen vor, in denen die kritischen Bedingungen für eine Seite der Hypothese, nicht aber für die andere erfüllt sind. Eine in einem realen Lebensbereich ausgeführte Untersuchung zum Beispiel liefert eine systematische Beschreibung und Analyse relevanter physikalischer und sozialer Bedingungen, verwendet aber zur Ergebnismessung IQ-Tests, projektive Techniken oder Laborverfahren, deren Anwendbarkeit auf die Umwelten, die untersucht werden sollten, unbekannt bleibt. In einer anderen Arbeit wiederum sind die abhängigen Variablen fest in Erfahrungen und Kontexten des täglichen Lebens verankert, die unabhängigen dagegen lediglich durch diffuse, mehrdeutige und oft wertgeladene Benennungen definiert (wie Mittelschicht – Arbeiterschicht, Schwarz – Weiß, alleinerziehende Eltern – vollständige Familie), statt durch Daten über den sozialen Kontext. Derart einseitige Anordnungen sind so zahlreich, daß ihre vollständige Liste langweilig wäre. Deshalb werden in den späteren Kapiteln nur jene Abweichungen von den Forderungen eines ökologischen Modells identifiziert, die die jeweils zur Diskussion stehenden Prinzipien verletzen.

In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß es weder nötig noch möglich ist, in einer einzigen Untersuchung allen Kriterien ökologischer Forschung zu genügen. Sofern der Forscher weiß, welche Voraussetzungen in seiner Arbeit erfüllt sind und welche nicht, kann er stets wissenschaftlich wertvolle Informationen gewinnen.
Der Stand der Entwicklungsforschung ist auch aus einer weiteren Unzulänglichkeit der zitierten Arbeiten ersichtlich. Nach meiner Position bedeutet Entwicklung Veränderungen, die auf andere Orte und Zeiten übergreifen. Wird dieses Übergreifen nicht nachgewiesen, so besteht die Möglichkeit, daß die beobachtete Veränderung nur eine kurzlebige Anpassung an die unmittelbar gegebene Situation ist. Für viele der im folgenden ausgeführten theoretischen Ideen konnte ich in der Forschungsliteratur keine Beispiele finden, die dieser Frage nachgehen. Die überwältigende Mehrzahl aller Entwicklungsuntersuchungen arbeitet mit kurzen Laborerhebungen, die nur selten nach längeren Intervallen wiederholt werden und somit keineswegs die Veränderung der Person in der Zeit erfassen; doch wird man in der Annahme belassen, die in diesen kurzen Sitzungen aufgetretenen Prozesse würden bleibende Auswirkungen haben.

Zwei letzte Vorbehalte betreffen nicht die referierten Arbeiten, sondern die Hypothesen, die ich aus ihnen abgeleitet habe. Erstens scheinen meine Folgerungen vielleicht gelegentlich etwas weit hergeholt. Um es noch einmal zu sagen: Ich habe die besten Beispiele verwendet, die ich finden konnte, weil ich glaube, daß eine Illustration rein theoretischer Darstellung vorzuziehen ist, auch wenn ihre Beziehung zur empirischen Realität nur sehr indirekt ist.

Zweitens ist diese Praxis durch den Zweck gerechtfertigt, dem diese Hypothesen dienen sollen: Sie sind nicht als definitive Propositionen zu verstehen, und ich halte nicht für wahrscheinlich, daß sie sich in der hier mitgeteilten Form bestätigen. Die Funktion der vorgeschlagenen Hypothesen ist im wesentlichen heuristisch – sie sollen die Erforschung lohnende Fragestellungen, Problemkreise und Möglichkeiten identifizieren.

Ich habe dieses Buch geschrieben, um zu theoretischen und empirischen Entdeckungen beizutragen. Daß die dargelegten Ideen sich als völlig richtig erweisen, ist wenig wahrscheinlich; wenn aber ihre Prüfung dem Verständnis der Kräfte, die die Entwicklung der Menschen in ihren Lebenswelten beeinflussen, neue Horizonte und neue Einblicke eröffnet, wird es sein Ziel erreicht haben.

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